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Paula Ludwig: "Aus Berlin emigriert 1933! 13 Jahre Brasilien; 1953 Heimkehr - fatal!"

Paula Ludwig: "Fled from Berlin in 1933! 13 years in Brazil; return home - disastrous!"

Zusammenfassung

Die Österreichische Dichterin Paula Ludwig ist eine tragische Figur der Exilgeschichte deutschsprachiger Autoren in Brasilien. Der vorliegende Artikel behandelt den Weg der Autorin, die am Verlust ihrer Liebe, Iwan Goll, und vor allem ihrer Sprache nahezu zerbricht. Anhand verschiedener Stationen, Publikationen und anderen Lebensereignissen wird ihr Werdegang nachvollzogen. Hier soll es primär um die von der Exilerfahrung geprägte persönliche Geschichte einer Dichterin gehen, die ein nahezu vergessenes lyrisches Erbe hinterlassen hat, das womöglich weitaus bedeutender hätte ausfallen können.

Stichwörter:
deutschsprachiges Exil in Brasilien; österreichische Dichterin; Berlin der 1920er Jahre; Paula Ludwig

Abstract

The Austrian poet Paula Ludwig's life story is a tragical example of an exiled German-speaking author in Brazil. The present article describes the life of this poet who is ultimately destroyed by the loss of her love, Iwan Goll, and especially by the loss of her mother tongue. This article retraces Paula Ludwig's footsteps around locations, events and publications that played important roles in her life. The main focus here will be the personal experience of an exiled poet who has left an almost forgotten heritage, which perhaps could have been a lot more significant.

Keywords:
German-speaking exiles in Brazil; Austrian poet; Berlin in the 1920s; Paula Ludwig

Fig. 1
Paula Ludwig,Selbstportrait, 1943, in: Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 683

" Geboren: 5.1.1900; gestorben: hundertmal
voraus! Aus Berlin emigriert 1933! aus Tirol
geflohen 1938! aus Paris geflohen 1940! 13
Jahre Brasilien; 1953 "Heimkehr" - fatal!"
(Wachinger/Peter 1986:289)1 1 Den folgenden Text hat Paula Ludwig 1958 an den Verleger ihres ersten Buchs nach der Rückkehr aus dem Exil anstatt eines Lebenslaufs geschickt: "Bitte: auf Lebenslauf verzichten! Mein Leben war viel zu großartig (verhältnismäßig), als daß ich es in kurze Formeln bringen könnte. Geboren: 5.1.1900; gestorben hundertmal voraus! Aus Berlin emigriert 1933! Aus Tirol geflohen 1938! Aus Paris geflohen 1940! 13 Jahre Brasilien; 1953 "Heimkehr" - fatal!". Er leitet das Nachwort zur Gesamtausgabe ihrer Gedichte ein. (Wachinger 1986: 289).

1 Kindheit und Jugend - "Heimat ist Sicherheit"2 2 Améry, Jean (2008: 82): "Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten". Stuttgart: Klett Cotta. (Zit. in: Vitale 2003: 39).

Paula Ludwig teilt das tragische Schicksal zahlreicher deutschsprachiger Intellektueller und AutorInnen, die im Zuge des Dritten Reichs ins amerikanische Exil gehen mussten. Doch erleidet sie bereits vor dem Exil diverse Schicksalsschläge, die sie jedoch in ihrem Selbstverständnis als ‚lyrische Dichterin' erst durch den Verlust der Muttersprache und letztlich ihrer poetischen Stimme verzagen lassen. Im vorliegenden Artikel soll der Lebensweg einer Dichterin und Malerin nachgezeichnet werden, welcher die Einschnitte verdeutlicht, die der Verlust von Heimat und symbolischem Kapital, insbesondere der eigenen Sprache, im Lebensweg einer vielversprechenden Künstlerin verursachen kann. Paula Ludwig steht hier für das Schicksal zahlreicher Menschen, deren Möglichkeiten durch Herkunft, Geschlecht, politische Position oder allgemeines Milieu unter der Naziherrschaft eingeschränkt oder gar erstickt wurden. Paula Ludwig war eine Frau, deren dichterisches Potenzial und Lebensweg daran gemahnt, dass nicht nur Talent und Kontakte darüber entscheiden, wer sich in die Annalen der Literaturgeschichte einschreibt und wer nicht.

Paula wird am 5. Januar 1900 im Vorarlberger Feldkirch-Altenstadt als zweite Tochter in die Familie eines Tischlers und einer Kammerdienerin hineingeboren. Die ärmlichen Verhältnisse verschärfen sich nach der Trennung der Eltern 1907 und die Mutter bleibt allein mit den Kindern Alfred und Paula, der Vater geht mit der älteren Tochter Martha nach Breslau (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 11f; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 265). Zwei Jahre später ziehen Paula, der jüngere Bruder Alfred und die Mutter nach Linz. Eine große Rolle spielt die nun bei der Familie lebende Großmutter, die in Paula Ludwigs autobiographischem Werk Buch des Lebens als "[...] Bienenkorb, der schlank und doch rund, alt und doch voll Leben am Saume einer blühenden Wiese steht" (Ludwig 1990: 86, zit. in Hellwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 13) beschrieben ist. Durch sie lernt Paula Kräuter und Pilze und die Natur überhaupt kennen und schätzen.

Schon während der Schulzeit in Feldkirch-Altenstadt und auch in der Linzer Bürgerschule zeigt Paula Ludwig reges Interesse und glänzt sowohl in der Klosterschule in Feldkirch als auch in der Bürgerschule in Linz. In Feldkirch erlebt Paula christlich verklärte Schwärmereien, zunächst für Pater Richard, der ihr ein mehr oder minder väterlicher Freund ist, und später in Linz zu ihren Lehrerinnen, die ihre Talente zum Teil erkennen und fördern (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 13 ff.; Ludwig 1990: 195 ff.).

Zuerst stirbt die geliebte Großmutter und nach längerer Krankheit auch die Mutter am 27. April 19143 3 Das letzte Kapitel des autobiographischen Textes "Buch des Lebens" ist dem Tod der Mutter gewidmet (Ludwig 1990: 232 ff.). Paula Ludwig kam nie dazu, die Fortsetzung ihrer Autobiographie zu verfassen. und die beiden Kinder gehen nach Breslau zum Vater (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 21). Das Leben in Breslau4 4 1914 bis 1918 bei Häusler 2004: 120; 1914-1917 bei Helwig 2002: 22. 1917 ist wahrscheinlicher, denn im Jahresbericht der Zeitschrift der Breslauer Schule Osten heißt es "Fräulein Paula Ludwig verlässt Breslau und kehrt in ihre Heimat Linz zurück." (zit. in Helwig 2002: 32). bei der Schwester des Vaters ist geprägt von dessen ‚roten' politischen Aktivitäten und wieder von Armut. Paula arbeitet als Dienstmädchen und kommt später bei der Malschule Wasner als Modell und Mädchen für alles unter, wo sie erstmals unter Gleichgesinnten dichten und malen kann und bekommt schließlich auch Kontakt und Zugang zur Breslauer Dichterschule, die einer naturalistischen Tradition entsprang und sich bald dem literarischen Expressionismus öffnete. Die Breslauer Dichterschule erlaubte Frauen wie Hedwig Wigger, Berta Bath-Strauss, Marie Muthreich und eben Paula Ludwig den Zugang und veranstaltete regelmäßige Soireen, sie verfügte außerdem über eine umfangreiche Vereinsbibliothek und brachte die wichtige Zeitschrift Der Osten heraus, durch die Paula Ludwig einige Dichter der Zeit kennenlernte5 5 Am 9. Juli 1916 wird Paula Ludwig formell in die Breslauer Dichterschule aufgenommen. (Helwig 2002: 28). (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 24 ff.).

Hier lernt Paula Ludwig den Militäroffizier Walter Rose kennen, mit dem eine heftige und lyrische Affäre beginnt, aus der etwa ein Jahr später Paula Ludwigs Sohn Karl Siegfried, genannt Friedel, hervorgeht (ebd. 29 ff.). Zu Friedels Geburt 1917 geht Paula zu Verwandten nach Glatz, Walter Rose hält sich bedeckt, heiratet später ‚standesgemäß', trägt aber immer wieder phasenweise finanziell zu Paulas und Friedels Wohlergehen bei, indem er das Internat in Juist finanziert und unregelmäßig Unterhaltszahlungen leistet (vgl. Vitale 2003Vitale, Rosanna. Exil in Brasilien 1933-1945. München: Eberhard Verlag, 2003.: 90; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 265).

2 München und Berlin: in der Stadt ist das intellektuelle Leben

Nach diesem zweiten Einschnitt in ihrem Leben, der zwar als großes persönliches Glück erlebt wird, aber auch als herbe Enttäuschung in Bezug auf die Liebe, sucht Paula Ludwig wieder Anschluss in Sachen ‚Schönes und Gutes'6 6 Bei Heide Helwig (2004: 49) heißt es über Paula Ludwigs künstlerischen Impetus: "Das Wunder der Schöpfung bleibt für die Dichterin, die sich als Sendbote des Schönen und Guten versteht, bzw. verstanden hat, über jeden Zweifel erhaben, es bleibt intakt als das Rührende und Berührende des Anfangs [... ].". : mit dem wenige Monate alten Friedel im Wäschekörbchen geht sie in die Kunstmetropole München. Der prophetische Satz der Mutter: "Um dich habe ich keine Sorge. Du gehst schon deinen Weg." (Ludwig 1990: 237) bewahrheitet sich in ihrem kurvenreichen Lebenslauf immer wieder. Beeindruckend aus heutiger Sicht ist die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der jungen Frau, die sich von Anfang an vielen Hindernissen zum Trotz ihren Weg bahnt.

In München arbeitet Paula Ludwig wieder als Malermodell, verdient den Lebensunterhalt als Dienstmädchen und nimmt unentgeltliche Schauspielstunden bei Erwin Kalser, in den sie sich später verliebt7 7 Heide Helwig zitiert aus Paula Ludwigs Tagebuch "So dumm, dass mir dasselbe passiert, was allen Mädchen passiert, nämlich, dass sie sich in ihren Lehrer verlieben." (Helwig 2002: 59). (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 39). Hier kommt sie unter anderem in Kontakt mit der späteren Freundin und Unterstützerin Grete Weisgerber, deren Mann Albert Weisgerber ein berühmter Maler und Grafiker der Zeit war, dessen Stil sich zwischen dem deutschen Impressionismus und dem beginnenden Expressionismus ansiedeln lässt. Grete widmet Paula Ludwig auch ihren ersten Gedichtband. Sie trifft auf Dr. Albert Mundt, Inhaber des Roland-Verlags, Schriftsteller und Verfasser von Hörspielen, der zeitweilig Lektor beim Kiepenheuer-Verlag in Potsdam war und dort die erste Hölderlin-Gesamtausgabe editierte. Auch lernt sie Hermann Kasack kennen, der von Paula Ludwigs ‚naiven' Gedichten beeindruckt ist und sich ihrer annimmt.8 8 Mit Kasack hat sie eine der zahlreichen Liebesbeziehungen in München. (vgl. Helwig 2002: 48). Kasacks Schaffen ist zwar geprägt vom Expressionismus, löst sich aber allmählich von diesem, um in Richtung einer engagierten Lyrik zu gehen, die zudem stark geprägt ist von ostasiatischer Philosophie und dem Buddhismus. Ende 1919 erscheint also, begünstigt durch diese fruchtbaren Kontakte, Paula Ludwigs erster Gedichtband Die selige Spur im Roland-Verlag9 9 In der "Neuen Reihe" in der Die Selige Spur erscheint, finden sich Werke von Alfred Wolfenstein, Heinrich Mann, Oskar Loerke und dem späteren Geliebten und Gefährten Iwan Goll sowie dessen späterer Frau Claire Studer (später Claire Goll). (vgl. Helwig 2002: 40). mit einem Vorwort Kasacks.10 10 Kasack stellt Paula Ludwig hier in eine Reihe mit Else Lasker-Schüler, Regina Ullmann und Henriette Hardenberg (vgl. Swozilek 2004: 269).

In diesem Gedichtband ist sowohl die religiöse Prägung und transzendentale, teils epiphanische Lust zu spüren als auch die tiefe, traurige Schwere und Melancholie, die sich durch das Gesamtwerk zieht. Auch von Kasack inspirierte Anklänge ostasiatischer Ideen scheinen hin und wieder durch. Vom dämmernden Morgen über, durch die Gedichttitel erkennbaren, realen Personen der Münchener Gegenwart11 11 Ein Gedicht trägt die Überschrift Erwin Kalser. Ein weiteres ist Karli Sohn überschrieben. Eines ist Margarete Höch gewidmet, und auch das Gedenken an die Mutter findet hier ihren Platz (vgl. Ludwig 1986: 9-29). gewidmete Gedichte bis hin zum abschließenden Psalm beeindruckt die Wortgewalt und Stilsicherheit der 19-jährigen Paula Ludwig, die nie eine Universität besuchte. Die Naturverbundenheit und die Suche nach Liebe, die sich durch ihr Werk ziehen, spiegeln sich im lyrischen Du einerseits und in mannigfachen Bildern von Pflanzen, Bergen und Tieren andererseits, welche sie ebenfalls bis zuletzt beibehält.12 12 Treffend schreibt Heide Helwig über Die Selige Spur: "Die Liebessuche der Seligen Spur ist gewiss ein Erkundungsgang. Dabei ist die Liebe selbst von schöner, unbezweifelbarer Evidenz, ist immer vollkommen und allgegenwärtig. Unbestimmt bleiben aber Sein und Gestalt desjenigen, der die übergroße vagabundierende Liebe als Geschenk entgegennehmen soll. Schwankend zwischen der Provokation unverhüllten Verlangens und der scheuen Erwartung eines Rufs, der von außen kommt, [... ] verstreut das Ich die Vielfalt seiner Sehnsüchte: Liebe, die den Toten nachgesandt wird, hymnisch bekundete Freundschaften, sinnliches Begehren, Gottesliebe. Eros, Tod und Religion lautet die Dreifaltigkeit der Seligen Spur [... ]." (Helwig 2002: 41).

Im nachfolgend zitierten Gedicht (das zweite aus der Seligen Spur) zeigen sich die genannten Aspekte ebenso wie eine Nähe zu Naturalismus, Romantik und zur Dichtung des Expressionismus, die sie prägten. Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren (die seltsamen blauen Blumen, die des Abends aufblühn), die Nähe zur Natur, welcher jedoch, in fast futuristischer Manier, die Häuser der Stadt gegenüberstehen, und nicht zuletzt die geradezu morbide Todessehnsucht, die in dem Bild des vor lauter Schönheit trunken herabfallenden Vogels kulminiert, zeigen hier das vielversprechende poetische Potenzial einer jungen Dichterin. Zugleich stellt dieser Band ganz offensichtlich eine Suche nach der eigenen lyrischen Stimme dar, die naturgemäß noch dabei ist, sich zu formen.

Wehe nicht so sehr, Wind!
Ich trage Zartes in meinen Händen.
Warum stehen die Häuser
so sicher in den Tag hinein -
Und Stimmen werden laut,
die riefen nach niemandem mehr.
Es gibt Blumen, die
des Abends aufblühn,
sie sind blau und seltsam -
Und ist es nicht,
als schrie im Baum voll Blüten
ein Vogel auf und fällt
betäubt vom Duft und bang vor so viel Süße...
(Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 9)

Obwohl Paula Ludwig ihren ersten Gedichtband "im Krankenhaus ins Closett gehangen" haben will (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 4213 13 Nicht näher belegte Tagebuchaufzeichnung Paula Ludwigs. ), zeigt dieser Band in Zusammenspiel mit den lobenden Worten Hermann Kasacks, dass ihr Potenzial durchaus erkannt wurde: "Eines Tages erhielt ich durch Zufall eine Anzahl von Gedichen in einer Handschrift, deren Naivität bestechend war. Gedichte von einer ergreifenden Kraft und Einfalt der Sprache, die in ihrem ursprünglichen, allem Literaturbetrieb abseitigen Charakter einen [...] entscheidenden Eindruck hinterließen.", schreibt Kasack später über Paula Ludwigs Texte (Wachinger; Peter 1986: 192). Gleichzeitig wird hier auch deutlich, dass sich das Etikett der "Naturdichterin", die sich weitab jeder Tradition bewegt, und das sie später zeitweilig in die Nähe der Blut- und Boden-Dichtung bringen sollte, schon früh abzeichnet. In München versucht sie weiter, ein Bein auf den Boden zu bekommen, und es erscheinen Gedichte in expressionistischen Zeitschriften wie den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung und der Sichel sowie in der Kunstzeitschrift Der Ararat, wo im November 1921 auch einige ihrer Zeichnungen publiziert werden (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 270).

In diesen Münchener Jahren ist Paula Ludwig bitterarm und reagiert sarkastisch auf den zynischen Ansporn Kasacks "Erbittert dachte ich an Kasacks Worte: 'Das schadet nichts, das gibt ein neues Gedicht.'" (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 49).14 14 Nicht näher belegtes Zitat von Paula Ludwig, möglicherweise ebenfalls aus Tagebuchaufzeichnungen. Es wechseln sich Phasen des intensiven lyrischen und künstlerischen Schaffens mit depressiven Verstimmungen und der notwenigen und harten ‚Brotarbeit' als Dienstmädchen oder Haushaltshilfe ab. Zeitgleich bewegt sie sich in gemischten Künstlerkreisen, verkehrt mit Malern wie dem Mitbegründer der "Münchener Sezession",15 15 Diese Künstlergruppe wollte sich vom staatlich geförderten Kunstmarkt emanzipieren und war stilistisch der Weiterentwicklung des Historismus verschrieben. Franz von Stuck, oder Max Unold, der ebenfalls dieser Gruppe angehörte, Theaterleuten wie Otto Falckenberg oder Wolf Przygote, Literaten wie Oskar Maria Graf, Stefan George, Bertolt Brecht, Klaus Mann, Erich Mühsam sowie der beeindruckenden Puppenmacherin und Kostümbildnerin der Münchener Bohème‚ ‚Puma' Lotte Pritzel, die in der Künstlerkneipe Simplicissimus (auch Simpl genannt) in der Münchener Maxvorstadt verkehrte und in der Seligen Spur einen poetischen Auftritt findet. Auch zu Carl Zuckmayer, Georg Trakl, Else Lasker-Schüler und ihrer späteren Freundin und mehrfachen ‚Retterin' Erika Mann hat Paula Ludwig hier einen ersten Kontakt. In abendlichen Salons werden Gedichte vorgetragen, und sie verschafft sich erstmals ein Publikum und eine gewisse Bekanntheit (vgl. Helwig 2002: 53ff; Vitale 2003Vitale, Rosanna. Exil in Brasilien 1933-1945. München: Eberhard Verlag, 2003.: 90; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 270).

Als sie 1922 wegen einer Arbeitsstelle als Haus- und Kindermädchen einen Sommer am Starnberger See verbringt, trifft sie auf den Autor der "Biene Maja", Waldemar Bonsels,16 16 Bonsels war als erfolgreicher Autor der "Biene Maja" recht wohlhabend und unterstützte Paula Ludwig auch finanziell (vgl. Swozilek 2004: 273). mit dem eine heftige "Schriftstellerliebe und -freundschaft" beginnt, die in vielen Briefen belegt ist. Nach einem viermonatigen Krankenhausaufenthalt, vermutlich wegen einer Geschlechtskrankheit, bricht sie, wie zahlreiche Künstler der Zeit, nach Berlin auf (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 71ff).

In der pulsierenden Hauptstadt, in der sie die zehn Jahre zwischen 1923 und 1933 verbringt, kämpft Paula Ludwig erneut mit der Armut, was sie in einem Interview von 1971 wie folgt darstellt: "Die [gemeint sind erfolgreiche Intellektuelle wie Brecht und Tucholsky] hatten alle damals sehr viel Geld [...] aber ich, ich hauste damals in einer kleinen Dachstube."17 17 Ulrike Längle "Tausend Winter durchmaß ich mit meinen Schritten" (keine Seitenangabe) zitiert in: Vitale 2003: 91. Doch wieder gelingt es ihr, sich durchzuschlagen; zwei Jahre lang muss Friedel in einem Asyl für die ärmsten Kinder verbringen, und sie selbst ist zuweilen obdachlos. Dennoch frequentiert sie, auch ohne Geld für eine Tasse Kaffee, das Romanische Café, ein Zentrum des intellektuellen Lebens der Zeit. Sie trifft hier auf prägende Persönlichkeiten wie ihre langjährige Freundin Ina Seidel, den expressionistischen Dichter und Schriftsteller Friedrich Koffka, mit dem sie bis 1930 eine Liebesbeziehung hat, und, im Jahr 1931, Iwan Goll, der zuvor in Paris von Kubismus, Dada und Surrealismus geprägt wurde und mit James Joyce und Bertolt Brecht zusammengearbeitet hatte, mittlerweile aber dem Expressionismus verschrieben war. Sie kämpft bei den Verlagshäusern um die Rechte an der Seligen Spur. Es werden diverse ihrer Gedichte in Literaturzeitschriften wie der Kolonne18 18 In seinem Aufsatz "Paula Ludwigs Berliner Umfeld: Kontakten zu den Autoren der 'Kolonne'" untersucht Hub Nijssen eingehend Paula Ludwigs Verbindungen zu den Schriftstellern der Kolonne, wo 1931 einige Gedichte von ihr publiziert wurden (erschienen in Swozilek 2004: 59-74). gedruckt, die sich gegen die Neue Sachlichkeit stellte und sich der Naturlyrik verschrieben hatte, was zu Paula Ludwigs lyrischer Ausrichtung passte; dennoch erhält sie wenig Honorare. Schließlich wird beim S. Fischer Verlag, wo Koffka Lektor ist, ein Vertrag über den nächsten Gedichtband abgeschlossen.19 19 1927 erscheint Der himmlische Spiegel bei S. Fischer. Doch das unmittelbare Überleben sichert in den ersten Berliner Jahren die Malerei, die Heide Helwig treffend als "[n]aiv mit expressionistischen Anklängen" (2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 85; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 274) beschreibt.20 20 2004 findet in Bregenz in Vorarlberg eine umfangreiche Ausstellung von Paula Ludwigs künstlerischem Werk statt. Es werden einige der frühen Werke ausgestellt, die auch in dem beeindruckenden Ausstellungskatalog abgedruckt sind (vgl. Swozilek 2004). .

In ihrer Mansardenwohnung am Kurfürstendamm 177, die sie ab 1927 bewohnt, später in einem Hinterhaus am Kurfürstendamm 112 (vgl. Glauert-Hesse 2013aGlauert-Hesse, Barbara . (Hg.): "Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch wird ich dir untreu sein" Anmerkungen". Göttingen: Wallstein Verlag 2013a.: 121) im fünften Stock, entstehen viele Aquarelle und Tuschezeichnungen; hier finden rauschende Feste statt, und es ist der Ort einiger Beziehungen,21 21 Die Beziehung mit Friedrich Koffka beispielswiese, die allerdings kurz vor der Heirat scheitert. Paula schreibt am 17.6.1928 an Bonsels: "Aber er sagte dazu immer: 'es muss ja sein' und da sagte ich zu ihm: 'Nein, Koffka, nichts muss sein.' Und ich hab ihn ganz frei gelassen [... ]." (zit. in Helwig 2002: 94). unter anderem derjenigen mit Iwan Goll, die aufgrund dessen Ehe mit Claire Goll zumeist im Heimlichen stattfinden musste (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 80-95; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 274).

Bemerkenswert ist, wie reflektiert Paula Ludwig über Beziehungsstrukturen und geschlechterspezifische Zuschreibungen und -rollen denkt. In einem Brief aus dem Jahr 1925 an ihren Vertrauten Bonsels heißt es: "[...] Wir Frauen erhoffen in den Männern immer das Stärkere, Führende, es ist dumm." (zit. in Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 96). Diese Gedanken finden ebenso Einzug in ihren zweiten Gedichtband Der himmlische Spiegel (s. Fn 10) wie die verschiedenen Geliebten und Vertrauten, an die sie, nun weniger explizit, ihre Gedichte richtet22 22 Auch in dem Briefwechsel mit Iwan Goll zeigt sich ein Spiel mit männlichen und weiblichen Attributen und Namen. Während Iwan als Manyana eine weibliche, submissive Persona annimmt, wird Paula zum mächtigen Palu (vgl. Glauert-Hesse 2013 passim). (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 98 f.).

Im Himmlischen Spiegel finden sich neben einigen neu betitelten Texten, die bereits in der Seligen Spur publiziert wurden,23 23 Der Band beginnt mit demselben Gedicht wie Die selige Spur, das hier allerdings als "Beginn des Tages" betitelt ist, des weiteren erscheinen leicht veränderte Versionen der Verse aus dem Himmlischen Spiegel, nun stets mit Titeln versehen, die nicht mehr auf den ersten Blick einen Bezug zur extraliterarischen Realität herstellen. Aus Karli Sohn wird Berührung, die Gedichte an Margarete Höch werden zu Deine Augen und Helle Nacht. Die Buhlerin, das an Erwin Kalser gerichtet war, wird zum mystisch anmutenden Gesang aus der Nacht. Getilgt wurden Gedichte mit allzu explizit erotischem und religiösem Inhalt (vgl. Helwig 2002: 99). Der zweite Teil des Himmlischen Spiegels besteht aus bis dato unveröffentlichten Gedichten (Ludwig 1986: 46-65). zahlreiche neue Gedichte. Im Unterschied zum ersten Gedichtband ist allerdings "das Verstörte, das Aufgewühlte eines vagabundierenden Eros" ausgeblendet; es geht nun "um das Schauen, den Blick auf eine 'zwiegespaltene' Realität und den Umgang mit dem Erschauten." (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 100-101).

Mit diesem zweiten Gedichtband hat Paula Ludwig erstmals einen gewissen Erfolg, was sich in einer zweiten Auflage manifestiert. Sie erhält auch den Preis der damals neuen Wiener Julius-Reich-Stiftung, der mit 400 Schilling dotiert ist. Nun erscheinen auch Texte von Paula Ludwig in diversen Anthologien neben namhaften Dichtern der Zeit24 24 In der Anthologie jüngster Lyrik. Neue Folge (1929) herausgegeben von Willi R. Fehse und Klaus Mann ist Paula Ludwig mit neun Gedichten vertreten und in Junge deutsche Lyrik (1928) erscheint das Gedicht Dem kommenden Frühling (Ludwig 1986: 67-75). wie Erich Kästner, Manfred Hausmann und Martin Beheim-Schwarzbach (ebd. 101 ff.).

Nach diesen Erfolgen wagt sich Paula Ludwig an eine neue Form des Schreibens. Sie beginnt ihre Traumprotokolle, aus denen die Traumlandschaft (1935)25 25 Später wurde die Traumlandschaft (1935 bei Waldemar Hoffmann und 1938 bei Staackmann) um Erfahrungen und Texte aus dem Exil erweitert und erschien unter dem Titel Träume. Aufzeichnungen aus den Jahren zwischen 1920-1960 bei Langewiesche-Brandt im Jahr 1962. In dem Ausstellungskatalog (Swozilek 2004: 91-107) findet sich eine beeindruckende psychoanalytische Interpretation der Träume von Michael Schmid. hervorgeht, zögert jedoch zunächst mit einer Publikation ob der harschen Kritik seitens ihres Vertrauten Bonsels und trotz der Begeisterung Koffkas (ebd. 104 ff.).

Nach der Endgültigen Trennung von Koffka 1930 folgt für Paula Ludwig ein "Vakuum der Gefühle", "Hass gegen die Liebe überhaupt", aus dem sie jedoch im folgenden Jahr nahezu gewaltsam herauskatapultiert wird. "Als er kam, war die Welt voll Lieblichkeit" (Ludwig 1968: 77; aus dem Gedicht Der dunkle Gott), bedichtet Paula Ludwig später die erste Begegnung mit Iwan Goll, ihrem Dunklen Gott, 1931 bei einer Gesellschaft des Architekten und Mäzens Schrobsdorff (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 108 ff.). Mit Iwan Goll wird das "seltsame[n] Bauernmädel"26 26 Iwan über Paula an seine Frau Claire am 22.Februar 1931 (Glauert-Hesse 2013: 77). Paula trotz dessen Ehe mit Claire Goll27 27 Claire Goll wurde als Clara Aischmann am 29. Oktober 1890 in Nürnberg geboren, nach ihrer ersten Hochzeit nannte sie sich Claire Studer und nach der Heirat mit Iwan hieß sie Claire Goll. Iwan (auch Ywan oder Yvan) Goll wurde 1891 als Isaac Lang im Elsaß geboren und nahm später seinen Dichternamen an (vgl. Glauert-Hesse 2013a: 7). eine intensive Beziehung führen, die letztlich erst durch das Exil des Ehepaares Goll in den USA und Paula Ludwigs in Brasilien beendet wird, was aus dem von Barbara Glauert-Hesse herausgegebenem und kommentierten Briefwechsel28 28 Bis 1940 geht der Briefwechsel weiter, obwohl schon in Paris 1939 ein Bruch spürbar wird, da sich Iwan nicht von Claire trennt. Der letzte Brief, vom 6. November 1940, ist von Iwan aus New York an Paula in Lissabon gerichtet (vgl. Glauert-Hesse 2013: 677). hervorgeht.

Während sich die politische Situation verschärft, rückt für Paula Ludwig wieder die Dichtung ins Zentrum ihres Schaffens. Ihre Freundschaft mit Waldemar Bonsels erleidet einen Schlag, als dieser "Warum ich Antisemit bin" in einer Zeitung publiziert; insgesamt spaltet sich mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus die Berliner literarische Landschaft, auch Ina Seidel nimmt Partei für die Nationalsozialisten. Paula Ludwig wird "Berlin unheimlich", wie sie in einem späteren Interview mit Viktor Suchy sagt und sie verlässt die Stadt, um in Ehrwald, Österreich, bei ihrer Freundin Nina Engelhardt unterzukommen. Von 1929 bis 1933 lebt sie abwechselnd in Berlin und Ehrwald,29 29 Paula Ludwig lebte vom 12. Februar 1933 bis bis 11. Juli 1933 in Berlin; vom 12. Juli bis zum 5. August besuchte sie Iwan Goll in Paris (während Claire Goll zur Kur in Plombières-les-Bains war) und kehrte dann nach Berlin zurück. Von dort aus fuhr sie über Ehrwald nach Italien, bereiste vom 9. September bis 7. Oktober mit Iwan Florenz, Siena und Perugia, um nach einem etwa sechswöchigen Aufenthalt in Biberwier/Tirol wieder nach Ehrwald zurück zu kehren, wo sie von Dezember 1933 bis 25. März 1934 lebte. Die Berliner Wohnung wurde zwischen März und Juni 1934 aufgelöst; am 7. Juni 1934 übersiedelte Paula Ludwig endgültig nach Ehrwald (Glauert-Hesse 2013: 231, 265, 303, 328 und 349). um im Juni 1934 endgültig die Berliner Wohnung aufzulösen (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 131-133).

3 Ehrwald: Fluchtpunkt und zweite Heimat?

Ehrwald in Tirol, wo sie von 1934 bis 1938 lebte, war wohl zunächst als temporäre Lösung gedacht, wird aber zu einer Art zweiten Heimat. Die Landschaft ist noch imposanter als die der Vorarlberger Kindheit, und bietet doch eine vertraute Natur. Die treue Freundin Nina Engelhardt bietet ihr im Haus Nr. 321 in der von ihr selbst ins Leben gerufenen ‚Künstlerkolonie' eine günstige Bleibe und auch weiterhin Kontakte zu Künstlern und Literaten wie dem Lokallyriker Friedrich Berna-Schmidt, Musikern wie Magnus Henning (Ninas Ehemann), zu Ninas Schwager Ernst Rowohlt sowie weiterhin zu Erika Mann und Therese Giehse.30 30 Heide Helwig schreibt hierzu: "Die Jahre in Ehrwald bedeuten für Paula eine Annäherung an die erste Heimat. Wie früher als leidenschaftlich bewegtes, umtriebiges Kind im Dorf ist sie nun wieder Nutznießerin der Natur, Beeren und Pilze sammelnd, und deren [sic]innige Bewunderin." (2002: 138). Eifrig arbeitet sie an ihren Träumen (s. Fn. 17) und auch an einer literarischen Autobiographie, die 1936 unter dem Titel Buch des Lebens31 31 Jürgen Thaler beschreibt in seinem Aufsatz "Auch eine Kindheit um 1900. Paula Ludwigs Autobiographie 'Buch des Lebens'" ausführlich dessen Entstehung und geht auf seine Bedeutung bezüglich Heimat und Fremde für Paula Ludwig ein (Der Artikel ist erschienen in: Swozilek 2004: 75-89). bei Staackmann erscheint (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 284).

Stets ist die aktive Teilnahme am dörflichen Treiben Teil des Ehrwalder Lebens, was sich in einem Artikel über das fastnächtliche Maschgeragehen in Ehrwald zeigt, der am 25. Februar 1935 in der Frankfurter Zeitung erscheint (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 137).

Immer wieder kommt Iwan Goll zu Besuch, oder sie treffen sich in Italien und verbringen inspirierende Wochen und Monate miteinander (s. Fn. 22).

Aus der Verbindung zwischen Paula Ludwig und Iwan Goll entsteht aber nicht nur der erwähnte Briefwechsel,32 32 Gesammelt und kommentiert in Glauert-Hesse 2013 und 2013a sind nicht nur die Briefe zwischen Iwan Goll und Paula Ludwig, die bereits 1993 unter dem Titel Ich sterbe mein Leben - Briefe 1931-1940. Literarische Dokumente zwischen Kunst und Krieg von Barbara Glauert-Hesse im Auftrag der Fondation Goll erschienen, sondern auch diejenigen zwischen Claire Goll und Iwan Goll sowie die wenigen zwischen Paula Ludwig und Claire Goll. sondern auch je ein Gedichtband, der dem bzw. der Geliebten gewidmet ist: Dem dunklen Gott (1932) von Paula Ludwig und die Malaiischen Liebeslieder (1952 von Claire Goll ins Deutsche übersetzt, basierend auf der französischen Version von Iwan Goll und erst 1967 in der ersten deutschen Version von Iwan Goll, die in Paula Ludwigs Besitz war) bzw. Chansons Malaises (1935 vom Autor selbst ins Französische übersetzt) von Iwan Goll.

In Dem dunklen Gott schreibt eine gereifte und leidenschaftlich liebende Paula Ludwig, deren Melancholie und Todesnähe weiterhin ebenso präsent sind wie ihre romantische, ja mystisch-religiöse Seite und auch die Nähe zu Flora und Fauna. Ihre lyrische Stimme hat gegenüber den ersten Gedichtbänden weiter an Kraft gewonnen, wobei sich die naturalistisch-romantischen Anklänge hier mit der gereiften Stimme einer unter anderem vom Surrealismus und vor allem vom Expressionismus geprägten Dichterin verbinden. Anschaulich wird dies in ihrem Gedicht

Panther und Gazelle
Seit er ihr einmal nah war
und sie entkam,
wie lang ach
zitterte in finsterer Höhle,
eh sie zurück sich zu den ihren fand.
Seit damals stand ein fremder Glanz in ihren Augen
ein neuer Atem flog aus ihren Nüstern.
Nicht mehr wie früher lief sie an die Tränke,
es dunkelte sein Bild im Wasserspiegel,
Nicht mehr wie früher trat sie auf die Weide,
sein Schatten schreckte sie aus allen Büschen
in allen Blumen sah sie seine Spur
Fast suchte sie nach ihm -
Ach wie ein Schauer saß er stets in ihrem Nacken
ein ständig Zittern wohnte er in ihren Flanken
ein wildes Klopfen in der zarten Brust.
Er wars der ihr den flinken Hals noch flinker wandte
er streckte noch geschmeidiger den schmalen Rücken
in allen Sprüngen übte sie sich nur für ihn.
Als er dann wirklich kam
und aus Lianen seine Augen sie ansahn -
Da sank sie lautlos in die leichten Knie
und war schon tot
eh seine Pranke fiel.
(Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 105f.)

Hierzu schreibt Heide Helwig (2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 121) treffend: "Der abwesend-anwesende Gott erscheint als Proteus zwischen Tier- und Blumenmetaphern, unfassbar in jeder Hinsicht, gespeist von der religiös-erotischen Energie, die ihm das lyrische Ich zufließen lässt." Auch hier wird wieder ein Anklang schwarzer Romantik spürbar, welche Liebe und Tod ineins fließen lässt und den paradiesischen Einklang der Tierwelt in eine Arena erotischer Gewalt verwandelt. Die nicht zu bändigende erotische Kraft des Panthers, der nichts gemein hat mit seinem von Rilke besungenen Artgenossen hinter Gittern, trifft auf die weiblich konnotierte Fragilität einer Gazelle. Die in der Natur vermeintlich alltägliche Begegnung zwischen Räuber und Beute wird hier zur erotisch-gewaltsamen Aneignung: der Blick des Panthers verwandelt die Gazelle, prägt sich ihr buchstäblich ein, wird gar ein Teil von ihr. Mit diesem Blick, der die Gazelle dem Panther anverwandelt und sie zugleich von den Ihren entfremdet, ist ihr Schicksal bereits besiegelt, bevor es zur körperlichen Begegnung kommt. Der Tötungsakt verfällt ins Metaphorische, hier fließt kein Blut, denn sie sinkt bereits tot zu Boden, "eh seine Pranke fiel". Die Kraft dieses Gedichts speist sich aus den kunstvoll verflochtenen Bedeutungsebenen zwischen Liebesmetapher und Tierwelt. Die Gewalt der erotischen Anziehungskraft, die der Panther ausübt - sein Blickwinkel bleibt hier ausgeblendet, der Leser weiß nicht, ob der Tötungsakt auch für den Panther eine erotische Dimension besitzt - steht sinnbildlich für das fatale Element der Begegnung mit Iwan Goll, dessen erotischer und lyrischer Kraft Paula Ludwig bereits vor einer physischen Begegnung verfallen ist. Erotik, Gewalt, Flora und Fauna sind Themen, die sich durch das gesamte Werk Paula Ludwigs ziehen und welche in Dem dunklen Gott eine weitaus reifere Form erlangen als noch in den ersten beiden Gedichtbänden.

Iwan Goll hat bei der Entstehung der Gedichte nicht nur die Rolle des leidenschaftlichen Liebhabers und der Quelle von Inspiration inne, er dient auch als handfester Korrektor - immer wieder gehen Manuskripte hin und her, es wird kritisiert und gelobt, angespornt und gebremst.

Für die Träume erhält Paula Ludwig ein Stipendium der Abraham-Lincoln-Stiftung, das sie deren Initiator Geoffrey Winthrop Young verdankt, den sie in Berlin kennengelernt hatte. Zum ersten Mal herrscht so etwas wie finanzielle Stabilität, die jedoch im Nachhinein getrübt wird, als das Werk sofort nach Erscheinen (1935) verboten wird, da es von einer ausländischen Stiftung gefördert wurde (ebd. 149).

Ob der sich weiter zuspitzenden politischen Lage kommt nun immer öfter das Thema Exil in den Briefen vor. Obwohl sowohl Paula Ludwig als auch Iwan Goll eine eher abwartende Haltung einnehmen, kommt Brasilien recht früh, erstmals am 28. Januar 1934,33 33 Goll schreibt in einem Brief aus Paris datiert 18. Januar 1934: "So vielfältig ist deine Kunde: ein Dutzend Fenster reißt du auf, bringst das ganze Leben in Aufruhr; man weiß nicht wohin zuerst springen und worauf zuerst antworten: Italien, Brasilien, Friedl, Gisela, Korallen, Granaten, Gedichte, Young Umzug und neue Wohnung." (vgl. Glauert-Hesse 2013: 331). vor. Hier übernimmt Iwan Goll zunächst eine eher zurückhaltende Position Paula Ludwig gegenüber und legt ihr immer wieder nahe, ihre sprachliche Heimat nicht zu verlassen,34 34 In einem Brief vom 23.Februar 1934, in welchem er Paula vom Bleiben überzeugen will, schreibt Iwan: "Du kannst überall leben, aber deine Dichtung nicht" (vgl. Glauert-Hesse 2013: 335, Hervorhebungen im Original). da sie als Deutsche ja nichts unmittelbar zu befürchten habe und in innerer Emigration35 35 Helwig schreibt, Iwan Goll male "das Schicksal deutschsprachiger Exiliteratur [... ] in düsteren Farben: ein blasses hinfälliges Pflänzchen" (2002: 157); gleichzeitig jedoch hat Iwan Goll bei diversen Exilzeitschriften wie Das Wort und der Sammlung mitgearbeitet (ebd. 157). weiter in Österreich bleiben könne (ebd. 155 ff.).

Offenbar zieht Paula Ludwig dies tatsächlich in Betracht, da sie am 25. März 1934 mithilfe von Waldemar Bonsels und Ina Seidel den Beitrittsantrag zum damals verpflichtenden "Deutschen Schriftsteller-Verband" einreicht. Gleichzeitig versucht sie eine kleine Unterwanderung, indem sie zunächst unter eigenem Namen, dann unter dem Pseudonym Johannes Thor36 36 Iwan Goll schreibt über Johannes Thor am 2. April 1935: "Du hast mich neugeboren! Neugestaltet von deinem männlichmütterlichen Willen erstand ich neu: Johannes Thor. Du hast mir wieder Atem und Namen eingeflösst, mir in Nacht Versunkenem." (vgl. Glauert-Hesse 2013: 419). das Gedicht Der Ölbaum von Iwan Goll bei einem Lyrikwettbewerb einreicht. Das Gedicht wird schließlich als Werk des Johannes Thor in Heinrich Ellermanns Lyrikreihe Das Gedicht. Blätter für die Dichtung (1935) erscheinen (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 166f; Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 284). In derselben Reihe erscheinen auch einige Gedichte von Paula Ludwig, doch da im gleichen Jahr ihre Träume verboten werden, rückt das Exil in größere Nähe. Es gelingt noch 1936 die Publikation des Buchs des Lebens, das allerdings, sicher auch durch Golls Bezeichnung Paula Ludwigs als "Dichterin der Erde", die von Kritikern und Herausgebern aufgenommen wurde, durchaus innerhalb oder zumindest am Rande der ‚Blut-und-Boden-Literatur' des dritten Reichs gesehen wurde. Dies mag als Überlebensstrategie der Dichterin gesehen werden oder aber als schlichtes Missverständnis, das zeitweilig nicht unwillkommen war. Dabei ist ihre Position dem Nationalsozialismus gegenüber zu keiner Zeit positiv.37 37 Hierzu schreibt Thaler: "Werden die Gedichtbände in der spärlichen Literatur zu Paula Ludwig im Rahmen von Aufbruch und Moderne rezipiert, so wird das 'Buch des Lebens' im Zusammenhang mit Autoren wie zum Beispiel Emil Barth, Ilse Molzahn oder Rudolf Bach behandelt und damit dezidiert im Kontext der 'Literatur im ‚Dritten Reich'' verortet." (2004: 75ff). Und an anderer Stelle heißt es: "Es hat den Anschein, als ob Paula Ludwig mit ihrem 'Buch des Lebens' jene Rezeptionsmuster förderte, die seit dem Anfang ihren Weg als Schriftstellerin begleiten. Der Ruf des unverdorbenen, natürlichen, frischen schriftstellerischen Talents war von Anfang an mit ihrem Namen verbunden. Mit dem 'Buch des Lebens' gab sie ihnen ein vermeintliches Fundament." (2004: 79). Später bei der Flucht in Marseille kommt Paula ihr 'Blut-und-Boden'-Werk, wie es der Journalist Balder Olden offen nennt, in die Quere, als sie bei der ERC um Hilfe bei der Ausreise bittet (vgl. Helwig 2002: 221). Noch im gleichen Jahr bemüht sich Paula Ludwig um die österreichische Staatsbürgerschaft,38 38 Sie hatte bisher die deutsche (vgl. Helwig 2002: 163). sie bereist erstmals Paris - möglicherweise schon mit Blick auf eine Weiterreise - und hofft auf Iwans Trennung von Claire, die zu diesem Zeitpunkt im Raum schwebt. Doch wird diese Hoffnung immer und immer wieder enttäuscht, zuletzt durch die Krankheit Claires, die Iwan eine Trennung unmöglich macht (ebd. 173 ff.).

Während Iwan ebenfalls allmählich beginnt, an eine Ausreise zu denken, plant Paula, glücklicherweise noch bevor ihr von der NSDAP bescheinigt wird "politisch nicht zuverlässig und Kommunistin"39 39 Nachdem der NSDAP bei einer Hausdurchsuchung, vermutlich wegen politischer Aktivitäten im Freundeskreis Paula Ludwigs, das Buch des Lebens in die Hände gefallen war, schreibt die Gauleitung Tirol am 7. November 1938 an die Reichsschriftkammer und bescheinigt Paula Ludwig auf Basis des Manuskrips unter anderem Zugehörigkeit zum "jüdischen, bolschewistischen Lager" (Kopie des Schreibens aus dem Nachlass, zit. in Helwig 2002: 176, abgedruckt in: Glauert-Hesse 2013a: 341). zu sein, zusammen mit Nina Engelhardt den Weggang aus Österreich (ebd. 176).

4 Sprachlosigkeit: "Warum verschontest du mich / um mir zu dem letzten Geschmack deine Bitternis / einflößen zu können"40 40 Aus den nachgelassenen Gedichten (Ludwig 1986: 244).

Zeitgleich mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht verlassen Nina Engelhardt und Paula Ludwig Österreich in Richtung Zürich. Womöglich in der Hoffnung auf eine Flucht aus Europa bricht sie von dort aus gemeinsam mit Iwan im Herbst 1938 nach Paris auf, wo sie die nächsten zwei Jahre verbringen wird. Ihre Freundschaft mit dem Archäologen Étienne Coche de la Ferté41 41 Durch Paulas Einfluss sollte Coche de la Ferté schließlich zum Hofmansthal-Übersetzer werden (Helwig 2002: 186). ist in dieser Zeit ähnlich wichtig wie die stets geteilte Liebe Iwans. Zwar sorgt dieser (bzw. seine Mutter) für zumindest finanzielle Stabilität, doch ist diese Phase geprägt von Krankheit und der Sorge um Friedel, mittlerweile Fotograf und Industriekaufmann, der sich weiterhin in Deutschland aufhält. Paris wird allerdings auch als befreiende Großstadt erlebt und im Nachhinein glorifiziert42 42 "Ah wie wunderbar war doch Paris" zitiert Heide Hedwig, vermutlich aus dem Interview von Viktor Suchy mit Paula Ludwig von 1971 (Helwig 2002: 186/7). (ebd. 185 ff.). Frankreich ist auch die letzte Station, auf der Paula Ludwig engen Kontakt mit deutschsprachigen Intellektuellen hat. Die Möglichkeit zu publizieren, schwindet mit ihrer Flucht und versiegt in Brasilien, wo sie nur noch malt, vollends. Der Verlust der Sprache bezieht sich hier also nicht in erster Linie auf die Fremdsprachigkeit der Alltagsumgebung Paula Ludwigs, sondern vielmehr auf die Auswirkungen, die das Fehlen der Einbettung in einen intellektuellen Kontext mit inspirierenden Gleichgesinnten, Salons und Publikationsmedien auf eine Dichterin hatten. In diesem Fall war es ein großer Glücksfall, dass Paula Ludwig die Malerei als Ausdrucksmittel zur Verfügung hatte, doch musste auch diese letztlich zum nackten Überleben instrumentalisiert werden.

Bevor sich die Situation für Flüchtlinge mit Beginn des Kriegs dramatisch verschärft und die Ausreise immer schwieriger wird - es werden sowohl eine carte d'identité als auch ein titre de voyage43 43 Bei Swozilek 2004 ist der "Titre d'identité et de voyage für Paula Ludwig vom 2. August 1939" auf Seite 234 abgebildet (Kat Nr. 151). benötigt, für dessen Erhalt wiederum ein Visum aus Übersee notwendig ist (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 188) - besucht Paula Ludwig Nina Engelhardt in Ascona, was sowohl der Erholung als auch der Planung einer Zukunft in Brasilien dient, denn Nina hat Verbindungen nach Brasilien, wo auch Paulas Schwester Martha seit 1936 lebt (ebd. 198).

Iwan, der zwischen der kranken Mutter, der bis zur Hysterie eifersüchtigen und ebenfalls körperlich kranken Frau und der drängenden Paula hin- und hergerissen ist, was sich in seinem Gedichtzyklus des Jean-sans-Terre und den Briefen der Zeit an Paula und Claire zeigt, versucht nun sein Hab und Gut in Sicherheit zu bringen (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 196). Von Claire kann er sich nicht trennen44 44 Claires emotionale Erpressungsversuche gehen so weit, am 23. Juni 1938 einen Selbstmordversuch zu unternehmen; sie wurde von Iwan rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus gebracht; ab diesem Zeitpunkt wird Iwans Tonfall seiner Zouzou gegenüber weitaus rücksichtsvoller, gar zärtlich, und eine Trennung wird unwahrscheinlicher (vgl. Glauert-Hesse 2013: 614 ff.). und Paula will er nicht enttäuschen, was sich jedoch letztlich nicht vermeiden lässt.

Letztlich bemüht sich Paula Ludwig niedergeschlagen und gekränkt auf eigene Faust um die Ausreise. Während Claire und Iwan schon 1939 nach New York45 45 Paula und Iwan verabschieden sich persönlich am 3. August 1939 und sehen sich nie wieder, da Iwan nach einem Unfall der Mutter nach Metz fahren muss und kurz darauf mit Claire nach New York flieht (vgl. Glauert-Hesse 2013: 644). Aus Paulas Brief vom 10. August 1939 spricht der Schmerz des Abschieds: "Aber bei unserer letzten Umarmung läuteten die Glocken [... ]. Reingewaschen von meinen Tränen erglänzt dein Bild. [... ] Vielleicht ist uns darum das Gefühl der Liebe so teuer: weil wir uns in ihr am tiefsten selbst fühlen. Sonst wird man so leicht verweht wie die gelben Blätter oder das Abendrot und man hat keine Stelle am Leib wo ein Unsterbliches ruht." (ebd. 649/50). aufbrechen können, hat Paula Ludwig Schwierigkeiten beim brasilianischen Konsulat (das für den titre nötige Einreisevisum wird zunächst verweigert), wodurch sich die Ausreise um ein ganzes Jahr verzögert. Sie holt Friedel nach Paris, und beide werden von Frankreich als Staatenlose anerkannt. Nachdem schließlich die brasilianischen Visa doch noch ausgestellt werden (s. Fn. 42), kommt mit der Kriegserklärung Frankreichs die zwangsweise Internierung männlicher Flüchtlinge dazwischen und trennt Paula und Friedel erneut, die sich zu diesem Zeitpunkt in St. Malo befinden (ebd. 207 ff.). Friedel kommt zunächst in das Lager Fort de la Varde bei St. Malo, später ist er in Bassens bei Bordeaux interniert. Paula kehrt zunächst zurück nach Paris, kann jedoch aus Geldmangel noch nicht ausreisen und begibt sich schließlich freiwillig im Frühling 1940 in das Internierungslager Gurs in den Pyrenäen. Kurz nach Einmarsch der deutschen Truppen in Paris (14. Juni 1940) werden die Internierten freigelassen, sie versucht vergeblich, in Bayonne auf ein Schiff zu gelangen, und landet schließlich in Marseille, wo sie mit anderen Flüchtlingen in einem Schulgebäude untergebracht ist, in welchem die Ruhr ausbricht, an der auch Paula Ludwig erkrankt46 46 Ulrike Längle zitiert Paula Ludwigs Äußerungen zu der inflationären Verwendung des Wortes "Scheiße" Ende der 1960er Jahre wie folgt: "Alle Leute die dieses Wort so leichtfertig in den Mund nehmen (na - in den Mund nehmen!) wissen nicht - was es unter Umständen bedeutet! Es bedeutet nichts anderes als einen elenden Tod. Nämlich die Ruhr! Scheisse! Ja Scheisse! Wisst ihr - was Scheisse bedeutet?! Ihr wisst es nicht!" (Aus dem Nachlass von Paula Ludwig zit. in Längle 2004: 113). (Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 289). Sie erhält per Telegramm die Nachricht, dass sich Friedel im Lager Miranda del Ebro in Spanien befindet und macht sich im September 1940 zu Fuß auf den Weg über die Pyrenäen. Zuvor wendet sie sich an diverse Hilfsorganisationen, da ihr das Geld für die Ausreise fehlt und erhält von einer Quäker-Organisation47 47 Die bekannteste Hilfsorganisation war zu dem Zeitpunkt das US-amerikanische Emergency Rescue Committee (ERC), bzw. dessen berühmten Agenten Varian Fry, der jedoch von Anfragen der deutschen Intellektuellen überlaufen war. Unterstützung. Die Schiffspassagen für Paula und Friedel lagen dank Nina Engelhardt schon seit 1939 bereit (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 220 ff.).

Am 23. September 1940 kommt sie in Port Bou an und reist ohne Friedel (er wird dort bis 1943 bleiben und erst 1946 nach Brasilien folgen) weiter über Madrid nach Lissabon, wo sich zu der Zeit etwa 40 000 Flüchtlinge aufhalten (ebd. 225 f.).

In Lissabon ist sie bei Friedrich Berna untergebracht, doch macht es ihr zu schaffen, dass sie Friedel zurück lassen muss und sie leidet auch unter der enttäuschenden Trennung von Iwan. Schließlich kann sie Lissabon auf der Cabo de Horno Anfang Dezember 1940 verlassen und kommt am 19. Dezember 1940 in Rio de Janeiro an (ebd. 229 f.).

5 Brasilien

Bei diesem unfreiwilligen Neubeginn, der trotz der verschärften Einwanderungsbestimmungen des Landes gelingt,48 48 Die Entwicklung der Visa- und Einwanderungsbestimmungen in Brasilien unter Getúlio Vargas ist ausführlich bei Izabel Furtado Kestler (1992) beschrieben. Aus der "Seiltanz-Politik" und dem ‚Volksverbesserungswillen' durch ‚branqueamento' Brasiliens (Kestler 1992: 30), das sich erst 1942 den Alliierten anschließt, resultiert eine zunächst antisemitische Einwanderungspolitik, die sich durch immer neue Einschränkungen wie harsche Herkunftsland-Quoten, die "carta de chamada" und letztlich, trotz Intervention von Papst Pius XII., die vollständige Aussetzung der Visavergabe am 7. April 1941 auszeichnet. Nach Brasiliens Eintritt in den Krieg wurde der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache verboten, doch die Einwanderungsbestimmungen wurden wieder etwas gelockert - nun wurden die Einwanderer nach Berufsgruppen selektiert, Friedel Ludwig kam als Ingenieur nach Brasilien (Kestler 1992: 34-47). fern von Friedel49 49 Von hier aus bemüht sie sich um ein Visum für Friedel und korrespondiert diesbezüglich unter anderem mit Erika Mann (vgl. Helwig 2002: 244). und Iwan, verstummt Paula Ludwig. Es ist bekannt, dass sie zunächst bei Nina Engelhardt in der Nähe von Nova Friburgo im Bergdorf Mury wohnt. "Ja, tatsächlich, die lyrische Dichterin Paula Ludwig reitet auf einem Pferdchen Richtung Kasino", heißt es bei Helwig (2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 236). Das Glücksspiel ist nicht das einzige Laster, dem Paula Ludwig hier verfällt. Der Verlust der Sprache, die Sehnsucht und das, was der Verlust der eigenen Kultur und des gewohnten Milieus unter Künstlern und Literaten konkret bedeutet, treiben sie immer wieder zu Alkoholexzessen, was das Wohnen bei Nina schließlich unmöglich macht. Paula Ludwig bricht vermutlich 1944 auf in den Bundsstaat São Paulo, wo ihre Schwester Martha lebt. Ein Jahr verbringt sie auf dem sítio der Schwester, 20 km von der Stadt São Paulo entfernt, dann geht sie in die Stadt, ‚wohnt herum', bis sie eine Bleibe in Sumaré findet, überlebt durch den Verkauf von Bildern und bemalten Schächtelchen sowie ihren Blumendekorationen, mit denen sie auch den Alkohol finanziert. "Wie viel Schnaps ich dabei gesoffen habe - weiß nur der liebe Gott!" schreibt Paula Ludwig in einem Briefentwurf, der im Nachlass erhalten ist.50 50 Nicht näher belegte Quelle, zit. in Helwig 2002: 243. Die häufigen Wohnungswechsel erschweren zusätzlich zur Sprachbarriere den Eintritt in intellektuelle Kreise; sie verliert in Brasilien die Sprache ihrer Poesie - das Deutsche - die Kontakte zu Künstlern und Dichtern in dieser Sprache und damit den Austausch und Dialog in und über ihre poetische Stimme sowie die Medien, die diese Stimme erst in die Welt bringen, was ihr letztlich nahezu allen Halt nimmt. Dass ihr poetisches Schaffen nicht völlig verstummt und einige düstere und dabei kraftvolle Gedichte entstehen, verwundert fast, zumal weder Medien, die eine Dichterstimme erst hörbar machen noch das fruchtbare Milieu wie in München oder Berlin, ihr hier nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. Helwig 2002: 239-245; auch Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 292).

Zeitweise führt sie ein "Bündnis von Verzweifelten" (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 246) mit einem jüdischen Arzt, der ebenso leidet und kämpft wie Paula. Obwohl es auch hier sporadischen Kontakt zu exilierten Intellektuellen gibt wie den Kreis um Elisabeth Nobiling und Hubertus Graf von Schönfeldt, die eine Ausstellung von Paula Ludwigs Bildern in São Paulo ermöglichen (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 292), sowie den um Luise Bresslau-Hoff und Carl Fried, der auch während des Verbots der deutschen Sprache einen Lesezirkel unterhielt, an dem Paula Ludwig wahrscheinlich teilnahm (ebd. 247). Paula Ludwigs wenige Gedichte aus dieser Zeit oszillieren zwischen Verzweiflung und einem neuem, wieder sehr naturverbundenen Heimatgefühl in der Fremde. In der Figur des leprakranken Bildhauers Aleijadinho findet Paula Ludwig Identifikation und Trost, doch zeigt dies besonders einprägsam ihre eigene innere Versehrtheit und Einsamkeit, wie das dem gleichnamige Gedicht illustriert:

Du großer Tröster mir in diesem Land
einzige Bruderspur die ich hier fand
du hilfst mir noch mit längst verwester Hand
dein Geist ersteht mir überm Grabesrand
[...]
Ich knie vor dir - da du Form erwägst
aus Stein und Gold des Heiligen Antlitz prägst
ich stütze dir die abgefaulte Rechte
und in ihr alle martervollen Nächte
daß du aus mir dein letztes Bildnis schlägst
(Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 261)

In der körperlichen Versehrtheit des Aleijadinho findet Paula Ludwig ein Abbild des eigenen Schmerzes. Aleijadinho, der trotz seiner von Lepra zerfressenen Gliedmaßen bis zuletzt wunderbare Kunstwerke erschuf, dient als Paula als verzweifelte Inspiration in der Sprachlosigkeit des Exils, die vom Verlust ihrer Lieben, allen voran Iwans, potenziert wird. Zugleich zeigt die bemerkenswert ausgestaltete Form des Gedichts noch immer einen souveränen Umgang mit der Sprache, die jedoch in diesem Gedicht alle Verbindung mit der (brasilianischen) Natur eingebüßt hat. Die Düsternis der Verse ist nicht nur Spiegel einer Exilerfahrung, sondern auch ästhetisches Programm einer bemerkenswerten Dichterin, deren Lebensweg nach Brasilien geführt hat. In Brasilien hat Paula Ludwig nicht nur einen Garten, in dem sie Nelken zieht, sondern sie nimmt auch an afrobrasilianischen religiösen Festen teil und bleibt der ‚Erde' so auf anderer Ebene als zuvor tief verbunden. Aus dieser neuen, jedoch bei weitem nicht so intensiven Bindung zur brasilianischen Erde, entsteht ein weiteres überliefertes Gedicht:

Brasil 1943
Geduldig stampft Daruga - der dunkle Zugstier
sein Leid in die rote Erde -
Nicht mehr schreckt Jararaca - die tödliche Schlange
ein Herz - das von tieferen Schrecken gebannt ist -
Wohltätig wecken aus schweren Träumen
grelle Gewitter den dumpf versunkenen Schläfer
Regen trommelt auf Wellblech
den Rhythmus wahnsinniger Zeit -
Wieviel grünende Saat ging auf vor den Augen des Sehenden!
Wieviel Frühlinge beschämten die Seele des Wartenden!
Wieviel Sommer trugen vorbei an ihm
auf schwarzen Schultern die goldene Frucht!
Dürr rauscht die Jahreszahl im Gedächtnis des Verbannten -
Mit welken Händen greift das herbstliche Maisfeld
nach des Menschen verwandter Gestalt -
Stumme Tiere kreuzen seinen Weg
wechselnd in der Wildnis monotones Schicksal
Urwald wuchert über wehrlose Schwelle
erstickend am eigenen Dickicht
Üppig im Schatten gedeiht die giftig duftende Callas
gesättigt im kahlen Gezweig hockt Urubu
der fett glänzende Geier -
Bambus sticht mit spitzen Bajonetten
in die unschuldige Bläue des Himmels -
Aber wenn in schüchterner Frühe
der namenlose Vogel der Rôca sein Lied singt
dann auch er - in der tiefen Stille des Hauses
lauscht und lächelt
der fernhin verlorene Fremdling
(Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 261f.)

In diesen Text fließen Flora und Fauna Brasiliens mit ein, deren Fremdartigkeit durch die Tiernamen, die giftige Callas-Blume und die vermutlich falsch geschriebene Roça oder Plantage (hier: Rôca) für deutsche Leser deutlich wird. Die titelgebende Jahreszahl 1943 lässt, in Zusammenspiel mit der "Jahrzahl im Gedächtnis des Verbannten" darauf schließen, dass hier der sich zum zehnten Mal jährende Beginn des Naziterrors Thema ist. Obgleich das düstere Leid und das Fremdsein, der Verlust und der Wahnsinn der Zeit für das lyrische Ich klar im Vordergrund stehen, obgleich der Urwald mit seiner überbordenden Natur "über wehrlose Schwelle" wuchert oder das "herbstliche Maisfeld / nach des Menschen verwandter Gestalt" greift und der "fett glänzende Geier" neben dem Bambus erscheint, der "mit spitzen Bajonetten / in die unschuldige Bläue des Himmels" sticht, ist dem Gedicht doch insgesamt ein versöhnlicher Ton eigen. Auffällig ist jedoch, dass das lyrische Ich, im Gegensatz zu den anderen zitierten Gedichten, hier nicht in die Szenerie eintritt - es wird aus der Perspektive des Beobachters gesprochen, der wie dissoziiert daneben steht und wie unbeteiligt berichtet, was er sieht. Obgleich in Daruga eine tierische Identifikationsfigur erkennbar wird, der "sein Leid in die rote Erde" stampft und den die "tödliche Schlange" nach den Erlebnissen der Flucht aus der "wahnsinnige[n] Zeit" Europas nicht mehr schrecken kann, bleibt es der Blick von außen, nicht wie bei der Gazelle, deren Fühlen ganz und gar von Innen gezeichnet wird. Der geduldige Zugstier erlebt, nur oberflächlich zusammenfließend mit dem lyrischen Ich, wie die "grünende Saat" aufgeht, wie Frühling und Sommer Jahr um Jahr mit der Ernte wiederkehren. Der freigebigen Natur gegenüber erscheint die "Jahrzahl" nur mehr dürr, und doch unvermeidlich - sie bringt eine Wendung im Gedicht mit den beklemmenden Bildern des Maisfelds, das "mit welken Händen [...] / nach des Menschen verwandter Gestalt" greift; "stumme Tiere" erscheinen, die den Weg des Verbannten kreuzen, und der wuchernde Urwald "erstick[t] am eigenen Dickicht", wie wohl das lyrische Ich nahezu an der eigenen Erinnerung erstickt. Die vorletzte Strophe stellt den Urwald mit der "giftig duftenden Callas" (gemeint ist wohl eine giftige Zantendeschia aus der Familie der Araceae) dem gesättigten Geiervogel Urubu gegenüber und sticht den Leser geradezu mit den "spitzen Bajonetten" des Bambus, der "in die unschuldige Bläue des Himmels" eindringt und somit die durch "Jahrtag" und Titel angedeutete Kriegsmetaphorik vereindeutigt. In der letzten Strophe jedoch erlebt das lyrische Ich Versöhnliches in "schüchterner Frühe", hört einen namenlosen Vogel, "lauscht und lächelt" und das obgleich dieses lyrische Ich sich selbst bis zuletzt als "verlorene[n] Fremdling" bezeichnet. Aus diesem Gedicht lässt sich erneut die nie verstummte gewaltige Stimme einer Dichterin lesen, die trotz allem immer wieder die Kraft findet, das Erlebte und die Eindrücke in wohlgeformte Verse zu gießen, die allerdings erst sehr viel später einem Publikum zugänglich werden.

Endlich, im November 1946 erhält Paula Ludwig die Benachrichtigung, dass Friedel in Rio de Janeiro eintreffen werde, und sie unternimmt größte finanzielle und organisatorische Anstrengungen, um ihren Sohn dort abzuholen. Wieder sind es ihre Bilder, die ihr die Reise ermöglichen. Bis 1953 sind Paula und Friedel gemeinsam in Brasilien; kurz vorher veranlasst sie das Gerücht der mit Tantiemen verbundenen Neuauflage des Buch des Lebens zu Rückkehrplänen nach Europa. Ebenso wie die Hoffnung auf einen österreichischen Pass soll sich dies wenig später allerdings als Luftschloss erweisen. Mit einem brasilianischen Pass51 51 "Dreizehn Jahre habe ich in Brasilien gelebt und war in São Paulo nicht einmal polizeilich angemeldet. Und meine Sprache beim Examen war ganz einfach unmöglich! Und trotzdem haben sie mir die Staatsbürgerschaft verliehen. Während die Deutschen sie mir entzogen haben und die Österreicher sie mir nicht gewährten." Paula Ludwig: "Staatsangehörigkeit" [Darmstadt um 1970], Manuskript, Franz-Michael-Felder-Archiv, transkribiert in Swozilek 2004: 293. Die Staatsbürgerschaftsurkunde vom 19. August 1952 ist in Swozilek 2004: 236 abgedruckt. also besteigt Paula Ludwig im Februar 1953 in Santos ein Schiff nach Europa (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 255ff).

6 Rückkehr?

Ein kleines Wunder erlebt Paula Ludwig auf ihrer ersten Station Paris. Bei Étienne Coche de la Ferté hatte sie eine rote Schachtel mit Briefen von Iwan Goll sowie den Ursprungsfassungen der Mailaiischen Liebeslieder verwahrt, und bei ihrer Rückkehr ist zumindest ein Teil des Inhalts noch vorhanden. Gleichzeitig muss sie aber erfahren, dass Iwan drei Jahre zuvor an Leukämie verstorben ist (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 262ff).

Wieder ist es schwierig, eine Bleibe zu finden und das ‚Herumwohnen' bei alten Freunden bringt sie von Icking bei München über Götzis und Ehrwald nach Krefeld und Düsseldorf und schließlich nach Wetzlar, wo sie sich 1956 mit ihrem Sohn niederlässt. In Krefeld unterzieht sie sich einer Alkohol-Entziehungskur und schreibt schon seit der Rückkehr nach Europa immer wieder Briefe an Bertolt Brecht, Erika Mann, Ina Seidel, Felix Braun und andere mit der Bitte um Unterstützung und die Möglichkeit zur Publikation ihrer Gedichte (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 295; Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 295ff).

Ab 1958 entwickelt sich als "Kunstwerk psychologischer Taktik" (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 165) der übersichtliche Briefwechsel zwischen Paula Ludwig und Claire Goll, in welchem es um die Aushändigung von Briefen und den Malaiischen Liebesliedern geht.52 52 Im Zuge der Diskussion um die Publikation von Golls ‚Mailaiischen Liebesliedern' kommt es hier zu einem vermeintlichen Plagiatsskandal, der aus dem Missverständnis bezüglich der - laut Paula unnötigen, da sie ja auf Deutsch verfasst wurden - Übersetzung der Chansons Malaises durch Paul Celan, im Zuge derer Paul Celan aus dem Österreichischen PEN-Club austritt, da er nicht mit ‚dieser Person' in einem Verein verbleiben könne (Helwig 2002: 286-292, s. auch Glauert-Hesse 2013: 754f.).

Materielle Unterstützung erfährt Paula Ludwig in diesen Jahren durch die Deutsche Künstlerhilfe und das Österreichische Unterrichtsministerium, und es werden wieder Texte von ihr publiziert,53 53 1953 erscheinen fünf Gedichte in Hans Egon Holthusens Anthologie Ergriffenes Dasein (Swozilek 2004: 295). unter anderem bringt der Verlag Langewiesche und Brandt 1968 eine Gesamtausgabe ihrer Gedichte heraus und 1962 erscheinen die erweiterten Träume. Aus tagebuchartigen Aufzeichnungen geht ihre sarkastische, fast zynische Auseinandersetzung mit dem politischen Geschehen hervor, doch über Fragmente gehen diese Aufzeichnungen nicht hinaus und auch eine Fortsetzung der Autobiographie bleibt aus. Endlich, 1962, erhält Paula Ludwig die zeitlebens ersehnte Anerkennung in Form des in Salzburg verliehenen Georg-Trakl-Preises54 54 Eine Fotografie von der Verleihung ist bei Swozilek 2004: 226 mit folgender Bildunterschrift abgedruckt: "Verleihung des Georg-Trakl-Preises, Salzburg 3. Februar 1962". (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 296). Noch einmal findet sie eine treue Freundin in Christine Busta, mit der sie bis zuletzt brieflich korrespondiert, doch sterben nach und nach all ihre alten Freunde und Unterstützer. 1972 erhält Paula Ludwig sicherlich auch durch Initiative der Jurorin Christine Busta den Preis des Österreichischen Schriftstellerverbandes,55 55 Bei Swozilek heißt es, dieser Preis sei 1962 verliehen worden (Swozilek 2004: 227). Da bei Wachinger (1987: 436) und bei Furtado Kestler (1992:108) allerdings auch 1972 als Jahr der Preisverleihung angegeben ist, handelt es sich vermutlich um einen Fehler bei Swozilek. zu dessen Verleihung sie mit ihrem Sohn nach Wien aufbricht. Diese Reise ist die letzte im Leben der Paula Ludwig. Am 27. Februar 1974 stirbt sie in Darmstadt an den Folgen eines Schlaganfalls (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 302 f.). Ihr Leben zeigt den steinigen Weg einer Frau, die, mit wenig symbolischem Kapital und doch mit einer großen Begabung und Liebe zur Lyrik ausgestattet, ihr Glück versucht. Es zeigt, wie der Verlust der Hoffnung (und Liebe) und vor allem der Verlust der eigenen Sprache und der Sprachkanäle im Exil zum Verstummen führen kann und wie sehr dieser Einschnitt das Leben der "lyrischen Dichterin" bestimmt hat.

Im vorliegenden Beitrag steht eine ‚vergessene Dichterin' im Fokus, die durch verschiedene Schicksalsschläge ihre Stimme immer wieder beinahe verliert und die dennoch nie ganz verstummt und immer wieder Gedichte von bemerkenswerter poetischer Kraft verfasst. Eine Frau, die aus einfachen Verhältnissen stammt und früh eine Berufung zur Lyrik spürt. Eine selbstbestimmte Frau, die sich ihren Weg bahnt, bis der Krieg und die Nationalsozialisten sie zum Verlassen des Landes und des Kontinents zwingen. Diese Geschichte eines Lebens zeigt, wie privat das Politische immer und immer wieder werden kann und wie sehr die Möglichkeit, eine Berufung für die Literatur zu leben, von für den Einzelnen kaum kalkulierbaren, geschweige denn kontrollierbaren Umständen abhängt. Es bleibt Spekulation, ob mit Paula Ludwig ein großes Kapitel der deutschen Lyrikgeschichte ungeschrieben geblieben ist und ob sich ihre poetische Kraft unter günstigeren Umständen besser hätte entfalten können. Doch beinhaltet ihr Leben nicht nur ihre persönliche Geschichte, sondern es steht paradigmatisch für all die Schicksale, die von Flucht, Elend und Krieg durchkreuzt werden - und das ist, zumindest in Europa, derzeit eine Geschichte, die zu erzählen und ernst zu nehmen sich lohnt.

Literaturverzeichnis

  • Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.
  • Glauert-Hesse, Barbara . (Hg.): "Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch wird ich dir untreu sein" Anmerkungen". Göttingen: Wallstein Verlag 2013a.
  • Häusler, Christa. Welten und Gegenwelten. Anmerkungen zum bildnerischen Werk Paula Ludwigs. In: Swozilek, Helmut (Hg.) Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin Bregenz: Voralberger Landesbibliothek, 2004, S. 119-130.
  • Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.
  • Helwig, Heide . "Die Wirkung des Dichters ist die des Priesters, die der Natur und der Liebe". Zum Mystischen in Paula Ludwigs Texten In: Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin Bregenz, Voralberger Landesbibliothek, 2004, S. 29-57.
  • Kestler, Izabela Maria Furtado. Die Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und Publizisten in Brasilien. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Peter Lang, 1991.
  • Längle, Ulrike. Anwürfe und Hinwürfe. Zum literarischen Nachlaß von Paula Ludwig. In: Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004, S. 109-118.
  • Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.
  • Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.
  • Thaler, Jürgen. Auch eine Kindheit um 1900. Paula Ludwigs Autobiographie "Buch des Lebens". In: Swozilek, Helmut (Hg.) Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004, S. 75-89.
  • Vitale, Rosanna. Exil in Brasilien 1933-1945. München: Eberhard Verlag, 2003.
  • Wachinger, Kristian. Ludwig, Paula. In: Neue Deutsche Biographie (NDB) . Band 15. Berlin: Duncker & Humblot, 1987, S. 435-436.
  • 1
    Den folgenden Text hat Paula Ludwig 1958 an den Verleger ihres ersten Buchs nach der Rückkehr aus dem Exil anstatt eines Lebenslaufs geschickt: "Bitte: auf Lebenslauf verzichten! Mein Leben war viel zu großartig (verhältnismäßig), als daß ich es in kurze Formeln bringen könnte. Geboren: 5.1.1900; gestorben hundertmal voraus! Aus Berlin emigriert 1933! Aus Tirol geflohen 1938! Aus Paris geflohen 1940! 13 Jahre Brasilien; 1953 "Heimkehr" - fatal!". Er leitet das Nachwort zur Gesamtausgabe ihrer Gedichte ein. (Wachinger 1986: 289).
  • 2
    Améry, Jean (2008: 82): "Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten". Stuttgart: Klett Cotta. (Zit. in: Vitale 2003: 39).
  • 3
    Das letzte Kapitel des autobiographischen Textes "Buch des Lebens" ist dem Tod der Mutter gewidmet (Ludwig 1990: 232 ff.). Paula Ludwig kam nie dazu, die Fortsetzung ihrer Autobiographie zu verfassen.
  • 4
    1914 bis 1918 bei Häusler 2004Häusler, Christa. Welten und Gegenwelten. Anmerkungen zum bildnerischen Werk Paula Ludwigs. In: Swozilek, Helmut (Hg.) Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Bregenz: Voralberger Landesbibliothek, 2004, S. 119-130. : 120; 1914-1917 bei Helwig 2002: 22. 1917 ist wahrscheinlicher, denn im Jahresbericht der Zeitschrift der Breslauer Schule Osten heißt es "Fräulein Paula Ludwig verlässt Breslau und kehrt in ihre Heimat Linz zurück." (zit. in Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 32).
  • 5
    Am 9. Juli 1916 wird Paula Ludwig formell in die Breslauer Dichterschule aufgenommen. (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 28).
  • 6
    Bei Heide Helwig (2004Helwig, Heide . "Die Wirkung des Dichters ist die des Priesters, die der Natur und der Liebe". Zum Mystischen in Paula Ludwigs Texten In: Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek, 2004, S. 29-57.: 49) heißt es über Paula Ludwigs künstlerischen Impetus: "Das Wunder der Schöpfung bleibt für die Dichterin, die sich als Sendbote des Schönen und Guten versteht, bzw. verstanden hat, über jeden Zweifel erhaben, es bleibt intakt als das Rührende und Berührende des Anfangs [... ].".
  • 7
    Heide Helwig zitiert aus Paula Ludwigs Tagebuch "So dumm, dass mir dasselbe passiert, was allen Mädchen passiert, nämlich, dass sie sich in ihren Lehrer verlieben." (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 59).
  • 8
    Mit Kasack hat sie eine der zahlreichen Liebesbeziehungen in München. (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 48).
  • 9
    In der "Neuen Reihe" in der Die Selige Spur erscheint, finden sich Werke von Alfred Wolfenstein, Heinrich Mann, Oskar Loerke und dem späteren Geliebten und Gefährten Iwan Goll sowie dessen späterer Frau Claire Studer (später Claire Goll). (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 40).
  • 10
    Kasack stellt Paula Ludwig hier in eine Reihe mit Else Lasker-Schüler, Regina Ullmann und Henriette Hardenberg (vgl. Swozilek 2004: 269).
  • 11
    Ein Gedicht trägt die Überschrift Erwin Kalser. Ein weiteres ist Karli Sohn überschrieben. Eines ist Margarete Höch gewidmet, und auch das Gedenken an die Mutter findet hier ihren Platz (vgl. Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 9-29).
  • 12
    Treffend schreibt Heide Helwig über Die Selige Spur: "Die Liebessuche der Seligen Spur ist gewiss ein Erkundungsgang. Dabei ist die Liebe selbst von schöner, unbezweifelbarer Evidenz, ist immer vollkommen und allgegenwärtig. Unbestimmt bleiben aber Sein und Gestalt desjenigen, der die übergroße vagabundierende Liebe als Geschenk entgegennehmen soll. Schwankend zwischen der Provokation unverhüllten Verlangens und der scheuen Erwartung eines Rufs, der von außen kommt, [... ] verstreut das Ich die Vielfalt seiner Sehnsüchte: Liebe, die den Toten nachgesandt wird, hymnisch bekundete Freundschaften, sinnliches Begehren, Gottesliebe. Eros, Tod und Religion lautet die Dreifaltigkeit der Seligen Spur [... ]." (Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 41).
  • 13
    Nicht näher belegte Tagebuchaufzeichnung Paula Ludwigs.
  • 14
    Nicht näher belegtes Zitat von Paula Ludwig, möglicherweise ebenfalls aus Tagebuchaufzeichnungen.
  • 15
    Diese Künstlergruppe wollte sich vom staatlich geförderten Kunstmarkt emanzipieren und war stilistisch der Weiterentwicklung des Historismus verschrieben.
  • 16
    Bonsels war als erfolgreicher Autor der "Biene Maja" recht wohlhabend und unterstützte Paula Ludwig auch finanziell (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 273).
  • 17
    Ulrike Längle "Tausend Winter durchmaß ich mit meinen Schritten" (keine Seitenangabe) zitiert in: Vitale 2003Vitale, Rosanna. Exil in Brasilien 1933-1945. München: Eberhard Verlag, 2003.: 91.
  • 18
    In seinem Aufsatz "Paula Ludwigs Berliner Umfeld: Kontakten zu den Autoren der 'Kolonne'" untersucht Hub Nijssen eingehend Paula Ludwigs Verbindungen zu den Schriftstellern der Kolonne, wo 1931 einige Gedichte von ihr publiziert wurden (erschienen in Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 59-74).
  • 19
    1927 erscheint Der himmlische Spiegel bei S. Fischer.
  • 20
    2004 findet in Bregenz in Vorarlberg eine umfangreiche Ausstellung von Paula Ludwigs künstlerischem Werk statt. Es werden einige der frühen Werke ausgestellt, die auch in dem beeindruckenden Ausstellungskatalog abgedruckt sind (vgl. Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.).
  • 21
    Die Beziehung mit Friedrich Koffka beispielswiese, die allerdings kurz vor der Heirat scheitert. Paula schreibt am 17.6.1928 an Bonsels: "Aber er sagte dazu immer: 'es muss ja sein' und da sagte ich zu ihm: 'Nein, Koffka, nichts muss sein.' Und ich hab ihn ganz frei gelassen [... ]." (zit. in Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 94).
  • 22
    Auch in dem Briefwechsel mit Iwan Goll zeigt sich ein Spiel mit männlichen und weiblichen Attributen und Namen. Während Iwan als Manyana eine weibliche, submissive Persona annimmt, wird Paula zum mächtigen Palu (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013. passim).
  • 23
    Der Band beginnt mit demselben Gedicht wie Die selige Spur, das hier allerdings als "Beginn des Tages" betitelt ist, des weiteren erscheinen leicht veränderte Versionen der Verse aus dem Himmlischen Spiegel, nun stets mit Titeln versehen, die nicht mehr auf den ersten Blick einen Bezug zur extraliterarischen Realität herstellen. Aus Karli Sohn wird Berührung, die Gedichte an Margarete Höch werden zu Deine Augen und Helle Nacht. Die Buhlerin, das an Erwin Kalser gerichtet war, wird zum mystisch anmutenden Gesang aus der Nacht. Getilgt wurden Gedichte mit allzu explizit erotischem und religiösem Inhalt (vgl. Helwig 2002: 99). Der zweite Teil des Himmlischen Spiegels besteht aus bis dato unveröffentlichten Gedichten (Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 46-65).
  • 24
    In der Anthologie jüngster Lyrik. Neue Folge (1929) herausgegeben von Willi R. Fehse und Klaus Mann ist Paula Ludwig mit neun Gedichten vertreten und in Junge deutsche Lyrik (1928) erscheint das Gedicht Dem kommenden Frühling (Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 67-75).
  • 25
    Später wurde die Traumlandschaft (1935 bei Waldemar Hoffmann und 1938 bei Staackmann) um Erfahrungen und Texte aus dem Exil erweitert und erschien unter dem Titel Träume. Aufzeichnungen aus den Jahren zwischen 1920-1960 bei Langewiesche-Brandt im Jahr 1962. In dem Ausstellungskatalog (Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 91-107) findet sich eine beeindruckende psychoanalytische Interpretation der Träume von Michael Schmid.
  • 26
    Iwan über Paula an seine Frau Claire am 22.Februar 1931 (Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 77).
  • 27
    Claire Goll wurde als Clara Aischmann am 29. Oktober 1890 in Nürnberg geboren, nach ihrer ersten Hochzeit nannte sie sich Claire Studer und nach der Heirat mit Iwan hieß sie Claire Goll. Iwan (auch Ywan oder Yvan) Goll wurde 1891 als Isaac Lang im Elsaß geboren und nahm später seinen Dichternamen an (vgl. Glauert-Hesse 2013aGlauert-Hesse, Barbara . (Hg.): "Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch wird ich dir untreu sein" Anmerkungen". Göttingen: Wallstein Verlag 2013a.: 7).
  • 28
    Bis 1940 geht der Briefwechsel weiter, obwohl schon in Paris 1939 ein Bruch spürbar wird, da sich Iwan nicht von Claire trennt. Der letzte Brief, vom 6. November 1940, ist von Iwan aus New York an Paula in Lissabon gerichtet (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 677).
  • 29
    Paula Ludwig lebte vom 12. Februar 1933 bis bis 11. Juli 1933 in Berlin; vom 12. Juli bis zum 5. August besuchte sie Iwan Goll in Paris (während Claire Goll zur Kur in Plombières-les-Bains war) und kehrte dann nach Berlin zurück. Von dort aus fuhr sie über Ehrwald nach Italien, bereiste vom 9. September bis 7. Oktober mit Iwan Florenz, Siena und Perugia, um nach einem etwa sechswöchigen Aufenthalt in Biberwier/Tirol wieder nach Ehrwald zurück zu kehren, wo sie von Dezember 1933 bis 25. März 1934 lebte. Die Berliner Wohnung wurde zwischen März und Juni 1934 aufgelöst; am 7. Juni 1934 übersiedelte Paula Ludwig endgültig nach Ehrwald (Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 231, 265, 303, 328 und 349).
  • 30
    Heide Helwig schreibt hierzu: "Die Jahre in Ehrwald bedeuten für Paula eine Annäherung an die erste Heimat. Wie früher als leidenschaftlich bewegtes, umtriebiges Kind im Dorf ist sie nun wieder Nutznießerin der Natur, Beeren und Pilze sammelnd, und deren [sic]innige Bewunderin." (2002: 138).
  • 31
    Jürgen Thaler beschreibt in seinem Aufsatz "Auch eine Kindheit um 1900. Paula Ludwigs Autobiographie 'Buch des Lebens'" ausführlich dessen Entstehung und geht auf seine Bedeutung bezüglich Heimat und Fremde für Paula Ludwig ein (Der Artikel ist erschienen in: Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 75-89).
  • 32
    Gesammelt und kommentiert in Glauert-Hesse 2013 und 2013a sind nicht nur die Briefe zwischen Iwan Goll und Paula Ludwig, die bereits 1993 unter dem Titel Ich sterbe mein Leben - Briefe 1931-1940. Literarische Dokumente zwischen Kunst und Krieg von Barbara Glauert-Hesse im Auftrag der Fondation Goll erschienen, sondern auch diejenigen zwischen Claire Goll und Iwan Goll sowie die wenigen zwischen Paula Ludwig und Claire Goll.
  • 33
    Goll schreibt in einem Brief aus Paris datiert 18. Januar 1934: "So vielfältig ist deine Kunde: ein Dutzend Fenster reißt du auf, bringst das ganze Leben in Aufruhr; man weiß nicht wohin zuerst springen und worauf zuerst antworten: Italien, Brasilien, Friedl, Gisela, Korallen, Granaten, Gedichte, Young Umzug und neue Wohnung." (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 331).
  • 34
    In einem Brief vom 23.Februar 1934, in welchem er Paula vom Bleiben überzeugen will, schreibt Iwan: "Du kannst überall leben, aber deine Dichtung nicht" (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 335, Hervorhebungen im Original).
  • 35
    Helwig schreibt, Iwan Goll male "das Schicksal deutschsprachiger Exiliteratur [... ] in düsteren Farben: ein blasses hinfälliges Pflänzchen" (2002: 157); gleichzeitig jedoch hat Iwan Goll bei diversen Exilzeitschriften wie Das Wort und der Sammlung mitgearbeitet (ebd. 157).
  • 36
    Iwan Goll schreibt über Johannes Thor am 2. April 1935: "Du hast mich neugeboren! Neugestaltet von deinem männlichmütterlichen Willen erstand ich neu: Johannes Thor. Du hast mir wieder Atem und Namen eingeflösst, mir in Nacht Versunkenem." (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 419).
  • 37
    Hierzu schreibt Thaler: "Werden die Gedichtbände in der spärlichen Literatur zu Paula Ludwig im Rahmen von Aufbruch und Moderne rezipiert, so wird das 'Buch des Lebens' im Zusammenhang mit Autoren wie zum Beispiel Emil Barth, Ilse Molzahn oder Rudolf Bach behandelt und damit dezidiert im Kontext der 'Literatur im ‚Dritten Reich'' verortet." (2004: 75ff). Und an anderer Stelle heißt es: "Es hat den Anschein, als ob Paula Ludwig mit ihrem 'Buch des Lebens' jene Rezeptionsmuster förderte, die seit dem Anfang ihren Weg als Schriftstellerin begleiten. Der Ruf des unverdorbenen, natürlichen, frischen schriftstellerischen Talents war von Anfang an mit ihrem Namen verbunden. Mit dem 'Buch des Lebens' gab sie ihnen ein vermeintliches Fundament." (2004: 79). Später bei der Flucht in Marseille kommt Paula ihr 'Blut-und-Boden'-Werk, wie es der Journalist Balder Olden offen nennt, in die Quere, als sie bei der ERC um Hilfe bei der Ausreise bittet (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 221).
  • 38
    Sie hatte bisher die deutsche (vgl. Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 163).
  • 39
    Nachdem der NSDAP bei einer Hausdurchsuchung, vermutlich wegen politischer Aktivitäten im Freundeskreis Paula Ludwigs, das Buch des Lebens in die Hände gefallen war, schreibt die Gauleitung Tirol am 7. November 1938 an die Reichsschriftkammer und bescheinigt Paula Ludwig auf Basis des Manuskrips unter anderem Zugehörigkeit zum "jüdischen, bolschewistischen Lager" (Kopie des Schreibens aus dem Nachlass, zit. in Helwig 2002Helwig, Heide. Ob niemand mich ruft". Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt, 2002.: 176, abgedruckt in: Glauert-Hesse 2013a: 341).
  • 40
    Aus den nachgelassenen Gedichten (Ludwig 1986Ludwig, Paula. Gedichte. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Christiane Peter und Kristina Wachinger. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt . 1986.: 244).
  • 41
    Durch Paulas Einfluss sollte Coche de la Ferté schließlich zum Hofmansthal-Übersetzer werden (Helwig 2002: 186).
  • 42
    "Ah wie wunderbar war doch Paris" zitiert Heide Hedwig, vermutlich aus dem Interview von Viktor Suchy mit Paula Ludwig von 1971 (Helwig 2002: 186/7).
  • 43
    Bei Swozilek 2004 Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.ist der "Titre d'identité et de voyage für Paula Ludwig vom 2. August 1939" auf Seite 234 abgebildet (Kat Nr. 151).
  • 44
    Claires emotionale Erpressungsversuche gehen so weit, am 23. Juni 1938 einen Selbstmordversuch zu unternehmen; sie wurde von Iwan rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus gebracht; ab diesem Zeitpunkt wird Iwans Tonfall seiner Zouzou gegenüber weitaus rücksichtsvoller, gar zärtlich, und eine Trennung wird unwahrscheinlicher (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 614 ff.).
  • 45
    Paula und Iwan verabschieden sich persönlich am 3. August 1939 und sehen sich nie wieder, da Iwan nach einem Unfall der Mutter nach Metz fahren muss und kurz darauf mit Claire nach New York flieht (vgl. Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 644). Aus Paulas Brief vom 10. August 1939 spricht der Schmerz des Abschieds: "Aber bei unserer letzten Umarmung läuteten die Glocken [... ]. Reingewaschen von meinen Tränen erglänzt dein Bild. [... ] Vielleicht ist uns darum das Gefühl der Liebe so teuer: weil wir uns in ihr am tiefsten selbst fühlen. Sonst wird man so leicht verweht wie die gelben Blätter oder das Abendrot und man hat keine Stelle am Leib wo ein Unsterbliches ruht." (ebd. 649/50).
  • 46
    Ulrike Längle zitiert Paula Ludwigs Äußerungen zu der inflationären Verwendung des Wortes "Scheiße" Ende der 1960er Jahre wie folgt: "Alle Leute die dieses Wort so leichtfertig in den Mund nehmen (na - in den Mund nehmen!) wissen nicht - was es unter Umständen bedeutet! Es bedeutet nichts anderes als einen elenden Tod. Nämlich die Ruhr! Scheisse! Ja Scheisse! Wisst ihr - was Scheisse bedeutet?! Ihr wisst es nicht!" (Aus dem Nachlass von Paula Ludwig zit. in Längle 2004: 113).
  • 47
    Die bekannteste Hilfsorganisation war zu dem Zeitpunkt das US-amerikanische Emergency Rescue Committee (ERC), bzw. dessen berühmten Agenten Varian Fry, der jedoch von Anfragen der deutschen Intellektuellen überlaufen war.
  • 48
    Die Entwicklung der Visa- und Einwanderungsbestimmungen in Brasilien unter Getúlio Vargas ist ausführlich bei Izabel Furtado Kestler (1992) beschrieben. Aus der "Seiltanz-Politik" und dem ‚Volksverbesserungswillen' durch ‚branqueamento' Brasiliens (Kestler 1992: 30), das sich erst 1942 den Alliierten anschließt, resultiert eine zunächst antisemitische Einwanderungspolitik, die sich durch immer neue Einschränkungen wie harsche Herkunftsland-Quoten, die "carta de chamada" und letztlich, trotz Intervention von Papst Pius XII., die vollständige Aussetzung der Visavergabe am 7. April 1941 auszeichnet. Nach Brasiliens Eintritt in den Krieg wurde der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache verboten, doch die Einwanderungsbestimmungen wurden wieder etwas gelockert - nun wurden die Einwanderer nach Berufsgruppen selektiert, Friedel Ludwig kam als Ingenieur nach Brasilien (Kestler 1992: 34-47).
  • 49
    Von hier aus bemüht sie sich um ein Visum für Friedel und korrespondiert diesbezüglich unter anderem mit Erika Mann (vgl. Helwig 2002: 244).
  • 50
    Nicht näher belegte Quelle, zit. in Helwig 2002: 243.
  • 51
    "Dreizehn Jahre habe ich in Brasilien gelebt und war in São Paulo nicht einmal polizeilich angemeldet. Und meine Sprache beim Examen war ganz einfach unmöglich! Und trotzdem haben sie mir die Staatsbürgerschaft verliehen. Während die Deutschen sie mir entzogen haben und die Österreicher sie mir nicht gewährten." Paula Ludwig: "Staatsangehörigkeit" [Darmstadt um 1970], Manuskript, Franz-Michael-Felder-Archiv, transkribiert in Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 293. Die Staatsbürgerschaftsurkunde vom 19. August 1952 ist in Swozilek 2004: 236 abgedruckt.
  • 52
    Im Zuge der Diskussion um die Publikation von Golls ‚Mailaiischen Liebesliedern' kommt es hier zu einem vermeintlichen Plagiatsskandal, der aus dem Missverständnis bezüglich der - laut Paula unnötigen, da sie ja auf Deutsch verfasst wurden - Übersetzung der Chansons Malaises durch Paul Celan, im Zuge derer Paul Celan aus dem Österreichischen PEN-Club austritt, da er nicht mit ‚dieser Person' in einem Verein verbleiben könne (Helwig 2002: 286-292, s. auch Glauert-Hesse 2013Glauert-Hesse, Barbara (Hg.). Claire Goll | Yvan Goll | Paula Ludwig "Nur einmal noch werd ich dir untreu sein" - Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013.: 754f.).
  • 53
    1953 erscheinen fünf Gedichte in Hans Egon Holthusens Anthologie Ergriffenes Dasein (Swozilek 2004: 295).
  • 54
    Eine Fotografie von der Verleihung ist bei Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 226 mit folgender Bildunterschrift abgedruckt: "Verleihung des Georg-Trakl-Preises, Salzburg 3. Februar 1962".
  • 55
    Bei Swozilek heißt es, dieser Preis sei 1962 verliehen worden (Swozilek 2004Swozilek, Helmut (Hg.). Ausstellungskatalog: "Aus tausend Spiegeln sehe ich mich an" Paula Ludwig 1900-1974 / Dichterin / Malerin. Katalog der gleichnamigen Ausstellung vom 24.07. bis 26.09. 2004 in Bregenz. Bregenz, Voralberger Landesbibliothek , 2004.: 227). Da bei Wachinger (1987Wachinger, Kristian. Ludwig, Paula. In: Neue Deutsche Biographie (NDB) . Band 15. Berlin: Duncker & Humblot, 1987, S. 435-436.: 436) und bei Furtado Kestler (1992:108) allerdings auch 1972 als Jahr der Preisverleihung angegeben ist, handelt es sich vermutlich um einen Fehler bei Swozilek.

Publication Dates

  • Publication in this collection
    Oct 2016

History

  • Received
    02 Mar 2016
  • Accepted
    20 May 2016
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