Abstracts
Man liest Übersetzungen im Allgemeinen als transparente Stellvertreter eines fremdsprachlichen Ausgangstextes, ohne sich des Prozesses des Übersetzens, bzw. der Übersetztheit des Textes bewusst zu sein. Was aber geschieht beim Übersetzen? Übersetzen ist immer Interpretation, so die brasilianische Translationswissenschaftlerin Rosemary Arrojo. Anhand zweier Erzählungen, Liebe und Die Dame und das Ungeheuer oder die allzu große Wunde, der Autorin Clarice Lispector, ins Deutsche übersetzt von Curt Meyer-Clason und Sarita Brandt, wird nach Übersetzungsstrategien und den sich daraus ergebenden Interpretationen, nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Übersetzer und der Übersetzung gefragt, die aus den Zieltexten erkennbar sind, stellt man sie den Ausgangstexten gegenüber.
Übersetzung; Unsichtbarkeit und Übersetzung; deutsche Clarice Lispector-Rezeption
In general, translations are read as transparent replacements of an originally foreign source texts, without the reader being aware of the translation process, i.e. the translatedness of the text. But what happens in translating? Translation always means interpretation, according to the Brazilian translation theorist Rosemary Arrojo. Basing the analysis on two contos, namely Amor and A bela e a fera by Clarice Lispector and their respective translations into German by Curt Meyer-Clason and Sarita Brandt, this essay investigates translation strategies and the resulting interpretations as well as the visibility or invisibility of translation and translators when confronting the source texts with the target texts.
Translation; Invisibility; German reception of Clarice Lispector
Na maioria dos casos, traduções são lidas como representantes transparentes de um texto fonte em língua estrangeira, sem que o leitor esteja consciente nem do processo de tradução, nem do fato de esse ter sido traduzido. Mas o que acontece na hora de traduzir? Traduzir é sempre interpretar, como afirma a tradutóloga brasileira Rosemary Arrojo. Com base em dois contos, Amor e A bela e a fera ou a ferida grande demais de Clarice Lispector, traduzidas ao alemão por Curt Meyer-Clason e Sarita Brandt, serão analisadas as estratégias de tradução e a visibilidade ou invisibilidade dos tradutores e da própria tradução, que se revelam ao confrontar os textos fonte com as traduções.
Tradução; Invisibilidade e Tradução; Recepção alemã de Clarice Lispector
Clarice LISPECTOR (1920-1977) zählt zu den vielfach übersetzten Autoren Brasiliens. Ihre Rezeption durch die sogenannten ‚französischen Feministinnen', insbesondere Helène Cixous, trug maßgeblich zur Verbreitung und Übersetzung vieler Texte LISPECTORS im anglophonen, frankophonen und dem deutschsprachigen Raum bei2 2 Die Problematiken dieser ‚gelenkten' Rezeption sollen an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. . Hierzulande spielt auch die Tatsache, dass Brasilien zweimal (1994 und 2013) Gastland der Frankfurter Buchmesse war, eine Rolle bezüglich der (Neu-)Übersetzungen ihrer Texte.
Die ersten deutschen Übersetzungen der Texte Clarice Lispectors entstanden in den 1960er Jahren noch zu Lebzeiten der Autorin durch den bekannten Übersetzer Curt MEYER-CLASON3 3 1964 erschien "Der Apfel im Dunkeln" beim Claassen Verlag, übersetzt von Meyer-Clason, 1966 folgte die Anthologie "Die Nachahmung der Rose". Er übersetzte auch "Die Sternstunde" (1985) sowie diverse Einzeltexte, die in Anthologien erschienen (vgl. KÜPPER 2012: 240-245) . Es folgten weitere Übersetzungen in den 1990er Jahren, unter anderen durch die Übersetzerin Sarita BRANDT4 4 Von ihr wurden übersetzt "Água viva" (1994), die Anthologie "Die Dame und das Ungeheuer" (1990), "Eine Lehre oder das Buch der Lust" (1988), "Wo warst du in der Nacht" (1996), "Von Traum zu Traum" (1992) sowie diverse Einzeltexte, die in Anthologien erschienen (vgl. Küpper 2012: 240-245). . Zur Frankfurter Buchmesse 2013 erschienen beim Schöffling Verlag bislang in neuer bzw. überarbeiteter Übersetzung "Nahe dem wilden Herzen"5 5 "Nahe dem wilden Herzen" wurde 1981 erstmals von Ray-Güde Mertin ins Deutsche übersetzt. Die neue Ausgabe bei Schöffling ist von Corinna Santa Cruz auf Basis der brasilianischen Erstausgabe überarbeitet. und "Der Lüster"6 6 "Der Lüster" wurde für die Gesamtausgabe erstmals 2013 von Luis Ruby ins Deutsche übersetzt. als erste Bände einer Gesamtausgabe der Werke von Clarice LISPECTOR. Im Folgenden möchte ich zwei Erzählungen betrachten, die in den Anthologien Die Nachahmung der Rose und Die Dame und das Ungeheuer in deutscher Übersetzung erschienen sind und die Frage nach der (Un)Sichtbarkeit der Übersetzer sowie punktuell nach Übersetzungsstrategien stellen und diese anhand der deutschen Texte zu beantworten suchen. Hierbei spielen sowohl die Zusammensetzung der Anthologien, die jeweiligen Paratexte (Vorworte, Nachworte, Klappentexte etc.) als auch die übersetzten Texte selbst eine wichtige Rolle.
1 Unsichtbare Übersetzer
Der US-amerikanische Translationswissenschaftler und Übersetzer Lawrence VENUTI prägte mit seinem Text "The Translator's Invisibility: A History of Translation" (1995) den Begriff der Invisibility bzw. Unsichtbarkeit des Übersetzers. Nach Venuti wirkt diese Unsichtbarkeit auf verschiedenen Ebenen: auf textueller Ebene durch das Postulat der fluency oder Flüssigkeit des Zieltextes, was den Text erscheinen lässt, als sei er in der Zielsprache verfasst, auf rechtlicher Ebene in Form der fehlenden Autorenrechte der Übersetzer in den USA, auf sozialer Ebene durch die prekäre Arbeitssituation von Literaturübersetzern, welche zumeist noch anderen Arbeiten nachgehen müssen um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern sowie nicht zuletzt auf Ebene der Vermarktung von Literatur als von kanonischen (ausländischen) Autoren und nicht von ‚namenlosen' Übersetzern verfassten Texten. (VENUTI 1995: 1-17VENUTI, Lawrence. The Translator's Invisibility A History of Translation. London and New York: Routledge,1995.)
Der Begriff der Unsichtbarkeit lässt sich durchaus auf den deutschen Sprachraum anwenden, wenn auch die Übersetzerfigur Curt Meyer-Clason hierbei auf den ersten Blick als Ausnahme erscheinen mag, doch dazu später. Die Lage von Literaturübersetzern in Deutschland ist nach wie vor prekär, auf angemessene Entlohnung seitens der Verlage ist nur in seltenen Fällen zu zählen. Im Fall brasilianischer Literatur wurden zwar in der zeitlichen Umgebung der Frankfurter Buchmesse Übersetzerstipendien7 7 Durch die brasilianische Regierung sowie durch die Brasilianische Botschaft. vergeben, was eine beachtliche Anzahl an Übersetzungen junger brasilianischer Literatur zur Folge hatte (vgl. WINK et al. 2013: 10WINK, Georg et al., ‚Einleitung'. In: KLENGEL, Susanne / QUANDT, Christiane / Schulze, Peter W / WINK, Georg (Hg) Novas Vozes. Zur brasilianischen Literatur im 21. Jahrhundert. Iberoamericana Vervuert: Frankfurt am Main, 2013, 9-22 .), doch vermag dies kaum die allgemein prekäre Arbeitssituation von Literaturübersetzern zu verändern. In Bezug auf die verlangte ‚Flüssigkeit' der Übersetzungen ist ebenfalls eine Parallele zu ziehen, betrachtet doch die Buchkritik, sofern die Übersetztheit der besprochenen Texte überhaupt Erwähnung findet, eben diese Flüssigkeit bzw. zielsprachliche Lesbarkeit einer Übersetzung als höchstes Qualitätskriterium. So findet auch im deutschen Sprachraum die von VENUTI beschriebene Dynamik statt:
Under the regime of fluent translating, the translator works to make his or her work "invisible," producing the illusory effect of transparency that simultaneously masks its status as an illusion: the translated text seems "natural," i.e., not translated. (VENUTI 1995: 5)
2 Sichtbarkeit in Paratexten
Die beiden Bände, Die Nachahmung der Rose, im Folgenden Die Nachahmung, zunächst 1966 im Claassen Verlag, 1985 in anderer Zusammensetzung beim Suhrkamp
Verlag erschienen und die Die Dame und das Ungeheuer, im Folgenden Die Dame, 1990 bei rororo verlegt, weisen große Unterschiede auf. In der Edition von 1985 von Die Nachahmung wurden zwei Sammlungen Lispectors zusammengeführt, was aus dem Quellenverzeichnis am Schluss des Bandes hervorgeht:
Die Erzählungen Familienbande, Kostbarkeit, Das Abendessen, Anfänge eines Vermögens und Der Büffel sind dem Band Laços de Família, Livraria Francisco Alves, São Paulo 1961 entnommen; alle anderen Erzählungen bilden den Band A imitação da Rosa, 2a edição, Editora Artenova, Rio de Janeiro 1975. (LISPECTOR / MEYER-CLASON8 1985: 138)
Demgegenüber ist Die Dame eine vollständige Übersetzung der Sammlung A Bela e a Fera auf der Basis der Ausgabe von 1979, erschienen bei Editora Nova Fronteira in Rio de Janeiro, wie aus dem Impressum hervorgeht. Dieser Band beinhaltet einen etwa zehn Zeilen kurzen Text über die Autorin Clarice Lispector sowie ein Foto der Autorin, außerdem als Klappentext ein von der Literaturwissenschaftlerin Helène Cixous aus dem Französischen ins Deutsche übersetztes Zitat. Es wurden alle Teile des Ausgangstextes, inklusive der Nota/Anmerkung der Autorin und ihres Sohnes Paulo Gurgel Valente, übersetzt, darüber hinaus beinhaltet der übersetzte Band keine weiteren Texte, weder von den Herausgebern noch von der Übersetzerin. Der Name der Übersetzerin erscheint nur auf der Titelseite. Im Gegensatz dazu beinhaltet das Hardcover Die Nachahmung von 1985 einen Klappentext zur Autorin9, vergleichbar in Länge und Inhalt mit demjenigen in Die Dame, jedoch mit dem maßgeblichen Unterschied, dass Curt Meyer-Clason als Autor angegeben ist. Zusätzlich zu diesem Paratext hat Meyer-Clason ein Nachwort (ebd.: 126-137) verfasst, in welchem er den Werdegang der Autorin behandelt sowie übersetzte Nachrufe zweier brasilianischer Literaturgrößen in eigener Übersetzung einbezieht, auch hier ist die Autorschaft markiert.
In beiden Bänden ist die Übersetztheit der Texte kaum sichtbar. Die Übersetzerin von Die Dame ist nur an einer einzigen Stelle im Buch namentlich genannt, es ist kein Vor- oder Nachwort von Sarita Brandt zu finden und die
Reihenfolge und Anzahl der Erzählungen entspricht derjenigen des Ausgangstextes. Bei Die Nachahmung macht sich der Übersetzer zwar sichtbar, jedoch nicht als Übersetzer, sondern als Experte für die Autorin, also in seiner Eigenschaft als Brasilianist und nicht als Übersetzer. Möglicherweise spielte er auch eine Rolle in der Neuzusammensetzung der Erzählungen. Der Prozess oder die spezifischen Schwierigkeiten der Übersetzung werden an keiner Stelle in keinem der beiden Bände genannt.
3 Die Übersetzungen
Es gibt also keine "neutrale" oder "wörtliche" Übersetzung. Sie ist immer und unausweichlich eine Lektüre oder Interpretation. [...] Jede Übersetzung verrät ihren Ursprung aus einer Interpretation, weil der Ausgangstext, das sog. "Original", nur in einer Lektüre existiert, die ihrerseits immer und notwendigerweise das Resultat eines Standpunktes und ihrer Entstehungssituation ist. (ARROJO 1997: 69ARROJO, Rosemary, ‚Gedanken zur Translationstheorie und zur Dekonstruktion des Logozentrismus'. In: Wolf, Michaela (Hg) Übersetzungswissenschaft in Brasilien. Beiträge zum Status von "Original" und Übersetzung. Tübingen: Stauffenberg Verlag Brigitte Narr, 1997, .63-70.)
Jedem Übersetzungsprozess wohnt eine Interpretation inne, welche geprägt ist von der Lektüre durch die Übersetzer, die wiederum geprägt ist durch das soziale, politische, gesellschaftliche Umfeld, durch Sprachprägung, Konvention und viele weitere Faktoren. Eine gänzlich ‚unschuldige' oder nicht interpretierende Übersetzung ist nicht möglich, wie die brasilianische Translationstheoretikerin Rosemary Arrojo (hier übersetzt von Hans J. Vermeer) schreibt. Auf dieser Basis soll die Analyse der Übersetzungen stattfinden. Hierbei soll kein Urteil über die Qualität der Übersetzungen das Ziel sein, vielmehr soll nach der stets im Übersetzungsprozess inbegriffenen Interpretationen gefragt werden sowie nach den sich daraus ergebenden Übersetzungsstrategien, welche die Texte offenbaren.
3.1. Umgang mit Satzzeichen und Hervorhebungen
Die Funktion von Gedankenstrichen und Anführungszeichen unterscheidet sich grundsätzlich in der portugiesischen und der deutschen Sprache. Im Deutschen werden
Zitate oder direkte Rede gewöhnlich durch Anführungszeichen ("" oder "" bzw. ""10) markiert, im Portugiesischen wird direkte Rede durch einen Geviertstrich markiert (-), Zitate hingegen werden durch Anführungszeichen ("") markiert. Hervorhebungen können in beiden Sprachen durch einfache (‚'oder ‹› oder ›‹ bzw.'') oder doppelte (s.o.) Anführungszeichen markiert werden. Der Geviertstrich (-) wird im Portugiesischen auch vergleichbar dem deutschen Gedankenstrich (Halbgeviertstrich -) verwendet. Als Auslassungszeichen werden zuweilen in beiden Sprachen drei Punkte gebraucht (...). Bei literarischen Übersetzungen kommt es vor, dass die Konventionen der Ausgangssprache übernommen werden, auch wenn dies in der Zielsprache nicht üblich ist. Zumeist hat dies einen exotisierenden Effekt. Bei den zu betrachtenden Erzählungen fällt allerdings etwas anderes auf. In Liebe (Die Nachahmung: 19-31) entspricht die Verwendung der Satzzeichen im Großen und Ganzen den oben beschriebenen Kriterien beider Sprachsysteme, Gedankenstriche werden an ähnlicher Stelle im Satz mit vergleichbarer Funktion im Zieltext eingesetzt und Zitate werden markiert. Mit folgenden Ausnahmen:
A1
A2
A3
Die drei Beispiele zeigen die punktuell interpretierende Lektüre des Übersetzers. In Beispiel A1 übersetzt er zwei von drei Gedankenstrichen durch Punkte. Hier wird die Trennung von Sinnabschnitten in ähnlicher Weise, doch mit unterschiedlich starkem Effekt erzielt. Der Eindruck des Abgehackten, Zerstückelten im Satz ist im Deutschen weitaus weniger intensiv als im Portugiesischen. In Beispiel A2 wurde ein Zitat in der Übersetzung markiert, welches im Ausgangstext nicht markiert, jedoch als Zitat erkennbar ist. Hier wird durch die Übersetzung die Leserlenkung verstärkt. In Beispiel A3 wird ein Komma durch einen Gedankenstrich übersetzt, der Satz erhält so im Deutschen eine graphisch auffällige Trennung. Hierdurch wird die Zweiteilung der Welt der Protagonistin zum Ende der Erzählung in der Übersetzung graphisch markiert. Der deutsche Gedankenstrich ließe sich auch als Übersetzung des Bindestrichs (penteava-se) lesen, der das Verb mit dem Pronomen verbindet, sofern die Möglichkeit einer optischen Äquivalenz in Frage steht. (vgl. auch Kapitel 4 dieser Arbeit)
Im zweiten Text Die Dame und das Ungeheuer oder die allzu große Wunde mit dem Ausgangstext A Bela e a Fera ou a Ferida grande demais ist der Umgang mit Satzeichen bemerkenswert. Im Ausgangstext werden unterschiedliche Markierungen, einfache Anführungszeichen, doppelte Anführungszeichen, Geviertstrich, für die Markierung von Zitaten, Gedanken und direkter Rede verwendet, außerdem werden sehr häufig Gedankenstriche und Auslassungspunkte gesetzt. Zusätzlich werden einzelne Begriffe durch Anführungszeichen (oder Großschreibung im Portugiesischen) hervorgehoben. Sowohl der Gebrauch im Ausgangstext als auch im Zieltext ist nicht vollständig kohärent, wie die nachfolgenden Beispiele (Auswahl) zeigen.
B1
Bemerkenswert ist, dass an anderer Stelle, Beispiel B1a, eine sehr ähnliche Passage auch in der Übersetzung mit Gedankenstrich dargestellt wird:
B1a
Beispiel B1 zeigt eine eindeutig interpretierende Lektüre. Aus einer zur Interpretation offenen Gegenüberstellung ("Sempre era ela - com outros") wird im Deutschen "Sie war immer mit anderen zusammen". Hierbei ist die deutsche Satzstruktur nicht so angelegt, dass, wie im Portugiesischen, der erste Teil des Satzes auch ohne den zweiten funktionieren würde, was die Fortsetzung nach dem Gedankenstrich für den Leser zu einer kleinen Überraschung macht. Diese Überraschung ist beim Deutschen Text nicht gegeben.
Ähnlich wie in Liebe wird hier an verschiedenen Stellen der Gedankenstrich des Ausgangstextes mit einem Komma oder, an anderer Stelle, durch einen Punkt übersetzt. Die graphische Trennung der Satzteile, eine Pause im Lesefluss, wird im Zieltext dadurch im Verhältnis zum Ausgangstext entweder abgeschwächt oder verstärkt.
Der Gebrauch von Anführungszeichen ist im Ausgangstext so verteilt, dass doppelte Anführungszeichen ("") entweder ein Zitat, einen innerlich formulierten Gedanken (Beispiel B1) oder einen hervorgehobenen Begriff markieren. Hieraus ergibt sich für den Zieltext das Problem, dass auch für die im AT durch einen Geviertstrich markierte direkte Rede der Figuren für den ZT, folgt man der Sprachnorm, doppelte Anführungszeichen ("")verwendet werden und die im AT unterschiedlich markierten Zitate im ZT gleich markiert werden.
B2
B3
B4
B5
In Beispiel B2 und B3 erscheinen Gedanken der Protagonistin, welche im AT und im ZT mit Anführungszeichen markiert werden sowie einzelne Begriffe, die im AT mit doppelten Anführungszeichen ("") und im ZT durch einfache Anführungszeichen (‹›) hervorgehoben werden. In Beispiel B4 handelt es sich um ein erinnertes Zitat, welches in beiden Texten durch doppelte Anführungszeichen markiert ist. In Beispiel B4 ist die im AT mit Geviertstrich markierte wörtliche Rede durch doppelte Anführungszeichen ("") markiert.
Besonders auffällig ist die Verwendung von Gedankenstrichen in Beispiel B3, wo der Gedankenfluss im deutschen Text unterbrochen wird durch den Einschub "merkwürdig, ausgerechnet eine Frau zu sein", während im Portugiesischen der Eindruck sich überschlagender Gedanken entsteht, die Schlag auf Schlag aufeinander folgen. Außerdem ist das angedeutete Shakespeare-Zitat im portugiesischen Text "ser ou não ser" entweder nicht erkannt worden oder es wurde bewusst anders interpretiert.
Diese Systematik in den Hervorhebungen und der Verwendung von Gedankenstrichen wird im Großen und Ganzen durchgehalten, jedoch erscheinen einige Ausnahmen:
B6
In Beispiel B6 wird ein im AT durch doppelte Anführungszeichen und durch Großschreibung markierter Begriff im ZT ebenfalls durch doppelte (nicht durch einfache) Anführungszeichen markiert.
B7
B8
B9
Und in Beispiel B7 wird ein Begriff (podia/m) im AT erst im vierten Satz hervorgehoben, während er zuvor unmarkiert wiederholt wird. Im ZT wird dessen Übersetzung (es sich leisten können) im ersten Satz und im dritten Satz durch einfache Anführungszeichen markiert. Durch die erste Markierung wird gleich im ersten Satz von B7 deutlich, dass "es sich leisten konnten" hier eine besondere Bedeutung hat. Die Erklärung im nächsten Satz wird sozusagen durch die Anführungszeichen angekündigt. Im Portugiesischen bleibt das erste "podiam" in der Luft hängen und hinterlässt beim Leser ein mikroskopisches Gefühl von Suspense. Vergleichbar ist das folgende Beispiel B8, wo im AT ein im zweiten Satz wiederholtes Wort einmal durch doppelte Anführungszeichen hervorgehoben wird (eles), im ZT wird die Übersetzung (Sie)
sowohl im ersten wie im zweiten Satz durch einfache Anführungszeichen hervorgehoben. Ebenso wie in B7 ist der deutsche Leser auf weitere Ausführungen gefasst, im Portugiesischen wird er überrascht. In Beispiel B9 ist es umgekehrt, da die Markierung im AT in den ersten beiden Sätzen erfolgt, während der Begriff (2x Diminutiv coleguinhas, 1x Positiv colegas) im dritten Fall nicht hervorgehoben wird. Im ZT ist die Übersetzung (2x kleine Kolleginnen, 1x Kolleginnen) in allen drei Sätzen durch einfache Anführungszeichen hervorgehoben.
B10
In Beispiel B10 wird ein im AT nicht durch Anführungszeichen oder Geviertstrich markiertes Gedankenzitat (durch Doppelpunkt eingeleitet) in der Übersetzung durch doppelte Anführungszeichen markiert. Im Portugiesischen wechselt die extradiegetische Erzählstimme hier nicht, nur die Fokalisierung wird eine interne. Im Deutschen dagegen wechselt durch die Anführungszeichen die Erzählstimme, auch wenn es sich um Gedanken handelt, ist es nun die Frau, die spricht, nicht mehr die Erzählerstimme. Dies geschieht ebenfalls in den Beispielen B11. In Beispiel B12 verhält es sich umgekehrt: Im AT sind die Gedanken der Protagonistin durch doppelte Anführungszeichen markiert, im ZT ist im ersten Teil des Gedankenzitats die Perspektive diejenige des extradiegetischen Erzählers und der zweite Teil ist wie im AT ein Gedankenzitat der Protagonistin, allerdings nicht markiert.
B11
B12
Damit vergleichbar ist Beispiel B13, wo ebenfalls ein Gedankenzitat des Bettlers im ZT durch Anführungszeichen markiert ist, welches im AT nur durch Doppelpunkt eingeleitet wird. Es wird zusätzlich ein Begriff im ZT durch einfache Anführungszeichen hervorgehoben (Millionärsfrau), während der portugiesische Begriff (milionária) nicht hervorgehoben ist. Auch hier verändert sich die Erzählinstanz durch die Anführungszeichen. Im deutschen Text spricht durchgehend der Bettler, im Portugiesischen ist es im letzten Teil der extradiegetische Erzähler.
B13
In Beispiel B14 finden sich im AT zwei direkt aufeinander folgende Sätze, welche jeweils durch doppelte Anführungszeichen markiert sind. Im ZT werden doppelte Anführungszeichen nur einmal geöffnet und einmal geschlossen. Wieder entsteht dadurch eine eindeutig ungewöhnliche Pause im portugiesischen Text, welche im deutschen gar nicht markiert ist.
B14
In Beispiel B15 wird im AT ein Begriff (dava mais) durch doppelte Anführungszeichen hervorgehoben, während in der Übersetzung keine Hervorhebung zu finden ist. Tatsächlich ist die Übersetzung dieses Satzes eine starke Interpretation. Indem die Anspielung auf eine Versteigerung ("o homem que "dava mais"") im Deutschen abgeschwächt ist und nur mehr auf den sozialen Status des Mannes anspielt, fehlt hier der bestechend plastische Vergleich der Brautschau mit einer Versteigerung, auch wenn dies im Folgesatz deutlich wird: "Vendera-se"/ "Sie hatte sich verkauft".
B15
Zuletzt soll auf weitere Besonderheiten in der Verwendung von Satzzeichen eingegangen werden, deren Übersetzung als stark interpretierend gewertet werden können. In Beispiel B16 Wird im ZT ein Ausrufezeichen gesetzt, während im AT nur ein Punkt steht. In Beispiel B17 ist im AT eine starke Hervorhebung eines Wortes (gritava) durch Trennung der Silben innerhalb des Wortes mit Bindestrichen sowie drei Ausrufezeichen nach dem Wort mitten im Satz. In der Übersetzung ist kein Wort besonders hervorgehoben und es wurden keine Satzzeichen eingefügt.
B16
B17
Es lässt sich erkennen, dass der Umgang mit Satzzeichen in beiden Übersetzungen nicht durchgehend kohärent einer Systematik folgt. Außerdem lässt sich eine stark interpretierende Lesart bei Die Dame und das Ungeheuer feststellen. Die erste Übersetzung scheint in diesem Aspekt konsequenter, doch mag dies auch daran liegen, dass im Ausgangstext Amor nicht so viele markierte Zitate oder Gedanken zu finden sind. Die Hervorhebung einzelner Begriffe fehlt hier völlig. Dennoch fällt bei der zweiten Übersetzung auf, dass parallel unterschiedliche Strategien in der Übersetzung der suprasegmentalen Zeichen angewandt werden. Die interpretierende Lesart geht so weit, dass im AT nicht markierte Begriffe markiert werden oder umgekehrt, Markierungen aus dem AT nicht in den ZT übersetzt werden. Während die Satzunterbrechungen durch Gedankenstriche bei Clarice Lispector häufig den Lesefluss stocken lassen oder auch überraschende Wendungen ankündigen, wird dies in beiden Übersetzungen nicht immer nachgeahmt. Dadurch wird die Lesart auf unterschiedlich, hervorgehobene Begriffe gelenkt und der Leserhythmus ist ein maßgeblich anderer.
Es muss offen bleiben, welchen Anteil Lektorat und Verlag und welchen Anteil die Übersetzer an diesem Aspekt der interpretierenden Lektüre hatten.
3.2 Wiederholungen
In diesem Abschnitt soll der Umgang mit einzelnen Wiederholungen ganzer Sätze und der Wiederholung einzelner Begriffe im AT und im ZT untersucht werden. Hier werden die ausgangssprachlichen Begriffe mal-estar und espanto/espantado/espantada betrachtet; diese wurden zum einen gewählt, da sie in beiden Erzählungen mehrfach vorkommen, zum anderen aufgrund der Bedeutung, welche diesen Begriffen, unter vielen anderen11, bei Clarice LISPECTOR durch die Literaturwissenschaft beigemessen wird.
Im Folgenden werden jeweils einige Beispiele aus Liebe, Beispiele A4-A7, und darauf folgend einige Beispiele aus Die Dame, Beispiele B17-B22, aufgeführt. Die Reihenfolge der Zitate entspricht nicht der Reihenfolge im Erzählverlauf, sondern ist nach Analysekategorien sortiert.
In Amor kommen zwei Sätze, A4 und A5, je zweimal in identischer Wiederholung vor. In der Übersetzung wird diese Wiederholung nachgeahmt.
A4
A5
An anderer Stelle wird im AT ein Satz nahezu wortlautgetreu wiederholt, die Übersetzung allerdings wählt zwei unterschiedliche Begriffe für das portugiesische Substantiv o mal, in A6 wird Unglück verwendet, in A7 das Böse.
A6
A7
Während in den ersten Fällen für eine Nachahmung der Wiederholung des AT im ZT optiert wird, weicht der zweite Fall von dieser Übersetzungsstrategie ab. Es wird erkennbar, dass auch hier parallel verschiedene Übersetzungsstrategien zur Anwendung kommen. Dies erscheint besonders bemerkenswert, da "o mal" ein wichtiger Begriff bei Clarice LISPECTOR ist, der immer wieder vorkommt.
Die Wiederholungen in A Bela sind eher auf Wortebene angesiedelt, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen:
B18
B19
Die Wiederholungen des ATs werden in den Beispielen B18 und B19 im ZT ebenfalls durch Wiederholung nachgeahmt. Doch ist dies nur eine von verschiedenen Übersetzungsstrategien bei Wiederholungen:
B20
Beispiel B20 zeigt, wie in zwei konsekutiven Sätzen zwei unterschiedliche Strategien bei der Übersetzung von Wiederholungen angewandt werden. Im ersten Satz wird die Wiederholung ebenso nachgeahmt wie in B18 und B19. Im zweiten Satz von B20 wird die dreifache Wiederholung von festas im AT durch eine zweifache Wiederholung von Fest sowie drei unterschiedliche Adjektive (einziges, großes, rauschendes) übersetzt. Eine ähnliche Strategie ist in B21 und B22 erkennbar:
B21
B22
In B21 wird die nur durch Kommata getrennte vierfache Wiederholung der Konjunktion de durch die ebenfalls vierfache Wiederholung des Substantivs Angst übersetzt. Im ZT wird nicht nur das Substantiv wiederholt, sondern zunächst das Substantiv plus Verb, das dritte Mal nur das Substantiv, das vierte Mal wird im Anschluss der Satz zu Ende geführt. Wiederholung zwei und drei ziehen jeweils drei Punkte nach sich. Beispiel B22 zeigt die Übersetzung der Wiederholung der Verbform rebrilho durch zwei verschiedene durch die Konjunktion und verknüpfte Verben im Deutschen strahle und erleuchte. Diese Vorgehensweise ist derjenigen im zweiten Teil von B20 sehr ähnlich. Es zeigt sich, dass in Liebe der Umgang mit Wiederholungen in diesem ersten Fall weniger kohärent ist als in Die Dame. In Liebe wird an zwei Stellen die Wiederholung im AT im ZT nachgeahmt, an einer weiteren Stelle nicht. In Die Dame werden in den Beispielen Wiederholungen im AT durch Wiederholungen im ZT wiedergegeben, allerdings möglicherweise auf andere Wortarten oder Satzteile verteilt. Die Strategie ist also kohärenter.
3.2.1 Espanto, com/em espanto, espantado/a
Im folgenden Abschnitt wird der Umgang mit Wiederholungen des Substantivs espanto, der abgeleiteten adverbialen Bestimmungen com espanto/em espanto sowie des Adjektivs espantado/a in beiden Erzählungen in AT und ZT untersucht. Dieser Begriff markiert im Universum Lispectors in den allermeisten Fällen den Übergang einer Figur in einen anderen Zustand, die Schwelle zur Epiphanie oder zum Wahnsinn (was häufig in eins fällt). Er kommt in vielen ihrer Texte sehr häufig vor.
Zur besseren Übersichtlichkeit wurden die Übersetzungen und die Begriffe im Ausgangstext fett hervorgehoben.
A8
A9
A10
A11
A12
In den Beispielen A8-A12 werden im ZT drei verschiedene Adjektive verwendet: erstaunt, überrascht, verwundert, um espantado und em/com espanto zu übersetzen. Verwundert wird hierbei in drei von fünf Fällen verwendet. Das Substantiv espanto kommt nur einmal in dieser Funktion vor und wird dort mit Staunen übersetzt. Hier, in Liebe, zeigen sich wieder konkurrierende Übersetzungsstrategien, einerseits wird ein Adjektiv wiederholt, doch wird es nicht in allen Fällen verwendet. Besonders in diesem Fall ist es bemerkenswert, dass nicht eine durchgehende Übersetzung für diesen wichtigen Begriff gefunden wurde, da er sich so häufig wiederholt und so wichtig ist für den Verlauf der Erzählung und er dreimal gleich übersetzt wurde.
B23
B24
B25
B26
In A Bela kommt nur das Adjektiv espantado/a vor, in einem Fall im Superlativ espantadíssimo. Die Übersetzungen sind in jedem der vier Beispiele unterschiedlich: verblüfft, verdutzt, entgeistert, vor Schreck. Hier ist also eine durchgehende Übersetzungsstrategie erkennbar, welche die Wiederholung desselben Wortes im ZT vermeidet. In Die Dame ist die Übersetzungsstrategie auch in diesem Einzelfall kohärenter, wenn auch die zentralen Bedeutung des Begriffs in den Übersetzungen nicht erkennbar ist, da es nicht ein Begriff ist, sondern mehrere.
3.2.2 Mal-estar, ter um mal-estar
Im Folgenden wird der Umgang mit Wiederholungen des Subtantivs mal-estar in den beiden Erzählungen in AT und ZT betrachtet. Auch hier werden die Übersetzungen zum besseren Verständnis fett hervorgehoben.
A13
A14
Die Übersetzungen für mal-estar werden in der Erzählung Liebe nicht wiederholt. Einmal wird das Substantiv Unbehagen verwendet, das zweite Mal die Adjektiv-Substantiv-Verbindung das dumpfe Gefühl. Die Übersetzungsstrategie ist an dieser Stelle kohärent insofern sie im ZT eine Wiederholung vermeidet.
In Die Dame erscheint mal-estar in Verbindung mit dem Verb ter. In den Übersetzungen werden zwei verschiedene Adjektiv-Verb-Verbindungen gewählt: sich nicht wohl fühlen in B27 und schwindlig werden in B28. Damit ist auch hier die Strategie einer Vermeidung von Wiederholung im ZT auch hier kohärent.
B27
B28
Ebenso wie "espanto" markiert auch das "mal-estar" bei Clarice Lispector einen anderen Zustand der Epiphanie, der sich auch in körperlicher Übelkeit (auch "náusea") zeigen kann. Im Kontext dieser beiden Erzählungen sind sowohl "espanto" als auch "mal-estar" in dieser Funktion zu sehen12. Die Tatsache, dass die Übersetzungen jeweils unterschiedliche deutsche Begriffe wählen, macht deutlich, dass ein übersetzter Text den Anspruch einer Repräsentation des Ausgangstextes nicht zu erfüllen in der Lage ist. An dieser Stelle soll kein Urteil über die Qualität gefällt werden, vielmehr soll anhand dieser Beispiele verdeutlicht werden, dass jede notwendige übersetzerische Entscheidung eine Interpretation darstellt.
Zwar könnten noch weitere Wiederholungen in Ziel- und Ausgangstext untersucht werden, doch sollen zunächst die genannten Beispiele genügen, um einen Eindruck der verwendeten Strategien zu geben. Es fällt auf, dass bei jedem der genannten Fälle von Wiederholung im AT in den beiden Zieltexten je unterschiedliche Strategien im Umgang mit diesen Wiederholungen gewählt werden. In Liebe ist besonders bemerkenswert, wie sehr die Entscheidungen von Fall zu Fall divergieren. Im Gegensatz dazu erscheinen die Strategien in Die Dame recht kohärent.
Zuletzt soll auf auffällige und überraschende Besonderheiten in beiden Übersetzungen eingegangen werden.
4 Besonderheiten der Übersetzungen
In beiden Texten sind einige ungewöhnliche Vorgehensweisen bei der Übersetzung zu finden. In Liebe zeigt sich an drei Stellen etwas, das als ein Streben nach graphischer bzw. phonetischer Äquivalenz gewertet werden kann. Die relevanten Wörter bzw. Satzzeichen wurden fett markiert.
A15
A 16
In den Beispielen A15 und A16 fällt auf, dass die Adjektive longe und luxuosas nicht nach dem üblichen Muster einer semantischen Äquivalenz übersetzt wurden. Die Begriffe, die im ZT verwendet wurden, nähern sich nicht auf semantischer Ebene an. Würden sie dies tun, hätte beispielsweise weit fort und luxuriös gewählt werden können. Doch die Übersetzungen lauten lang und leuchtend. Die angestrebte Äquivalenz findet sich hier also nicht auf semantischer Ebene, sondern auf phonetischer oder graphischer. Diese Vorgehensweise ist beim Übersetzen zwar ungewöhnlich, doch durchaus möglich13, in jedem Fall aber bemerkenswert.
In A17 findet auf graphischer Ebene möglicherweise eine vergleichbare Strategie Anwendung: Im ZT wird ein Gedankenstrich gesetzt, wo im AT ein Bindestrich, regelgemäß, das Reflexivpronomen se mit dem Verb penteava verbindet. Somit wird eine graphische Äquivalenz erzielt, die kaum eine semantische Funktion erfüllt. Auch dies ist als Übersetzungsstrategie bemerkenswert.
A 17
In der Übersetzung von A Bela findet sich eine ‚korrigierende' Übersetzung. Die relevanten Zahlwörter werden auch hier fett hervorgehoben:
B29
B30
Die hier angewandte Übersetzungsstrategie zeigt klar ein Streben nach semantischer Kohärenz im ZT. In B29 heißt es im AT, die Figur habe três filhos, in B30 sind es nur dois. Die Übersetzung macht den Text semantisch kohärent, indem sie die Frage nach der Anzahl der Kinder eindeutig beantwortet: es sind zwei. Die Interpretation des AT, die hier zum Tragen kommt, deutet klar auf einen angenommenen Fehler im AT hin und ist eine häufig angewandte Strategie, auch seitens von Verlagen.
5 Fazit: Interpretationen und Sichtbarmachungen
A translated text, whether prose or poetry, fiction or nonfiction, is judged acceptable by most publishers, reviewers, and readers when it reads fluently, when the absence of any linguistic or stylistic peculiarities makes it seem transparent, giving the appearance that it reflects the foreign writer's personality or intention or the essential meaning of the foreign text - the appearance, in other words, that the translation is not in fact a translation, but the "original." (VENUTI 1995: 1VENUTI, Lawrence. The Translator's Invisibility A History of Translation. London and New York: Routledge,1995.)
Ziel der Untersuchung einiger Passagen zweier Erzählungen von Clarice Lispector in Übersetzung durch verschiedene Übersetzer war es, auf die Übersetztheit der Texte hinzuweisen, das heißt, anhand unterschiedlicher Phänomene die verschiedenen angewandten Übersetzungsstrategien und die damit verbundenen Interpretationen sichtbar zu machen. Weder die literaturwissenschaftliche Rezeption der Texte noch deren gesamte Übersetzung konnte erschöpfend betrachtet werden, doch wurde auf einige Besonderheiten hingewiesen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Umgang mit verschiedenen AT- Phänomenen unterschiedlich ausfällt. Während in Die Dame bezüglich unterschiedlicher Wiederholungen AT eine relativ stringente Strategie für den Umgang im ZT zu erkennen ist, ist dies in Liebe nicht so eindeutig festzustellen. Liebe optiert mal für die Wiederholung einzelner Begriffe, mal nicht. Die Dame dagegen tendiert zur Vermeidung der Wiederholung, was eine legitime Strategie darstellt. Die Interpretation, die dadurch allerdings geschieht, bedeutet ein Verschwinden der Wiederholung und damit der Hervorhebung einzelner Begriffe. Da eine massive Lispector-Rezeption in den Jahren seit den hier verwendeten Übersetzungen stattgefunden hat, wäre womöglich heute eine andere Übersetzungsstrategie bei diesen wichtigen Begriffen anzuwenden. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Aktualität einer Übersetzung von der Rezeption der Autoren abhängt und wie eine Übersetzung an Aktualität verlieren kann.
Kaum eine eindeutig kohärente Strategie ist bei der Übersetzung von Anführungszeichen zu erkennen, eher noch bei Liebe als bei Die Dame. Hierdurch wird an verschiedenen Stellen allerdings die Erzählperspektive verändert. Auch dies ist eine legitime Übersetzungsstrategie, zeigt aber erneut den fundamentalen Unterschied zwischen Ausgangstext und Zieltext.
Schließlich ist bemerkenswert, dass in Liebe an drei Stellen offenbar eine phonetische bzw. graphische Äquivalenz angestrebt wird, was eine außergewöhnliche Übersetzungsstrategie darstellt. In diesen Fällen handelt es sich ebenfalls um eine zwar bei Literaturübersetzungen nicht sehr übliche, aber doch mögliche Strategie. Sie findet sich häufiger bei Lyrikübersetzungen und wurde in verschiedenen Avantgarde-Bewegungen angewandt14. Ebenso bemerkenswert, jedoch weitaus üblicher, ist die ‚Korrektur' eines ‚Fehlers' im AT in der Übersetzung in Die Dame.
Bezüglich der Sichtbarkeit der Übersetzer und der Übersetzungen lässt sich anhand der untersuchten Aspekte der Übersetzungen feststellen, dass beide Texte stark interpretieren und somit die Übersetzung potenziell im ZT sichtbar machen. Allerdings findet dies nur innerhalb des Textes statt und ist dadurch für den zielsprachlichen
Muttersprachler nicht erkennbar. Paratexte, welche auf angewandte Strategien und Interpretationen und somit die Übersetztheit der Texte hinweisen könnten, fehlen völlig. Stattdessen macht sich der Übersetzer von Liebe als Experte für die Autorin sichtbar. Die Übersetzung ist also nur schwer als solche erkennbar, der Übersetzer bleibt (als Übersetzer) unsichtbar und der Zieltext enthält implizit das Postulat den Ausgangstext vollständig zu repräsentieren. Dies ist letztlich die gängige Praxis des Umgangs mit Übersetzungen, welche allerdings mittlerweile nicht mehr nur von Translationswissenschaftlern kritisiert wird.
Literaturverzeichnis
- ARROJO, Rosemary, ‚Gedanken zur Translationstheorie und zur Dekonstruktion des Logozentrismus'. In: Wolf, Michaela (Hg) Übersetzungswissenschaft in Brasilien. Beiträge zum Status von "Original" und Übersetzung. Tübingen: Stauffenberg Verlag Brigitte Narr, 1997, .63-70.
- KÜPPER, Klaus, Bibliographie der brasilianischen Literatur Prosa, Lyrik, Essay und Drama in deutscher Übersetzung. Verlag Klaus Küpper: Köln in Zusammenarbeit mit Verlag Teo Ferrer de Mesquita: Frankfurt am Main, 2012.
- LISPECTOR, Clarice, Laços de Família. Lisboa: Relógio D'Água, 1990 [1960].
- _____. A Bela e a Fera. Rio de Janeiro: Editora Nova Fronteira, 1979.
- _____. / MEYER-CLASON, Curt: Die Nachahmung der Rose. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1985 (Mit übersetzten Contos aus Laços de Família und A imitação da rosa) .
- _____./ BRANDT, Sarita: Die Dame und das Ungeheuer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1990 (Auf Basis der portugiesischen Ausgabe von 1979) .
- MONTERO Ferreira, Teresa Cristina Eu sou uma pergunta uma biografia de Clarice Lispector. Rocco: Rio de Janeiro, 1999.
- SOMERLATE, Barbosa Maria José, Clarice Lispector Mutações Faiscantes - Sparkling Mutations. Belo Horizonte: Gam Editora, 1998.
- VENUTI, Lawrence. The Translator's Invisibility A History of Translation. London and New York: Routledge,1995.
- WINK, Georg et al., ‚Einleitung'. In: KLENGEL, Susanne / QUANDT, Christiane / Schulze, Peter W / WINK, Georg (Hg) Novas Vozes. Zur brasilianischen Literatur im 21. Jahrhundert. Iberoamericana Vervuert: Frankfurt am Main, 2013, 9-22 .
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2
Die Problematiken dieser ‚gelenkten' Rezeption sollen an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.
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3
1964 erschien "Der Apfel im Dunkeln" beim Claassen Verlag, übersetzt von Meyer-Clason, 1966 folgte die Anthologie "Die Nachahmung der Rose". Er übersetzte auch "Die Sternstunde" (1985) sowie diverse Einzeltexte, die in Anthologien erschienen (vgl. KÜPPER 2012: 240-245KÜPPER, Klaus, Bibliographie der brasilianischen Literatur Prosa, Lyrik, Essay und Drama in deutscher Übersetzung. Verlag Klaus Küpper: Köln in Zusammenarbeit mit Verlag Teo Ferrer de Mesquita: Frankfurt am Main, 2012.)
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4
Von ihr wurden übersetzt "Água viva" (1994), die Anthologie "Die Dame und das Ungeheuer" (1990), "Eine Lehre oder das Buch der Lust" (1988), "Wo warst du in der Nacht" (1996), "Von Traum zu Traum" (1992) sowie diverse Einzeltexte, die in Anthologien erschienen (vgl. Küpper 2012: 240-245KÜPPER, Klaus, Bibliographie der brasilianischen Literatur Prosa, Lyrik, Essay und Drama in deutscher Übersetzung. Verlag Klaus Küpper: Köln in Zusammenarbeit mit Verlag Teo Ferrer de Mesquita: Frankfurt am Main, 2012.).
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5
"Nahe dem wilden Herzen" wurde 1981 erstmals von Ray-Güde Mertin ins Deutsche übersetzt. Die neue Ausgabe bei Schöffling ist von Corinna Santa Cruz auf Basis der brasilianischen Erstausgabe überarbeitet.
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6
"Der Lüster" wurde für die Gesamtausgabe erstmals 2013 von Luis Ruby ins Deutsche übersetzt.
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7
Durch die brasilianische Regierung sowie durch die Brasilianische Botschaft.
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8
Um die Texte eindeutig zu unterscheiden wird die ausgangssprachliche Autorin sowie der Übersetzer/die Übersetzerin beim Zitieren angegeben.
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9
Bei beiden Klappentexten ist das Geburtsjahr Lispectors als 1925 angegeben, dieser Fehler war lange in Umlauf, auch durch die Autorin selbst, konnte jedoch mittlerweile anhand der Geburtsurkunde korrigiert werden auf 1920. Somit hat Lispector ihren Debütroman mit 23 Jahren und nicht wie angenommen mit 17 Jahren verfasst (vgl. MONTEIRO-FERREIRA 1999: 58MONTERO Ferreira, Teresa Cristina Eu sou uma pergunta uma biografia de Clarice Lispector. Rocco: Rio de Janeiro, 1999. sowie SOMERLATE BARBOSA 1998: 20SOMERLATE, Barbosa Maria José, Clarice Lispector Mutações Faiscantes - Sparkling Mutations. Belo Horizonte: Gam Editora, 1998. und MOSER 2013: 52).
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10
In den betrachteten deutschen Texten werden die Guillemets oder französischen Anführungszeichen unterschiedlich geöffnet und geschlossen. Dies wird in den Zitaten übernommen.
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11
Wie beispielsweise náusea, nojo, piedade, prazer, amor etc.
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12
Vgl. hierzu insbesondere Scharold, Irmgard (2000): Epiphanie, Tierbild, Metamorphose, Passion und Eucharistie; Zur Kodierung des ‚Anderen' in den Werken von Robert Musil, Clarice Lispector und J.M.G. Le Clézio. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter.
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13
Diese Praxis fand beispielsweise durch Ezra POUND in seiner viel kritisierten "Homage to Sextus Propertius" Anwendung.
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14
vgl. Fußnote 12 sowie einige Transkreationen von Haroldo de CAMPOS.
Publication Dates
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Publication in this collection
Jan-Jun 2015
History
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Received
16 Oct 2014 -
Accepted
15 Mar 2015