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Sprachbilder des Krieges: Zur ersten Fassung von Ernst Jüngers in Stahlgewittern

Abstracts

In seinem umstrittenen Erstlingswerk, In Stahlgewittern (1920), schreibt Ernst Jünger dem Ersten Weltkrieg weniger explizit einen ideologischen Sinn zu, als er ihn indirekt durch eine intensiv metaphorische Sprache mit Bedeutungen auflädt. Jünger codiert den Krieg in 32 bildlichen Sequenzen, die sich in den Feldern der Natur, der menschlichen Praxis, der Kultur und der Anthropomorphie verorten. Diese Sprachbilder lassen sich nach Typen differenzieren und in ihrer Dichte, Relation, Interferenz und Variation beschreiben. Dadurch dass dieselben Bilder auf beide Kriegsparteien angewandt werden, relativieren sie deren Gegensatz. Indem die Metaphern mit ihren realen Entsprechungen, mit sprechenden Namen und mit stereotypen Jargons konfrontiert werden, tritt ihre Künstlichkeit zutage und wird ihre epistemische Funktion deutlich. Die implizite Bedeutungs-Zuschreibung, die diese Metaphoriken erzielen, ist keineswegs einsinnig als Ästhetisierung oder Verherrlichung bzw. als kohärente faschistische Ideologie zu fassen. Die einzelnen Codes sind ungleichmäßig subtil, sie erzeugen verschiedene Bedeutungen, und sie konnotieren abweichende politische Positio nen; sie geraten miteinander in Überschneidung und zueinander in Widerspruch. Es entsteht eine widerständige Semantik, die als Symptom einer Verunsicherung lesbar ist.

Ernst Jünger; Krieg; Metapher; Ideologien


In his controversial first book In Stahlgewittern (1920) Ernst Jünger ascribes meaning to World War I not explicitly in ideological terms, as much as indirectly by using a highly metaphorical language. Jünger codes war in 32 image sequences in the fields of nature, human practice, culture, and anthropomorphism. Jünger's metaphors can be differentiated into various categories and characterized by their density, their relation, their interference and their variation. When two warring fractions, then, are described by the same iconic motifs, their oppositions seem to vanish. And when metaphors are confronted with their real referents, with signifying names and stereotyped jargons, their artificial character and epistemological function come to light. The implicit meanings these metaphors generate should not be simplified as celebratory aestheticising, nor refuted as fascist ideology. The individual codes are unequally subtle, they generate different semantics and they connote deviating political positions; they intersect and conflict. In Stahlgewittern they are both an expression of an ideological attitude as well as a symptom of profound unsettlement.

Ernst Jünger; War; Metaphor; Ideology


KULTURWISSENSCHAFT

Sprachbilder des Krieges. Zur ersten Fassung von Ernst Jüngers in Stahlgewittern

Oliver Lubrich

Juniorprofessor für Rhetorik am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literatur­wissenschaft sowie am Exzellenzcluster "Languages of Emotion" der Freien Universität Berlin. Email: lubrich@zedat.fu-berlin.de

ZUSAMMENFASSUNG

In seinem umstrittenen Erstlingswerk, In Stahlgewittern (1920), schreibt Ernst Jünger dem Ersten Weltkrieg weniger explizit einen ideologischen Sinn zu, als er ihn indirekt durch eine intensiv metaphorische Sprache mit Bedeutungen auflädt. Jünger codiert den Krieg in 32 bildlichen Sequenzen, die sich in den Feldern der Natur, der menschlichen Praxis, der Kultur und der Anthropomorphie verorten. Diese Sprachbilder lassen sich nach Typen differenzieren und in ihrer Dichte, Relation, Interferenz und Variation beschreiben. Dadurch dass dieselben Bilder auf beide Kriegsparteien angewandt werden, relativieren sie deren Gegensatz. Indem die Metaphern mit ihren realen Entsprechungen, mit sprechenden Namen und mit stereotypen Jargons konfrontiert werden, tritt ihre Künstlichkeit zutage und wird ihre epistemische Funktion deutlich. Die implizite Bedeutungs-Zuschreibung, die diese Metaphoriken erzielen, ist keineswegs einsinnig als Ästhetisierung oder Verherrlichung bzw. als kohärente faschistische Ideologie zu fassen. Die einzelnen Codes sind ungleichmäßig subtil, sie erzeugen verschiedene Bedeutungen, und sie konnotieren abweichende politische Positio nen; sie geraten miteinander in Überschneidung und zueinander in Widerspruch. Es entsteht eine widerständige Semantik, die als Symptom einer Verunsicherung lesbar ist.

Stichwörter: Ernst Jünger; Krieg; Metapher; Ideologien

ABSTRACT

In his controversial first book In Stahlgewittern (1920) Ernst Jünger ascribes meaning to World War I not explicitly in ideological terms, as much as indirectly by using a highly metaphorical language. Jünger codes war in 32 image sequences in the fields of nature, human practice, culture, and anthropomorphism. Jünger's metaphors can be differentiated into various categories and characterized by their density, their relation, their interference and their variation. When two warring fractions, then, are described by the same iconic motifs, their oppositions seem to vanish. And when metaphors are confronted with their real referents, with signifying names and stereotyped jargons, their artificial character and epistemological function come to light. The implicit meanings these metaphors generate should not be simplified as celebratory aestheticising, nor refuted as fascist ideology. The individual codes are unequally subtle, they generate different semantics and they connote deviating political positions; they intersect and conflict. In Stahlgewittern they are both an expression of an ideological attitude as well as a symptom of profound unsettlement.

Keywords: Ernst Jünger; War; Metaphor; Ideology

Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1920)1 1 Als Textgrundlage dient die Erstausgabe von 1920, die erste von sieben ‚Fassungen', zwi­schen denen der Autor erhebliche Überar­beitungen vor­genommen hat: Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Aus dem Tage­buch eines Stoβtruppführers. Hannover, 1920. (Für alle Zitate nach dieser Ausgabe werden im Text die Seitenzahlen in Klammern angegeben.) Die weiteren sechs ‚Fassungen' erschienen 1922, 1924, 1934, 1935, 1961 und 1978: In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoβtruppführers. Berlin, 1922 (2. Fassung).– Berlin, 1924 (3. Fassung).– In Stahl­gewittern. Ein Kriegs­tagebuch. Berlin, 1934 (4. Fassung).– Berlin, 1935 (5. Fassung).– In Stahlgewittern. In: Werke. Stuttgart, 1961, Band 1, S. 11-310 (6. Fassung).– In: Sämtliche Werke 1, S. 9-300; separat publiziert: Stuttgart, 1981 27 (7. Fassung). – Hermann Knebel (1991) untersuchte die quantitativ und qualitativ erheblichen Ver­änderungen. Knebel geht davon aus, dass Jünger ein "gene­ra­ti­ves Zen­trum" (das von Harro Segeberg heraus­gearbeitete Denk­modell der "Regressiven Moderni­sie­rung") in jeweils verschiedener Weise realisierte. Die Pro­gram­ma­tik ver­schiebt sich dabei von der Erin­nerung des Kriegsteilnehmers über die Agitation des revolu­tio­nären Nationa­li­sten zur humanistischen Literatur des elitären Schriftstellers. – Vergleiche auch Kunicki 1993. enthält kaum explizite Reflexionen über den Ersten Weltkrieg. Zwei Dutzend direkten Aussagen stehen einhundert intertextuelle Referenzen und vor allem viele Hundert Sprachbilder gegenüber, die zahlreiche Bedeu­tungen erzeugen. Inwiefern diese bildliche Codierung das vorherrschende Verfahren der Kriegsdeutung ist, lässt sich jedoch nicht allein quantitativ ermessen. Im Folgenden soll der Versuch dokumentiert werden, Jüngers Bildsprache struktural zu analysieren und ihre implizite Semantik zu entziffern. Wie inszeniert Jünger den Krieg metaphorisch? Und welche Sinnzuschreibungen werden über seine Bilder vermittelt?

1. Metaphorik

Auf den ersten Seiten legt Jünger die Spuren, denen seine Leser durch den Text hindurch folgen können, indem er in groβer Dichte eindrückliche Sprachbilder plaziert.2 2 Der Untertitel, Aus dem Tagebuch eines Stoβtruppführers, bezieht den Text auf reale Aufzeich­nun­gen, die im Krieg entstanden sind. Das Original-Tagebuch behielt Jünger bis zu seinem Tod im Privatbesitz. Es erschien erst 90 Jahre nach der Erstausgabe seiner literari­schen Ausarbeitung als Kriegstagebuch 1914-1918, heraus­gegeben von Helmuth Kiesel (Stuttgart, 2010). John King (2003) hatte zuvor die Aufzeichnungen mit den Druck­fassungen verglichen. Durch ein bildliches Vokabular der Beschreibung erhält der Text eine zusätzliche Ebene, auf der sein Gegenstand modellhaft figuriert. Im Metaphorischen, so scheint es, lässt sich das Unbegreifliche am ehesten in vertraute Zusammenhänge bringen (Vgl. Blumenberg 1960; 1981; Lakoff/Johnson 1980). Jünger über­setzt seine Erfahrung in eine kunstvoll durch­kompo­nierte Metaphern­sprache, die seman­tischen Codes entspricht und alternative Interpretationen eröffnet.3 3 Hermann Knebel macht Andeutungen hinsichtlich einer "Einbettung des Kriegs­gesche­hens in sinn­stiftende Diskurse", die Jünger implizit und latent "über die Darstellungs­technik" erzeugt (Knebel 1991: 391). Harro Segeberg spricht von einem "absichtsvoll durch­komponier­ten Text mit be­ziehungs­reich angeordneten Sprachbildern" (Segeberg 1991: 344 f.). Die umfassendste Studie – zu Jüngers litera­ri­schen Werken bis 1933 – hat Hans Verboven (2003: 15-27, metho­discher Teil) vorgelegt. Er führt sein Thema gleichsam in unterschied­lichen Tonarten durch.

Nach Friedrich Nietzsche und Paul de Man wäre ohnehin jedes Wort mindestens insofern mehrfach lesbar, als zwischen seiner ‚buchstäblichen' (vordergründigen, prag­ma­tischen) und seiner ‚rhetorischen' (auf den ersten Blick oft übersehenen) Bedeutung zu entscheiden ist (Vgl. Nietzsche [1873] 1988; De Man 1979). Sobald bestimmte Figurationen pro­li­ferieren, treten sie zu­einander in ein Verhältnis wech­sel­seitiger Bestätigung und Ver­deut­lichung. Einzelne Metaphern, im erweiterten, aristotelischen Sinn,4 4 Poetik, 21-22; Rhetorik, III.2, 4, 10, 11. ver­binden sich zu Bedeutungsketten. Sie kon­sti­tu­ie­ren einen Subtext, sobald sich meh­re­re zu einer Verweisstruktur zusammenfügen. In die ver­schie­denen kommunika­tiven Strategien des Textes – Beschreibung, Schilderung, Re­flexion und Analyse – sind Tropen eingelagert, die auf­einander reagie­ren. Aus ein­zel­nen, verstreuten Elementen ent­stehen Sequen­zen, Bereiche, Strukturen. Diese sind nicht strikt von­einander getrennt, sondern sie berühren und überschneiden sich. Ver­­schiedene Sub­texte ergänzen einander zu um­fassenden Systemen der Signi­fikation.

Im Wesentlichen lassen sich vier Felder unterscheiden: Jünger codiert den Krieg, erstens als Ereignis der Natur, zweitens als ökonomische Praxis, drittens als Phänomen der Kultur und viertens als Anthropomorphismus.5 5 Es muss darauf verzichtet werden, im einzelnen die Belege anzuführen, deren vollständige Erhebung der folgenden modellhaften Rekonstruktion zugrunde liegt. Vergleiche Lubrich 2003: 148-224; sowie die auf In Stahlgewittern sich beziehenden Abschnitte bei Verboven 2003, der eine alternative Strukturie­rung vorschlägt: S. 29-35 (Wasser), S. 55-61 (Feuer), S. 81-85 (Musik), S. 96 f. (Schau­spiel), S. 110-115 (Produktion), S. 148-152, S. 167 ff. und S. 175 ff. (Verwand­lung), S. 182 ff. (Jagd), S. 190 f. (Rausch), S. 195 ff. (Übernatür­liches), S. 203 ff. (Raum).

Erstes Feld: Natur

Der Krieg figuriert als Naturereignis:

(1) Kosmos: Auf höchster Ebene lässt er sich in Bilder der Astro­no­mie bringen: Ein groβes Geschoss erscheint dann als Sonne, Explosionen im Hintergrund als Planeten und eine Kampf­stellung als Mond.

(2) Wetter: Bereits im Titel, In Stahlgewittern, ist der Krieg als klimati­scher Vorgang verbildlicht. Und Jünger dekliniert dieses Motiv durch: Beschuss oder Offen­si­ven erscheinen als Unwetter, Sturm, Orkan mit Donner, Blitzen, Wolken, wir­beln­dem oder tosen­dem Wind, Hagel und Regen, in star­kem Prasseln, als leichte Schau­er oder sogar als Schnee. Sie kündigen sich an, indem zu spüren ist, dass "etwas in der Luft lie­gen muβte" (35, 45) oder dass die "Stimmung [ ] schwül" wird (37). Sie brau­sen auf; und flauen ab. Was zurückbleibt, ist eine Art Tau, der für menschliches Blut steht. Der Einzelne sieht sich "einem Ausbruch der Elemente gegenüber" (51 f.). Als künst­li­ches Natur­ereig­nis drängt sich der Krieg gegen­über der eigentlichen Natur in den Vor­der­grund: "Selbst die Natur­gesetze", heiβt es über einen Angriff im Frühjahr, "schie­nen ih­re Gültig­keit verloren zu haben; die Luft flimmerte wie an heiβen Sommer­tagen." (144)

(3) See: In ihren Gräben fühlen sich die Soldaten wie auf einer Insel von einem Taifun umtost oder wie auf einem in Seenot geratenen Schiff. Das Schlachtfeld mit seinen Trichtern ist dann das Meer, die Unebenheiten des Geländes werden zu Wellen. Als Offizier ist Ernst Jünger der "Kapitän" (163). Die Bewegungen seines Stoβ­trupps durch die Nebel des nächt­lichen Niemandslandes werden zu "Irr­fahrten" (119). In Aus­for­mung dieser Bildlichkeit erscheinen Stellungen als Küste und Verteidi­gungs­wälle als Deiche, auf die das Meer des feind­lichen Be­schus­ses und die Wogen der Angriffe zu­laufen wie eine Brandung, die sich mit der Regelmäβig­keit von Gezeiten nähert und wieder zurückzieht. Die Bewegungen der Truppen werden sicht­bar als Ströme, die aus dem Hinterland der Front zuflieβen und sich dort aufstauen, bevor sie sich ins Meer der Todeszone ergieβen und auf die feindlichen Linien zu­rollen. Der einzelne Soldat wird wie von einer Strö­mung oder einem Strudel mitgerissen. Und sogar das Leid ist in der­selben Metaphorik erfasst: Das Blut scheint, wie Wasser, zu strömen.

(4) Land: Alternativ zur Vorstellung von Wasser und Meer durchläuft das Kriegsgebiet eine Metamorphose verschiedener Landschaftsformen: Wüsten, Felder, Wälder, Hügel, Geisire und Vulkane. Wäh­rend sich einer­seits reales "Ackerland zur Wüste verwandelt" (60), wird das Kriegsgebiet andererseits zu einem "Feld". Die Masse der Detonationen zeigt sich als "Wald von Einschlägen" (94). Geschosse, die im durch­­nässten Boden auf­treffen, bringen "hochspritzende[] Schlammgeisire" (98) her­vor. Trümmer von Dörfern werden zu "gewaltige[n] Hügel[n]" (50). Kano­naden lassen "die Erde erzittern" (143), wie ein Erdbeben – oder "vulkanartige[] Explosionen" (144). Am Ende hat die Artillerie eine neue Landschaftsform geschaffen: die "Trichter­land­schaft" (121). Die Soldaten passen sich dieser Bildlichkeit ein: Wie Pflanzen sind sie mit ihrem "Abschnitt" im Graben "verwachsen" (25); und "dem Gegner ein Dorn im Auge" (80).

(5) Tiere: Der Krieg erscheint als Treiben der Fauna. Soldaten, Panzer, Flug­zeuge, Geschütze und Geschosse phan­tasiert Jünger als Tiere. Männer werden zu Tigern. Im Rausch kämp­fen sie wie "Werwölfe, die heulend durch die Nacht hetzen" (146). Sol­che, die Gefallene ausplündern, verhalten sich wie "Hyänen []" (142). Der Stoβ­truppführer versteckt sich in einem "Fuchsloch" (53). Ein Sterben­der "dehnte sich fast wohlig wie eine Katze" (158). Nach ver­schiedenen Kriterien in­sze­niert Jünger Sol­da­ten als Hunde, Schweine, Maulwürfe, Igel, Hüh­ner, Robben, Amphi­bien, Eidechsen, Schlan­gen oder Amei­sen. Mitunter vermerkt er auch, welche Eigen­schaften von denen eines Tieres fehlen: "[I]ch bin keine Eule, die ihren Weg im Dunkeln findet!" (114) Die Tier­werdung wird dadurch deutlich, dass sich Hände in Krallen verwandeln. Menschen aktivie­ren ihre "niederen Instinkte[]" (71). Bisweilen müssen sie wie Pferde "gezügelt" (174) werden. Beim Antreten zum An­griff fühlen sich die Kämpfer, wie "[w]enn ein Tier der Wildnis aus seiner Höh­le hervorgezerrt wird" (143). Wie Insekten agieren sie in Schwär­men. Wie Vögel flattern sie auseinander, oder sie rich­ten sich ein in Nestern. Sie kämpfen, bis sie "wie ein erschöpftes Tier zusammen­br[e]ch[en]" (102). Ver­wun­de­te geben ein "Geheul" (15) von sich, "als ob sie am Spieβ stäken" (86). Tote ver­wan­deln sich, ver­we­send, in Fische. Und auch der Krieg selbst ist ein Tier: Er zeigt seine "Kral­len" (2). Die Kanonen, ihre Granaten und deren Einschläge ver­halten sich wie Wölfe: Sie heulen, fauchen, bellen, brüllen und ver­schlin­gen. Mitunter erkennt man sie an ihrem vogel­haft flatternden Ge­räusch. Oder sie wühlen sich maulwurfsgleich in den Boden. Ge­wehr­feuer erzeugt den insekten­haften Ein­druck eines Bienen­schwarms. Hand­granaten sehen aus wie Eier. Gräben und Wege nehmen die Form von Schlangen an. Tanks bewegen sich "gleich un­behol­fe­nen Riesenkäfern" (165). Flug­zeuge, die un­heil­voll über ihm kreisen, er­lebt der Infan­terist als Aasgeier, während er eigene Ma­schinen als Flamingos wahr­nimmt. Das Surren der Motoren erinnert ihn an Moskitos.

Zweites Feld: Praxis

Planeten, Wetter, See, Landschaft und Tierwelt liegen auβer­halb mensch­lichen Handelns. Eine zweite Reihe von Bild­lichkeiten bringt genau dies zur Sprache: ver­schie­dene Formen menschlicher Praxis.

(6) Jagd: Eine der frühesten Formen organisierten Handelns ist die Jagd. Jünger sieht den Kampf als Hetz- oder Treib­jagd, in der sich die Rollen von Jäger und Wild ver­tauschen. Einzelne Aspekte lassen sich als Lauer, Pirsch oder Fallenstellen inszenie­ren. Menschen "sprangen wie die Hasen hin und her" (100); wenn sie getroffen wur­den, "schlugen [sie] Rad wie getroffene Hasen" (179). "Mit der gesteigerten Freude ei­nes Weidmannes sah ich, daβ wir einen gewaltigen Fang gemacht hatten" (129). – Er selbst, erzählt Jünger, "jagte" Plünderer fort (142). Immer wieder gebraucht er das Basis­wort "jagen" auch im Hinblick auf Geschütze und Geschosse: Von berittenen Bat­te­rien schreibt er, dass sie "vorjagten" (126). "[Es] jagte eine Explosion die andere" (97).

(7) Viehzucht: Aus dem Bereich der Viehzucht leiten sich drei Vor­stellungen ab: die von der willenlosen Herde, aus der sich der tapfere Ein­zelne abhebt; des Weiteren die, dass feindliches Feuer die Truppen wie Vieh (zurück-)treibt; und schlieβ­lich die, dass Soldaten, massenhaft geschlachtet werden.

(8) Ackerbau: Diverse Sprachbilder machen den Krieg zu einem land­wirt­schaft­lichen Vorgang. Zunächst wird das Kampfgebiet, wie gesehen, von einer natür­lichen Landschaft zu einem bearbeiteten Feld. Die Armeen bewirtschaften es, in­dem sie An­hebungen beseitigen, mit ihren Ge­schos­sen furchen, pflügen, umwühlen, um­wälzen und wie mit der Hacke bearbeiten. Dann pflanzen und säen sie. Als Gegenstand dieser Land­wirtschaft werden die Soldaten phantasiert: Sobald sie in Blüte stehen, werden sie geerntet, nieder­gemäht. Ihre Körper gehen wie Dünger in den Kreislauf der Materie ein. Bei Kriegsende kommt beides zusammen, die Aus­saat des Kampfes und die Früchte des Sieges. Zunächst hat man sich Gewehrkugeln als "Bleikerne" (85) vor­zu­stel­len, später werden Hand­granaten als "zitronen­förmig[]" (110) beschrieben. Am Ende kann Jünger trotz der Niederlage seine "Früchte des Sieges" (153) ernten, als man ihm im Lazarett "Zitro­nen­limonade" serviert (181) und den Orden "Pour le Mérite" verleiht (181).

(9) Handwerk: "Der Krieg ist der Handwerke härtestes", die Soldaten sind "seine Meister" (71). Sie bearbeiten einander mit Hammer und Amboss, mit Zange und Schrauben; sie stanzen, hobeln, bohren. Von Militärärzten heiβt es, sie "walteten [ ] ihres blutigen Hand­werkes." (64) Ne­ben dem Schlosser- und dem Tischlerberuf werden zwei Gewerbe benannt: der Müller und der Uhrmacher. Der Krieg selbst wird zu einer Mühle, in der Menschen und Dinge zermahlen wer­den. In beschossenen Unter­ständen leiden Soldaten unter dem "Uhrwerk fallender Tropfen" (VI). Allmählich werden sie stumpf wie abgenutzte Werkzeuge.

(10) Bergbau: Der Stellungskrieg ist insofern mit dem Bergbau ver­gleichbar, als Gräben und Bunker wie Stollen erscheinen und die Soldaten, die sie graben, wie Bergarbeiter. In ihren metertief in die Erde getriebenen Schutzlöchern verbringen sie ihr "Leben kümmerlich unter Tage" (V).

(11) Industrie: Indem er die Bilder ökonomischen Handelns techni­siert und modernisiert, gestaltet Jünger den Krieg als industrielle Produktion. Diese Bildlichkeit funktioniert auf zwei Ebenen: Im Groβen gesehen, ist das Schlachtfeld eine Fabrik: eine Art Meta-Maschine, ein gigantischer Betrieb, ein Ge­trie­be, in dem unzählige Hebel wirk­sam werden und ein Rädchen ins an­de­re greift. Innerhalb dieser Fabrik sind diverse Instrumente, Mecha­nis­men und Prozesse am Werk: Maschinen, Apparate, Techni­ken, Material und Energie. Aber was ist das für eine Fabrik? Was produziert sie? Das einzige kon­kre­te Motiv, das sich herausbildet, ist das eines Eisenwerkes, in dem aus dem Rohstoff Platten hergestellt werden: ein Walzwerk. Diese Metapher wird stark profiliert und auf diverse Aspekte angewandt: auf Panzer, Geschosse, Gas – und Truppen. Die Soldaten sind dabei nicht nur die Fabrikarbeiter, sondern auch der Roh­stoff, der ein­ge­schmolzen, mit Stahl bearbeitet und zu einem Produkt geformt wird. (Immer wieder werden sie "ver­laden", "ab­transportiert" und wieder "ausgeladen".)

(12) Arbeit: Mit dem Be­griff "Arbeit" belegt Jünger die Tätigkeit im Schützen­gra­ben oder im Hinter­land, konkret das Ausheben von Befestigun­gen, das Vor­dringen zu den feind­lichen Linien, das Schieβen und Töten – und das Ber­gen von Leichen aus Trümmern und Schlamm. Das Motiv wird allerdings nicht auf handwerkliche oder in­dustriel­le Tätigkeiten beschränkt, sondern auf behördliche oder frei­beruf­liche er­wei­tert. Der Krieg wird zu einer Be­rufs­tätig­keit, in der Beamte und An­gestellte ihre Spezial­­gebiete haben und nach langen "Arbeits­zeiten" ih­ren Feierabend genieβen. (Der Begriff ist auch auf die Gegner ange­wandt, jedoch nur im engeren Sinn der Schanzarbeit.)

(13) Ökonomie: Auch in der Handels- und Fi­nan­zökonomie ist der Krieg als Phä­nomen des Kapi­ta­lismus zu verstehen. Jünger ver­wendet eine weite Palet­te wirt­schaft­licher Begriffe, um einzelne Aspekte zu illustrieren: Geschäft, Geld, Kosten, Preis, Spa­ren, Etat, Taxe, Zoll, Export, Tausch, Vertrag, Verkauf und Quittung.

Drittes Feld: Kultur

Der Krieg wird kultura­lisiert. Er wird kollektiven Modellen des Welt­ver­ständ­nisses ein­ge­gliedert und in der Form entsprechender kultureller Praktiken insze­niert.

(14) Religion: Jünger stellt das Geschehen in über­natürliche, meta­physische Zusam­men­hänge. Der Krieg ist heilig. Sein Erlebnis ent­spricht einer religiösen Erfah­rung, sein Ablauf einer sakralen Zeremonie. Das Schlachtfeld wird zu einem Wall­fahrts­ort, zu dem man pilgert, um voller "Ehrfurcht" (1) "den Segen über sich ergehen zu lassen" (156), eine "Prophe­zeiung" (163) entgegenzunehmen, an einem Gottesdienst teil­zu­neh­men oder ein Eremitendasein zu führen. Die zentralen (christlich) theolo­gi­schen Kate­go­rien, die Jünger einsetzt, sind Hölle und Teufel, Wunder, Engel und das "Jenseits". Da es keine ernsthaften Referenzen auf einen ‚Gott' gibt, die über das Niveau von Redensarten hinausgingen, ver­bleibt dies im Metaphori­schen.

(15) Ritual: Die einem religiösen Weltbild entsprechende Handlung ist das Ritual. Der Krieg wird zu einer kultischen Veranstaltung. Wenn er ein Opferritus ist, dann sind die Soldaten die Geopferten, und die Offiziere fungieren als Opferpriester.

(16) Fest: Eine vom religiösen Kult sich ablösende Form ist das Fest: Als "blutiges Fest" (178) bewahrt es das Tödliche des Ritus, als "Fastnacht der Hölle" (52) die christliche Dimension. Als Orgie erhält es antike, sinnliche und sexuelle Konnotate.

(17) Theater: Jünger fasst den Krieg als "Schauspiel", als "Spek­ta­kel". Genauer definiert er dieses, generisch, als "Drama" (25) oder als Tragödie mit Akten, Szenen, Zwischenspiel, Kulissen und Vor­hang. Eine beson­dere Rolle spielt die Maske: als Maske des Krieges, maskenhafte Gesichter, Totenmaske – oder auch Gasmaske. In einer selbst­reflexiven Passage stellt Jünger sein Verfahren der Theatrali­sierung in Frage: "Heute schmeckt es mir etwas nach Theater" (101).

(18) Musik: Jünger beschreibt die Geräusche der Schlacht – ein­schlieβlich der Laute, die Soldaten von sich geben, als eine Musik, die in verschiedenen Tonarten, Tönen, Klängen und Gesängen zu hören ist, mit Melodie, Takt, Refrain und Ouvertüre, dirigiert von den Kommandeuren der Artillerie. Vier Instrumente treten einzeln hevror: Pfeifen, Trommeln, Glocken – und eine Leier.

(19) Tanz: Wenn Armeen für Musik sorgen, wird das Schlachtfeld zur Tanz­fläche: zum "Tanzplatz des Todes" (166). Als die Beschieβung an­fing, schreibt Jünger, "begann [ ] der Tanz" (39). Im Krieg scheint alles zu tanzen: Beschuss, Feuer, Splitter, Erde, panische Men­schen, Tote, Kompass­nadeln und Gegenstände in der erhitzten Luft.

(20) Literatur: Neben dem theatrali­schen Genre des Dramas bzw. der Tragödie und ästhetischen Kategorien, die auch in der Literatur eine Rolle spielen, wie zum Beispiel das Groteske, wird auch das genuin Literarische, nämlich das Prosaische des Krieges markiert. Einzelne Prosa-Gattungen erhalten eine besondere Funktion: die Fabel, das Märchen, die Schauergeschichte, die Abenteuer-Erzählung und der Wild­west-Roman. Die Handlung des Krieges tendiert ins Fabel- oder Märchenhafte. Die Ästhetik der Gothic Novel wird besonders intensi­viert: Das Geschehen ist gespenstisch, unheimlich, "geheimnis­voll", phantastisch, ein Phantom, ein Spuk voller "Schatten­gestalten". Das Abenteuer und das Motiv der Schatzsuche werden mehrfach ange­sprochen. Auch der Wilde Westen, dessen literarische Rezeption über Karl May (36) eingespielt wird, eignet sich als Deutungsmuster: Der "Wildwest" (25) ist ein Raum, in dem das Recht des Stärkeren gilt, in dem Freund und Feind als "Cowboy" (162) und "Indianer[]" (6) in sprichwörtlicher Gegnerschaft aufeinander tref­fen. (Figu­ren wie "[B]iwak[]" (57) und "[M]arte[r]" (143) fügen sich in dieses Bezugssystem.)

(21) Bildende Kunst: Jünger verwendet Kategorien der Ästhetik, um die "Künst­ler­augen" (169) eines Grabenkämpfers auf die Stellung der Feinde zu bezeich­nen, das "genia­le[]" (69) Zerstörungstalent und die "genial kon­struierten Höllen­maschi­nen" (72) – oder auch den "groteske[n]" (135) Anblick der Verheerung. Neben den an­de­ren Künsten (Theater, Musik, Tanz, Literatur) ist auch die Bildende Kunst meta­pho­risch ausgeprägt. Das Motiv der Bild­hauerei bezieht sich auf die Soldaten, die bereits in der Ausbildung wie eine Skulptur "nach allen Regeln der Kunst zum militärischen Menschen geschliffen" (8) oder spätestens im Krieg in eine Plastik gegossen wer­den. Der Mensch kann aber auch dadurch zur Statue werden, dass er im Angesicht des Grauens wie durch den Blick der Gorgo "versteinert[]" (124). Die Munition wiederum nimmt den Charakter von Kunst­gegenständen an: "Die überall verstreuten Geschosse und Granatsplitter waren von einer schönen, grünen Patina überzogen." (43)

(22) Malerei: Der Krieg erscheint als Gegenstand ästhetischer Erfahrung. Im privilegierten Modus optischer Wahr­nehmung lässt er sich wie ein Gemälde betrachten. "Die Landschaft war malerisch verziert durch die vielen [ ] Kriegsleute" (9). "Das Bild des Krieges war nüchtern, grau und rot seine Farben" (V). Immer wieder beschreibt Jünger das Geschehen als "Bild", dessen Ausschnitte ge­rahmt wirken.

(23) Architektur: Überall treten architektonische Elemente zutage: Die Effekte der Geschosse zeigen sich als Türme, Säulen, Sperren, Riegel, Ketten, Wände, Wöl­bungen, Bogen oder Brunnen. Aber auch die Haltung der Soldaten (als Pfeiler, Riegel oder Kette), das Aus­sehen der Stellungen (als Terrasse oder Hütte), die Natur des Schlacht­feldes (als Teppich) und der Eindruck des Schrecklichen werden in der gleichen Bildlichkeit dargestellt.

(24) Sport: Sportarten aus zwei Bereichen werden auf­gerufen: der Ballsport, demzufolge die Ge­schos­se und vor allem Hand­gra­naten die Rolle von Bällen ein­nehmen, und der Kampfsport: Ringen, Bo­xen und Fechten. Jünger beschwört einen "Sports­geist", dessen Ethos den Kampf reguliert.

(25) Spiel: Diverse Spiele dienen als Modelle des Verstehens: Strategiespiele wie Schach, Glücksspiele wie Karten­spiel, Würfeln oder Lotterie, Schieβspiele wie Kinderpistolen mit Platz­patro­nen, Sportschieβen auf Zielscheiben und Schieβbuden auf dem Rum­mel­platz. Eine weitere Grup­pe bilden Schnee­ballwerfen, Rasseln, Kegel und andere Kinderspiele und Spiel­zeuge. Im Hinblick auf eine Offensive, an der er teil­nahm, sagt Jünger, dass im Rückblick selbst "die gröβten der überstandenen Schlach­ten dagegen ein Kinderspiel schienen" (143). Demgemäβ erfahren sich Solda­ten bis­weilen als Minder­jährige: in der Schlacht fühlen sie sich wie ein Kind, das sich verlaufen hat; in der Trauer um getötete Kameraden weinen sie wie Kinder; und im Tod nehmen sie das Aussehen von Kindern an.

(26) Schule: Die Idee der Schule durchzieht den Text leit­motivisch: Der erste Kriegsmonat war "eine gute Schule" (7). Die Straβe ei­nes Or­tes, in der Offi­ziere unter­gebracht sind, "nahm [ ] das Aus­se­hen ei­nes Studenten­viertels an" (91). Kamp­fes­eifer wirkt wie pen­nä­ler­hafte "Rauflust" (131). Wie einem aufsässigen Primaner hat Jünger ei­nem Geg­ner die Leviten gelesen, "den frechen Posten durch Hand­granaten ge­züch­tigt" (88). "Im Kriege lernt man gründlich, aber das Lehrgeld ist teuer." (142)

(27) Ziviles Leben: Elemente bürgerlicher Alltagskultur sind über den Text verstreut: Das Kriegsgebiet wird zu einem Jahrmarkt, er­stürm­te Unterstände zu einem Trödelladen und besetzte Dörfer zu Irrenhäusern. Der Krieg hat dem Gelände seinen "Stempel aufgedrückt" (28). Ein Unter­stand "tropfte" "wie eine Gieβkanne" (28) – oder er wird "wie eine Streich­holz­schachtel zermalmt" (69). Kampfhandlungen erinnern an Fe­gen und Wischen, Kämmen und Rasieren, Besuch und Empfang. Einen Offi­zier be­zeichnet Jünger als "unbehagliche[n] Nachbar[n]" (30). Splitter nehmen die Form von Nadeln an. Eine verkohlte Uniform sieht aus wie ein Frack. Drastisch beschreibt Jünger die Körper der Verwundeten und To­ten in Meta­phern von Haushaltsutensilien: "Dem einen war der Kopf ab­ge­schlagen[,] und der Hals saβ am Rumpf wie ein groβer, blutiger Schwamm." (76) "Ein anderer, dem ein dreieckiger Lappen vom Hinter­schä­del herabhing, stieβ fortwährend schrille, er­schütternde Schreie aus." (15)

Viertes Feld: Personifizierung

Über Anthropomorphismen erhält der Krieg men­schen­ähnliche Züge.

(28) Person: Krieg und Tod erscheinen als Figuren, als Allegorien: als finsteres Wesen, Dämon, Moloch oder Mon­ster, das erwartungsvoll zwischen den Armeen steht, um die Menschen in seine Arme laufen zu lassen, das mahnende Rufe ausstöβt oder düster murrt, das einen Schat­ten wirft, seine Fratze zeigt und sich grinsend über das Sterben freut. Sie treten in Erscheinung als Reiter, Jäger oder Unhold (mit Keule). Das Ungeheuer ist nicht nur ab­strakt al­le­gorisiert, sondern auch konkret bildlich vorstellbar: mit Krallen, als feuer­speiender Drache, der auf der Lauer liegt, um sich seine Opfer zu grei­fen, seinen Atem herüber wehen lässt und die Menschen verschlingt. So­bald die Vorstellung eines überdimensionalen mythischen Unholds installiert ist, werden die Effekte der Schlacht inszenierbar als deren Hieb, Streich, Schlagen, Schmettern, Stampfen, Stap­fen, Packen, Stoβen, Hacken oder Blasen. Analog wird der Krieg begreiflich als Kampf zweier Personen, zu denen zusammengefügt die beiden Armeen sich denken lassen: Die geg­nerische Seite wird als der Feind gefasst; und auch die deutsche Armee wird zu einer Person stilisiert, die "auf ständigem Kriegsfuβe" (66) ist und ihre Hand bzw. Faust zum Einsatz bringt. Einzelne Einheiten oder Trupps werden als Kollektiv­körper imaginiert, denen beispielsweise "der Mund durch einige Dutzend Schrapnells gestopft" wird (163). Selbst konkrete De­tails werden personifiziert: Panzer erscheinen als "Kolosse" (165). Granaten und Geschosse blinzeln, gurgeln, spucken, toben, werfen, greifen, fassen, erschlagen. Sogar das Gelände wird anthropo­morph be­schrieben, wenn Kies­gruben und Unterstände gähnen. Alles ringsum nimmt mon­ströse Züge an. "Ihre Tage verbrachten sie in den Eingeweiden der Erde" (VI).

(29) Essen: Der Krieg ist ein Vorgang der Ernährung, ein giganti­sches Gelage: Fressen und Gefressen­werden. Die Solda­ten haben "Blut­durst". Sie fressen sich vor und kosten das Schreckliche. Dabei werden sie selbst zu einer Art Nahrung: Sie liegen auf einem Teller (auch die Stahl­hel­me der Gegner erinnern an Teller) und werden ver­schlun­gen. Wie in ei­nem Ofen oder brodelnden Kessel wird Unheil­volles zubereitet.

(30) Sexualität: Jüngers Kriegserfahrung hat eine sexuelle Struk­tur. Durch die Mobilisierung und seine erste Kampf­erfahrung wird ihm gewissermaβen die Unschuld genommen. Eine Offen­sive oder ein Stoβtrupp­unternehmen haben die Drama­turgie eines Geschlechts­aktes: von leiden­schaftlicher Erwar­tung über Vorspiel, Vorstoβ und Eindringen in die feind­lichen Stellungen bis zum Ab­klingen der Erregung nach dem Ende der Kampf­hand­lun­gen. Die Sequenz der Schlacht als Sexualakt beschreibt Jünger in den Begriffen Wollust, Lust, "Stellung", "Höhepunkt" und Befriedi­gung. Sein "erste[s] Mal" hat für den 19-Jährigen eine besondere Bedeu­tung. Nach einem Tag der Ruhe fühlt er sich "[w]ie neu­geboren" (17). Der Krieg wird zu einer erotischen Erfahrung, das Schlachtfeld zu einem Ort sexueller Begegnung: zu einem "Rendez-vous-Platz der Kampf­truppen" (73). Ver­wundungen sind (mit kitschiger Phantasie) als Pfeile Amors lesbar – oder auch als Penetrationen. "Die Bluse herunter­reiβend, sah ich, daβ ich einen Schuβ quer über dem Herzen bekommen hatte." (159) Ein Gefreiter [sic!] namens Hengstmann [sic!] wird zu Jüngers Retter, indem er ihn in seine Arme nimmt und wie der Ritter seine damsel in distress zu den eigenen Reihen trägt, wobei er selbst von einem Schuss getroffen wird: "Hengstmann sank ganz sanft unter mir zusammen." (180) Eine weitere Textur provoziert eine homoerotische Deu­tung des Ver­hal­tens zu den ei­ge­nen Leuten: Das Miteinander der Kameraden ist nicht nur als "[u]nser Verkehr" (8), sondern auch als partner­schaft­liches Zusam­men­leben lesbar: "Wir [ ] führten gemein­same Wirt­schaft." (8) Dabei kommt es zu intimen Annäherungen: "Ich schmiegte mich unwillkürlich an einen Mann, der neben mir auf der Pritsche lag." (93) Als sie eine andere Einheit in deren Unterkunft stören, kommen diese "im Negligé herbeigeeilt[]" (79). Explizite Sexualität findet jedoch nicht statt, "die Erotik fand keinen Raum" (18). Für die Gespräche der Soldaten gilt ersatzweise um so mehr: "die Erotik spielte eine Hauptrolle" (136). Leibhaftige Frauen spielen dagegen kaum eine – allerhöchstens als Kranken­schwestern. Und gerade dann lösen sie bei dem un­erfahrenen Front­soldaten eine Beunruhigung aus, über die Klaus Theweleit einiges zu sagen hätte: "Trotzdem ich das Gegenteil eines Weiberfeindes bin, irritierte mich jedesmal das weibliche Wesen, wenn mich das Schicksal der Schlacht in das Bett eines Kranken­saales geworfen hatte. Aus dem männlichen, zielbewussten und zweckmäβigen Handeln des Krieges tauchte man in eine Atmosphäre undefinierbarer Ausstrahlungen. Eine wohl­tuende Ausnahme bildete die abgeklärte Sachlichkeit der katholischen Ordens­schwestern." (181)

(31) Gespräch: Der Krieg scheint den Regeln der Kommunikation zu folgen, wie ein Gespräch. Die Kanonen sprechen und treten in einen Dia­log, in dessen Verlauf gesendet und erwidert wird. Eine Be­schieβung ist als Gruβ zu verstehen. "Manchmal schwieg das Artillerie­feuer" (167).

(32) Cyborg:In Stahlgewittern entwirft eine militärische Anthropologie. "Die menschliche Natur" (103) ist vom Krieg gezeichnet. Der einzelne Sol­dat ebenso wie die Einheiten werden als technoide Orga­nis­men, als Cyborgs imagi­niert. Rückgrat, Kno­chen und Fäuste sind nicht bio­­logisch, sondern aus Eisen. Menschen funktionie­ren wie Auto­maten, Maschinen. Die Schlacht vollzieht sich zwischen teils or­ga­nischen, teils technischen Figuren, "zwischen zwei ehernen Kräften" (167).

Insgesamt ergibt sich folgende Textur metaphorischer Felder und Codes:

NATUR

(1) Kosmos

(2) Wetter

(3) See

(4) Land

(5) Tiere

PRAXIS

(6) Jagd

(7) Viehzucht

(8) Ackerbau

(9) Handwerk

(10) Bergbau

(11) Industrie

(12) Arbeit

(13) Ökonomie

KULTUR

(14) Religion

(15) Ritual

(16) Fest

(17) Theater

(18) Musik

(19) Tanz

(20) Literatur

(21) Bildende Kunst

(22) Malerei

(23) Architektur

(24) Sport

(25) Spiel

(26) Schule

(27) Ziviles Leben

PERSON

(28) Subjekt

(29) Essen

(30) Sex

(31) Gespräch

(32) Cyborg

2. Semantik

In Stahlgewittern lässt sich in (mindestens) 32 metaphorische Codes zer­le­gen. Die Verbildlichungen sind als ein­ander ablösende, ergänzende und va­ri­ierende Inter­pre­ta­mente zu ver­stehen. Was bedeu­ten diese jedes für sich?

Als astronomisches, meteorologisches, nautisches oder geologisches Phä­nomen scheint der Krieg den Naturgesetzen zu folgen und sich mensch­li­chem Einfluss zu entziehen. Er kommt den Betroffenen vor wie ein Ausbruch der Elemente. Als Natur­ereignis wäre er unausweich­lich. Und er wäre nicht mit menschlichen Maβstäben be­wertbar. Ist diese Naturali­sie­rung als ideo­logisches Verfahren zu kritisie­ren (Kaempfer 1981: 68f.)? Soll der Vorgang als natur­gegeben gerechtfertigt und die Verant­wor­tung delegiert werden? Ist Krieg natürlich (Vgl. Poncet 1996)? Äuβert sich in der Metapher der Flut eine zeit­typische reaktionäre Furcht vor der Auf­lösung hierarchischer Ord­nun­gen (Vgl. Theweleit [1977] 1995)? Oder wäre "[d]ie ‚Naturalisie­rung' des Krieges [ ] nicht vor­schnell kri­tisch [ ] als Ide­ologisierung abzutun", da sie immerhin ein Mo­dell bildet, Distanz schafft und das "erkennende[] Subjekt" gegen den Gegen­stand positioniert (Knebel 1991: 392)?

Auch in der Tierwelt verbleibt der Krieg in einem nicht moralisch sanktio­nier­ba­ren Bereich. In animali­schen Akteuren wird er aber zumindest personalisiert und inso­fern in eine symbolisch deutbare Ana­lo­gie zu menschlichem Verhalten gebracht. Die Interpretation dieser Analogie ist ambi­va­lent: Obwohl er den Begriff der Fabel selbst einnspielt, hat Jüngers Text kein fabula docet zu bieten. Einerseits ist der Kampf im Tier­reich mit den Darwin­schen Prinzipien des struggle for life und survival of the fittest asso­zi­iert. Jüngers zoologi­scher Blick wäre in diesem Sinne sozial­darwinistisch zu verstehen. Aller­dings ist die Tierbildlichkeit weder rassistisch codiert, so dass edle Tiere gegen niedere kämpfen würden, noch aristokratisch, weil die Stoβ­trupp­kämpfer zwar als "Tiger" des Grabens erscheinen, jedoch im nächsten Atemzug als Ameisen be­schrie­ben werden, die vor einer Granate flie­hen, oder als Maulwürfe, die sich in der Erde vergraben. Überdies ist die Ver­tie­rung, die der Krieg mit sich bringt, das Animali­sche, das er im Menschen hervorruft, durchaus kritisch lesbar: als ‚Antikriegs'-Meta­phorik.

Als Jagd, Tierzucht und Ackerbau wird der Krieg in die Sphäre des mensch­lichen Handelns integriert. Jagd und Tierzucht befinden sich zwi­schen der zoologisch-natürlichen und der menschlich-technischen Welt. Beide implizieren Gewalt: Der Mensch tötet das Tier bei der Jagd oder durch Schlachtung. Insofern auch in diesen Bildern der Mensch als Tier fungieren kan, als gejagtes oder wie Vieh gehaltenes und geschlachtetes, setzt sich jener Aspekt der tierweltlichen Bildlichkeit hier fort.6 6 Rolf Schroers sieht die Motive der Jagd und des Fallenstellens (ebenso wie die der Reise und des Spiegels) im Kontext der in späteren Schriften entwickelten ‚stereo­skopischen' Suche nach einem tiefe­ren Sinn hinter den Erscheinungen (Schroers 1965: 220-224). Als Landwirtschaft dagegen wird der Krieg zu einem an sich friedlichen Vorgang. Er ist organisiert, produktiv und damit positiv konnotiert. Alle drei Bereiche, Jagd, Viehzucht und Ackerbau, impli­zie­ren jedoch, kultur­anthro­pologisch gesehen, jeweils einen Um­gang mit Aggression und Ge­walt: Das Aggressions­potential, das der Jagdverband auf das Tier lenkt, kann der Tierzüchter bei ritueller Schlachtung, im Opfer, ka­na­lisieren (Vgl. Burkert [1972] 1997). Eine Ackerbau-Gesellschaft ist darauf angewiesen, Ersatz­hand­lungen in Form symboli­scher Riten zu ent­wickeln, die ohne Blut­ver­gieβen eine vergleich­bare Ventilation er­mög­lichen und entspre­chen­de den Zusammen­halts stärken. Gelingt dies nicht, läuft sie Ge­fahr, einen un­kontrollierten Gewalt­ausbruch zu erleben: einen Krieg (Vgl. Girard 1972).

Der Soldat als Techni­ker7 7 Zur Typologie von ‚Soldat', ‚Arbeiter', ‚Tyrann', ‚Ästhet' und ‚Anarch' in Jüngers Gesamtwerk vergleiche Merlio 1995, vor allem 419 ff., und Merlio 1996. und der Krieg als Arbeit (Vgl. Nett/Klug 1981) sind Erschei­nungs­formen der Moderne. An ihnen wird das Leben in einer techni­schen Welt zum Thema. Jüngers Modernität ist einerseits destruktiv, sofern sie das Alte zerstört, andererseits schafft sie etwas Neues und kann bejaht werden. Aus dieser zynischen Perspektive erscheinen Tod und Leid als notwendige Opfer des Fortschritts­prozesses. In Der Arbeiter (1932)8 8 Ernst Jünger, Der Arbeiter [1932], Sämtliche Werke 8, S. 9-317. setz­te Ernst Jünger diese Verbildlichung fort, indem er den "Arbeiter" para­digmatisch mit sozial-utopi­scher Bedeutung auflud. Hier wird nicht mehr der Soldat zum Arbeiter stilisiert, sondern er wird umgekehrt als eine mögliche Erscheinungsform dieses allge­meinen "Typus" abgeleitet. Das Motiv der Arbeit wird totalitär. Vor dieser Ausweitung jedoch bedeutet die Professionalisierung des Soldatenberufs als Job gegen­über dem nationalstaatlichen Volksheer eine Milderung des tendenziell totalitären Nationalismus.

Jünger nimmt keine wertende Unterscheidung zwischen verschiede­nen Formen des Wirtschaftens vor, nach denen etwa Landwirtschaft, Berg­bau und Industrie positiv (schöpferisch) wären, während der Handel und vor allem das Finanzwesen als negativ (nicht schöpferisch) abgewertet würden – wie dies im antisemitischen Diskurs der Fall war (Vgl. Adorno/Horkheimer [1944] 1988). Der Krieg steht selbst­ver­ständlich in einem realen Zusammenhang mit der Wirtschaft der kriegführenden Länder. Durch seine Bild­lichkeit verweist Jünger auf einen tatsächlichen Zusammen­hang. Später wird er den Krieg im Konzept der "Totalen Mobil­machung" zum Paradigma einer totalisierten Gesell­schafts­form aus­deu­ten.9 9 Ernst Jünger, Die totale Mobilmachung [1931], Sämtliche Werke 7, S. 121-141. Auf der anderen Seite macht er seinen öko­nomi­schen Aspekt sicht­bar. Kapitalismus ist letztlich ein kriegerisches Handeln; der Krieg die Fort­setzung der Wirtschaft mit an­deren Mitteln. In diesem Sinne befindet sich Jüngers Deu­tung im Einklang mit der Kriegs- und Imperialis­mus­theorie von Marx und Engels bzw. Lenin.

Indem man seinen metaphysischen Charakter behauptet, wird der Krieg mensch­licher Verantwortung erneut entzo­gen. Die Mög­lich­keit seiner rationalen Interpretation ist in Zweifel gestellt. Wenn er gottgewollt ist, erscheint er ebenso unausweichlich wie als Naturereignis. Er besitzt einen tieferen Sinn. Allerdings kann auch dieser Gestus als verständliche Reaktion des Front­soldaten nachvollzogen werden: Hermann Knebel sieht die "konnotative Verbindung mit meta­physischen Konzepten" als den Versuch an, "die Minimalisierung des Subjekts durch die industrielle Maximierung der technischen Kriegs­wirkungen" auf­zuheben (Knebel 1991: 392).

Das rituelle Opfer ist kollektive Gewalt. Gegenüber dem Mord, dem Pogrom oder dem Überfall handelt es sich jedoch um eine sakral legitimierte, kanalisierte und der Gemeinschaft dienliche Gewalt, die als Ausgangspunkt kultu­reller Entwicklung verstanden werden kann (Vgl. Burkert [1966] 1991; Lorenz [1963] 1983). Indem er sich der Opfer-Metapher be­dient, unterstellt Jünger eine komplexe Sinnhaftigkeit, eine psychische, soziale und zivilisatorische Zweck­mäβigkeit, die dem Krieg in der Realität kaum zukommt. Aber er postuliert immerhin eine Einfügung in Konventionen. Ein Opfer ist kein gewöhnlicher Mord.

Als Fest dagegen wäre der Krieg etwas Angenehmes. Wie das Opfer liegt er auβer­halb der Alltags­wirklichkeit, in einem symbolisch demarkierten Sonder­bereich. Als künstlerische Performanz wird er zu einer uneigentlichen Hand­lung – auch wenn das Theater in seinem Beginn die Erinnerung an den Opferritus bewahrt haben mag. Sie ermög­licht es dem Betrachter, sich auβerhalb der Handlung, nicht auf der Bühne, sondern im "Foyer des Todes" zu verorten (Krull 1995: 30f.). Das Motiv von der Welt als Theater, wie es in mittelalterlichen Mysterienspielen, bei Shakespeare ("All the world's a stage "[Shakespeare [ca. 1599] 1975: II.vii.139]) oder in Calderóns El gran teatro del mundo (Calderón de la Barca [1649] 1987) auftaucht, fügte sich zu einer komplexen Alle­gorie: Wenn die Welt eine Bühne und das Le­ben auf ihr ein Schauspiel ist, dann kommt ‚Gott' die Funktion des Autors, des Regisseurs und des Kritikers zu, der nach dem Tod, wenn der Vor­hang gefallen ist, beurteilt, wie gut die Menschen ihre Rollen gespielt haben, wie konform sie sich zur religiösen Textvorlage verhalten haben, und der ih­nen danach ihre Position auβerhalb des Theaters, im eigentlichen, ‚ewi­gen' Leben zuweist. Ein ver­gleichbar über­geordneter Sinn ist bei Jünger nicht zu erken­nen.

Musi­kalität suggeriert Harmlosigkeit und perfekte Planbarkeit. Jüngers Tanz-Metapher las Harro Segeberg vor dem Hintergrund von Kleists Essay Über das Mario­net­ten-Theater als Umschlagen von Disziplin und Technik in Immaterialität und Grazie: als Perfektion des mecha­ni­sierten Menschen (Segeberg 1991: 356 f.).

Indem Jünger seinem Text durch zahlreiche Zitate eine zu­sätz­liche Ebene ver­leiht, kennzeichnet er ihn nicht nur als Kriegsliteratur, sondern als moderne Lite­ra­tur, insofern diese sich durch gesteigerte Selbstreferentialität und Selbst­reflexion aus­zeichnet. Indem er den Konstrukt­charakter seiner Schrift markiert, wirkt er nicht nur einer ästhetischen, sondern auch einer politi­schen Ideo­logie entgegen, die er in anderer Hinsicht zu befördern scheint. Selbst­refe­rentialität ist tendenziell anti-autoritär.

Die Vorstellung vom Soldaten als Skulptur nimmt sowohl das monu­mentale Heldengedenken wie andererseits auch, indem das dar­zustellende Objekt als grauenvoll beschrieben wird, die Erinnerungs­kultur der Antikriegs-Denkmäler vorweg: Arno Breker und Käthe Kollwitz zugleich. Das Provozierende der Malerei-Motivik liegt darin, dass Jünger die unbeteiligte Position des distanzierten Betrachters reklamiert, deren Interesse­losigkeit dem Grauen Hohn zu spre­chen scheint. In der Erzählliteratur der Moderne werden katastrophi­sche Kriegsbilder indes regelmäβig als apo­kalyptische Diagno­sen ekphra­stisch, in Form Gewalt darstellender Gemälde, reprä­sen­tiert (Vgl. Buch 2002). Gerade die evidentia des Bildes erlaubt es, das Grauen wirksam mitzuteilen. Jüngers Bilder bleiben trotz aller Ästhetisierung Bilder des Schreckens.

Die Architektur ist das konstruktive Metier par excellence. Der Krieg ist das destruktive Ereignis schlechthin. Die Unangemessenheit dieser Meta­pho­rik ist offen­kun­dig. Allerdings hat sie einen diskursiven Index: Christoph Asen­dorf situiert die archi­tektonische Visua­lisie­rung von Geschoss­bahnen10 10 Asendorf bezieht sich auf eine Stelle in der siebenten Fassung (S. 166): "Unsere Lage war nun so, daβ wir unter der Feuerglocke saβen wie unter einem enggeflochtenen Korb." im Kontext avantgardi­stischer Vor­stel­lungen von De­sign, Urba­nistik, Anthropologie und Techno­logie, die im Motiv der Stromlinie, Pa­ra­bel oder Flugbahn mit dem Militärischen zusammenfielen.11 11 Asendorf 1993. Neben Ernst Jünger stehen u.a. Le Corbusier und Peter Behrens im Fokus der Untersuchung.

Als theatralisches, musikalisches, tänzerisches, bildnerisches literari­sches oder architektonisches Phänomen besitzt der Krieg einen ästheti­schen Wert.12 12 Zum ästhetizistischen Dandy-Motiv: Ernst Jünger, Sturm [1923], Sämtliche Werke 15, S. 11-74; vergleiche hierzu Plard 1968. Ernst Jünger wurde immer wieder mit dem Ästhetizis­mus und insbesondere mit Friedrich Nietzsche in Verbindung gebracht (Vgl. Kaempfer 1984; Ohana 1989). Walter Benjamin stellte im Nachwort zur dritten Fassung seines ‚Kunst­werk-Aufsatzes' zwei allgemeine Thesen auf, erstens: der Faschismus laufe "auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus"; und zweitens: "Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Die­ser eine Punkt ist der Krieg." (Benjamin [1936-1939] 1977: 506; Vgl. Hillach 1979). In einer Rezension kommt er direkt auf Ernst Jünger zu sprechen und unterstellt ihm genau dies: "eine hemmungslose Übertragung der Thesen des L'Art pour l'Art auf den Krieg."13 13 Benjamin [1930] 1991: 240. Benjamin kritisiert eine technologische Ver­schärfung des Idealismus und gebraucht dabei eine Bildlichkeit, die bei Jünger nicht vorkommt: "so weit man über den Grabenrand blicken konnte, war alles Umliegende zum Gelände des deutschen Idealismus selbst ge­wor­den, jeder Granattrichter ein Problem, jeder Drahtverhau eine Antinomie, jeder Stachel eine Definition, jede Ex­plo­sion eine Set­zung, und der Himmel darüber bei Tag die kosmische Innenseite des Stahlhelms, bei Nacht das sittliche Gesetz über dir. Mit Feuerbändern und Laufgräben hat die Technik die hero­ischen Züge im Antlitz des deutschen Idealismus nachziehen wollen. Sie hat geirrt." (Benjamin [1930] 1991: 247) Andererseits sind Jüngers Ver­fahren der Ästhetisierung, wie Karl Heinz Bohrer gezeigt hat, seine "Ästhetik des Schreckens", in der dem ‚Augen­blick' gesteigerter Wahrnehmungs­schärfe eine besondere Be­deu­tung zukommt, auch modernistisch und nicht affirmativ, sondern zeitdiagnostisch lesbar.14 14 Bohrer 1978, vor allem 138-403. Zur Kritik an Bohrers modernistischer Jünger-Interpretation: Hemmerich 1983.

Das Motiv des Sports impliziert, dass der Krieg harmlos sei, aber auch, dass er nach den Regeln der fairness ablaufe. Dieser Gedan­ke ist regulativ zu ver­stehen. Wenn der Krieg ein Sport ist und die Soldaten die Sportler, dann muss es ein Regelwerk geben: ein Kriegsrecht. Indem Jünger dies prinzipiell fordert und anhand eigener Erlebnisse demonstriert, hält er an einer völker­rechtlichen Regulierung fest. Er wider­spricht der nationalistischen Doktrin, dass dem Feind mit Hass zu begegnen, und der Ludendorffschen Theorie, dass der Krieg "total" zu führen sei.

Auch als Spiel wäre der Krieg etwas Harmloses und An­geneh­mes. Ulrich Prill sieht bei Jünger generell eine "ludische Ein­stellung" (Prill 2002: 33). Indem sich das Motiv des Spiels mit dem des Kindes verbindet, eröffnet sich indes wiederum eine kritische Bedeutung: Der Krieg ist wie die Handlung von Kindern: vor­rational, egoistisch, grausam. Ihn als Schule zu bezeichnen, wirkt einerseits verharmlosend. Andererseits spezifiziert Jünger nicht, was es denn sei, das der Soldat lerne. Er lernt nämlich unter Umständen gerade dies: dass der Krieg schrecklich und ver­brecherisch ist.

Eine solche Ambivalenz ist in den übrigen Metaphern aus dem zivilen Leben nicht angelegt. Josef Peter Stern hat die Grau­sam­keit von Jüngers "Embattled Style" als Manieris­mus kritisiert und das um­gekehrte Übergreifen einer militärischen Metaphorik auf zivile Bereiche in Der Arbeiter beschrie­ben: "a piece of prose is not a ‚military exercise', nor do ‚guns speak', except by way of a worn-out metaphor." (Stern 1978: 119, 225 [Fuβnoten]).

Als Person wird der Krieg zu einem Subjekt – und damit bewertbar. Da Jünger ihn monströs zeichnet, ist er kaum po­si­ti­v zu verstehen. Die Soldaten müssen ihm gegenüber eine Haltung einnehmen: Angst, Ekel, Ablehnung. Als Nahrungs­aufnahme ver­stan­den, wäre der Krieg auf mehrdeutige Weise not­wendig: Das Leben und das Sterben im Schützen­graben werden zu Etappen der Nahrungskette und des Kreislaufs der Mate­rie. Das ist als Verklärung, als Vulgärdarwinismus – aber auch als Zynismus lesbar.

Wenn der Kampf sexuell ist, dann ist er triebhaft, lustvoll und abermals not­wen­dig. Da sich diese Sexualität unter Männern abspielt, ist sie (implizit oder expli­zit) ho­mo­erotisch. Sie kann als Überwindung von Differenzen ver­stan­den werden (Vgl. Segeberg 1991: 347). Das ero­tische Verhältnis zum Feind läuft auf sado­masochistische Perversion hinaus – aber auch auf eine gewisse Gleichsetzung und Verbindung. Wenn der Krieg als Gespräch in­sze­­niert wird, als zivilisierte Form der Interaktion, dann ist dies so haar­sträubend, dass sich ein weiteres Mal die Frage stellt: Ist das provo­zie­rend naiv, verharmlosend und ideo­lo­gisch oder ironisch und sub­versiv zu verstehen? Desavouiert die Metaphori­sie­rung des Krie­ges durch dessen Antithese, kommunikatives Handeln, das eine oder das an­de­re?

Das Cyborg-Motiv ist nicht per se reaktionär. Matthew Biro unterschei­det pro­gressive und regressive Varianten aus der Wei­ma­rer Zeit (Biro 1994, vor allem 97-110). Jünger steht für die Befür­wor­tung einer Techno­lo­gie, die den Menschen autoritär verwan­delt; im Gegensatz zur kriti­schen Inszenie­rung bei Raoul Hausmann und zur ambivalenten und selbstrefle­xi­ven bei Fritz Lang. In Stahlgewittern verbindet das Mo­tiv mit einer Schärfung der Sinne, Die Totale Mo­bil­machung mit der techno­logischen Trans­formation der Welt und Der Arbeiter mit der Epi­phanie des neuen Menschen im kybernetischen Staat.15 15 Vergleiche auch Pekar 2000; zur Technisierung der Natur: Mottel 2000.

Indem Jünger den Krieg naturalisiert, pragmatisiert, kulturalisiert und perso­ni­fiziert, macht er ihn deutbar. Jede Metapher be­sitzt einen gemein­samen Nenner mit ihrem Objekt, ein tertium, das die Über­tragung ermög­licht. Durch ihre Unschärfen und Sinn­überschüsse erzeugt sie allerdings Bedeutungen, die proble­ma­tisch sind. Die meta­phorischen Interpretationen sind in ihrer ideo­lo­gischen Dimension zu befragen. Ihre Implikationen sind unterschiedlich: Verharmlosung und Entstellung, Fatalisierung und Verantwortung, Verherrlichung und Sub­ver­sion. Die Metaphern enthalten Ambi­valen­zen, ein zynisches, ironisches oder kritisches Potential.16 16 Hans Verboven hat, indem er die Metapher als Ideologie betrachtet und vor den "metapho­rischen Gefahren der Sprache" warnt, die These entfaltet, Jüngers "Sprache und Denken" seien von der "Struktur" ihrer Metaphern derart "geprägt", dass diese "in ihrer Gesamtheit [ ] eine in literarische Form gegossene Ideo­logie oder Philosophie des Krieges", "eine in der literarischen Sprache verkörperte Ideolo­gie", "eine Legitimation des Krieges und [ ] somit eine klare ethische (ideologische) Wahl" darstellten, die als in sich kohärent zu betrachten wäre; dass Jünger mithin "in seinen Metaphernmodellen gefan­gen" sei (Verboven 2003: 245-252). Im Unterschied zu diesem Ansatz soll hier der Vorschlag gemacht werden, den Wider­sprüchen innerhalb der Jüngerschen Meta­phorik nachzugehen. Jüngers Verfahren sind alles andere als eindeutig.17 17 Roger Woods sah Symptome psychischer und politischer Beunruhigung in Span­nungen zwischen euphorischer Erwartungs­haltung und Desillusion, fieberhafter Bedeu­tungs­suche und Sinn­losig­keit, soldatischem Gemein­schafts­gefühl und Isolation, rausch­haftem Kampf und Zwei­feln an dessen militäri­scher Führung: "One overlooked aspect of Jünger's portrayal of the First World War is the range of attitudes (often irreconcilable) which underly his thinking." (Woods 1990: 80)

Es besteht die Versuchung, den späteren Ernst Jünger in diesen aller­ersten Text ‚hinein' zu lesen und die erste Fassung von In Stahlgewittern vor dem Hintergrund der folgenden Fassungen und der übrigen Schriften zu se­hen.18 18 Eva Dempewolf hat die Verschiebungen zwischen den Fassungen historisch im Hinblick auf Jüngers bio­graphische Situationen und politische Intentio­nen untersucht und dabei auch die Veränderungen diverser Bildlich­keiten betrachtet (Dempewolf 1992: 13, 30, 191, 194, insbesondere 78-160). Hans Verboven hat nicht nur einen ‚Fassungsvergleich' erarbeitet (Verboven 2003: 253-262), sondern die Entwicklung der Kriegsmetaphorik durch Ernst Jüngers gesamtes Früh­werk hindurch rekonstruiert und theoretisch konzeptualisiert (als Ausbau, Steigerung, Stillstand und Regression, Metaphorisierung formaler Vergleiche oder Auswei­tung der Metaphorik auf nicht-kriegerische Bereiche). Die Kontroverse um den Autor überschattet die Lektüre des Wer­kes.19 19 Zur Kontroverse um Jünger: Moreno Claros 1995. – Für eine liberale Rezeption: Lehner 1995. Ein Mythos der Person er­schwert eine unvoreingenom­me­ne Rezeption.20 20 "Sein gröβtes Kunstwerk war er selber." (Burger 1998: 447) Dabei bietet der Text von 1920 die Möglichkeit, nicht den fer­ti­gen Kriegs­verherrlicher und Faschisten wiederzufinden (Vgl. Bernhard 1963), sondern des­sen Genese zu beobachten. Die nationalistischen und totalitären Posi­tio­nen sind hier nicht voll entwickelt. Es sind An­sätze erkennnbar, die später entfaltet wurden. Es zei­gen sich aber auch alternative Potentiale, die entweder nicht aus­gebaut oder wieder verdrängt und zum Teil später reaktiviert wurden.

3. Funktion

An die Frage nach den Bedeutungen der Bild­lichkeiten schlieβen sich weitere Fragen an: 1. Lassen sich Ty­pen von Metaphern unterscheiden? 2. Wel­chen Ge­samt­­eindruck er­zeu­gen die Sprachbilder? 3. In welchem Verhältnis stehen sie zu­ein­an­der? Gibt es eine über­geordnete Systematik? Geben die Tropen dem Kriegs­ge­sche­­hen ins­ge­samt eine Interpretation? 4. Be­rühren oder überschneiden sie sich? 5. Ist eine Ent­wick­lung zu beobachten? 6. Gibt es eine Logik, nach der sie auf die Kriegsparteien verteilt sind? 7. Wie ver­halten sich die Metaphern zu nicht-metaphorischen Ver­wen­dun­gen des gleichen Wort­materials? 8. Wird die Metaphorisierung auf einer Meta-Ebene reflek­tiert? 9. Welche Meta­phern tauchen im Text auf, ohne dass sie weiter entwickelt wür­den? Und welche werden, bezeichnender­weise, nicht ein­gesetzt? 10. Wie angemessen sind die von Jünger gewählten Bilder? 11. Wie tritt ihr Erkenntniswert zu­tage? 12. Und be­dient sich Jünger einer (proto-) faschistischen bzw. -national­sozialistischen Sprache?

(1) Typen: Jüngers Sprachbilder sind, formal betrachtet, unter­schiedlicher Art: Nach dem Grad ihrer Ausdrücklichkeit lassen sich ver­schiedene Typen unterscheiden: erstens reflektierte Bilder (Ver­glei­che, die durch meta­textuelle Formulierungen als sol­che eingepasst oder an­moderiert sind); zweitens explizite Metaphern (die als solche erkennbar sind, weil ihre Metaphorizität deutlich ausgeprägt ist und die Bildlichkeit in der Lektüre nicht von der pragmatischen Bedeutung des Wortes absorbiert wird); und drittens implizite Metaphern (deren ‚erste' Bedeutung, die buch­stäbliche, den meta­phorischen Aspekt verdeckt, so dass er sich erst bei gezielter Beobachtung und im Zusammenspiel mit gleich­artigen Bildern erschlieβt). Es ist nicht möglich, diese Typen trenn­scharf zu unterscheiden, da sie ineinander über­gehen.

(2) Dichte: Alle drei Typen scheinen in Jüngers Text mit weit gröβe­rer Frequenz aufzutauchen, als dies in literarischen Texten durch­schnitt­lich der Fall ist. Der Gesamteindruck ist zunächst rein quantitativ der einer ungeheuren Dichte, einer metaphorischen Wuche­rung. Dieser Befund lässt sich als Symptom verstehen: Die auβer­ordentliche Alterität der Erfahrung führt zu einer Variation von Deutungs­versuchen, die sich implizit – und möglicherweise zum Teil unbewusst – in einer Viel­zahl sprachlicher Bilder äuβert. Deren Pluralität zeugt von der Unmöglichkeit, den Gegenstand nicht nur begriff­lich, sondern überhaupt gedanklich zu bewälti­gen, in ein schlüssiges Modell zu bringen und sprachlich darzustellen.21 21 Auf inhaltlicher Ebene beschrieb Hans-Harald Müller, wie Jüngers Versuch, sein Kriegs­er­leb­nis individualistisch und heroisch zu deuten, in Konflikt geriet mit der Not­wendig­keit, ein ent­individuali­siertes Geschehen zu beschreiben (Müller 1995, insbesondere 18-24); dies "führte Jünger [ ] bis an die Grenze der Einsicht, daβ die diesem Erlebnis zugrunde liegenden Motive und Gefühle nicht kommunizierbar sind." (Müller 1995: 23)

(3) Relation: Wie verhalten sich die Bereiche, in denen sich die Meta­phern bewegen, zueinander? Sie ergänzen sich – synchron – als Ebenen der Sublimation: vom Einfachen (Wetter, Ackerbau, Ritual, Essen) zum Komplexen (Tiere, Ökonomie, Literatur, Dialog). Des Weiteren ergeben sich – diachron – Zusammen­hänge, deren Logik die einer impliziten Sozial-, Wirtschafts- und Kultur­geschichte zu sein scheint: sozial und wirtschaftlich versteht Jünger den Krieg als Jagd, Viehzucht, Ackerbau, Handwerk, Bergbau, Industrie, Finanz- und Handels-Ökonomie; kulturell deutet er ihn ebenfalls auf verschiedenen Entwicklungsstufen: als Ritual, Fest, Sport, Theater, Musik, Tanz, Bild­hauerei, Malerei, Architektur und Literatur.

(4) Interferenz: Wie verhalten sich die Bilder und Bedeutungen zu­ein­ander? Es ergeben sich mehr oder weniger komplizierte Kombina­tionen, deren Elemente häufig nicht kompatibel sind – beispielsweise Motive der See und des Tanzes ("Die Sturm­welle tanzte wie eine Reihe von Gespenstern durch weiβe, wallende Dämpfe." [146]), der Landschaft und der Architektur ("durch einen Wald kirchturmhoher Granat­fon­tainen" [97]), der Tierwelt und des Garten­baus ("Erde sprang auf in fauchenden Fon­tä­nen" [105]). In einem einzelnen Wort wie "Gar­be" überlagern sich meh­rere Be­deu­­tungsschichten: die Vorstellung des Getreidebundes aus der Land­wirt­schaft, die über­tragen wurde auf die Flammen eines Feuerwerks; die ästhe­tischen Konzepte der Hal­tung, des Schmucks und des Gewandes (garb); und die Bezeichnung von Fleisch­stücken aus der Metz­ge­rei.22 22 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1878. Eintrag "Garbe". Der Krieg wird mit Bedeu­tungen befrachtet, die einander über­lagern und miteinander in Konflikt geraten. Die Metaphorik wird potenziert und an den Rand ihrer Funktions­fähigkeit getrieben.

(5) Variation: Wie verteilen sich die Metaphern? Eine quantitative Analyse könnte die Gewichtungen zeigen, indem sie die statistische Häufig­keits­­vertei­lung der einzelnen Bilder unter­sucht. Wichti­ger ist jedoch die qualitative Frage: Was wird wann und wo wie metaphorisiert? Auffällig ist eine Häufung auf den ersten beiden Seiten des Vorworts und auf der ersten Seite des Haupttextes, wo die Motive eingeführt werden. Eine Abnahme auf Grund eines Gewöhnungs­effektes tritt nicht ein. Aber die Frequenz variiert: Sie wird immer dann dichter, wenn von Kampfhandlungen die Rede ist, während sie wieder abnimmt, sobald Aufenthalte hinter der Front beschrieben werden. Die Intensität der Metaphorik indiziert die Inten­sität des Grauens. Bemerkenswert ist ein Moment, in dem die Meta­phorisierung zeitweise aus­setzt: Zu Beginn des Kapitels "Die groβe Schlacht", einem der Höhepunkte des Textes, beschreibt Jünger, wie seine Kompanie, die sich in einem Trichter für den Angriff sammelt, von einer Granate getrof­fen wird (140 f.). Die Wirkung des Geschosses ist verheerend: Von mehr als 150 Mann entgehen nur 63 dem Tod oder einer schweren Verwundung. Leutnant Jünger re­agiert, indem er "aufsprang und planlos in die Nacht rannte." (141) Dann erleidet er einen Zusammenbruch: "Ich warf mich zu Boden und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus, während die Leute düster um mich herum­standen." (141) Und er deutet an, dass dieses Erlebnis für ihn trauma­tisch sein würde: "Solche Augenblicke vergiβt man nie." (141) Es handelt sich um das Szenario eines shell shock. Bezeichnenderweise spielen die üb­li­chen Sprachbilder genau hier keine Rolle. Die Kette der Tropen wird unterbrochen. In Panik ist es nicht mehr möglich, Metaphern zu bilden.

(6) Dekonstruktion: Jeder Krieg beruht auf einem binären Freund-Feind-Ver­hält­nis. Einer­seits hat es bei Jünger den Anschein, als würden die Gegner regelmäβig mit Metaphern belegt, die pejorativer Natur sind. So erscheinen zum Bei­spiel die Eng­länder als "Schweine" (22, 159). Andererseits ist eine stereotype Tiermetapher, mit der Jünger sich und seine Kamera­den belegt, die des "Front­schweins" (28, 93). Aus­drück­lich wendet er die Bedeutung des Wortes ‚Schwein' als ‚Schurke' auf beide Seiten an: "‚Il y a des cochons aussi chez vous!'" (28) ruft ihm ein englischer Offizier zu, mit dem er sich über das Nie­mandsland hinweg unter­hält, als ein deutscher Soldat einen in­offi­ziellen Waffen­still­­stand gebrochen hat. Diesen Satz macht sich Jünger später zu eigen: "Il y a des cochons partout." (62) Umgekehrt dreht er das engli­sche Schimpfwort, "'the Huns'" (153), auf die Gegner zu­rück – und nimmt ihm die ab­wertende Be­deu­tung, wenn er von "hünen­haf­te[n] Engländer[n]" spricht (179).23 23 Das Wort "Hüne" leitet sich her von "Hunne" (lat. Hunnus). Indem dieselben Bilder auf beide Sei­ten angewandt werden, setzen sie die Opposition auβer Kraft, die sie zu bestätigen schie­nen. Der Gegensatz, der den Krieg motiviert, löst sich auf.

(7) Referentialität: Die Metapher wird dadurch noch weiter geführt, dass diese "Schweine", die deutschen Soldaten, es nicht nur mit anderen, englischen, zu tun haben, sondern auch mit realen, von denen sie sich ernähren: sie essen "Schweine­fleisch" [93]. Die Meta­phern kolli­die­ren mit ihren realen Entsprechungen. Der Effekt ist ein gewis­ses Flimmern, eine Irritation zwischen literarischer Trope und auβerliterarischer Realität.

Dieser Effekt scheint von Jünger gesucht zu werden. Für fast alle Berei­che, denen er seine Figurationen entnimmt, schafft er reale pendants. So zum Beispiel eine "Mühle" (45), ein "Bergwerk" (19, 43), ein "Kalkwerk" (das ausgerechnet "Chez-bon-temps" heiβt, 78), die "Walze" eines Grammophons (154), "das Eisen­gerüst einer zer­störten Zuckerfabrik" (135), eine "Kapelle" (165), ein photographisches "Bild" (147) und einen "Rahmen Patronen" (150), eine wirkliche Unterhaltung mit den Feinden (131) und eine höchst reale "Riesengestalt [ ], eine weiβe Keule schwingend" (85). Es verschwimmt die Grenze zwischen der Allegorie des Krieges und den aus ihr in die Wirklichkeit übertragenen Vor­stellungen. Die Soldaten feiern, wenn sie sich betäuben, ein "Trankopfer" (79). Die Abteilungen "strömten" aus den Kneipen. (8) Tatsächlich schneidet jemand Draht "mit seiner Zigarrenschere" (46). Die Soldaten machen nicht nur meta­phorisch, sondern auch wirklich Musik. Jünger selbst "trommelte mit den Füβen zur Erwärmung gegen die Stollenrahmen" (135). "Weihnachtslieder", werden "mit MG.'s übertönt" (29). Analog werden schlafende Soldaten "durch [ ] Mücken­schwärme, Granaten [ ] gestört" (97). Jünger beschreibt sich nicht nur, er verstellt sich auch, vorsichtshalber (in der Dunkelheit), als Tier: "Ich [ ] gab [ ] eine Reihe von Naturlauten ab" (38). Nachdem "zitronen­förmige[] Hand­granaten" (110) sein Leben bedroht haben, erhält der Verwundete "Zitronen­limonade" (181).

Der Begriff der Schule durchzieht den Text in vielfältigen Wendun­gen, figura­ti­ven und buchstäblichen: Schulen im Kriegsgebiet, Schulungen für die Soldaten, Schüler und Lehrer sowie Schul-Erinnerungen. Das Spiel hält Einzug, indem Sol­da­ten zwi­schen­durch tatsächlich, zum Beispiel Skat, spielen; aber auch, indem zwischen den Stellungen "in grausigem Kon­trast ein Kinderspielzeug" (19) liegt. Jüngers Stoβtrupp bedient sich als Transport­mittel zurück­gelassener Kinderwagen (73). Und schlieβlich leben im Kampf­gebiet sogar Kinder: "Ahnungslose Kinder spielten" (18). Die ver­harm­losenden Bilder werden mit der traurigen Wirklichkeit konfrontiert.

Besonders skurril ist die mehrfache Bedeutung der Maske. Neben die Maske des Krieges, die maskenhaften Gesichter, die Totenmaske und die Maske der Schauspieler tritt die Gasmaske. Wenn von "Masken" die Rede ist, muss der Leser ihre Bedeutung aus dem Kontext erschlieβen. Zugleich ist das Motiv selbst­reflexiv: Es ver­weist auf Jüngers Verfahren, die Realität bildlich zu maskieren. "Ich setzte die Maske auf" (42).

Im Bereich der Natur wird deutlich, wie sich meta­phorische und buch­stäbliche Bedeutungen überlagern – und wie beide wiederum mit anderen Bedeu­tungen derselben Wörter in Konflikt gera­ten. Naheliegender­weise sind es Phäno­mene des Wetters, die den Bildern, durch die der Krieg inszeniert wird, ent­sprechen: Regen, Schnee, Sturm und Sonnenschein. Bis­weilen be­rühren sich beide, die reale und die metaphorische Dimension: "Ein Gewitter zog auf, seine Donnerschläge wurden übertönt von dem ein­setzenden Lärm eines neuen Trommelfeuers." (107) Es ist nicht mehr eindeutig zu ent­scheiden, wie die Wörter primär zu lesen seien; beispielsweise wenn vom "Frühlings­erwachen" (137) die Rede ist, während einerseits tatsächlich der Frühling beginnt und anderer­seits der deutsche Groβangriff losbricht. Darüber hinaus werden Namen zitiert, die mit denselben Bildern arbeiten: So gibt es das "Kalkwerk 'Chez-bons-temps'"(78) – das unter schwerem Beschuss steht. Auf einer an­de­ren Ebene bewegen sich alternative Ver­wen­dungen derselben Vokabeln. Bei­spiels­weise wird das Wort Regen als "Regen von Blumen" (1) gebraucht, Ha­gel als "Hagel von Schimpfworten" (163), Schauer als "Todesschauer" (52), Donner als Ausruf "'Donnerwetter!'" (40) und Blitze als "blitz­schnelle[], lo­gische[] Schärfe" (36).

Die nautische Metaphorik scheint dadurch beglaubigt zu werden, dass tatsächlich ein "Schiffsgeschütz" (45) zum Einsatz kommt; dass Soldaten im durch­nässten Gelände beinahe "im Schlamm [ ] ertrunken" (121) wären; dass "ein schmut­ziger Strom mein Sitzloch gurgelnd bis obenhin füllte" (103); und dass Jünger beim Graben versteinerte "Muscheln, See­sterne[]" (108) findet.

Verschiedene Ebenen der Jagd werden gespiegelt: Real ist die Rede von einem Befehl zur "Schonung der französischen Jagd" (125). Die Regi­ments-Reserve ist in einem Forsthaus untergebracht, das "'Fasa­nerie'" (3) getauft wird. Burleske Varian­te sind die "Läuse­jagd" (9) und die "Rattenjagd" (38). Einzelne Requisiten stellen einen link zwischen realer und metaphorischer Dimension her: Ein Soldat schreitet, "eine lan­ge grüne Jägerpfeife im Munde, mit umgehängter Flinte durch das Maschinen­gewehr­feuer, als ob es zur Hasenjagd ginge." (152) Im Militär­jargon gibt es die Waffengattung der "Jäger" (151, 152).

Reale Tiere tauchen auf: ein Maulwurf, Ratten und Mäuse, Fliegen, Läuse, Regen­würmer, Enten und Wasserhühner, Fische, ein Hecht, ein Schäferhund, ein Terrier, Hasen und Rebhühner. Es gibt Eier und einen Ziegenstall. "Schnecken und Maul­würfe lagen" nach einem Gasangriff "tot umher" (43). Jünger gibt sich als Käfer­kundler zu erkennen: als "Ento­mologe" (108). Bestimmte Tiere scheint er – wie die Geschosse, die sie im übrigen verkörpern – als lästig zu empfinden: "Eine Lerche stieg hoch und ärgerte uns durch ihr Trillern." (86) Was ihn irritiert, scheint der Widerspruch zu sein, der "Kontrast" zwischen dieser realen Erscheinung und der militäri­schen Bedeutung, die er ihr zugewiesen hat: "Eine Lerche steigt hoch; ich empfinde ihr Getriller als aufdringlichen Kontrast, es irritiert mich." (22)

Die Bildlichkeit wird ins Tatsächliche eingelöst: Reale Schu­len, Spiele und Spielzeuge, Mühlen, Bergwerke und Fabriken, Masken und Lieder, Naturphänomene, Jagden und Tiere lösen Jüngers Meta­phern von den Rändern her auf, so dass sie ihre Figuralität in Frage stellen; und sie stören ihre Funktion, indem sie ihre Unan­gemessenheit sichtbar ma­chen.

(8) Un/Angemessenheit: Sind die Sprachbilder, die Jünger ver­wendet, ihrem Gegenstand an­gemessen? Das Gegenteil scheint auf der Hand zu liegen. Selbstverständ­lich ist der Krieg weder ein Konzert noch ein Gebäude und schon gar kein Gespräch. Der verharmlosen­de Kontrast wirkt schockierend. Er führt das Unfassliche des Krieges und die Unfähigkeit der Sprache, ihn zur Darstellung zu bringen, vor Augen. In Stahlgewit­tern ist der angestrengte Versuch, dem Krieg durch Verbild­lichung einen Sinn ab­zugewinnen; und zugleich, indem die Haltlosigkeit dieses Versuchs erkennbar wird, das Eingeständnis von dessen Scheitern. Gert Mattenklott sprach von Jüngers Arbeiter im Blick auf Nietzsche als einem "tragischen Typus, der auf Fiktionen an­gewiesen ist, um das Leben aushalten zu kön­nen." (Mattenklott 1999: 30). Dieser Satz lässt sich an Jüngers erstem Buch variieren: Ernst Jünger ist auf Metaphern angewiesen, damit er das Grauen des Krieges ertragen kann. Die Metaphern haben eine Schutzfunktion. Je intensiver das Grauen, desto dichter die Bildfrequenz.

(9) Ansätze & Alternativen: Auβerhalb der Motiv­ketten und Bildfelder gibt es einzelne Metaphern, die in keine Netzwerk­struk­tur eingebunden sind. Diese Ansätze zeigen, welche möglichen Bedeu­tungs­räume nicht er­schlossen werden, welche denk­baren Interpretationen im Hintergrund bleiben. Da ist zum Beispiel das Motiv der Hin­richtung ("Henkersmahlzeit" [110]), demzufolge der Krieg als massenhafte Exekution durch eine tyrannische Obrigkeit hätte verstanden werden können; oder das des Mordes ("Mordwaffen" [131], "Mord­instrumente" [164]), nach dem er als Massenmord, als Verbrechen anzusehen wäre; des weiteren die Krankheit bzw. Medizin ("Pest[]" [VI], "Kugel­spritzen" [158]), die es erlauben könnte, ihn als epidemische Krise der Vernunft zu konzeptualisieren; Peitsche und Fesseln ("aufgepeitscht" [157], "fesselte" [178]), die ihn als Sado­maso­chismus darstellen lieβen. Darüber hinaus gibt es isolierte, stumpfe Meta­phern – Bildlichkeiten, die zum Teil an anderer Stelle weiter exploriert wer­den: beispielsweise die "Strahlung", die in späte­ren Texten eingeführt wird (Vgl. Porath 1995: 252 f.; Hüppauf 1997: S. 22), die Elektrizität ("Gegenpole[]" [167]),24 24 Helmut Lethen beobachtet, wie Jünger im Arbeiter eine neue Bildlichkeit einführt: "er wechselt die technische Zentralmetapher. Jünger ist einer der ersten Schriftsteller, der in einer Gesellschaftsanalyse das Modell des elektrischen Schaltkreises ins Zentrum rückt." (Lethen 1994: 209). die Archäologie oder der Alptraum. Signifikant ist des Wei­te­ren, welche Bildlichkeiten überhaupt nicht ein­gesetzt werden, obwohl sie sich in vor­han­dene Felder einfügen lieβen: zum Bei­spiel die der Sintflut, die eine apo­kalyptische Vision ergeben hätte;25 25 Als apokalyptische Interpretation: Gerhards 1999, vor allem 74-123. oder die Marionette (die in Der Kampf als inneres Erleb­nis ent­wickelt wird), die das Idiotische des militärischen Gehorsams versinn­bildlichen könnte.

(10) Selbstreferenz: Jünger praktiziert eine militärische Metaphern­bildung nicht nur, sondern er thematisiert sie auch als sprachliche Praxis im Krieg. Anhand diverser Begriffe reflektiert er die Wucherung figurativer Be­zeich­nun­gen, indem er sie in Anfüh­rungs­zeichen setzt, als "sogenannte" markiert oder ihr Zustandekommen er­läutert: Unterstände heiβen "'Tropfsteinhöhle'" (5) oder "'Zum Männerbad'" (5), das Dörr­gemüse der Feldküche "'Drahtverhau'" (5) oder "'Flurschaden'" (5), eine Ruine mit Ausblick über die Front "'Bellevue'" (19), der Sitz des Kommandeurs "'Mäuseburg'" (93), "ein zerschossenes [ ] Haus [ ], das seinen Namen wahrscheinlich wohl ver­diente", "Ratten­burg" (97) und ein "Sanitäts­unterstand ‚Kolumbusei'" (96). Kampfgas nen­nen die Soldaten "Offensiv-Parfüm" (162), Panzersperren "Spanische[] Reiter" (111), be­stimm­te Handgranaten "Eier-Handgranaten" (111), einen Spreng­satz "Waschkorb-Minen" (40), einen anderen "Flaschenminen" (171). Die Kugel­fänge sind "sogenannte Siegfriedbleche" (163). Und selbst der improvisierte Tisch wird zu einem "sogenannten Tisch" (163). "Tanks [ ] trugen zum Teil spötti­sche, drohende oder glück­bringende Namen und Kriegs­bemalungen" (165). "Für dieses Brodeln entfernten Kanonen­donners hatten wir den klang­vollen Frontausdruck ‚Es wummert' geprägt." (174) Soldaten ha­ben an einem Schützengraben "ein Schild mit der halb­verwischten Aufschrift ‚Drachen­­­weg'" (127) angebracht. Einzelne Front­abschnitte erhalten konno­tations­reiche Namen – zum Beispiel "[d]as wüste Gelände, das wir ‚Die Walachei' getauft hatten" (162). Ein ‚Kollege' hat "seinen lächerlichen kleinen Unter­stand" nach einer Romanfigur "'Villa Leberecht Hühnchen' ge­tauft" (38). Schlafen bezeichnet man als "'röcheln', wie der Fach­ausdruck lautet" (22) (während in Jüngers Prosa umgekehrt das Röcheln eines Sterbenden dem Schnarchen eines Schlafenden gleich­kommt: "Sein schnarchendes Röcheln" [157]). Schlieβlich 'markiert' Jünger sogar die Rhe­to­rik der Befehle und Berichte: "wie die schöne Befehlsformel lautet" (178).

An allen diesen Stellen verweist er auf eine kriegs­üb­li­che Praxis: die Aus­bildung eines soldatischen Jargons; dabei di­stan­ziert er sich von diesem Jargon, indem er ihn in Anführungs­zeichen setzt, um ihn durch eine eigene Bildsprache zu ersetzen. Diese Di­stan­zierung einer literarischen von einer trivialen Figuration macht einen der Un­ter­­schie­de aus zwischen In Stahlgewittern und einer konventionellen Front­kämpfer­­lite­ratur, wie sie in den zwanziger Jahren massenhaft publiziert wurde.

Während er soldatische Terminologie aus gewisser Distanz be­trach­tet, installiert Jünger, wie gesehen, seine eigene Metaphorik auf verschiedenen Ebe­nen: als Bilder des Krieges (primäre metaphorische Ebene), alternative Bil­der aus demselben Wortmaterial (sekundäre Ebene), Eigen­namen (zwi­schen Zei­chen und Realität) und entsprechende Realien (dargestellte Wirklichkeit).

(11) Epistemologie: Ernst Jüngers Text impliziert eine epistemo­logische Frage­stellung (und er expliziert sie auch ansatzweise): Welche Funk­tion haben Sprachbilder bei der Aneignung der Wirklichkeit? Wie prägt figurative Sprache unser Wahr­nehmen, Erkennen, Verstehen und Denken? Inwiefern ist unsere Wirklichkeit durch Tropen kon­struiert? Welche kommunikative Funktion haben diese? Haben Sie den heuri­sti­schen Wert provisori­scher Modellbildung?26 26 Trifft bereits auf das Erstlingswerk zu, was von den Texten der dreiβiger und vierziger Jahre gesagt werden kann, nämlich dass Jüngers Verfahren einem "Symbole und Zeichen gleich­sam ‚durch­wandern­den' Meditieren" gleichkomme? (Sader 1996: 223) Und welche weiteren Funk­tionen besitzen sie? Welchen existentiellen, psychologischen Mechanis­men folgt die Metaphern­bildung? Indem In Stahlgewittern diese Fragen aufwirft, schafft das Buch eine reflexive Distanz zu seiner poetischen Praxis.

(12) Faschismus: Ist Ernst Jüngers Sprache faschistisch? Russell Berman defi­nierte Ekphrasis, die Privilegierung bildlichen Sehens über die Schrift, als Strategie faschistischer Repräsentation (an Leni Riefenstahls Triumph des Willens und Jüngers Arbeiter). Seine These ist "the descriptive rhetoric of fascist representation" (Berman 1989: 64; vgl. Rausch 1995; Boehm 1995). Ist Jüngers Bildgebung per se faschistisch? Angemes­sener scheint eine konkretere Frage zu sein: Welche der Jüngerschen Bildlichkeiten, oder genauer: welche ihrer Elemente und Ausformungen, entsprechen einer nationalsozialistischen Imagination? Das Bild des Tigers, zum Bei­spiel, tauchte im Zweiten Weltkrieg in der Benennung eines Kampf­panzers auf; das Motiv des Rittertums in der Selbstinszenierung der SS; die Idee des Menschen­opfers wurde nach der Niederlage von Stalingrad propa­gan­distisch genutzt; der nihilistische Todeskult bildete ein zentrales Element der Weltanschauung.27 27 "Jüngers metaphorischer Archaismus, der fossilische Charakter seiner Bildersprache be­rühren sich mit einer Tendenz, die zu den Grundtendenzen des europäischen Faschismus gehören dürfte." (Kaempfer 1976: 149) Einige Bildlichkeiten, deren sich Jünger in seiner Kriegs­beschreibung bediente, hatten ein unheilvolles Nach­leben.28 28 Kunicki beobachtet, beispielsweise, eine "Hervorhebung des Landsknechtmäβigen" von der ersten zur zweiten Fassung und dessen "Schwund" von der dritten zur vierten (Kunicki 1993: 54 f., 156). – Jüngers Kriegs­darstellung verändert sich zwischen den Weltkriegen beträchtlich. Ernst Keller (1994) erkannte einen Wandel (um 1934) von Ästhetisierung und Apologie zu Selbstreflexion und Kritik. Jan Philipp Reemtsma analysiert Jüngers "moralische Verstörung", "Selbstekel" und "Ver­leug­nungs­mechanismus" anhand von "Auslas­sun­gen" im Kaukasus-Tage­buch als Technik des "Fading" (Reemtsma 1998: 320 f., 329 f.). Lothar Bluhm (1987) sieht Jüngers Hinwendung zur Natur (und Kunst) als innere Emigration; ähnlich Bluhm 1995; vergleiche Bullock 1992: 89. Sie verfestigten sich zu ideologischen Kon­zepten (‚Totale Mobil­machung', ‚Arbei­ter', ‚Inneres Erleb­nis'). Historisch lassen sich im Bewälti­gungs­versuch des Ersten Weltkrieges Entwicklungs­linien des Faschismus in ihrem Entstehen betrachten. Ernst Jüngers Sprache ist partiell und potentiell faschistisch.

Die einfachste Methode, dem Krieg einen ‚Sinn' zuzuweisen, ist die vor­der­gründig ideologische: seine Rechtfertigung durch eine übergeord­ne­te In­stanz (Gott, Führer, Kaiser, Volk, Nation, Staat, Armee, Befehl) oder ein abstraktes Prinzip (Patrio­tis­mus, Freiheit, Glaube, Fortschritt, Frie­den). Ernst Jüngers Texte sind insofern auf­schluss­reich, als sie auf derartige ex­plizite Deutungen weitgehend verzichten. Statt dessen ist die indirekte Stra­te­gie erkennbar, den Krieg, das radikal ‚Andere' des zivi­lisierten Lebens, mit den Mitteln der Sprache zu verarbeiten: in einer poetischen Öko­no­mie der multiplen Figuration. Bereits der Titel zeigt diese Technik kumulativer Ver­bildlichung an: Stahl + Gewitter. Die tiefe Irritation, die der Krieg auslöst, scheint nach einem Modus lite­ra­rischer Deutung zu verlangen, der nicht inhaltlich explizit, sondern formal implizit und damit flexibler und subtiler ist. Die Meta­phorisierung dient der Ratio­nalisierung und Sinn­stiftung. Der Krieg wird übersetzt und in Zusam­men­hänge einge­bettet, in denen er als scheinbar ‚normale' Erfah­rung nach­vollziehbar wird.

Durch seine exzes­siven, konkurrierenden Metaphorisierun­gen nimmt Jüngers Text eine Vielzahl diver­genter Wertungen vor. Er spricht dem Krieg einerseits tiefere, positive Bedeu­tungen zu, die er andererseits wieder in Fra­ge stellt. In Stahl­gewittern ist eher ein Kaleidoskop unterschiedlicher Deutungs­versuche als eine autori­täre Verherr­lichung. Der Text handelt von der Unbegreiflichkeit eher als von der Herrlichkeit des Krie­ges. In seiner Wider­sprüchlichkeit ist das Buch in zweifacher Weise als Dokument lesbar: einer­seits erlaubt es, eine Faszination zu rekonstruieren und ein ideologisches Denken in seinen Ursprüngen zu beobachten, das später in den Natio­nalsozialis­mus einmünden wird; andererseits bietet es die Gelegen­heit, die Schrecken des Krieges in den Versuchen reflektiert zu sehen, sprachlich mit ihnen umzugehen.

In der ersten Fassung von In Stahlgewittern hat Ernst Jünger dem Ersten Welt­krieg weni­ger ex­plizit einen ideologischen Sinn zugeschrieben, als ihn implizit durch eine intensive Bildsprache mit Bedeutungen aufzuladen. Die Jünger­schen Sprachbilder las­sen sich in Codes analysieren, nach Typen diffe­ren­zieren und in ihrer Dichte, Rela­tion, Interferenz und Variation be­schreiben. Die implizi­te Be­deu­tungszu­wei­sung ist keines­wegs ein­sinnig. Die Meta­phern konnotieren ab­wei­chende Positio­nen; sie gera­ten mit­ein­ander in Überschneidung und zueinander in Widersprüche. Sie erzeugen eine wi­der­ständige Semantik, die nicht nur als Ausdruck einer ideo­lo­gi­schen Haltung, son­dern auch als Symptom einer Verunsicherung lesbar ist.

Literaturverzeichnis

Recebido em 30/09/2010

Aprovado em 13/10/2010

[Material suplementario / Supplementary material]

[Material suplementario / Supplementary material]

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  • WOODS, Roger. The Conservative Revolution and the First World War: Literature as Evidence in Historical Explanation. In: The Modern Language Review 1, 1990: 77-91.
  • 1
    Als Textgrundlage dient die Erstausgabe von 1920, die erste von sieben ‚Fassungen', zwi­schen denen der Autor erhebliche Überar­beitungen vor­genommen hat: Ernst Jünger,
    In Stahlgewittern. Aus dem Tage­buch eines Stoβtruppführers. Hannover, 1920. (Für alle Zitate nach dieser Ausgabe werden im Text die Seitenzahlen in Klammern angegeben.) Die weiteren sechs ‚Fassungen' erschienen 1922, 1924, 1934, 1935, 1961 und 1978:
    In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoβtruppführers. Berlin, 1922 (2. Fassung).– Berlin, 1924 (3. Fassung).–
    In Stahl­gewittern. Ein Kriegs­tagebuch. Berlin, 1934 (4. Fassung).– Berlin, 1935 (5. Fassung).–
    In Stahlgewittern. In: Werke. Stuttgart, 1961, Band 1, S. 11-310 (6. Fassung).– In: Sämtliche Werke 1, S. 9-300; separat publiziert: Stuttgart, 1981
    27 (7. Fassung). – Hermann Knebel (1991) untersuchte die quantitativ und qualitativ erheblichen Ver­änderungen. Knebel geht davon aus, dass Jünger ein "gene­ra­ti­ves Zen­trum" (das von Harro Segeberg heraus­gearbeitete Denk­modell der "Regressiven Moderni­sie­rung") in jeweils verschiedener Weise realisierte. Die Pro­gram­ma­tik ver­schiebt sich dabei von der Erin­nerung des Kriegsteilnehmers über die Agitation des revolu­tio­nären Nationa­li­sten zur humanistischen Literatur des elitären Schriftstellers. – Vergleiche auch Kunicki 1993.
  • 2
    Der Untertitel,
    Aus dem Tagebuch eines Stoβtruppführers, bezieht den Text auf reale Aufzeich­nun­gen, die im Krieg entstanden sind. Das Original-Tagebuch behielt Jünger bis zu seinem Tod im Privatbesitz. Es erschien erst 90 Jahre nach der Erstausgabe seiner literari­schen Ausarbeitung als
    Kriegstagebuch 1914-1918, heraus­gegeben von Helmuth Kiesel (Stuttgart, 2010). John King (2003) hatte zuvor die Aufzeichnungen mit den Druck­fassungen verglichen.
  • 3
    Hermann Knebel macht Andeutungen hinsichtlich einer "Einbettung des Kriegs­gesche­hens in sinn­stiftende Diskurse", die Jünger implizit und latent "über die Darstellungs­technik" erzeugt (Knebel 1991: 391). Harro Segeberg spricht von einem "absichtsvoll durch­komponier­ten Text mit be­ziehungs­reich angeordneten Sprachbildern" (Segeberg 1991: 344 f.). Die umfassendste Studie – zu Jüngers litera­ri­schen Werken bis 1933 – hat Hans Verboven (2003: 15-27, metho­discher Teil) vorgelegt.
  • 4
    Poetik, 21-22;
    Rhetorik, III.2, 4, 10, 11.
  • 5
    Es muss darauf verzichtet werden, im einzelnen die Belege anzuführen, deren vollständige Erhebung der folgenden modellhaften Rekonstruktion zugrunde liegt. Vergleiche Lubrich 2003: 148-224; sowie die auf
    In Stahlgewittern sich beziehenden Abschnitte bei Verboven 2003, der eine alternative Strukturie­rung vorschlägt: S. 29-35 (Wasser), S. 55-61 (Feuer), S. 81-85 (Musik), S. 96 f. (Schau­spiel), S. 110-115 (Produktion), S. 148-152, S. 167 ff. und S. 175 ff. (Verwand­lung), S. 182 ff. (Jagd), S. 190 f. (Rausch), S. 195 ff. (Übernatür­liches), S. 203 ff. (Raum).
  • 6
    Rolf Schroers sieht die Motive der Jagd und des Fallenstellens (ebenso wie die der Reise und des Spiegels) im Kontext der in späteren Schriften entwickelten ‚stereo­skopischen' Suche nach einem tiefe­ren Sinn hinter den Erscheinungen (Schroers 1965: 220-224).
  • 7
    Zur Typologie von ‚Soldat', ‚Arbeiter', ‚Tyrann', ‚Ästhet' und ‚Anarch' in Jüngers Gesamtwerk vergleiche Merlio 1995, vor allem 419 ff., und Merlio 1996.
  • 8
    Ernst Jünger,
    Der Arbeiter [1932], Sämtliche Werke 8, S. 9-317.
  • 9
    Ernst Jünger,
    Die totale Mobilmachung [1931], Sämtliche Werke 7, S. 121-141.
  • 10
    Asendorf bezieht sich auf eine Stelle in der siebenten Fassung (S. 166): "Unsere Lage war nun so, daβ wir unter der Feuerglocke saβen wie unter einem enggeflochtenen Korb."
  • 11
    Asendorf 1993. Neben Ernst Jünger stehen u.a. Le Corbusier und Peter Behrens im Fokus der Untersuchung.
  • 12
    Zum ästhetizistischen Dandy-Motiv: Ernst Jünger,
    Sturm [1923], Sämtliche Werke 15, S. 11-74; vergleiche hierzu Plard 1968.
  • 13
    Benjamin [1930] 1991: 240. Benjamin kritisiert eine technologische Ver­schärfung des Idealismus und gebraucht dabei eine Bildlichkeit, die bei Jünger nicht vorkommt: "so weit man über den Grabenrand blicken konnte, war alles Umliegende zum Gelände des deutschen Idealismus selbst ge­wor­den, jeder Granattrichter ein Problem, jeder Drahtverhau eine Antinomie, jeder Stachel eine Definition, jede Ex­plo­sion eine Set­zung, und der Himmel darüber bei Tag die kosmische Innenseite des Stahlhelms, bei Nacht das sittliche Gesetz über dir. Mit Feuerbändern und Laufgräben hat die Technik die hero­ischen Züge im Antlitz des deutschen Idealismus nachziehen wollen. Sie hat geirrt." (Benjamin [1930] 1991: 247)
  • 14
    Bohrer 1978, vor allem 138-403. Zur Kritik an Bohrers modernistischer Jünger-Interpretation: Hemmerich 1983.
  • 15
    Vergleiche auch Pekar 2000; zur Technisierung der Natur: Mottel 2000.
  • 16
    Hans Verboven hat, indem er die
    Metapher als Ideologie betrachtet und vor den "metapho­rischen Gefahren der Sprache" warnt, die These entfaltet, Jüngers "Sprache und Denken" seien von der "Struktur" ihrer Metaphern derart "geprägt", dass diese "in ihrer Gesamtheit [ ] eine in literarische Form gegossene Ideo­logie oder Philosophie des Krieges", "eine in der literarischen Sprache verkörperte Ideolo­gie", "eine Legitimation des Krieges und [ ] somit eine klare ethische (ideologische) Wahl" darstellten, die als in sich kohärent zu betrachten wäre; dass Jünger mithin "in seinen Metaphernmodellen gefan­gen" sei (Verboven 2003: 245-252). Im Unterschied zu diesem Ansatz soll hier der Vorschlag gemacht werden, den Wider­sprüchen innerhalb der Jüngerschen Meta­phorik nachzugehen.
  • 17
    Roger Woods sah Symptome psychischer und politischer Beunruhigung in Span­nungen zwischen euphorischer Erwartungs­haltung und Desillusion, fieberhafter Bedeu­tungs­suche und Sinn­losig­keit, soldatischem Gemein­schafts­gefühl und Isolation, rausch­haftem Kampf und Zwei­feln an dessen militäri­scher Führung: "One overlooked aspect of Jünger's portrayal of the First World War is the range of attitudes (often irreconcilable) which underly his thinking." (Woods 1990: 80)
  • 18
    Eva Dempewolf hat die Verschiebungen zwischen den Fassungen historisch im Hinblick auf Jüngers bio­graphische Situationen und politische Intentio­nen untersucht und dabei auch die Veränderungen diverser Bildlich­keiten betrachtet (Dempewolf 1992: 13, 30, 191, 194, insbesondere 78-160). Hans Verboven hat nicht nur einen ‚Fassungsvergleich' erarbeitet (Verboven 2003: 253-262), sondern die Entwicklung der Kriegsmetaphorik durch Ernst Jüngers gesamtes Früh­werk hindurch rekonstruiert und theoretisch konzeptualisiert (als Ausbau, Steigerung, Stillstand und Regression, Metaphorisierung formaler Vergleiche oder Auswei­tung der Metaphorik auf nicht-kriegerische Bereiche).
  • 19
    Zur Kontroverse um Jünger: Moreno Claros 1995. – Für eine liberale Rezeption: Lehner 1995.
  • 20
    "Sein gröβtes Kunstwerk war er selber." (Burger 1998: 447)
  • 21
    Auf inhaltlicher Ebene beschrieb Hans-Harald Müller, wie Jüngers Versuch, sein Kriegs­er­leb­nis individualistisch und heroisch zu deuten, in Konflikt geriet mit der Not­wendig­keit, ein ent­individuali­siertes Geschehen zu beschreiben (Müller 1995, insbesondere 18-24); dies "führte Jünger [ ] bis an die Grenze der Einsicht, daβ die diesem Erlebnis zugrunde liegenden Motive und Gefühle nicht kommunizierbar sind." (Müller 1995: 23)
  • 22
    Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1878. Eintrag "Garbe".
  • 23
    Das Wort "Hüne" leitet sich her von "Hunne" (lat. Hunnus).
  • 24
    Helmut Lethen beobachtet, wie Jünger im
    Arbeiter eine neue Bildlichkeit einführt: "er wechselt die technische Zentralmetapher. Jünger ist einer der ersten Schriftsteller, der in einer Gesellschaftsanalyse das Modell des elektrischen Schaltkreises ins Zentrum rückt." (Lethen 1994: 209).
  • 25
    Als apokalyptische Interpretation: Gerhards 1999, vor allem 74-123.
  • 26
    Trifft bereits auf das Erstlingswerk zu, was von den Texten der dreiβiger und vierziger Jahre gesagt werden kann, nämlich dass Jüngers Verfahren einem "Symbole und Zeichen gleich­sam ‚durch­wandern­den' Meditieren" gleichkomme? (Sader 1996: 223)
  • 27
    "Jüngers metaphorischer Archaismus, der fossilische Charakter seiner Bildersprache be­rühren sich mit einer Tendenz, die zu den Grundtendenzen des europäischen Faschismus gehören dürfte." (Kaempfer 1976: 149)
  • 28
    Kunicki beobachtet, beispielsweise, eine "Hervorhebung des Landsknechtmäβigen" von der ersten zur zweiten Fassung und dessen "Schwund" von der dritten zur vierten (Kunicki 1993: 54 f., 156). – Jüngers Kriegs­darstellung verändert sich zwischen den Weltkriegen beträchtlich. Ernst Keller (1994) erkannte einen Wandel (um 1934) von Ästhetisierung und Apologie zu Selbstreflexion und Kritik. Jan Philipp Reemtsma analysiert Jüngers "moralische Verstörung", "Selbstekel" und "Ver­leug­nungs­mechanismus" anhand von "Auslas­sun­gen" im Kaukasus-Tage­buch als Technik des "Fading" (Reemtsma 1998: 320 f., 329 f.). Lothar Bluhm (1987) sieht Jüngers Hinwendung zur Natur (und Kunst) als innere Emigration; ähnlich Bluhm 1995; vergleiche Bullock 1992: 89.
  • Publication Dates

    • Publication in this collection
      03 Aug 2011
    • Date of issue
      2010

    History

    • Accepted
      13 Oct 2010
    • Received
      30 Sept 2010
    Universidade de São Paulo/Faculdade de Filosofia, Letras e Ciências Humanas/; Programa de Pós-Graduação em Língua e Literatura Alemã Av. Prof. Luciano Gualberto, 403, 05508-900 São Paulo/SP/ Brasil, Tel.: (55 11)3091-5028 - São Paulo - SP - Brazil
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