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Jubiläumsausgabe: 15 jahre

GELEITWORT

Jubiläumsausgabe – 15 jahre

Die Zeitschrift Pandaemonium Germanicum feiert im Jahr 2012 ihr fünfzehnjähriges Bestehen. In dem Geleitwort der Ausgabe Nr. 17 wurden im Juni 2011 bereits die Gründer gewürdigt und ein kurzer Rückblick über den bisherigen Werdegang der Zeitschrift gehalten. Seinerzeit war unsere Zeitschrift gerade in der Sammlung SciELO Brasil (Scientific Electronic Library Online) aufgenommen worden. In der vorliegenden Ausgabe Nr. 19 feiern wir das Jubiläum nun dadurch, dass wir portugiesischsprachigen Forschern und Lernern wichtige Arbeiten aus der Germanistik und der deutschsprachigen Translationswissenschaft vorstellen. Aus diesem Grund haben wir bisher unveröffentlichte Übersetzungen von grundlegenden Aufsätzen zusammengestellt, die in dieser Ausgabe die jeweiligen Sektionen einleiten.

Die literaturwissenschaftliche Sektion wird mit dem Aufsatz Aspectos Cognitivos da Literatura [Kognitive Aspekte der Literatur]von Axel GELLHAUS eröffnet. Der Autor geht davon aus, dass der literarische Text über eine bestimmte kognitive Funktion verfügt, die sich insofern von dem konzeptuellen und abstrakten Denken unterscheidet, als sie Modelle für das menschliche Handeln und die Wahrnehmung von Realität bietet. Dieser Auffassung nach ist der literarische Text das Ergebnis einer Syntheseleistung, die den Lesern die schnelle Erkennung und die Artikulation komplexer menschlicher Erfahrungen ermöglicht. GELLHAUS merkt auch an, dass der kognitive Aspekt der Literatur ein fruchtbares Thema für künftige Forschungsarbeiten ist, da bisher weder die Kognitionswissenschaft noch die Literaturwissenschaft das Thema systematisch erforscht haben.

Indirekt gehen die anderen Beiträge dieser Sektion auch auf das von Gellhaus besprochene Thema ein, da sie die in den analysierten Werken implizit enthaltenen literarischen und ästhetischen Konzeptionen besprechen. Im Aufsatz Musil’s Idea of Poetic Mastership and Responsibility, Or: Törless as his First Attempt to Become a Serious Writer vertritt Kathrin ROSENFIELD die Auffassung, dass Robert Musils Literaturkonzeption bereits in seinem ersten, 1906 veröffentlichten Buch Die Verwirrungen des Zöglings Törleβ erkennbar ist. ROSENFIELD stellt Verbindungen zwischen Musils Text und persönlichen Aufzeichnungen des Autors über seine Entscheidungen und Einstellungen her und unterstreicht, dass Musil sich weigerte, die Literatur einem politischen Programm unterzuordnen. Sie interpretiert Törless als einen von Musils Alter Ego, da er den Ästheten darstellt, also ein Vorbild, das vom wahren Autor nicht nachzuahmen sei; er solle eher das Gleichgewicht zwischen sinnlicher Wahrnehmung und intellektueller Sorgfalt suchen.

In Michael KORFMANNs Beitrag Da aurora à meia-noite e a questão da intermedialidade no expressionismo [Von morgens bis mitternachts und die Frage der Intermedialität im Expressionismus] werden wiederum zwei verschiedene Inszenierungen von Georg Kaisers Bühnenstück Von morgens bis mitternachts besprochen. Sowohl das Schauspiel als auch die Adaption des Dramas als Spielfilm tragen die Handschrift des Regisseurs Karl Heinz Martin, der sich jedoch nicht darauf beschränkte, eine „Theateraufführung zu filmen", sondern versuchte, die expressionistische Ästhetik in dem jeweiligen Medium umzusetzen. Im Aufsatz wird auch besprochen, welchen Platz der Film Von morgens bis mitternachts im Kontext der Diskussion über expressionistische Filme einnimmt.

Die durch das im Gedicht Gesagte und Nichtgesagte erzeugte Spannung steht im Vordergrund von Maurício Mendonça CARDOZOs Analysen in A Obscuridade do Poético em Paul Celan [Die Dunkelheit des Dichterischen bei Paul Celan]. In diesem Beitrag werden Celans Notizen und Skizzen, die in seinem Nachlass aufgefunden und mit dem Titel Von der Dunkelheit des Dichterischen veröffentlicht wurden, besprochen. Einige der in diesen Notizen enthaltenen Gedanken wurden von Celan in seiner berühmten Büchnerpreis-Rede Der Meridian aufgegriffen. Wie Cardozo zeigt, lag dem von Celan geplanten Text allerdings eine viel umfassendere Diskussion über die Dunkelheit in der Dichtung zugrunde.

Der Roman Die Wahlverwandtschaften ist Gegenstand des Beitrag von Markus LASCH "As suas obras o abandonam, como os pássaros o ninho em que foram chocados": sobre arte, renúncia e morte em As afinidades eletivas [„Seine Werke verlassen ihnso wie die Vögel das Nest, worin sie ausgebrütet worden": über Kunst, Verzicht und Tod in Die Wahlverwandtschaften]. Der Autor stützt seine Interpretation auf Walter Benjamins Aufsatz über den Roman und sieht den Verzicht als einen der zentralen Aspekte von Die Wahlverwandtschaften und Goethes Ästhetik. Der Verzicht wird als eine tragische Komponente des Textes verstanden, vielleicht in ähnlicher Weise wie im Faust und in anderen Werken Goethes. Mirella GUIDOTTI, die Autorin des Beitrags A construção do olhar: a Viagem à Itália, de Goethe [Die Schulung des Blicks: Goethes Italienische Reise] zeigt wiederum, dass Goethes erst 1816-1817 veröffentlichter Text nicht nur ein Erfahrungsbericht, sondern die vom Autor durchgeführten Reise bis hin zu seiner vollständigen Wandlung als Mensch und als Künstler darstellen soll. Die Autorin vertritt die Auffassung, dass sich Goethes Ästhetik in dieser Zeit herausbildet, und zwar nicht durch eine abstrakte Ansammlung von Vorstellungen über die Kunst, sondern durch das Erlernen der Fähigkeit, die Schönheit aufmerksam zu beobachten.

Der erste Aufsatz der sprachwissenschaftlichen Sektion ist die Übersetzung der Preisrede Sprache und Kommunikation im digitalen Zeitalter, von Peter SCHLOBINSKI, die er anlässlich der Verleihung des Konrad-Duden-Preises der Stadt Mannheim im März 2012 hielt. SCHLOBINKSI bietet einen kurzen historischen Überblick über die Wandlung der Medien bis zum heutigen Zeitalter und beschreibt anschlieβend Besonderheiten der „digitalen Kommunikation": von der Nutzung von Smartphones, der Umwandlung von Sprach- in Textnachrichten, chat-Gesprächen, eingescannten Texte in Frakturschrift mit anschlieβender OCR-Texterkennung bis hin zu Dialogen im Facebook, Second Life und in den World of Warcraft-Spielen. Schlobinski befasst sich in verschiedenen Forschungsarbeiten mit der rasanten Entwicklung der Kommunikationsformen im Internet.

Im Beitrag Advérbios modalizadores discursivos, advérbios de comentário avaliativos ou palavras modais? [Diskursive Modaladverbien, bewertende Kommentaradverbien oder Modalwörter?] stellt Janaína LOPES SALGADO eine Untersuchung der Wortart Adverbien im deutsch-portugiesischen Vergleich vor. Um der Vielfalt der grammatischen Kategorien für Adverbien in den verschiedenen Grammatiken auf den Grund zu gehen, beschreibt sie akribisch die heterogene Einordnung von Adverbien in verschiedenen pragmatisch orientierten Grammatikansätzen und versucht den Ursprung dieser Komplexität darzustellen. Durch den Vergleich der Ansätze von Castilho zu diskursiven Modaladverbien im brasilianischen Portugiesisch und von Helbig & Buscha und den Forschern der Duden-Grammatik für das Deutsche kommt die Autorin zu dem Schluss, dass die pragmatische Interpretation des Adverbs im Diskurs zu einer neuen Einordnung des Adverbs in den aktuellen Grammatiken geführt hat.

Die translationswissenschaftliche Sektion wird von Mary SNELL-HORNBYs Aufsatz Venutis ‘foreignization’: Das Erbe von Friedrich Schleiermacher in der Translationswissenschaft? eingeleitet, in dem die von dem US-amerikanischen Wissenschaftler Lawrence Venuti beeinflusste Rezeption Schleiermachers kritisch beleuchtet wird. Mit der portugiesischsprachigen Übersetzung soll ein Beitrag zur Diskussion über Schleiermachers Werk in Brasilien geleistet werden. Schleiermacher wird in der nicht-deutschsprachigen Translationswissenschaft oft nicht über die 1813 verfasste Abhandlung Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens rezipiert, sondern über Venutis Schriften, die in Brasilien sehr verbreitet sind. SNELL-HORNBY hinterfragt Venutis Lesart und zeigt anhand einzelner Textstellen, dass Venuti Schleiermachers Gedanken teilweise verzerrt wiedergegeben hat.

Die Reflexionen zur Übersetzung im 19. Jahrhundert stehen auch im Beitrag Robert Schumann e a tradução: criação poética, simultaneidade e movimento [Robert Schumann und die Übersetzung: Dichtung, Gleichzeitigkeit und Bewegung] von João AZENHA JR. im Vordergrund. Der Autor nimmt Schumanns Schriften über Musik und über Musiker unter die Lupe, insbesondere die Rezensionen, die der Komponist zwischen 1834 und 1836 verfasst hat. Im Aufsatz werden die wichtigsten Ausführungen zu Sprache und Übersetzung, die in Deutschland zwischen Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden, dargestellt, wobei insbesondere die Bewegung im Vordergrund steht. Die Bewegung kann sich sowohl auf einen Menschen beziehen, der in verschiedenen Zeichen- und Sprachsystemen zu Hause ist, als auch auf das Ergebnis des Übersetzungsprozesses, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich vereint.

Im Beitrag Desafios à tradução do texto satírico: alguns exemplos de Dritte Walpurgisnacht, de Karl Kraus [Herausforderungen der Übersetzung eines satirischen Textes: einige Beispiele aus der Dritten Walpurgisnacht von Karl Kraus] bespricht Renato ZWICK Schwierigkeiten, Kriterien und Lösungen für die Übersetzung von Texten, die den politischen Diskurs satirisieren, sehr komplexe literarische Verweise enthalten – wie die Klassische Walpurgisnacht aus Goethes Faust II –, sowie rhetorische Figuren wie Metaphern, Wortspiele, Neologismen, Alliterationen und abgewandelte Sprüche, Sprichwörter, Maximen und Allgemeinplätze.

Diese Ausgabe schlieβt mit Douglas POMPEUs Rezension über das 2011 in Deutschland erschienene Buch Stimmungen Lesen von Hans Ulrich GUMBRECHT.

Wir danken erneut unseren Autoren und Gutachtern und wünschen allen eine angenehme Lektüre dieser Jubiläumsausgabe.

Juliana P. Perez und Masa Nomura

22. Juli 2012

[übersetzt von Tinka Reichmann]

Publication Dates

  • Publication in this collection
    09 Aug 2012
  • Date of issue
    July 2012
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