Acessibilidade / Reportar erro

Intonation im deutschen nur eine frage des schönen klangs?

Intonation in german: merely a question of euphony?

Abstracts

Dieser Aufsatz führt in Grundbegriffe der deutschen Intonation ein und diskutiert ihre Relevanz für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache, vor allem in Brasilien. Für Muttersprachler des Portugiesischen, die Deutsch lernen, ist die Intonation wahrscheinlich eine größere Herausforderung als die Phonetik der Einzellaute. Das System der Töne, Tonbewegungen und Äußerungsakzente sowie ihre Beiträge zur Äußerungsbedeutung werden am Beispiel von Aussage- und Fragesätzen dargestellt. Den Abschluss bilden konkrete Übungsvorschläge zur Intonation im DaF-Unterricht.

Phonetik und Phonologie des Deutschen; Ton; Akzent; Intonation und Äußerungsbedeutung; Sprachvergleich Deutsch-Portugiesisch; Deutsch als Fremdsprache


This article presents basic concepts of German intonation and discusses the importance of intonation for the teaching of German as a foreign language, particularly in Brazil. For native speakers of Portuguese studying German, intonation is probably more challenging than the phonetics of individual sounds. The article describes the German system of tones, tone movements, and accents on the level of utterance, as well as their contributions to the meaning of utterances, illustrated for declarative and interrogative sentences. The concluding chapter provides classroom intonation exercises.

German phonetics and phonology; tone; accents; intonation and utterance meaning; German-Portuguese grammar; German as a foreign language


Este artigo dá uma introdução a conceitos básicos da entonação da língua alemã e discute sua relevância para o ensino do alemão como língua estrangeira, particularmente no Brasil. Para falantes nativos do português que estudam alemão, a entonação constitui um desafio provavelmente maior do que a fonética dos sons individuais. O artigo apresenta o sistema dos tons, dos movimentos tonais e dos acentos no nível do enunciado, inclusive as suas funções semânticas em orações declarativas e interrogativas. No último capítulo serão expostas algumas sugestões para o ensino da entonação em sala de aula.

Fonética e fonologia da língua alemã; tom; acento; entonação e semântica do enunciado; gramática comparativa alemão-português; alemão como língua estrangeira


SPRACHE/LINGUISTIK

Intonation im deutschen nur eine frage des schönen klangs?

Intonation in german - merely a question of euphony?

Hardarik Blühdorn

Sprachwissenschaftler am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim, außerplanmäßiger Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim und Prof. Livre-Docente (Universität São Paulo). Email: hardarik@ids-mannheim.de

ZUSAMMENFASSUNG

Dieser Aufsatz führt in Grundbegriffe der deutschen Intonation ein und diskutiert ihre Relevanz für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache, vor allem in Brasilien. Für Muttersprachler des Portugiesischen, die Deutsch lernen, ist die Intonation wahrscheinlich eine größere Herausforderung als die Phonetik der Einzellaute. Das System der Töne, Tonbewegungen und Äußerungsakzente sowie ihre Beiträge zur Äußerungsbedeutung werden am Beispiel von Aussage- und Fragesätzen dargestellt. Den Abschluss bilden konkrete Übungsvorschläge zur Intonation im DaF-Unterricht.

Stichwörter: Phonetik und Phonologie des Deutschen; Ton; Akzent; Intonation und Äußerungsbedeutung; Sprachvergleich Deutsch-Portugiesisch; Deutsch als Fremdsprache.

ABSTRACT

This article presents basic concepts of German intonation and discusses the importance of intonation for the teaching of German as a foreign language, particularly in Brazil. For native speakers of Portuguese studying German, intonation is probably more challenging than the phonetics of individual sounds. The article describes the German system of tones, tone movements, and accents on the level of utterance, as well as their contributions to the meaning of utterances, illustrated for declarative and interrogative sentences. The concluding chapter provides classroom intonation exercises.

Keywords: German phonetics and phonology; tone; accents; intonation and utterance meaning; German-Portuguese grammar; German as a foreign language.

RESUMO

Este artigo dá uma introdução a conceitos básicos da entonação da língua alemã e discute sua relevância para o ensino do alemão como língua estrangeira, particularmente no Brasil. Para falantes nativos do português que estudam alemão, a entonação constitui um desafio provavelmente maior do que a fonética dos sons individuais. O artigo apresenta o sistema dos tons, dos movimentos tonais e dos acentos no nível do enunciado, inclusive as suas funções semânticas em orações declarativas e interrogativas. No último capítulo serão expostas algumas sugestões para o ensino da entonação em sala de aula.

Palavras-chave: Fonética e fonologia da língua alemã; tom; acento; entonação e semântica do enunciado; gramática comparativa alemão-português; alemão como língua estrangeira.

1 Einleitung

Intonation1 1 Für Anregungen, Kommentare und Unterstützung danke ich Fabian Brackhane, Fabio Cecchetto, Anna-Katharina Elstermann, Renato Ferreira da Silva, Reinhard Fiehler, Marina Foschi Albert, Heinrich Graffmann, Carolina Iazzetta Alves, Selma M. Meireles, Renate Raffelsiefen, Cristina Ranke, Uli Reich und Tinka Reichmann sowie den Zuhörern und Teilnehmern am Goethe-Institut São Paulo im Dezember 2012 und auf dem II Encontro de Língua e Literatura Alemã (ECLAA) an der UNESP de Assis im Mai 2013. Mein Dank geht ferner an die Gesellschaft für deutsche Sprache und an die Fundação de Amparo à Pesquisa do Estado de São Paulo (FAPESP; Vorgangsnummer 2013/02477-9). ist ein Teilgebiet der Lautlehre: der Phonetik und Phonologie. In der Grammatikschreibung des Deutschen wurde ihre Wichtigkeit lange Zeit unterschätzt; im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache (DaF) wie auch als Muttersprache wird sie bis heute vernachlässigt. Intonation ist die Melodie, mit der sprachliche Äußerungen realisiert werden. Viele Laien glauben, es handele sich vor allem um eine ästhetische Erscheinung, die die Schönheit des Klangs betrifft, zum Beispiel beim Vortrag von Gedichten, Predigten oder festlichen Reden. Dabei weißman längst, dass die Intonation systematische Funktionen als Sprachzeichen erfüllt, regelhaft ist und deshalb zur Grammatik gehört - in Intonationssprachen wie dem Deutschen oder dem brasilianischen Portugiesisch (vgl. CRUTTENDEN 1986: 8ff.; GIBBON 1998; MORAES 1998) nicht weniger als in Tonsprachen wie dem Chinesischen oder dem Vietnamesischen (vgl. KRATOCHVIL 1998; DO / TRAN / BOULAKIA 1998). Intonation muss ebenso gelernt werden wie Formenbildung und Satzbau. Intonationsfehler sind Grammatikfehler. Sie können die Verständigung erheblich beeinträchtigen.

Fremdsprachenlerner sollen - darüber besteht Einigkeit - in ihrer zielsprachlichen Rede ein möglichst natürliches, verständigungsfreundliches Klangbild erreichen. Dies ist etwa in den ,,Kann-Beschreibungen" des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER 2001: 117) formuliert. In der Praxis wird dieses Ziel bisher vor allem über die Einzellaute (Phoneme), viel weniger über die Intonation verfolgt. So siedelt der Europäische Referenzrahmen substanzielle intonatorische Fertigkeiten erst auf den Niveaus B2 bis C2 an, also in der Mittel- und Oberstufe (vgl. GER 2001: 37, 65, 117f. u.ö.), obgleich seit langem bekannt ist, dass in der Muttersprache die Intonation als Allererstes erworben wird (vgl. PÉTURSSON / NEPPERT 1996: 150f.).

Im DaF-Unterricht konzentrieren sich Phonetikübungen meist auf die Erkennung und Aussprache der Phoneme und Phonemkombinationen. In dem bekannten Phonetiklehrwerk Phonothek (STOCK / HIRSCHFELD 1996) bzw. Phonothek intensiv (HIRSCHFELD / REINKE / STOCK 2007) nimmt dieser Teil etwa 80% des Gesamtumfangs ein; Übungen zur Intonation machen weniger als 10% aus. Ähnlich ist die quantitative Verteilung in den meisten Grundstufenlehrwerken, soweit sie auf Phonetik eingehen, etwa in Sprachbrücke (MEBUS et al. 1987/1989; nur in den Kursbüchern) oder in Schritte International (NIEBISCH et al. 2006-2008; nur in den Arbeitsbüchern). Zahlreiche, vor allem ältere Lehrwerke, etwa Themen neu (AUFDERSTRAßE et al. 1998), lassen die Intonation in Kurs- und Arbeitsbüchern gänzlich außen vor. Eine Pionierstellung hat Stufen International (VORDERWÜLBECKE / VORDERWÜLBECKE 1995/1997), das in den Bänden 1 und 2 in fast allen Lektionen Intonationsübungen vorsieht.

Der vorliegende Aufsatz soll herausarbeiten, dass im DaF-Unterricht für Brasilianer die Intonation ein deutlich stärkeres Gewicht verdient, als sie gegenwärtig hat. Kapitel 2 geht exemplarisch auf Schwierigkeiten ein, die Muttersprachler des brasilianischen Portugiesisch mit deutschen Einzellauten haben, und argumentiert, dass diese möglicherweise überbewertet werden. Kapitel 3 stellt eine Minimalgrammatik der deutschen Standardintonation vor, die Grundlagen von Phrasierung, Akzent, Tonhöhe und Tonbewegungen sowie deren Beiträge zur Äußerungsbedeutung beschreibt. In Kapitel 4 wird gezeigt, dass die Grundfunktionen der Intonation in Aussage- und Fragesätzen weitgehend konstant sind. Kapitel 5 entwickelt Vorschläge für die Didaktisierung der Intonation in der DaF-Lehrerausbildung und im DaF-Unterricht.

2 /r/-Laute im Deutschen und Portugiesischen

Die meisten Muttersprachler des brasilianischen Portugiesisch haben Schwierigkeiten mit der Aussprache der deutschen Laute /r/, /h/, /x/ (des ach-Lauts) und /ç/ (des ich-Lauts)2 2 Durch voran- und nachgestellte Schrägstriche kennzeichne ich Phoneme, also Systemlaute der Sprache. Phonetische Realisierungsformen wie z.B. [R] für das deutsche /r/ kennzeichne ich durch eckige Klammern. Buchstaben (Grapheme) stelle ich zwischen spitze Klammern: 〈r〉. , also mit Lauten, die in Wortpaaren wie Rose vs. Hose oder Kuren vs. Kuchen bedeutungsunterscheidend sind.

Der /r/-Laut wird im Deutschen sehr unterschiedlich realisiert, je nachdem, ob er in der Silbe vor oder nach dem Vokal steht (vgl. DUDEN 2005a: 51ff.). In Silben wie Rost, Brust oder Strich, in denen das /r/ vor dem Vokal erscheint, wird es im Standarddeutschen typischerweise als uvularer Frikativ oder Vibrant [R] realisiert (als Reibe- oder Flatterlaut am Zäpfchen). Am Silbenende wie in Uhr, Ohr oder ihr, auch in unbetonten Endsilben wie in Fischer oder tapfer, wird es dagegen zu vokalisiert. Innerhalb der Silbe nach dem Vokal, aber vor weiteren Konsonanten wie in Durst, Wort oder Wirt, wird das /r/ teilweise als Frikativ - ,, -, teilweise als Vibrant - , , - ausgesprochen. In manchen Gegenden Deutschlands wird es in dieser Position auch als uvularer ach-Laut ausgesprochen - ,, - oder vokalisiert: , , .

Das brasilianische Portugiesisch (vgl. CRISTÓFARO SILVA 1999: 37ff.; CAGLIARI 1999: 49f.; zum Vergleich mit dem Deutschen: CAMARGO 1972; MAYER 1972) unterscheidet zwei Phoneme, die in der Schrift beide durch den Buchstaben 〈r〉 wiedergeben werden. Das Phonem /x/, das dem deutschen velaren ach-Laut ähnelt, wird als doppeltes 〈r〉 geschrieben, wie in carro. Das einschlägige Zungenspitzen-// wird als einfaches 〈r〉 geschrieben wie in caro. Als Aussprachevarianten von /x/ kommen [x], [h] und das mehrschlägige Zungenspitzen-[r] vor. Die Position im Wortinneren zwischen zwei Vokalen wie in carro und caro ist allerdings die einzige, in der die beiden Phoneme miteinander kontrastieren. In der Position zwischen einem Konsonanten und einem Vokal wie in brasa, trilha, creme usw. steht immer //, ebenso am Wortanfang wie in reto, rico oder roda und am Wort- bzw. Silbenende wie in motor, pedir oder pomar. Zwischen Konsonant und Vokal ist die phonetische Realisierung in der Regel das einschlägige . Am Wortanfang treten , [r], [x] und [h] als regionale und/oder stilistische Aussprachevarianten auf, am Wortende , [r], [x] und das retroflexe .

Da keine der r-Varianten in Bezug auf Artikulation und Silbenposition zwischen dem Deutschen und dem Portugiesischen3 3 Ich spreche im Folgenden häufig vereinfachend vom Portugiesischen. Damit sind hier durchweg nur brasilianische Varietäten gemeint. Die europäischen Varietäten des Portugiesischen sind gerade hinsichtlich der in diesem Aufsatz behandelten Eigenschaften in weiten Teilen anders zu beschreiben. 4 Zwischen Vokal und auslautendem Konsonanten erlaubt das Portugiesische kein /r/. In Wörtern wie horta oder largo gehört der auf das /r/ folgende Konsonant stets zur nächsten Silbe. Nur in Fremdwörtern kann /r/ zwischen Vokal und auslautendem Konsonanten stehen, z.B. in dem Personennamen Bart ( Simpson). Bei solchen Wörtern haben brasilianische Sprecher stets die Tendenz, durch Hinzufügung eines Endvokals, etwa /I/, den auslautenden Konsonanten, hier das /t/, in eine neue Silbe zu ziehen. Entsprechend häufig findet man anstelle von Bart Simpson die Schreibung Barte Simpson. Mit den Großbuchstaben A und B werden unterschiedliche Sprecher gekennzeichnet. In geschweifte Klammern sind Kontextinformationen eingeschlossen, die nicht zum Beispiel selbst gehören, aber für seine Interpretation wichtig sind. übereinstimmt, ist die Erwartung naheliegend, dass die AusspDa keine der r-Varianten in Bezug auf Artikulation und Silbenposition zwischen demdenken könnte, hauptsächlich ästhetisch relevant. Bei der inhaltlichen Verständigung kann er nur geringe Schäden anrichten.

Klicken zum vergrößern

Schauen wir uns, um dies zu verstehen, noch einmal die Verteilung der r-Varianten in beiden Sprachen an:

(1) Realisierung der r-Laute: - uvularer Frikativ, [χ] - uvularer ach-Laut, [R] - uvularer Vibrant, [x] - velarer ach-Laut, [h] - Hauchlaut, - vokalisiertes /r/, - einschlägiger Zungenspitzenlaut, [r] - mehrschlägiger Zungenspitzenlaut, - retroflexer Zungenspitzenlaut.

Ein Muttersprachler des Deutschen, der im Portugiesischen Wörter wie rosa oder brasa mit uvularem oder [R] ausspricht, kann damit kaum Missverständnisse hervorrufen, denn diese Laute haben im Portugiesischen keine besondere Funktion. Sie werden einfach als Varianten von // bzw. /x/ interpretiert, die für Sprecher mit deutschem Akzent typisch sind.

Missverständnisse können resultieren, wenn ein Deutschsprecher im Inneren portugiesischer Wörter zwischen Vokalen keinen Unterschied zwischen // und /x/ macht und beide durch oder [R] ersetzt. Im Deutschen werden Wortpaare wie zerren vs. zehren nicht durch den r-Laut, sondern durch Qualität und Länge des vorausgehenden Vokals unterschieden: Ein Vokal vor geschriebenem Doppel-〈r〉 wird kurz und ungespannt, ein Vokal vor geschriebenem einfachem 〈r〉 - zumal mit Dehnungszeichen (hier: 〈h〉) - wird lang und gespannt ausgesprochen (vgl. RAMERS / VATER 1992: 116ff.). Im Portugiesischen hat die Vokallänge keine phonemunterscheidende Funktion. Wörter wie carro und caro haben die gleichen Vokale, aber unterschiedliche r-Laute. Auch am Silbenende können Missverständnisse ausgelöst werden, wenn ein Deutschsprecher das // in Wörtern wie lar vokalisiert. Dann werden Verwechslungen mit oder möglich. Insgesamt bestehen solche Gefahren aber nur bei einer kleinen Zahl von Wörtern.

Ein Muttersprachler des Portugiesischen, der im Deutschen für /r/ durchweg das Zungenspitzen-

oder -[r] verwendet, kann für die inhaltliche Verständigung ebenfalls keinen Schaden anrichten, denn diese Laute sind im Deutschen nur als regionale Varianten zu [R] bekannt.

Inhaltliche Missverständnisse können aus der Verwechslung von /r/ und /h/ am Wortanfang sowie von /r/ und /x/ in der Wortmitte oder am Wortende resultieren. Der [h]-Laut kommt im Portugiesischen nur als Aussprachevariante von // oder /x/ am Wort- bzw. Silbenanfang vor. Im Deutschen hat er Phonemstatus. Spricht ein Brasilianer den Anfang des Wortes riesig nicht mit uvularem [R] oder mit Zungenspitzen-[r], sondern mit [h] aus, so kann ein deutscher Hörer das Wort hiesig verstehen. Spricht ein Brasilianer das deutsche Wort Tour am Ende nicht mit oder [r], sondern mit der im Portugiesischen möglichen Variante [x] aus, so kann ein deutscher Hörer das Wort Tuch verstehen. Allerdings sind Wortpaare, bei denen solche Verwechslungen möglich sind, selten, und ein Muttersprachler des Portugiesischen kann allen derartigen Missverständnissen aus dem Weg gehen, indem er beim Deutschsprechen durchgehend das Zungenspitzen-[r] verwendet.

Es wäre natürlich falsch, aus diesem Beispiel die These ableiten zu wollen, im DaF-Unterricht für Brasilianer könnte auf die Phonetik der Einzellaute verzichtet werden. Ohne Zweifel müssen das Erkennen und die Artikulation der Laute und ihre Zuordnungen zu den Buchstaben der Schrift geübt werden. Ich hoffe aber, noch deutlich zu machen, dass die Intonation ein mindestens ebenso wichtiges Gebiet der Phonetik ist.

3 Intonation im Deutschen

Die traditionelle Grammatikschreibung des Deutschen hat sich nur wenig mit Intonationsfragen befasst, vor allem weil es ihr dafür an Werkzeugen fehlte. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden technische Apparate für die Tonaufzeichnung erfunden. Vorher hatte man kaum Möglichkeiten, die genauen Eigenschaften gesprochener Sprache zu beobachten, und so entwickelten sich auch die Theorien der Intonation und die begrifflichen und technischen Mittel für ihre Analyse nur langsam.

Immerhin enthielt die verbreitetste Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, die DUDEN-Grammatik, ab ihrer ersten Nachkriegsauflage (1959: 599-627) ein etwa 30 Seiten langes Kapitel mit dem Titel Die Klanggestalt des Satzes, das bis zur vierten Auflage (1984) unverändert beibehalten wurde. In diesem Kapitel wurden unter dem Begriff Tonfall typische Satzmelodien - Intonationskonturen, wie man heute sagen würde - von Aussage-, Aufforderungs- und Fragesätzen beschrieben und mit Hilfe gezeichneter Bögen, Striche und Punkte graphisch veranschaulicht. Die mit den Tonbewegungen verbundenen Satz- bzw. Äußerungsakzente wurden vorgestellt und ihre Funktion bei der Hervorhebung wichtiger Informationsbestandteile erklärt. Aus heutiger Sicht erscheint es überraschend, wie vieles von dem, was wir jetzt über Intonation wissen, im Ansatz schon damals bekannt war. Allerdings waren die Darstellungsmittel noch weniger ausgereift und die Systematisierung und theoretische Durchdringung der Materie weniger fortgeschritten.

In der fünften und sechsten Auflage der DUDEN-Grammatik (1995; 1998) wurde das Kapitel zur Intonation ersatzlos gestrichen. Offenbar waren die damaligen Herausgeber der Ansicht, dass die Darstellung von 1959 nicht mehr dem Forschungsstand entsprach, dass aber noch keine für eine Volksgrammatik geeignete neue Darstellung verfügbar war. Erst in der siebten Auflage (2005b: 95-128) wurde wieder ein Kapitel von etwa 30 Seiten, jetzt mit dem Titel Intonation eingefügt, das den aktuellen Wissensstand in verständlicher Form aufzubereiten versucht. Hinzu kommt ein recht umfangreiches Kapitel zur gesprochenen Sprache (2005b: 1175-1256), das ebenfalls an mehreren Stellen auf Intonation eingeht.

3.1 Intonatorische Einheiten

Im Prinzip sind die Grundbegriffe der deutschen Intonation nicht schwer zu verstehen, jedenfalls nicht schwerer als die der deutschen Syntax, die jeder Germanistikstudent selbstverständlich lernen muss. Ein erster Kerngedanke besteht darin, dass eine gesprochene Äußerung in Einheiten zerlegt wird. Solche Einheiten sind zum einen syntaktischer Natur. Die Grundeinheit der Syntax ist der Satz. Zum anderen bestehen Äußerungen aus Intonationseinheiten. Die Grundeinheit der intonatorischen Struktur ist die sogenannte Intonationsphrase: ein Redeabschnitt, der intonatorisch als zusammengehörig gekennzeichnet wird. Eine Intonationsphrase kann genau einen Satz, aber auch weniger oder mehr als einen Satz umfassen. Entscheidend ist, dass sie einer Inhalts- und Handlungseinheit entspricht, einer Mitteilung des Sprechers an den Adressaten, die allein für sich stehen oder in eine Folge von Mitteilungsschritten eingeordnet werden kann (vgl. BLÜHDORN 2012: 151ff.).

Betrachten wir zur Illustration ein Beispiel aus einem Interview mit einem deutschen Schriftsteller (aus STEGER et al. 1971/1974). Ich habe hier die Tonhöhenbewegungen, die die Intonation ausmachen, noch nicht eingezeichnet, sondern lediglich die Inhalts- und Handlungseinheiten, die vom Sprecher intonatorisch kenntlich gemacht wurden, jeweils in eine Zeile gesetzt:

(2) [...] das is also das ist dieses dieses Unterhalten //

den Leser unterhalten aber gleichzeitig ihn dabei aktiv halten //

dass er sich nicht von der Prosa wegtragen lässt und und und //

die Seiten frisst als handlungsfördernden Stoff //

sondern wach bleibt dabei //

oder ermüdet wird //

dann innehalten muss //

und einen neuen Anlauf nehmen muss [...]

Die erste Einheit ist - wenn wir von den Wortwiederholungen einmal absehen - syntaktisch ein vollständiger und selbständiger Satz. Die zweite besteht aus zwei infiniten Verbgruppen, die mit aber koordiniert sind. Die dritte ist ein Nebensatz. Die vierte hat die Form einer finiten Verbgruppe ohne Subjekt, ebenso die fünfte, sechste, siebte und achte. Die meisten dieser Einheiten umfassen syntaktisch weniger als einen Satz. Trotzdem können sie in der Rede die Funktion eigenständiger Mitteilungsschritte haben. Wenn in der Literatur - etwa in DaF-Lehrwerken - verschiedentlich von Satzintonation gesprochen wird, ist das also, streng genommen, eine vereinfachende und ungenaue Redeweise, die sich möglicherweise aus einem schriftzentrierten Sprachbewusstsein erklären lässt.

3.2 Hochton und Tiefton

Intonationsphrasen zeigen einen Melodieverlauf, der schematischen Mustern folgt, die sogenannte Intonationskontur. Dort, wo eine solche Kontur beginnt, beginnt die Intonationsphrase; wo sie endet, endet die Intonationsphrase. Das wichtigste melodische Schema im Standarddeutschen - wie in den meisten Sprachen der Welt (vgl. PÉTURSSON / NEPPERT 1996: 152ff.) - ist dadurch gekennzeichnet, dass die Tonhöhe zunächst ansteigt und dann wieder abfällt. Beispiel (3) stammt aus der aktuellen DUDEN-Grammatik (2009: 117). Einfachheitshalber wurde es so gewählt, dass die Intonationsphrase genau einen Satz umfasst. Wir haben schon gesehen, dass auch Wortketten, die syntaktisch anders zu charakterisieren sind, als Intonationseinheiten in Frage kommen:

Beispiel (3) zeigt, wie die Stimme gleich zu Beginn ansteigt, auf einem hohen Ton verweilt, dann wieder abfällt und am Ende auf einem tiefen Ton verweilt.

Der Aufbau solcher Intonationskonturen ist von den Silben her zu verstehen. Im Schema steht für jede Silbe ein Punkt. Die Silbe ist der Sitz der intonatorischen Eigenschaften. Zu diesen gehört vor allem der Ton. Faktisch kann sich die Stimme beim Sprechen über eine ganze Anzahl unterschiedlicher Tonstufen bewegen. Für die deutsche Grammatik nehmen heute aber die meisten Autoren in Anlehnung an PIERREHUMBERT (1980) an, dass nur eine einzige Tonunterscheidung relevant ist, nämlich die zwischen Hochton und Tiefton (vgl. DUDEN 2009: 96). Das Schema zeigt das, indem es keine Zwischentöne darstellt. Zwischentöne kommen phonetisch zwar vor, sind grammatisch aber ohne Belang.

Der Anstieg am Anfang der Intonationskontur ist ein Übergang vom Tiefton zum Hochton. Alternativ kann die Stimme direkt auf dem Hochton einsetzen. Der Abfall am Ende der Kontur ist ein Übergang vom Hochton zum Tiefton. Auf dieses einfache Muster lässt sich ein erheblicher Teil der Intonation des Standarddeutschen reduzieren.

Natürlich hat die Stimme jedes Sprechers einen unterschiedlichen Tonumfang, und jeder Sprecher realisiert Hochton und Tiefton in einer anderen Lage. Auch ein und derselbe Sprecher spricht bei unterschiedlichen Gelegenheiten unterschiedlich hoch oder tief. Ferner kann der Abstand zwischen Hochton und Tiefton jedesmal anders ausfallen. Sogar während des Sprechens ändern die Töne ihre Lage (vgl. DUDEN 2009: 93ff.). Das alles ist für die Grammatik der Intonation aber bedeutungslos. Für die Grammatik entscheidend ist nur der Kontrast zwischen Hochton und Tiefton, der an jeder Stelle der Rede durch den Vergleich zwischen benachbarten Silben beobachtet werden kann: Hoch ist ein Ton, der deutlich höher ist als andere Töne in seiner Nähe; tief ist ein Ton, der deutlich tiefer ist als andere Töne in seiner Nähe.

Anstieg und Abfall der Tonhöhe können in der Intonationsphrase an unterschiedlichen Stellen liegen. So liegt etwa in (4) der Anstieg eine Silbe später, der Abfall eine Silbe früher als in (3). Das Ergebnis bleibt eine Intonationskontur, die genau einen Satz umfasst:

Zwischen Anstieg und Abfall kann die Stimme auf einem hohen Ton verweilen wie in (3) und (4). Sie kann aber auch in der Tonhöhe schwanken, sodass sich ein mehrmaliger Anstieg und Abfall ergibt wie in (5):

3.3 Akzent

Eine Kontur wie in (5) muss immer noch als eine Einheit gedeutet werden, obgleich sie zwei ansteigende und zwei abfallende Tonbewegungen enthält. Dass wir es hier nicht mit einer Folge von zwei Intonationsphrasen zu tun haben, kann man an den Tonbewegungen allein nicht erkennen. Dafür ist eine zweite intonationsrelevante Eigenschaft der beteiligten Silben maßgeblich: der Akzent.

Silben werden entweder ,,betont" (d.h. akzentuiert) oder ,,unbetont" (d.h. unakzentuiert) ausgesprochen. Der Akzent einer Silbe wird im Deutschen hauptsächlich durch erhöhten Stimmdruck (Intensität) realisiert. Unakzentuierte Silben werden mit schwächerem, akzentuierte Silben mit stärkerem Druck ausgesprochen. Ebenso wie für den Ton gilt auch für den Druck kein absolutes Maß, sondern das relative Maßim Vergleich zu den Umgebungssilben. Manche Sprecher artikulieren insgesamt mit relativ hohem, andere mit geringerem Druck. Auch bei ein und demselben Sprecher variiert der Stimmdruck von Fall zu Fall. Als akzentuiert werden generell solche Silben wahrgenommen, die im Vergleich zu ihren Nachbarsilben deutlich mehr Druck erhalten; als unakzentuiert werden Silben wahrgenommen, die im Vergleich zu ihren Nachbarsilben deutlich weniger Druck erhalten.

Ob eine Silbe Akzent erhält oder nicht, entscheidet sich zum einen auf der Wortebene, zum anderen auf der Ebene der Intonationsphrase. In mehrsilbigen Wörtern bzw. Wortformen ist in der Regel eine Silbe als Trägerin des Wortakzents festgelegt (vgl. den Überblick in ENGELS 2011: 62ff.). Die Lage des Wortakzents ist eine feste phonologische Eigenschaft jeder Wortform. So liegt in Maria der Wortakzent auf der zweiten Silbe (-ri-), in eine auf der ersten (ei-), in Heidelbergerin ebenfalls auf der ersten (hei-). Manche Wörter weisen eine erste und eine zweite Akzentsilbe auf. So liegt in Heidelbergerin ein zweiter, schwächerer Wortakzent auf der Silbe -ber-. Das lassen wir im Folgenden außer Betracht.

Wird eine Kette aus mehreren Wörtern als Intonationseinheit geäußert, so müssen nicht alle Wortakzente gleich deutlich ausgesprochen werden. In der Regel beschränkt man sich darauf, diejenigen Wörter mit Akzent (Äußerungsakzent; vgl. ENGELS 2011: 66ff.) auszusprechen, die für die beabsichtigte Mitteilung besonders wichtig sind. In der Intonationseinheit zeigen Akzente Hervorhebungen an. In dem Satz Maria ist eine Heidelbergerin kann es zum Beispiel sinnvoll sein, den Namen Maria und das Prädikatsnomen Heidelbergerin hervorzuheben. Die Wortakzentsilben dieser Wörter werden dann mit erhöhtem Stimmdruck ausgesprochen. Dagegen wird der Stimmdruck auf der Wortakzentsilbe des unbestimmten Artikels eine nicht (oder kaum) erhöht. In Beispiel (6), das wiederum für eine Intonationseinheit steht, sind akzentuierte Silben in Großbuchstaben, unakzentuierte in Kleinbuchstaben geschrieben:

(6) maRIa ist eine HEIdelbergerin

Für den Äußerungsakzent gibt es im Deutschen wie beim Ton genau zwei Werte. Unterschieden wird zwischen dem Vorhandensein und dem Fehlen von Akzent. Starke, schwache oder mittlere Äußerungsakzente gibt es nicht. Das bedeutet, dass unter Intonationsgesichtspunkten vier Klassen von Silben zu unterscheiden sind: akzentuierte Silben mit Hochton, akzentuierte Silben mit Tiefton, unakzentuierte Silben mit Hochton und unakzentuierte Silben mit Tiefton:

Wenn wir nun die Tonbewegung aus Beispiel (3) und die Akzentfolge aus Beispiel (6) übereinanderlegen, so erhalten wir Beispiel (8):

Hier sind RI und HEI als akzentuierte Silben mit Hochton gekennzeichnet; a, ist, ei und ne sind unakzentuierte Silben mit Hochton; ma, del, ber, ge und rin sind unakzentuierte Silben mit Tiefton.

Äußerungsakzente sind im Deutschen in aller Regel mit Tonbewegungen verbunden, und zwar gerade mit denjenigen Tonbewegungen, die die Intonationskontur festlegen. Der Wechsel der Tonhöhe kann vor oder nach der Akzentsilbe stattfinden, d.h. es gibt auch vier Arten von Akzenten. In (i) und (ii) folgt ein Hochton auf einen Tiefton, d.h. die Tonbewegung ist steigend; in (iii) und (iv) folgt ein Tiefton auf einen Hochton, d.h. die Tonbewegung ist fallend:

(i) unakzentuierter Tiefton + akzentuierter Hochton = steigender Akzent 1

(ii) akzentuierter Tiefton + unakzentuierter Hochton = steigender Akzent 2

(iii) akzentuierter Hochton + unakzentuierter Tiefton = fallender Akzent 1

(iv) unakzentuierter Hochton + akzentuierter Tiefton = fallender Akzent 2

(9) bis (12) verdeutlichen die vier Akzentarten mit Varianten des Beispielsatzes. Die steigenden bzw. fallenden Tonbewegungen, die mit dem Akzent verbunden sind, hebe ich durch Fettdruck hervor:

In (9) und (10) liegt auf der Akzentsilbe RI in Maria ein Hochton. Ein Tiefton geht voraus, d.h. wir haben es mit steigenden Akzenten vom Typ 1 zu tun. Auf dem Wort Heidelbergerin liegen in beiden Beispielen fallende Akzente. In (9) liegt auf der Akzentsilbe HEI ein Hochton; ein Tiefton folgt (fallender Akzent Typ 1). In (10) liegt auf HEI ein Tiefton; ein Hochton geht voraus (fallender Akzent Typ 2).

Auch in (11) und (12) liegen auf Maria steigende Akzente. Hier liegt aber auf der Akzentsilbe RI ein Tiefton, und ein Hochton folgt (steigender Akzent Typ 2). Auf Heidelbergerin liegen wiederum fallende Akzente. In (11) liegt auf HEI ein Hochton; ein Tiefton folgt (fallender Akzent Typ 1). In (12) liegt auf HEI ein Tiefton; ein Hochton geht voraus (fallender Akzent Typ 2).

(13) gibt eine Übersicht über die Akzentarten. Hochtonakzent bedeutet, dass die akzentuierte Silbe einen Hochton trägt; Tieftonakzent bedeutet, dass sie einen Tiefton trägt:

Klicken zum vergrößern

Intonatorisches Kernstück einer prototypischen Intonationsphrase ist im Deutschen ein fallender Akzent. Jede Intonationsphrase sollte genau einen Akzent mit fallender Tonbewegung enthalten, den sogenannten Nuklearakzent. Dieser ist zugleich ihr letzter Akzent. Akzente mit steigender Tonbewegung können dem Nuklearakzent vorausgehen. Sie können vorhanden sein, können aber auch fehlen. Ein nach dem Nuklearakzent folgender nächster Akzent gehört schon zur nächsten Intonationsphrase (vgl. BÜRING 1997: 28ff.; BLÜHDORN 2012: 155f.).

Betrachten wir erneut Beispiel (5), jetzt mit eingetragenen Akzenten:

Die letzte fallende Tonbewegung liegt auf dem Wortteil HEIdel-. Sie ist zugleich mit einem Akzent verbunden. Danach folgen noch unakzentuierte Silben, die zur gleichen Intonationsphrase gehören. Ein nach HEIdel- folgender nächster Akzent läge in der nächsten Intonationsphrase. Auf maRIa liegt eine steigende Tonbewegung, die ebenfalls mit einem Akzent verbunden ist. Dagegen ist die fallende Tonbewegung zwischen maRIa und ist nicht mit einem Akzent verbunden. Sie betrifft nur unakzentuierte Silben und zeigt daher nicht das Ende einer Intonationsphrase an. Deshalb haben wir es in (5) nur mit einer, nicht mit zwei Intonationsphrasen zu tun.

3.4 Vergleich mit dem Portugiesischen

Während Akzente im Deutschen durch Änderungen von Stimmdruck und Tonhöhe phonetisch realisiert werden, werden sie im brasilianischen Portugiesisch vor allem durch die Silbenlänge angezeigt. Anders als das Deutsche unterscheidet das Portugiesische in seinem Phonemsystem nicht zwischen Kurz- und Langvokalen (vgl. CRISTÓFARO SILVA 1999: 78ff.). Stattdessen ist eine Längung des silbentragenden Vokals das hauptsächliche phonetische Mittel zur Realisierung von Akzent (Quantitätsakzent; vgl.: MASSINI-CAGLIARI / CAGLIARI 2000: 113). Mit diesem Unterschied sind für Deutsch lernende Brasilianer drei große Schwierigkeiten verbunden, die relativ leicht die Verständigung beeinträchtigen können.

Die erste Schwierigkeit betrifft das Erkennen und Aussprechen akzentuierter Kurzvokale im Deutschen. Wortpaare wie Haaren vs. harren, bieten vs. bitten oder stehlen vs. stellen unterscheiden sich durch die Vokale der Akzentsilben, und zwar neben Unterschieden in der Vokalqualität (gespannt vs. ungespannt; vgl. RAMERS / VATER 1992: 116ff.) vor allem durch die Vokallänge: Haaren, bieten und stehlen haben einen langen, harren, bitten und stellen einen kurzen Akzentvokal. Portugiesischsprechern fällt es schwer, diesen Unterschied in deutschen Wörtern zu hören und selbst zu realisieren. Sie haben stets die Tendenz, die Akzentvokale lang auszusprechen, sodass harren eher wie Haaren klingt, bitten wie bieten und stellen wie stehlen.

Die zweite Schwierigkeit betrifft den Stimmdruck. Im brasilianischen Portugiesisch wird er generell weniger als im Deutschen für grammatisch relevante Unterscheidungen genutzt. Insbesondere werden Akzentsilben mit relativ weniger Stimmdruck versehen. Diese Tendenz übertragen Brasilianer typischerweise auf das Deutsche. Beim Wortakzent wirkt sich das kaum aus, da seine Lage sowieso für jede Wortform feststeht. Er kann vom Hörer auch bei schwacher Artikulation meist problemlos rekonstruiert werden. Weitreichende Folgen können sich aber bei den Äußerungsakzenten ergeben, deren Lage Informationsschwerpunkte anzeigt. Wenn sie nicht erkannt werden, kann die Verständigung leicht zusammenbrechen.

Die dritte Schwierigkeit betrifft die Tonhöhe, die im Portugiesischen ebenfalls nur am Rande für die Kennzeichnung von Akzentsilben verwendet wird. Intonationskonturen übernehmen im Portugiesischen stärker als im Deutschen Funktionen bei der Signalisierung pragmatischer Zusatzinformation, z. B. in Bezug auf die Sicherheit, mit der der Sprecher eine Behauptung aufstellt, oder in Bezug auf Wissen und Handlungsabsichten, die er seinem Gesprächspartner unterstellt, ferner (Nicht-)Übereinstimmung, Kritik, Ironie und andere. Hierzu sind gerade in den letzten Jahren eingehende Untersuchungen durchgeführt worden, die im Begriff sind, einen traditionell kaum beachteten Bereich der portugiesischen Grammatik aufzuhellen (vgl. etwa ANTUNES 2007; PEREIRA 2009; CELESTE 2010; OLIVEIRA 2011). Im Deutschen werden solche Informationen hauptsächlich durch lexikalische Mittel, vor allem durch Satzadverbien und Abtönungs- bzw. Modalpartikeln kodiert.

Wenn nun brasilianische Deutschlerner die Intonationskonturen, die sie aus dem Portugiesischen kennen, auf das Deutsche übertragen, werden die Informationen, die sie damit auszudrücken glauben, für einen deutschen Hörer unverständlich bleiben. Andererseits bleiben die Informationen, die im Deutschen durch die Intonation angezeigt werden müssten, unausgedrückt. Im nächsten Abschnitt werde ich zumindest andeutungsweise zu zeigen versuchen, um welche Art von Informationen es dabei geht, sodass deutlicher wird, warum die Verständigung gerade durch Intonationsfehler so stark beeinträchtigt werden kann.

3.5 Zur Bedeutung der Akzentarten

Die Unterscheidungen zwischen akzentuierten und unakzentuierten Teilen der Äußerung, zwischen steigenden und fallenden Akzenten, zwischen hohen und tiefen Akzenttönen erfüllen im Deutschen wichtige Aufgaben für die Organisation des Informationsflusses zwischen den Kommunikationspartnern und damit für die Einbindung von Äußerungen in den Kommunikations- und Interaktionskontext.

Zunächst zur Bedeutung der reinen Akzentuierung: Äußerungsakzente zeigen Hervorhebungen an. Hervorgehoben werden Informationsbestandteile, zu denen im gegebenen Kontext Alternativen verfügbar waren, sodass der Sprecher sich entscheiden musste (vgl. ROOTH 1985: 10ff.; 1996: 275ff. für das Englische). Nicht-akzentuierte Äußerungsbestandteile stehen dagegen für alternativlose Informationen, die als bekannt und/oder unstrittig vorausgesetzt werden.

Nehmen wir an, in einer Familie wird darüber gesprochen, welche Berufe die drei heranwachsenden Kinder erlernen:

14) {A - Was wollen die jungen Leute werden?}

In der Äußerung von Sprecher B ist das Verb wird unakzentuiert. Es steht für das unstrittige und in diesem Sinne alternativlose Gesprächsthema der Berufswahl. Zwei Ausdrücke sind durch Akzentuierung hervorgehoben: der Name Rudi und die Berufsbezeichnung Soziologe. Der Personenname steht für einen der drei Jugendlichen. Durch die Hervorhebung macht der Sprecher deutlich, dass er sich mit der aktuellen Äußerung nur auf diese Person bezieht und nicht auf die beiden anderen. Durch die Hervorhebung der Berufsbezeichnung macht er deutlich, dass aus der Gesamtmenge der im Kontext denkbaren Berufe dieser eine ausgewählt wurde (vgl. JACOBS 1988: 91ff.; BÜRING 1997: 28ff.; BLÜHDORN 2012: 143ff.,159ff.).

Nun zur Bedeutung der Tonbewegung: Durch sie werden Hervorhebungen weiter ausdifferenziert. Ein Akzent mit steigender Tonbewegung hat seine Funktion im Zusammenhang mit der Eröffnung einer Mitteilung. Zur Kennzeichnung füge ich in (15) vereinfachend einen steigenden Schrägstrich vor der Akzentsilbe ein. Steigende Akzente zeigen Auswahlentscheidungen an, mit denen der Sprecher die Informationserwartung des Adressaten für die aktuelle Mitteilung verengt. Äußerungsabschnitte, die solche Akzente tragen, werden als Topiks bezeichnet (vgl. BÜRING 1997: 53ff.; BLÜHDORN 2012: 170ff.). In einer Intonationsphrase können mehrere Topiks aufeinanderfolgen:

(15) {A - Was wollen die jungen Leute werden?}

B - /RUdi wollte am /ANfang sozioLO\ge werden

Der steigende Akzent auf Rudi verengt die Erwartung des Adressaten auf eine Mitteilung über eine von mehreren möglichen Personen. Mitteilungen über andere Personen werden damit für den Moment aus der Erwartung ausgeschlossen. Der zweite steigende Akzent, auf Anfang, verengt die Erwartung weiter auf eine Mitteilung über ein bestimmtes Zeitintervall. Es deutet sich an, dass die besprochene Person zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Berufspläne hatte. Im Moment soll aber nur über das Zeitintervall gesprochen werden, das als Anfang bezeichnet wird. Fallende Akzente - in (15) durch einen fallenden Schrägstrich nach der Akzentsilbe angezeigt - kündigen die Vervollständigung der Informationseinheit und damit die Erfüllung der für die aktuelle Mitteilung noch verbliebenen Informationserwartung an. Ein Äußerungsabschnitt, der so gekennzeichnet ist, wird als Fokus bezeichnet (vgl. BLÜHDORN 2012: 151ff.). Im konkreten Beispiel wird mit dem Fokus der ausgewählten Person für das ausgewählte Zeitintervall ein bestimmter Berufswunsch zugeordnet.

Zuletzt zur Bedeutung des Akzenttons, also der Unterscheidung zwischen Tiefton- und Hochtonakzent. In der Fachliteratur wird darüber zur Zeit noch diskutiert (vgl. z.B. KOHLER 1995: 198f.; NIEBUHR 2007). Mehr und mehr setzt sich aber die Ansicht durch, dass mit dieser Unterscheidung der Informationsbeitrag des hervorgehobenen Ausdrucks in Beziehung zum vorausgesetzten Wissen des Sprechers und des Adressaten gesetzt wird (vgl. NIEBUHR 2007: 12ff.). Etwas vereinfachend kann die Funktionsweise folgendermaßen zusammengefasst werden: Ein Tieftonakzent hebt eine Information hervor, die im gemeinsamen Wissen (common ground; vgl. STALNAKER 2002; DEPPERMANN / BLÜHDORN 2013: 7ff.) des Sprechers und des Adressaten bereits vorhanden ist. Ein Hochtonakzent hebt eine Information hervor, die dem gemeinsamen Wissen hinzugefügt werden soll (vgl. auch DUDEN 2009: 105f.). Hier zeigt sich ganz besonders, dass die Intonation zu den Sprachmitteln gehört, die einzelne Äußerungen in den Interaktionskontext einbinden.

Die Bedeutungsunterschiede zwischen den Akzentarten können anhand der Beispiele (9a) bis (12a) veranschaulicht werden (vgl. Beispiele (9) bis (12) in Abschnitt 3.3).

In (11a) ist Maria mit der Frage von Sprecher A als Gesprächsthema vorgegeben. In der Antwort von Sprecher B wird Maria durch den Tieftonakzent als ,,altes Topik" gekennzeichnet: eine Information, die im gemeinsamen Wissen der Gesprächspartner schon vorhanden ist und nun Informationserwartungen des Adressaten verengen soll. Dagegen ist Heidelbergerin durch den Hochtonakzent als ,,neuer Fokus" markiert: eine Information, die zum gemeinsamen Wissen hinzugefügt werden soll und die aktuelle Mitteilung vervollständigt:

Auch in (12a) ist Maria ,,altes Topik". Hier ist aber auch Heidelbergerin durch den Tieftonakzent als Information gekennzeichnet, die schon zum gemeinsamen Wissen der Gesprächspartner gehört, also als ,,alter Fokus". Die Antwort bestätigt hier lediglich Informationen, die durch die Frage und durch den äußeren Kontext bereits vorgegeben sind:

In (10a) ist Heidelbergerin ebenfalls ,,alter Fokus". Der Ort ist durch den äußeren Kontext und durch die Frage von Sprecher A schon Teil des gemeinsamen Wissens. Dagegen zeigt der Hochtonakzent auf Maria an, dass die gemeinte Person noch nicht im Gespräch ist. Vorgegeben ist lediglich die Gruppe, aus der sie ausgewählt wird. Maria ist somit ein ,,neues Topik":

In (9a) schließlich steuern sowohl das Topik als auch der Fokus Informationen bei, die zum gemeinsamen Wissen hinzugefügt werden sollen. Beide sind mit einem Hochtonakzent gekennzeichnet:

Die Beispiele zeigen, dass sich die gleiche Wortkette mit nur leicht unterschiedlicher Intonation in ganz unterschiedliche Kontexte einfügt und insbesondere als Antwort auf ganz unterschiedliche Fragen zu verwenden ist. Die semantischen Funktionen der besprochenen intonatorischen Kennzeichen können folgendermaßen zusammengefasst werden:

Klicken zum vergrößern

Mit diesen Unterscheidungen ist nur ein kleiner, wenn auch zentraler Teil der deutschen Intonationsgrammatik angesprochen. Eine ausführlichere Darstellung müsste auch auf Töne am Anfang und Ende von Intonationsphrasen eingehen (sogenannte Grenztöne; sie werden im nächsten Kapitel kurz erwähnt), auf vollständige und unvollständige Konturen, auf Funktion und Gestaltung von Pausen, auf die Interaktion zwischen Intonation und Syntax und vieles mehr. Das kann in diesem Aufsatz nicht geleistet werden. Schon die wenigen vorgestellten Beispiele dürften aber deutlich gemacht haben, dass in der Intonation auf systematische und regelhafte Weise Informationen kodiert werden, die für eine erfolgreiche Verständigung unentbehrlich sind. Darüber hinaus deutet sich an, dass Intonationsregeln ihrer Natur nach lehr- und lernbar sind. Bevor ich darauf in Kapitel 5 zurückkomme, gehe ich auf die Frage ein, welche Rolle die Intonation in unterschiedlichen Satzarten spielt.

4 Satzarten und sprachliche Handlungen

Der Intonation wird häufig die Aufgabe zugesprochen, zwischen Satzarten, insbesondere zwischen Aussage- und Fragesätzen, zu unterscheiden (vgl. DUDEN 2009: 106ff., 113ff.). Es lohnt sich, diese Annahme, die zu Begriffsbildungen wie ,,Aussageintonation" und ,,Frageintonation" geführt hat, ein wenig genauer zu diskutieren.

In erster Linie werden Aussage- und Fragesätze im Deutschen syntaktisch unterschieden, und zwar durch die Besetzung des Vorfelds, d.h. der Position vor einem vorangestellten finiten Verb in der linearen Satzstruktur (vgl. BLÜHDORN / LOHNSTEIN 2012: 204ff.; BLÜHDORN 2013: 150ff.). In Entscheidungsfragesätzen wie (17) ist das Vorfeld unbesetzt: Das finite Verb steht am Satzanfang. In Ersetzungsfragesätzen wie (18) enthält das Vorfeld eine Interrogativphrase (hier: wie); in Aussagesätzen wie (19) enthält es eine nicht-interrogative Phrase (hier: sie):

(17) Ø Heißt sie Müller?

(18) Wie heißt sie?

(19) Sie heißt Schmidt.

Etliche Autoren haben darauf hingewiesen, dass die Satzarten damit eindeutig unterschieden sind und dass eine zusätzliche Unterscheidung durch die Intonation weder benötigt wird, noch faktisch stattfindet (z.B. KOHLER 1995: 196). Dennoch ist es richtig, dass Entscheidungsfragen (ja-nein-Fragen) am Ende oft steigend und Aussagesätze am Ende meist fallend intoniert werden:

Ersetzungsfragen (w-Fragen) werden typischerweise fallend intoniert:

Allerdings sind auch andere Intonationen dieser Wortketten möglich. Sie gehen mit den gleichen Bedeutungsunterschieden einher, die in Kapitel 3 für Aussagesätze beschrieben wurden.

4.1 Intonation von Ersetzungsfragen

Die Intonation einer Ersetzungsfrage mit fallendem Hochtonakzent wie in (22) wird verwendet, wenn der Sprecher mit der Frage ein neues Thema anschneidet, von dem vorher noch nicht die Rede war. Zusätzlich zum Hochtonakzent kann die Partikel eigentlich eingesetzt werden, um noch deutlicher auf die Neuheit des Themas hinzuweisen (vgl. ICKLER 1994: 384):

Auch in (23) wird durch den Hochtonakzent auf wohnen Neuheit des Themas angezeigt. Die Tonbewegung ist hier aber steigend. Nach dem Akzent verbleibt die Tonhöhe bis zum Ende der Frage auf dem Hochton. Durch diese Kontur, in der der Tonabfall am Ende fehlt, wird signalisiert, dass die Handlung des Sprechers als Interaktionsabschnitt unabgeschlossen ist (vgl. DUDEN 2009: 116f.). Damit kann der Fragende auf die Erwartung einer Antwort hinweisen und/oder anzeigen, dass er noch weitere Fragen stellen will:

Klicken zum vergrößern

In einer solchen Sequenz zeigt jeder Hochtonakzent ein neues Thema an. Durch die mehrfache Wiederholung der Intonationskontur kann ein gelangweilter, desinteressierter Eindruck entstehen, wie ihn manchmal Beamte in Behörden machen, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Personalien abzufragen.

In (24) liegt auf wohnen ein Tieftonakzent. Er zeigt an, dass das Thema Wohnung im aktuellen Gespräch nicht neu ist. Es kann z.B. schon vorher erwähnt worden sein oder sich assoziativ aus dem vorher Gesagten ergeben. So könnte ein Polizist die Frage intonieren, der zu einem Unfall die Zeugenaussage eines Anwohners aufnimmt und dessen Personalien erfahren will:

Der fehlende Tonabfall am Ende signalisiert wiederum Unabgeschlossenheit des Interaktionsabschnitts. Das kann zum Beispiel so interpretiert werden, dass die Antwort auf die Frage benötigt wird, um die Interaktion wie geplant fortsetzen zu können.

In (25) ist der Tieftonakzent auf wohnen mit einer fallenden Tonbewegung verbunden:

Das Thema Wohnung wird auch hier als nicht neu gekennzeichnet. Durch die fallende Tonbewegung wird die Frage als abgeschlossene Handlung präsentiert. Sie kann dadurch nachdrücklicher und unpersönlicher wirken. Der Polizist kann so intonieren, um zum Adressaten Distanz zu halten, aber auch wenn er nach bereits abgeschlossener Zeugenbefragung noch nachträglich die Anschrift erfahren möchte. Durch die Partikel genau kann er bei dieser Intonation zusätzlich anzeigen, dass ihm klar ist, dass der Zeuge in der Nähe wohnt. Durch denn kann er den Zusammenhang mit dem bisherigen Gespräch verdeutlichen (vgl. ICKLER 1994: 381ff.):

4.2 Intonation von Entscheidungsfragen

Ganz analoge Intonationsmöglichkeiten bestehen auch für Entscheidungsfragen. Eine prototypische Variante ist sicherlich (26):

Der Hochtonakzent zeigt an, dass nach einem Thema gefragt wird, das im aktuellen Gesprächskontext neu ist. Nach der fallenden Tonbewegung kehrt die Stimme zum Hochton zurück. Der letzte Ton einer Intonationskontur wird als finaler Grenzton bezeichnet (vgl. DUDEN 2009: 96ff.). Grenztöne kennzeichnen ebenso wie Akzenttöne Intonationskonturen mit unterschiedlicher Funktion und leisten wichtige Beiträge zur Äußerungsbedeutung. In diesem Aufsatz können sie aus Platzgründen nur am Rande behandelt werden. Ein hoher finaler Grenzton signalisiert Unabgeschlossenheit des Interaktionsabschnitts. In Entscheidungsfragen wird das so gedeutet, dass der Fragesteller keine vorgefasste Erwartung einer positiven oder negativen Antwort hat, sondern beide gleichermaßen für möglich hält. Eine Festlegung auf eine der beiden Alternativen wird benötigt, bevor die Interaktion planmäßig fortgesetzt werden kann.

In (27) zeigt die gleiche Intonation ohne das abschließende Wiederansteigen der Tonhöhe an, dass der Sprecher mit einer bestätigenden Antwort rechnet - hier, weil sich aus dem Kontext entsprechende Hinweise ergeben. Zugleich signalisiert der hohe Akzentton, dass die Information, um die es geht, dem gemeinsamen Wissen (common ground) neu hinzugefügt wird:

Auch in (28) zeigt der Hochtonakzent neue Information an. Hier kehrt die Stimme aber nicht zum Tiefton zurück:

Der Hochton am Ende der Kontur weist wieder darauf hin, dass der Fragesteller eine positive oder negative Antwort gleichermaßen für möglich hält. Eine Entscheidung wird benötigt, um die Interaktion planmäßig fortsetzen zu können. Ferner kann der finale Hochton anzeigen, dass der Sprecher noch weitere Fragen stellen will, etwa in einem Ratespiel:

Klicken zum vergrößern

So fragt auch die Königin im Märchen:

Verwendet der Sprecher in der gleichen Kontur einen Tieftonakzent wie in (30), so signalisiert er, dass der akzentuierte Ausdruck bekannte Information gibt:

Im Kontext der Frage war bereits von Heidelberg die Rede. Sprecher B reagiert darauf, indem er den Ortsnamen mit dem Tiefton als Träger von Information anerkennt, die schon zum common ground gehört. Es ist interessant, zum Vergleich auf Beispiel (27) zurückzublicken. Auch dort war der Ortsname im Kontext bereits gefallen. Sprecher B hat ihn in seiner Rückfrage aber als neue Information markiert, die dem common ground noch hinzugefügt werden muss, die also noch der gemeinsamen Anerkennung bedarf. In (27) endet die Frage auf dem Tiefton. Damit wird die Erwartung einer bestätigenden Antwort angezeigt. In (30) endet sie auf dem Hochton, obgleich Sprecher A schon Hinweise gegeben hat, die erwarten lassen, dass die Antwort bestätigend ausfallen wird. Damit kann der Fragende anzeigen, dass er es für möglich hält, eine falsche Schlussfolgerung gezogen zu haben.

Das Beispielpaar zeigt, wie unterschiedliche Intonationsmittel in gleichen Kontexten unterschiedliche Funktion für die Organisation des Informationsflusses erfüllen. In (27) wird Heidelberg als Träger neuer Information behandelt, deren Bestätigung erwartet wird, in (30) als Träger schon bekannter Information, die möglicherweise wieder aus dem common ground entfernt werden muss.

Auch in (31) liegt auf Heidelberg ein Tieftonakzent. Die Tonbewegung ist aber insgesamt fallend:

Eine solche Intonation ist für Fragen angemessen, mit denen bereits bekannte und gemeinsam anerkannte Information lediglich bestätigt werden soll, z.B. um eine Schlussfolgerung vorzubereiten. Sprecher und Adressat sind sich bereits darüber einig, dass der Gefragte aus Heidelberg kommt. Entsprechend ist eine positive Antwort auf die Frage zu erwarten. Ist diese erfolgt, kann der Fragende z.B. fortfahren: Dann müssen Sie auch das große Fass kennen.

4.3 Intonation und Satzart

Die Beispiele zeigen, dass die intonatorischen Ausdrucksmittel im Deutschen Beiträge zur Satzbedeutung leisten, die über die Satzarten hinweg konstant bleiben. In Aussage-, Ersetzungsfrage- und Entscheidungsfragesätzen zeigen Tieftonakzente alte Information, Hochtonakzente neue Information an. Steigende Tonbewegungen verengen Adressatenerwartungen, fallende Tonbewegungen signalisieren die Erfüllung von Erwartungen. Finale Hochtöne weisen auf Unabgeschlossenheit eines Interaktionsabschnitts hin.

Die Funktionsgleichheit der Intonationsmittel in den Satzarten legt die Schlussfolgerung nahe, dass Intonationskonturen im Deutschen nicht die Aufgabe haben, Satzarten zu unterscheiden. Darin liegt ein klarer Unterschied zum Portugiesischen, wo etwa Entscheidungsfragen und Aussagesätze im Regelfall die gleiche syntaktische Form haben. Prototypisch ist die Abfolge Subjekt - Verb - Objekt, z.B. o João faz sociologia ('João macht Soziologie'). Zur Unterscheidung zwischen Aussagesatz und Entscheidungsfragesatz dient ausschließlich die Intonation. (32) zeigt die Wortkette als Aussagesatz, (33) zeigt sie als Entscheidungsfrage:

Die Handlungsfunktion als Aussage bzw. Entscheidungsfrage ist eng mit den sonstigen Informationen verwandt, die im Portugiesischen typischerweise durch Intonationskonturen kodiert werden (s.o. Abschnitt 3.4). Im Deutschen hat die Intonation in der Regel andere Aufgaben - mit wenigen Ausnahmen, etwa bei Rückfragen. Diese haben Zweitstellung des finiten Verbs, ebenso wie Aussagesätze, von denen sie aufgrund ihrer syntaktischen Form somit nicht unterscheidbar sind (vgl. BLÜHDORN / LOHNSTEIN 2012: 217). Rückfragen werden durch eine zum Ende hin steigende Intonationskontur gekennzeichnet:

In Beispiel (11) zeigt die am Ende fallende Kontur an, dass die Wortkette als abgeschlossene Mitteilung verstanden werden soll (ebenso in den Varianten (9), (10) und (12); s.o. Abschnitt 3.3). In (34) kennzeichnen die Tieftonakzente Maria und Heidelbergerin als Träger bekannter Information. Der Anstieg der Tonhöhe zum Ende hin signalisiert Unabgeschlossenheit des Interaktionsabschnitts. Zu seiner Vervollständigung wird eine bestätigende oder zurückweisende Antwort erwartet. Mit solchen Rückfragen reagiert man auf Mitteilungen, an deren Wahrheit man nicht glauben kann, z.B. um sicherzustellen, dass man sich nicht verhört hat.

5 Intonation im DaF-Unterricht

Die meisten Sprecher - sowohl des Deutschen als auch des Portugiesischen - setzen Intonation in ihrer Muttersprache ganz und gar unbewusst ein. Sie haben keinerlei explizites Wissen darüber, wie Intonation funktioniert und welche Aufgaben sie erfüllt. In der Muttersprache muss solche Unwissenheit nicht zu Verständigungsproblemen führen. In der Fremdsprache dagegen sind Verständigungsprobleme eine fast unausweichliche Folge, wenn Intonationssystem und phonetische Realisierung so unterschiedlich sind, wie es in diesem Aufsatz für das Deutsche und das brasilianische Portugiesisch gezeigt wurde.

Vor allem die drei Schwierigkeiten, die in Abschnitt 3.4 beschrieben wurden, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie führen dazu, dass Brasilianer in ihren deutschsprachigen Äußerungen häufig Akzent- und Tonrealisierungen zeigen, die für einen deutschen Adressaten nicht dekodierbar sind. In Unterrichtskontexten intonieren Brasilianer oft völlig flach, ohne Intensitäts- und Tonänderungen. Ein deutscher Hörer kann solchen Äußerungen keine Hinweise auf die beabsichtigte Informationsstruktur entnehmen, d.h. ihre Einbindung in den Interaktionskontext ist defektiv. Zusätzlich können abweichende Silbenlängungen zu Wortverwechslungen führen.

In realen Kommunikationssituationen wollen brasilianische Deutschsprecher oft wie im Portugiesischen durch Intonationskonturen pragmatische Informationen wie (Un-)Sicherheit, (Nicht-)Übereinstimmung oder Ironie ausdrücken. Ein deutscher Interpret wird die gehörte Intonation völlig anders zu deuten versuchen. Als Anzeiger für pragmatische Informationen wird er Satzadverbien und/oder Modalpartikeln erwarten. Deren Fehlen kann weitere Verständigungsprobleme zur Folge haben.

Die Schlussfolgerung, die daraus gezogen werden muss, ist klar: Intonation muss im DaF-Unterricht von Anfang an thematisiert und geübt werden, wie es etwa das Lehrwerk Stufen International (VORDERWÜLBECKE / VORDERWÜLBECKE 1995/1997) vorsieht. Sie muss ebenso wie Formen- und Satzlehre als grammatisches Regelsystem eingeführt werden; die praktischen intonatorischen Fertigkeiten der Lerner müssen über alle Niveaustufen hinweg auf- und ausgebaut werden.

Damit das geschehen kann, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens müssen Lehrmaterialien zur Verfügung stehen, in denen die Intonationsregeln auf verständliche Weise und mit geeigneten Übungen aufbereitet sind; zweitens müssen Lehrpersonen vorhanden sein, die im Bereich der Intonation kompetent sind und sich sicher fühlen. An geeigneten Lehrmaterialien besteht noch ein gewisser Mangel, aber das Angebot ist besser, als oft geglaubt wird. Viel schwieriger ist die Lage im Bereich der Lehrkräfte.

Im Sprachstudium und in der Lehrerausbildung gelten Phonetik im Allgemeinen und Intonation im Besonderen als unbequem. Viele Studierende versuchen, ihnen auszuweichen, wenn es möglich ist. Das hat zur Folge, dass Absolventen von Studium und Lehrerausbildung oft zu wenig über diese Gebiete wissen und entsprechend zu wenig an ihre Lerner weitergeben können. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für das Fach Deutsch als Fremdsprache.

Intonation muss im Germanistikstudium deutlich mehr Gewicht erhalten - nicht nur an brasilianischen Universitäten bei der Ausbildung von DaF-Lehrern und Hochschuldozenten, sondern ebenso in den deutschsprachigen Ländern bei der Ausbildung von Lehrern des Deutschen als Muttersprache (und übrigens hier wie dort auch bei der Ausbildung von Portugiesischlehrern). Zum Abschluss dieses Aufsatzes stelle ich deshalb - exemplarisch und ohne Anspruch auf Neuheit - einige didaktische Techniken und Übungsformen für den (universitären) DaF-Unterricht und die Lehrerausbildung vor, die ich selbst angewandt habe und die helfen können, die praktischen intonatorischen Fertigkeiten sowie das explizite Wissen der Lerner über die deutsche Intonation zu verbessern.

5.1 Wortakzent

Viele Grundstufenlehrwerke enthalten Übungen, in denen die Lage des Wortakzents markiert werden soll. Solche Übungen müssen im DaF-Unterricht ernst genommen und regelmäßig durchgeführt werden. Wortakzente bilden die Grundlage für die Festlegung von Äußerungsakzenten. In allererster Linie sind es Wortakzentsilben, die für Hervorhebungen auf der Äußerungsebene in Frage kommen. Wer nicht weiß, wo die Wortakzente liegen, muss bei dem Versuch, Wortketten korrekt zu intonieren, von vornherein scheitern.

Im DaF-Unterricht sollte deshalb von Anfang an bei jeder mehrsilbigen Vokabel, die neu eingeführt wird, die Lage des Wortakzents und die Länge des Vokals in der Akzentsilbe angegeben werden, z.B. durch einen daruntergeschriebenen Strich für Länge bzw. Punkt für Kürze, wie im Langenscheidt Großwörterbuch (GÖTZ / HAENSCH / WELLMANN 1993) und im Pons BasiswörterbuchDeutsch als Fremdsprache (HECHT / SCHMOLLINGER 1999). Lehrer und Lerner können sich an eine solche Praxis schnell gewöhnen, ebenso wie es sich eingebürgert hat, zu jedem neueingeführten Substantiv das Genus anzugeben. Damit wird für die Entwicklung der Intonation ein erstes, unverzichtbares Fundament gelegt.

5. 2 Äußerungsakzent

Eine bewährte Übungsform zum Äußerungsakzent besteht darin, einen einzelnen Hochtonakzent durch die Glieder eines ansonsten unakzentuierten Satzes ,,wandern" lassen. Die unakzentuierten Silben werden mit Tiefton, die einzige akzentuierte Silbe mit Hochton gesprochen. In (35) notiere ich steigende und fallende Tonbewegungen einfachheitshalber nur durch Schrägstriche:

(35) der schriftsteller möchte den leser mit seinem buch unter/HAL\ten

der schriftsteller möchte den leser mit seinem /BUCH\ unterhalten

der schriftsteller möchte den leser mit /SEI\nem buch unterhalten

der schriftsteller möchte den /LE\ser mit seinem buch unterhalten

der schriftsteller /MÖCH\te den leser mit seinem buch unterhalten

der /SCHRIFT\steller möchte den leser mit seinem buch unterhalten

Die Übung sollte zunächst als reine Artikulations- bzw. Hörübung ausgeführt werden, ohne an die Bedeutungsunterschiede zwischen den Intonationsvarianten zu denken. Zur Übung der Artikulation schreibt die Lehrperson oder einer der Lerner eine Wortkette mit Intonation an die Tafel. Wegen ihrer Anschaulichkeit ist dafür die ,,Perlenketten-Notation" zu bevorzugen, die in den Kapiteln 3 und 4 gezeigt wurde. Die meisten Lerner können sie gut verstehen; manche haben Freude daran, mit ihr zu experimentieren. Die abstraktere Schrägstrich-Notation kann bei geübten Lernern der Mittel- und Oberstufe eingesetzt werden. Es ist darauf zu achten, dass der vorgegebene Äußerungsakzent stets korrekt auf einer Wortakzentsilbe liegt. Nun sollen mehrere Lerner das Geschriebene vorlesen. Sie dürfen mehrere Versuche machen. Es soll darüber diskutiert werden, bei welchem Versuch Akzent und Hochton am deutlichsten hörbar wurden.

Als Hörübung spricht die Lehrperson oder ein Lerner den Satz so vor, dass genau eine Silbe durch Akzent und Hochton hervorgehoben ist. Wiederum muss beachtet werden, dass nur eine Wortakzentsilbe hervorgehoben werden darf. Nun sollen mehrere Personen das Vorgesprochene mit Intonation an die Tafel schreiben. Es soll darüber diskutiert werden, ob die Akzentuierung, die der Vorsprecher realisieren wollte, für die Hörer erkennbar war, ob sie richtig erkannt und richtig notiert wurde.

Meine Erfahrungen mit dieser Übungsform haben gezeigt, dass kaum ein Lerner Schwierigkeiten hat, in der Perlenketten-Notation zu schreiben. Fast alle Lerner - Muttersprachler ebenso wie Nicht-Muttersprachler - haben jedoch zunächst Schwierigkeiten, schriftlich vorgegebene Intonationen korrekt und gut erkennbar vorzulesen. Ebenso haben fast alle Lerner zunächst Schwierigkeiten, eine Wortkette mit Hervorhebung einer bestimmten Silbe so vorzusprechen, dass eine andere Person die beabsichtigte Hervorhebung richtig erkennen und niederschreiben kann.

Übungen wie das hier beschriebene ,,Intonationsdiktat" sind deshalb von hohem didaktischem Wert. Hörer, die Intonationsdiktate niederschreiben, lernen, bewusst auf Akzent und Ton zu achten. Die Vorsprechenden erwerben ein Gespür dafür, wie deutlich sie artikulieren müssen, damit die beabsichtigte Intonation sicher erkannt wird. In der Regel müssen sie viel deutlicher intonieren, als sie erwartet hatten.

Aufmerksamkeit beim Hören und deutliches Artikulieren beim Sprechen sind unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass die intonatorischen Sprachmittel kontrolliert und funktionsgerecht eingesetzt werden können. Die Lehrperson muss darauf achten, dass die Lerner einen bewussten Umgang mit der Intonation aus der Diktatübung in ihre gewöhnliche Rede übernehmen. Bei brasilianischen Lernern muss außerdem darauf geachtet werden, dass Hervorhebungen phonetisch nicht durch Längung, wie es dem Portugiesischen entsprechen würde, sondern durch Stimmdruck und Tonhöhenbewegung realisiert werden. Diese für brasilianische Sprecher schwierige Sprechtechnik muss geduldig und wiederholt geübt werden.

5.3 Phrasierung

In einem nächsten Schritt kann zu Sätzen wie in (35) die Frage gestellt werden, was durch die jeweiligen Hervorhebungen semantisch ausgedrückt wird. Hervorhebungen zeigen an, dass der Sprecher zwischen Alternativen ausgewählt hat. Eine sinnvolle Übung besteht darin, mögliche andere Ausdrücke explizit zu machen, die die Stelle des hervorgehobenen Ausdrucks einnehmen könnten:

(35a) der schriftsteller möchte den leser mit seinem buch unter/HAL\ten - /LANG\weilen, /QUÄ\len ...

der schriftsteller möchte den leser mit seinem /BUCH\ - seinem /AN\zug, seiner kra/WAT\te ... - unterhalten

der schriftsteller möchte den leser mit /SEI\nem - irgend/EI\nem, /KEI\nem ... - buch unterhalten

der schriftsteller möchte den /LE\ser - die /NACH\barn, die poli/ZEI\ ... - mit seinem buch unterhalten

der schriftsteller /MÖCH\te - /DARF\, /MUSS\ ... - den leser mit seinem buch unterhalten

der /SCHRIFT\steller - der journa/LIST\, der po/LI\tiker ... - möchte den leser mit seinem buch unterhalten

Bestehende Wahlmöglichkeiten zwischen Alternativen haben starken Einfluss darauf, wie eine längere Äußerung gegliedert (phrasiert) werden kann. Jede Intonationseinheit muss mindestens einen Akzent enthalten, also mindestens eine Auswahl aus einer Alternativenmenge wiedergeben. Das Phrasieren kann an beliebigen Texten geübt werden. Die Lerner sollen den Text in sinnvolle Mitteilungseinheiten zerlegen. Diese Aufgabe stellt sich im Portugiesischen und Deutschen, wie in vielen anderen Sprachen, recht ähnlich, sodass die meisten Lerner intuitiv gut mit ihr zurechtkommen. Dennoch ist es wichtig, sie bewusst zu üben.

Die Mitteilungseinheiten sollen zunächst so kurz sein, dass in jeder Einheit genau ein Hochtonakzent realisiert wird; alle anderen Silben sollen unakzentuiert und mit Tiefton gesprochen werden. Zur Illustration greife ich auf Beispiel (2) aus Abschnitt 3.1 zurück:

(2a) das ist dieses unter/HAL\ten //

den leser unter/HAL\ten //

aber gleichzeitig ihn dabei ak/TIV\ halten //

dass er sich nicht von der prosa /WEG\tragen lässt //

und die /SEI\ten frisst //

als handlungsfördernden /STOFF\ //

sondern /WACH\ bleibt dabei //

oder er/MÜ\det wird //

dann /IN\nehalten muss //

und einen neuen /AN\lauf nehmen muss //

...

Eine Phrasierung wie in (2a) klingt beim Vorlesen etwas eintönig und langweilig, ist aber regelkonform und für manche Kommunikationsbedingungen durchaus sinnvoll. Hier kommt es zunächst darauf an, die einfachste Intonationskontur einzuüben.

Wenn sie die Phrasierung schriftlich vorbereitet haben, sollen die Lerner ihre Übungstexte vorlesen. Es soll geprüft werden, ob sie beim Vorlesen tatsächlich die vorbereitete oder eine andere Phrasierung realisieren, z.B. indem der vorbereitete Text auf den Projektor gelegt wird. Selbst wenn man so elementar phrasiert wie in (2a), gibt es oft schon mehrere Möglichkeiten. Diese können im Unterrichtsgespräch aufgezeigt und miteinander verglichen werden. Ferner soll die Funktion der Akzente explizit gemacht werden, indem für die hervorgehobenen Ausdrücke Alternativen gesucht werden.

5.4 Tonbewegungen und Akzenttöne

Die Funktionen, die steigende und fallende Tonbewegungen sowie hohe und tiefe Akzenttöne bei der Organisation des Informationsflusses ausüben, sind recht abstrakt und können von vielen Lernern, vor allem in der Grundstufe, noch nicht selbständig gehandhabt werden. Dennoch können und müssen sie im Unterricht geübt werden. Als Übungsform bietet sich wiederum das in Abschnitt 5.2 beschriebene Intonationsdiktat mit seinen verschiedenen Varianten an. Die Lehrperson bereitet schriftliches Material - Sätze oder kurze Texte - mit eingezeichneter korrekter und sinnvoller Intonation vor. Das Material wird für Artikulations- und Hörübungen verwendet. An allen Übungen sollen mehrere Lerner beteiligt werden, mehrere Artikulations- und Hörversuche sollen zugelassen werden. Die Versuche sollen in der Gruppe diskutiert werden, um einen bewussten Umgang mit den intonatorischen Sprachmitteln einzuüben. Das vorbereitete Material hat dabei eine Musterfunktion. Es dient als Modell für korrekt intonierte deutsche Äußerungen, das die Lerner in ihrer eigenen Rede nachahmen können.

Fortgeschrittene Lerner, die geübt haben, Akzente, Töne und Tonbewegungen in der Aussprache bewusst zu realisieren und beim Hören zu erkennen, können in weiteren Schritten angeleitet werden, komplexe Intonationskonturen mit mehreren Topiks und/oder mit Unterscheidungen zwischen alter und neuer Information, zu planen und bewusst für Kommunikationszwecke einzusetzen. Schon mit den wenigen Mitteln, die in Kapitel 3 und 4 dieses Aufsatzes vorgestellt wurden, lässt sich eine enorme Vielfalt kommunikativer Strategien umsetzen. Entsprechende Übungen sollen immer wieder in den Unterricht eingestreut werden, um die intonatorischen Fertigkeiten der Lerner zu festigen und auszubauen.

6 Schluss

Zur Intonation des Deutschen gehört weit mehr, als in diesem Aufsatz dargestellt werden konnte. Es ging mir nicht um Vollständigkeit, sondern darum, die Intonation anhand einer Auswahl von Regeln als systematischen Teil der Grammatik vorzustellen, der unterrichtet und gelernt werden kann, außerdem darum, ihre Wichtigkeit für die Kommunikation herauszustellen und für ihre vermehrte Behandlung im DaF-Unterricht und in der Sprachlehrerausbildung zu werben.

Die neuere Grammatikforschung hat darauf hingewiesen, dass Intonation keineswegs nur in der gesprochenen Sprache, sondern auch beim Verstehen geschriebener Texte eine Schlüsselrolle spielt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Schrift für die Konservierung ursprünglich mündlicher Sprachzeichen entwickelt wurde. Beim Lesen müssen schriftliche Texte in Mitteilungseinheiten zerlegt werden, und diesen müssen sogenannte ,,leise Intonationen" (FÉRY 2006) zugeordnet werden, die mit darüber entscheiden, wie der Text interpretiert wird. Unterschiedliche Intonationen können die Bedeutung ansonsten gleicher Wortketten dramatisch verändern, wie dieser Aufsatz an mehreren Beispielen gezeigt hat. Ohne Intonation kann keinem Sprachausdruck, auch keinem geschriebenen, eine definitive Bedeutung zugeordnet werden.

Meiner Meinung nach muss die Sprachdidaktik dringend auf solche Einsichten reagieren und der Intonation ein angemessenes Gewicht im Unterricht geben. Intonation ist weit mehr als nur eine Frage des schönen Klangs. Frei nach WUNDERLICH (1988): Auch in der Sprache macht der Ton einen erheblichen Teil der Musik!

Literaturverzeichnis

recebido em 03/02/2013

aceito em 29/07/2013

  • ALTMANN, Hans (Hg.). Intonationsforschungen Tübingen: Niemeyer, 1988.
  • ANTUNES, Leandra Batista. O papel da prosódia na expressão de atitudes do locutor em questões Tese de doutorado. Belo Horizonte: UFMG, Faculdade de Letras, 2007.
  • AUFDERSTRAßE, Hartmut et al. Themen neu. Ausgabe in zwei Bänden. Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache Kurs- und Arbeitsbücher 1 und 2, 2. Aufl., Ismaning: Hueber, 1998.
  • BLÜHDORN, Hardarik. Negation im Deutschen. Syntax, Informationsstruktur, Semantik Tübingen: Narr, 2012.
  • BLÜHDORN, Hardarik. ,,Syntaktische Nebensatzklassen im Deutschen". In: Pandaemonium Germanicum. Revista de Estudos Germanísticos, vol. 16, n. 21, 2013. S. 149-189.
  • BLÜHDORN, Hardarik / LOHNSTEIN, Horst. ,,Verumfokus im Deutschen: Versuch einer Synthese". In: Lohnstein, Horst / Blühdorn, Hardarik (Hg.). Wahrheit - Fokus - Negation Hamburg: Buske, 2012. S. 171-261.
  • BÜRING, Daniel. The Meaning of Topic and Focus. The 59th Street Bridge Accent London: Routledge, 1997.
  • CAGLIARI, Luiz Carlos. Fonologia do Português. Análise pela geometria de traços e pela fonologia lexical Campinas: Cagliari, 1999.
  • CAMARGO, Sidney. As Consoantes do Português e do Alemão Tese de Doutorado. São Paulo: FFLCH-USP, 1972.
  • CELESTE, Letícia Corrêa. A Prosódia na Expressão de Atitudes na Fala de Indivíduos com e sem Gagueira Tese de Doutorado. Belo Horizonte: UFMG, Faculdade de Letras, 2010.
  • CRISTÓFARO SILVA, Thaïs. Fonética e Fonologia do Português. Roteiro de Estudos e Guia de Exercícios São Paulo: Contexto, 1999.
  • CRUTTENDEN, Alan. Intonation Cambridge: Cambridge University Press, 1986.
  • DEPPERMANN, Arnulf / BLÜHDORN, Hardarik. ,,Negation als Verfahren des Adressatenzuschnitts: Verstehenssteuerung durch Interpretationsrestriktionen." In: Deutsche Sprache 41, 2013. S. 6-30.
  • DO The Dung / TRAN Thien Huong / BOULAKIA, Georges. ,,Intonation in Vietnamese". In: Hirst / Di Cristo (Hg.), 1998. S. 395-416.
  • DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache Mannheim: Dudenverlag, 1959.
  • DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache 4. Aufl., Mannheim: Dudenverlag, 1984.
  • DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache 5. Aufl., Mannheim: Dudenverlag, 1995.
  • DUDEN. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache 6. Aufl., Mannheim: Dudenverlag, 1998.
  • DUDEN. Das Aussprachewörterbuch 6. Aufl., Mannheim: Dudenverlag, 2005(a).
  • DUDEN. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch 7. Aufl., Mannheim, Dudenverlag, 2005(b).
  • DUDEN. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch 8. Aufl., Mannheim: Dudenverlag, 2009.
  • ENGELS, Inga. Vergleichende Prosodie Lettisch-Deutsch Magisterarbeit. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache, 2011. Online unter: http://pub.ids-mannheim.de/laufend/opal/pdf/opal2011-1.pdf
  • FÉRY, Caroline. ,,Laute und leise Prosodie". In: Blühdorn, Hardarik / Breindl, Eva / Waßner, Ulrich Hermann (Hg.). Text - Verstehen. Grammatik und darüber hinaus Berlin: de Gruyter, 2006. S. 164-183.
  • GER: Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen Deutsche Fassung. Berlin: Langenscheidt, 2001.
  • GIBBON, Dafydd. ,,Intonation in German". In: Hirst / Di Cristo (Hg.), 1998. S. 78-95.
  • GÖTZ, Dieter / HAENSCH, Günther / WELLMANN, Hans (Hg.). Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Das neue einsprachige Wörterbuch für Deutschlernende Berlin: Langenscheidt, 1993.
  • HECHT, Dörthe / SCHMOLLINGER, Annette. Pons. Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Das einsprachige Lernerwörterbuch Stuttgart: Klett, 1999.
  • HIRSCHFELD, Ursula / REINKE, Kerstin / STOCK, Eberhard (Hg.). Phonothek intensiv. Aussprachetraining Berlin: Langenscheidt, 2007.
  • HIRST, Daniel / DI CRISTO, Albert (Hg.). Intonation Systems. A Survey of Twenty Languages Cambridge: Cambridge University Press, 1998.
  • ICKLER, Theodor. ,,Zur Bedeutung der sogenannten 'Modalpartikeln'". In: Sprachwissenschaft 19, 1994. S. 374-404.
  • JACOBS, Joachim. ,,Fokus-Hintergrund-Gliederung und Grammatik". In: Altmann (Hg.), 1988. S. 89-134.
  • KOHLER, Klaus J. Einführung in die Phonetik des Deutschen 2. Aufl., Berlin: Erich Schmidt, 1995.
  • KRATOCHVIL, Paul. ,,Intonation in Beijing Chinese". In: Hirst / Di Cristo (Hg.), 1998. S. 417-431.
  • MASSINI-CAGLIARI, Gladis / CAGLIARI, Luiz Carlos. ,,Fonética". In: Mussalim, Fernanda / Bentes, Anna Christina (orgs.). Introdução à Lingüística. Domínios e fronteiras Vol. 1, São Paulo: Cortez, 2000. S. 105-146.
  • MAYER, Ruth. As Vogais do Português e do Alemão Tese de Doutorado. São Paulo: FFLCH-USP, 1972.
  • MEBUS, Gudula et al. Sprachbrücke. Deutsch als Fremdsprache Kursbücher 1 und 2. München: Klett, 1987/1989.
  • MORAES, João Antônio de. ,,Intonation in Brazilian Portuguese". In: Hirst / Di Cristo (Hg.), 1998. S. 179-194.
  • NIEBISCH, Daniela et al. Schritte International. Deutsch als Fremdsprache Kurs- und Arbeitsbücher 1 bis 6. Ismaning: Hueber, 2006-2008.
  • NIEBUHR, Oliver. Perzeption und kognitive Verarbeitung der Sprechmelodie. Theoretische Grundlagen und empirische Untersuchung Berlin: de Gruyter, 2007.
  • OLIVEIRA, Bruna Ferreira V. de. A prosódia na expressão das atitudes de dúvida, incerteza e incredulidade no português brasileiro Dissertação de Mestrado. Belo Horizonte: UFMG, Faculdade de Letras, 2011.
  • PEREIRA, Manuela C.C. A expressão das emoções am atos de fala no português do Brasil: produção e percepção Dissertação de Mestrado. Rio de Janeiro: UFRJ, Pós-Graduação em Letras Vernáculas, 2009.
  • PÉTURSSON, Magnús / NEPPERT, Joachim. Elementarbuch der Phonetik 2. Aufl., Hamburg: Buske, 1996.
  • PIERREHUMBERT, Janet B. The Phonology and Phonetics of English Intonation Doctoral Thesis, Massachusetts Institute of Technology, 1980.
  • RAMERS, Karl-Heinz / VATER, Heinz. Einführung in die Phonologie Hürth-Efferen: Gabel, 1992.
  • ROOTH, Mats Edward. Association with Focus Ph.D. Dissertation, University of Massachusetts. Ann Arbor: UMI, 1985.
  • ROOTH, Mats. ,,Focus". In: Lappin, Shalom (ed.). The Handbook of Contemporary Semantic Theory Oxford: Blackwell, 1996. S. 271-297.
  • STALNAKER, Robert C. ,,Common ground." In: Linguistics and Philosophy 25, 2002. S. 701-721.
  • STEGER, Hugo / ENGEL, Ulrich / MOSER, Hugo (Hg.). Texte deutscher gesprochener Standardsprache 2 Bde., München: Hueber, 1971/1974.
  • STOCK, Eberhard / HIRSCHFELD, Ursula (Hg.). Phonothek. Deutsch als Fremdsprache Arbeitsbuch. Leipzig: Langenscheidt, 1996.
  • VORDERWÜLBECKE, Anne / VORDERWÜLBECKE, Klaus. Stufen International. Deutsch als Fremdsprache für Jugendliche und Erwachsene Lehr- und Arbeitsbücher 1 bis 3. Stuttgart: Klett, 1995/1997.
  • WUNDERLICH, Dieter. ,,Der Ton macht die Melodie. Zur Phonologie der Intonation des Deutschen". In: Altmann (Hg.), 1988. S. 1-40.
  • 5
    B - RUdi wird sozioLOge
  • 1
    Für Anregungen, Kommentare und Unterstützung danke ich Fabian Brackhane, Fabio Cecchetto, Anna-Katharina Elstermann, Renato Ferreira da Silva, Reinhard Fiehler, Marina Foschi Albert, Heinrich Graffmann, Carolina Iazzetta Alves, Selma M. Meireles, Renate Raffelsiefen, Cristina Ranke, Uli Reich und Tinka Reichmann sowie den Zuhörern und Teilnehmern am Goethe-Institut São Paulo im Dezember 2012 und auf dem
    II Encontro de Língua e Literatura Alemã (ECLAA) an der UNESP de Assis im Mai 2013. Mein Dank geht ferner an die
    Gesellschaft für deutsche Sprache und an die
    Fundação de Amparo à Pesquisa do Estado de São Paulo (FAPESP; Vorgangsnummer 2013/02477-9).
  • 2
    Durch voran- und nachgestellte Schrägstriche kennzeichne ich Phoneme, also Systemlaute der Sprache. Phonetische Realisierungsformen wie z.B. [R] für das deutsche /r/ kennzeichne ich durch eckige Klammern. Buchstaben (Grapheme) stelle ich zwischen spitze Klammern: 〈r〉.
  • 3
    Ich spreche im Folgenden häufig vereinfachend vom Portugiesischen. Damit sind hier durchweg nur brasilianische Varietäten gemeint. Die europäischen Varietäten des Portugiesischen sind gerade hinsichtlich der in diesem Aufsatz behandelten Eigenschaften in weiten Teilen anders zu beschreiben.
    4 Zwischen Vokal und auslautendem Konsonanten erlaubt das Portugiesische kein /r/. In Wörtern wie
    horta oder
    largo gehört der auf das /r/ folgende Konsonant stets zur nächsten Silbe. Nur in Fremdwörtern kann /r/ zwischen Vokal und auslautendem Konsonanten stehen, z.B. in dem Personennamen
    Bart (
    Simpson). Bei solchen Wörtern haben brasilianische Sprecher stets die Tendenz, durch Hinzufügung eines Endvokals, etwa /I/, den auslautenden Konsonanten, hier das /t/, in eine neue Silbe zu ziehen. Entsprechend häufig findet man anstelle von
    Bart Simpson die Schreibung
    Barte Simpson.
    Mit den Großbuchstaben A und B werden unterschiedliche Sprecher gekennzeichnet. In geschweifte Klammern sind Kontextinformationen eingeschlossen, die nicht zum Beispiel selbst gehören, aber für seine Interpretation wichtig sind.
  • Publication Dates

    • Publication in this collection
      20 Jan 2014
    • Date of issue
      Dec 2013

    History

    • Received
      03 Feb 2013
    • Accepted
      29 July 2013
    Universidade de São Paulo/Faculdade de Filosofia, Letras e Ciências Humanas/; Programa de Pós-Graduação em Língua e Literatura Alemã Av. Prof. Luciano Gualberto, 403, 05508-900 São Paulo/SP/ Brasil, Tel.: (55 11)3091-5028 - São Paulo - SP - Brazil
    E-mail: pandaemonium@usp.br