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DaF und digitale Medien: ein Interview mit Dietmar Rösler

German as a foreing language and digital media: An interview with Dietmar Rösler

Zusammenfassung

Der Gießener Professor und Autor der Bücher "E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung" und "Deutsch als Fremdsprache: Eine Einführung", Dietmar 1 RÖSLER, Dietmar. Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2012. Rösler2 RÖSLER, Dietmar. E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung. Stauffenburg, Tübingen, 2004., spricht im Interview über seine Ideen zum Einsatz digitaler Medien im DaF-Unterricht und seine Erfahrungen als Hochschulprofessor mit der Digitalisierung der Lehre vor und während der Corona-Pandemie in Deutschland. Dabei skizziert er mögliche Konsequenzen aus der Krise für unterschiedliche fremdsprachliche Lehr- und Lernszenarien sowie für Veränderungen in der Aus- und Fortbildung von DaF-Lehrenden. Dietmar Rösler beschreibt in diesem Interview auch seine Zukunftsvision zu den Lehrwerken in einer zunehmenden digitalisierten Welt.

Stichwörter:
digitale Medien; Corona Pandemie; Digitalisierung; Lehrwerke

Abstract

Dietmar Rösler, professor and author of the books "E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung" and "Deutsch als Fremdsprache: Eine Einführung", talks in an interview about his ideas on the use of digital media in teaching German as a foreign language and his experiences as a university professor with the digitization of teaching before and during the Corona pandemic in Germany. He outlines possible consequences of the crisis for different foreign language teaching and learning scenarios as well as for changes in the training and further education of teachers of German as a foreign language. Dietmar Rösler also describes in this interview his vision of the future of textbooks in an increasingly digitalized world.

Keywords:
digital media; corona pandemic; digitalization; textbooks

Resumo

Dietmar Rösler, professor e autor dos livros "E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung" e "Deutsch als Fremdsprache: Eine Einführung", fala em uma entrevista sobre suas idéias sobre o uso de mídias digitais no ensino do alemão como língua estrangeira e suas experiências como professor universitário com a digitalização do ensino antes e durante a pandemia de Corona na Alemanha. Ele delineia possíveis consequências da crise para diferentes cenários de ensino e aprendizagem de línguas estrangeiras, bem como para mudanças na formação e na educação continuada de professores de alemão como língua estrangeira. Dietmar Rösler também descreve nesta entrevista sua visão sobre o futuro dos livros didáticos em um mundo cada vez mais digitalizado.

Palavras-chave:
mídias digitais; pandemia; digitalização; livro didático

Einleitung

Im Folgenden finden Sie ein Interview mit Prof. Dr. Dietmar Rösler, von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland, das im Juni 2020 per E-Mail geführt wurde. Die sechs Fragen reichen von Professor Röslers Erfahrungen an seiner eigenen Universität über seine Zukunftsvisionen zur Rolle und Funktion von Lehrwerken und zu den Risiken des vollständig virtuellen Lernens bis hin zu seinen Überlegungen, was sich in der Ausbildung zukünftiger Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien ändern sollte und was in diesem Bereich noch geschrieben und erforscht werden kann.

Wer zum Thema „DaF und digitale Medien“ forscht, kommt irgendwann zu den Texten von Dietmar Rösler, der als eine der wichtigsten Referenzen in der Fremdsprachendidaktik gilt. Neben einer umfangreichen Liste von Buchveröffentlichungen und Artikeln zum Thema des vorliegenden Dossiers ist auch zu erwähnen, dass der Gießener Professor mehr als 10 Jahre lang Koordinator des gemeinsam mit dem Goethe-Institut entwickelten Projekts JETZT Deutsch lernen war, dessen Hauptziel die Entwicklung einer innovativen virtuellen Umgebung zum kostenlosen Erlernen von Deutsch als Fremdsprache war.

Dietmar Rösler hat in verschiedenen Ländern Dutzende von Vorträgen und Weiterbildungskursen über die Rolle der digitalen Medien im Deutschunterricht gehalten. Wir hoffen, dass die in diesem Interview vorgestellten Ideen und Überlegungen von Dietmar Rösler für diejenigen, die sein Werk noch nicht kennen, eine Entdeckung bedeuten und für diejenigen, die seine Arbeit bereits verfolgen, eine Form der Aktualisierung. In beiden Fällen hoffen wir, dass das Interview zum Nachdenken über die Herausforderungen anregt, vor denen wir angesichts der aktuellen Pandemiesituation im Jahr 2020 stehen.

Gabriela Marques-Schäfer: Wir leben gerade in einer sehr schwierigen Phase, in der die ganze Welt unter der Corona-Pandemie leidet und wir nicht wissen, wie unser Leben in den nächsten Monaten aussehen wird, wie wir weiter lehren und lernen werden und wie sich das Erlernen der deutschen Sprache als Fremdsprache verändern wird. Bevor wir über die eventuellen Konsequenzen der Pandemie sprechen, möchten wir eine Frage zu Ihrem Buch "E-Learning Fremdsprachen: Eine Einführung" stellen, das Sie vor ca. 15 Jahren veröffentlicht haben. Würden Sie heute nach so vielen neuen technologischen Entwicklungen (wie z.B. künstliche Intelligenz) und pädagogischen Herausforderungen (wie z.B. mobile Technologien im Fremdsprachenunterricht) das Werk mit neuen Kapiteln ergänzen? Wenn ja, zu welchen Themen und warum?

Dietmar Rösler: Bestimmte Kapitel müssten komplett neu hinzukommen. Soziale Medien in dem Sinne, wie sie heute selbstverständlicher Alltag von Lehrenden und Lernenden sind, gab es ja noch nicht. Wenn man sich anschaut, was auf Instagram & Co. inzwischen alles an Materialien für Lernende vorhanden ist, dann wird man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das Verhältnis von Lernen im Klassenzimmer nach einem Curriculum und dem selbstständigen Entdecken der deutschen Sprache und der deutschsprachigen Welt durch die Lernenden neu definieren müssen.

Auch hat sich durch die technologische Entwicklung ja eigentlich zum ersten Mal die Möglichkeit ergeben, dass man über die Analyse großer Mengen von Aktivitäten von Lernenden bei der Arbeit mit digitalem Material tatsächlich herausfinden kann, welche Schritte von welchen Lernenden mit welchen Lernerfahrungen usw. wie erfolgreich sind. Was man für das Design von Material und vor allem für eine Adaptivität von Lernmaterial, die nicht trivial ist, nutzen kann. Das ist sehr reizvoll, andererseits muss man immer die gesellschaftliche Dimension im Auge behalten. Es kann auch bedeuten: big brother is not only watching but also teaching you.

Andere Bereiche des Buches sind immer noch sehr aktuell. Es ist weiterhin sehr wichtig, dass man begrifflich sauber unterscheidet zwischen autonomem Lernen, Selbstlernen, allein lernen, usw. Im Kapitel zum Feedback hatte ich damals geschrieben, dass bei halboffenen und offenen Aufgaben, bei denen der Lösungsspielraum größer und die Eingaben der Lernenden vom Programmierer kaum oder nur zum Teil vorhersehbar sind, das programmierte Feedback noch lange seine Schwierigkeiten haben wird. Und hatte dann der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass wir über ICALL (intelligent computer-assisted language learning), also über intelligente Analysen von Lernereingaben, vorankommen werden. Das stimmt weiterhin, aber damals hieß ein Unterkapitel „die beschränkte Reichweite von ICALL“. Ich hatte gehofft, dass man 15 Jahre später dieses Kapitel ersetzen könnte durch einen positiven Bericht über die tollen Entwicklungen seither. Entwicklungen hat es zwar gegeben, aber wir sind noch weit von intelligentem Feedback auf Lerneräußerungen als Alltag des Lernens mit Lernsoftware entfernt. Da werden wir wohl noch einmal 15 Jahre warten müssen, bis, wer auch immer dann so ein Buch schreibt, eine positive Bilanz ziehen kann.

Gabriela Marques-Schäfer: Jetzt haben wir eine Frage zu zwei bekannten Sätzen von Ihnen, nämlich “Wenn man sich nichts zu sagen hat, ist es egal, in welchem Medium man sich nichts zu sagen hat“ und “Der Einsatz digitaler Medien ist nur dann sinnvoll, wenn er sinnvoll ist”. Wie muss Ihrer Meinung nach der Präsenz-Fremdsprachenunterricht neu gestaltet werden, damit digitale Medien dort sinnvoll verwendet werden? Was brauchen wir für eine neue Lernkultur?

Dietmar Rösler: Diese Sätze hatte ich vor 20 Jahren, 2001 in Dresden auf der Konferenz der Fremdsprachendidaktiker, gesagt, um darauf hinzuweisen, dass eine Technologiebegeisterung nicht dazu führen darf, dass man didaktisch unsinnige Aktivitäten durchführt. Inzwischen sind digitale Medien für Lehrende und Lernende Selbstverständlichkeiten, trotzdem muss man weiterhin fragen, wann was sinnvoll ist, und diese Frage wird sich im Kontext der durch Corona erzwungenen Veränderungen durchaus noch einmal verschärft stellen.

Für mich besonders wichtig ist unabhängig von der Frage, ob wir Präsenzunterricht machen, uns per Videokonferenz treffen oder Phasen des Alleinlernens haben, dass es um Inhalte gehen muss. 2001 hatte die Begeisterung für die Verfügbarkeit von schnellen Kommunikationskanälen ja dazu geführt, dass plötzlich an vielen Stellen Lernpartnerschaften aufgebaut wurden und man viel über die Technik und wenig darüber redete, was die Leute eigentlich miteinander zu bereden haben.

Der Fokus auf Inhalte muss bleiben, und es ist meines Erachtens durch die technologische Entwicklung möglich, dass dieser gestärkt wird. Die Fremdsprachendidaktik hat sich eine gewisse Selbstzufriedenheit im Hinblick auf die Inhaltsorientierung angewöhnt, sie glaubt, diese sei erreicht. Das scheint mir problematisch zu sein, zumindest wenn man es bezogen auf die Ebene des individuellen Lernenden betrachtet. Inhalte sind bisher durch Curricula und Lehrwerke bestimmt, also unvermeidbar fremdbestimmt. Sie werden zwar, das ist erfreulich, immer stärker auf bestimmte Lernziele, Berufsorientierungen, Studienphasen usw. bezogen, trotzdem ist dies eine Entwicklung, die noch nicht an dem Punkt angekommen ist, wo Lernende sich mit der deutschen Sprache auseinandersetzen, weil sie in einer konkreten Situation jemand anderem etwas mitteilen möchten, was nicht durch Notengebung, Initiierung durch die Lehrkraft oder sozialen Druck in der Lerngruppe ausgelöst wird. Und diese thematische Selbstbestimmung ist meines Erachtens etwas, was im Kontext der Digitalisierung zu erreichen ist: Lernende können früher als früher versuchen, sich mit anderen Menschen über Themen auszutauschen, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich interessieren.

Gabriela Marques-Schäfer: Lernende haben tatsächlich heute viel mehr Möglichkeiten, sich mit der Fremdsprache zu beschäftigen. Sie müssen das nur zu Lernzwecken auch tun. Was für Materialien werden sie noch brauchen? Welche Rolle können Lehrwerke spielen? Sie haben am Anfang des Jahres einen Vortrag in Leipzig über die Entwicklungslinien der Lehrwerkproduktion gehalten und den Begriff Lehrwerk 4.0 verwendet. Können Sie uns mehr über Ihre Zukunftsvision zu den DaF-Lehrwerken erzählen? Welche Funktion können Lehrwerke in einer Zeit noch haben, in der Lernende endlos und häufig kostenlos (didaktisierte und authentische) Materialien im Internet finden?

Dietmar Rösler: Schwierige Frage. Man kann sie in zwei Richtungen beantworten bzw. versuchen zu beantworten: bezogen auf das Material selbst und bezogen auf die Funktion, die Lehrwerke haben. Am einfachsten zu beantworten ist die Frage nach den Vorteilen bei der Distribution: Ein Lehrerhandbuch oder ein Arbeitsbuch, das ich als PDF runterlade, ist halt schneller bei mir. Aber die Distribution ist der didaktisch uninteressanteste Aspekt der Digitalisierung. Die spannende Frage ist ja, ob sich durch Digitalisierung die Qualität ändert bzw. ändern kann. Wenn ein Lehrerhandbuch ein in München, Berlin oder Stuttgart geschriebener Text ist, der für die ganze Welt gilt, dann ist es zwar schön, dass er jetzt schneller in der ganzen Welt verteilt werden kann, aber inhaltlich ändert sich ja erst einmal nichts.

Aber wenn man sich vorstellt, dass dieses Lehrerhandbuch eine Art große Datenbank wäre, oder zumindest mit einer großen Datenbank verbunden wäre, in die Lehrkräfte aus Brasilien, Japan usw. ihre jeweiligen Erfahrungen und Adaptionen mit dem Lehrwerk einpflegen und andere Lehrkräfte mit diesen Adaptionen arbeiten und sie wiederum adaptieren und einpflegen würden usw., dann könnte man sich vorstellen, dass Lehrwerke immer stärker dezentralisierbar und auf regionale und irgendwann sogar lokale Lernergruppen bezogen werden könnten. Und natürlich könnte man sich bei den Lehrwerken, vor allem bei den in Deutschland produzierten, die in der ganzen Welt verkauft werden, generell vorstellen, dass sie anders aufgebaut werden, dass sie z.B. aus peripheren und zentralen Teilen bestehen, zum Beispiel gut gemachten Erklärungen und Übungen zur Form, die zentral produziert werden, und inhaltlichen Teilen, die dezentral zu den jeweiligen Lernzielen, Sprachlernerfahrungen usw. der Lernergruppe passen, die z.B. interkulturell den brasilianischen Blick auf den deutschsprachigen Raum versprachlichen helfen usw. Sehr langfristig könnte man sich also vorstellen, dass es eine Art Lehrwerk on demand gibt, aber das ist sehr langfristig gedacht. Im Augenblick sind wir im Bereich DaF ja gerade dabei, dass es die ersten papierlosen Lehrwerke geben wird, die weitgehend wie die Lehrwerke, die wir kennen, aufgebaut sind. Das sollte uns nicht verwundern, die ersten Autos sahen schließlich auch aus wie Kutschen, der Fahrer saß sogar noch oben draußen, obwohl er keine Pferde mehr im Zaum halten musste. Da werden wir noch interessante Entwicklungen sehen.

Noch spannender finde ich die Frage, welche Funktion Lehrwerke in Zukunft haben werden. Lernende, die zehn Flugstunden vom deutschsprachigen Raum entfernt sind, haben jetzt medial jederzeit Zugriff auf deutschsprachige Kommunikation, das ist der große Unterschied zu früher. Was folgt daraus? Die Lernenden könnten sich theoretisch von Anfang an in echte Kommunikationen in der deutschen Sprache einklinken. Wir wissen alle, wie schwierig das ist. Aber mal unterstellt, das wäre etwas, was in Zukunft eine größere Rolle spielt: Lernende sprechen nicht über das, von dem das Lehrwerk meint, dass sie darüber sprechen wollen oder sollten, sondern über das, was sie tatsächlich interessiert. Dann hätten Klassenzimmer und Lehrwerk plötzlich eine andere Funktion: Sie wären Unterstützer in einem thematisch selbstbestimmten Lernprozess. Was meiner Meinung nach dazu führen müsste, dass diese Lehrwerke viel stärker Unterstützung liefern müssten, damit diese echte Kommunikation auch tatsächlich eine Chance hat zu funktionieren. Was wahrscheinlich bedeuten würde, dass sie Unterstützung bei der Beherrschung von Formen liefern müssen und dass sie eine stärkere interkulturelle Dimension haben müssten, um Scheitern in dieser echten Kommunikation aufzufangen, sie würden also stärker im Bereich Landeskunde/Kulturkunde mit interkulturellem Fokus engagiert sein, und vielleicht würde dieses Engagement sogar mit einer stärkeren Berücksichtigung ästhetischer Komponenten, seien es Filme oder literarische Texte, verbunden sein.

Gabriela Marques-Schäfer: Unsere nächste Frage bezieht sich auf die gegenwärtige Pandemie und Ihre Erfahrungen an der Universität Gießen. Wir haben gelesen, dass es im Wintersemester 2019/2020 an Ihrer Hochschule eine schwere Cyber-Attacke gab, wodurch der gesamte Unibetrieb in den Offline-Modus versetzt wurde. Wenige Wochen nach Ende des Wintersemesters drehte sich alles um 180 Grad und die Arbeit musste aufgrund der Corona-Pandemie komplett auf den Online-Modus umgestellt werden. Wie haben Sie das erlebt? Wie erleben Sie diese Phase, in der die Digitalisierung der einzige Weg für die Hochschule geworden ist, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten?

Dietmar Rösler: Ja, Gießen hat wirklich das Problem gehabt, dass beide Extreme, komplett offline und komplett digital, aufeinander folgten. Die Kollegen im Rechenzentrum hatten wirklich Schwerstarbeit zu leisten. Für mich selbst in der Lehre und in der Kommunikation mit Kollegen waren die Erfahrungen sehr zwiespältig. Es gibt halt das Phänomen, dass man mit Kacheln redet, was beim besten Willen nicht als Beitrag zur Diskussionskultur gewertet werden kann. Schon interessant, dass vor einiger Zeit heiße Debatten darüber geführt wurden, ob vollverschleierte Studentinnen in Seminaren zugelassen werden könnten, weil man doch gar nicht diskutieren könne, wenn man keine Gesichtszüge sehe. Die digitale Vollverschleierung wird dagegen als technologischer Sachzwang scheinbar hingenommen.

In meiner eigenen Erfahrung in den Seminaren waren die Kacheln aber nur ein Randphänomen. Ich war eher beeindruckt, wie intensiv die Studierenden gearbeitet haben. Wir hatten Präsenzsitzungen per Videokonferenz und asynchrone Phasen des Alleinlernens und des Kooperierens in Kleingruppen. Wir haben asynchrone Wirbelgruppen gemacht, kooperatives Kommentieren von Texten, also alles versucht, was die technologische Bevorzugung des Frontalen in den uns zur Verfügung stehenden Werkzeugen ein bisschen untergraben hat. Trotzdem merkt man natürlich die Beschränkungen: Es ist schon ein Unterschied, ob man in einem Präsenzseminar per Augenkontakt jemanden zu einem Beitrag ermuntern kann oder ob man in einer Videokonferenz jemanden direkt anspricht.

Ansonsten ging es mir wahrscheinlich wie den meisten: es gab Redaktionstreffen, Begehungen, Auswahlsitzungen usw., wo man sich gefreut hat, dass man nicht an- und wieder abreisen musste, und es gab solche, wo man merkte, wie wichtig der gemeinsame Small Talk am Kaffeeautomaten gewesen wäre. Und falls das dazu führt, dass in Zukunft funktional entschieden wird, in welchen Situationen man Präsenz braucht und in welchen nicht, dann könnten wir uns und unserer Umwelt wahrscheinlich viele Reisen ersparen.

Gabriela Marques-Schäfer: Die Ersparung von Dienstreisen kann wirklich eine positive Folge der Pandemie sein. Weitere Veränderungen können auch im Rahmen der Ausbildung angehender Lehrenden möglich sein, denn sie und ihre Lernenden stehen mit dieser Krise vor vielen Herausforderungen. Was soll sich Ihrer Meinung nach nach den Erfahrungen in der Pandemie-Zeit in der DaF-Lehrerausbildung im Hinblick auf die Förderung der Medienkompetenz der Lehrenden und der Lernenden ändern?

Dietmar Rösler: Sehr schön und wichtig wäre es, wenn es möglichst bald sehr viele gut organisierte Fortbildungsveranstaltungen für DaF-Lehrkräfte gäbe, die dem Prinzip des reflektierenden Erfahrungslernens folgen würden, die also ein bisschen das machen, was in den DLL-Fortbildungen des Goethe-Instituts die PEPs, die Praxiserkundungsprojekte, sind. Sehr viele Lehrkräfte haben in den letzten Monaten sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, massiven Frust erlebt, aber auch erstaunliche Erfolgserlebnisse, weil sie plötzlich etwas können, von dem sie nie gedacht hatten, dass sie es können. Wenn man diese Erfahrungen zum Ausgangspunkt für Fortbildungsveranstaltungen nimmt und versucht, in Gruppen von Lehrkräften diese Erfahrungen zu systematisieren und mit der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur zu diesen Themen zu verbinden, dann könnte dies meines Erachtens einen nachhaltigen Effekt haben. Was wir dagegen jetzt bestimmt nicht brauchen, sind Helikopter-Fortbildungen, die top down erklären, wie die digitale Fremdsprachenlernwelt aussieht.

Und in der Lehrerausbildung, aber dieser Satz galt natürlich schon lange vor Corona, müsste das Lernen mit digitalen Medien schon längst ein selbstverständlicher Bestandteil sein. Nicht in irgendeinem Modul namens digitale Medien, sondern immer dann, wenn man Aussprachevermittlung, Wortschatzerwerb, Berufsbezug oder was auch immer behandelt, also eigentlich bei fast jedem Gegenstand. Und natürlich wäre es dann sehr schön, aber auch das gilt für jedes didaktische Seminar, dass man nicht nur auf der Metaebene erfährt, was es z.B. für tolle Werkzeuge für kooperatives Arbeiten gibt, sondern dass man diese in seinen Seminaren auch konkret erfährt und einschätzen lernt.

Gabriela Marques-Schäfer: So könnten Studierende idealerweise noch während ihres Studiums den Einsatz digitaler Medien in der Praxis kennenlernen und mit ihren Dozenten darüber reflektieren. Jedoch haben viele Lehrende leider weder Erfahrung mit digitalen Medien noch mit internetbasierten fremdsprachlichen Fernkursen. Trotzdem halten DaF-Lehrende aufgrund der Pandemie ihre Stunden in den Privatschulen, an denen Deutsch unterrichtet wird, sowie an Goethe-Instituten in Brasilien nur noch online. Laut ihren Berichten arbeiten die KollegInnen mit selbstgedrehten Video-Aufnahmen, PDFs, Power-Points und Materialien aus dem Internet. Welche Risiken und Chancen sehen Sie für das Fach Deutsch als Fremdsprache in dieser Zwangsdigitalisierung, ohne die viele Privatschulen vor dem finanziellen Ruin stehen und viele DaF-Lehrkräfte arbeitslos würden?

Dietmar Rösler: Ich weiß nicht, wie es in Brasilien war, in Deutschland fand ich es schon problematisch, wie unterschiedlich an Universitäten - und wohl noch mehr an Schulen - mit der Situation umgegangen wurde. Es gab erstaunlich viele Kolleginnen und Kollegen, die sich vorher nie mit der Rolle von digitalen Materialien oder Kommunikationswerkzeugen beschäftigt hatten und die in kürzester Zeit fantastische Ideen entwickelt haben. Aber es gab auch das komplette Gegenteil, die Verteilung von Aufgaben per PDF, wenn man Pech hatte, auch noch ohne Feedback nach Lösung der Aufgaben. Dass es so unterschiedliche Reaktionen von Lehrenden gab, ist das eigentlich Deprimierende, es zeigt, wie weitgehend Hochschuldidaktik und Lehrerbildung das Thema Digitalisierung ‚verpennt‘ haben. Und jetzt muss man natürlich aufpassen, dass es nicht zum Gegenteil kommt, zur Verklärung des Lernens mit digitalen Medien.

Wenn es gut läuft, dann könnte dieser unfreiwillige Großversuch tatsächlich dazu führen, dass immer mehr Lehrende vor Ort beschließen, dass sie digitale Medien, die sie nun kennengelernt haben und die sie weiter kennenlernen möchten, genau dann einsetzen, wenn es für die Lernergruppe und die Lernziele sinnvoll ist. Und wenn es sehr gut läuft, wird es sogar dazu führen, dass wir alle viel genauer überlegen, für welche Lerngegenstände und welche Lernenden mit welchen Sprachlernerfahrungen es in welcher Situation sinnvoll ist, allein zu lernen, und wo es sinnvoll ist, dass man zusammen in einem Raum sitzt. Meine Vermutung ist ja, dass bei diesem Nachdenken etwas anderes herauskommen würde als die alte Verteilung von Unterricht im Klassenzimmer plus Hausaufgaben.

Wenn es schlecht läuft, dann wird die Begeisterung der Verwaltung für Selbstlernen darauf hinauslaufen, dass sich dieses verselbstständigt und nicht mehr im Hinblick auf seine Funktionalität für den gesamten Lernprozess eingeordnet wird. Und wenn es richtig schlecht läuft, dann wird es dabei auch noch zu einer Zweiklassengesellschaft kommen: Wer es sich leisten kann, zahlt ein bisschen mehr für eine Lehrkraft, wer nicht, der bekommt halt nur den Online-Zugang fürs Selbstlernen. Vor einiger Zeit geisterte der Begriff Premium mediocre durch das Feuilleton: etwas, was einmal selbstverständlich war, wird etwas, wofür man extra bezahlt. Als Beispiel dafür wird oft die Einführung der Premium Economy Klasse beim Fliegen erwähnt: du darfst, wenn du dir das leisten kannst, jetzt extra dafür bezahlen, dass du deine Beine während des Flugs noch bewegen kannst. Wenn die Hinzuziehung einer Lehrkraft oder der Präsenzunterricht zu einem Luxus würde, dann hätten wir ein ernsthaftes Problem. Aber ich bin ein hoffnungsloser Optimist: Unterstellen wir mal, dass es gut läuft und wir als Gesellschaft und Profession lernen, wie digitale Medien ein sinnvoller Teil des Fremdsprachenlernens und -lehrens werden.

Gabriela Marques-Schäfer: Wir sind auch sehr optimistisch und hoffen auch, dass es gut läuft und digitale Medien besser in fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse integriert werden. Wir danken herzlichst für den anregenden Austausch!

Literaturverzeichnis

  • 1
    RÖSLER, Dietmar. Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2012.
  • 2
    RÖSLER, Dietmar. E-Learning Fremdsprachen - eine kritische Einführung. Stauffenburg, Tübingen, 2004.
  • 3
    . ‚Mit Kacheln reden‘ ist im Deutschen erst seit Beginn der Coronakrise zu einem feststehenden Ausdruck geworden, weil in den Videokonferenzen halt viele Studierende nicht per Bild dabei sind, sondern nur ‘per Kachel’, man sieht also nur einen Hinweis auf die Anfangsbuchstaben von Namen und Vornamen.

Publication Dates

  • Publication in this collection
    01 Feb 2021
  • Date of issue
    Jan-Apr 2021

History

  • Received
    26 Aug 2020
  • Accepted
    29 Aug 2020
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