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Peter Davies, Witness between Languages: The Translation of Holocaust Testimonies in Context. Rochester, NY: Camden House, 2018, 266 p.

Davies, Peter. Witness between Languages: The Translation of Holocaust Testimonies in Context. Rochester, NY: Camden House, 2018. 266 p.

Der Großteil der Zeugnisliteratur wird in Übersetzung rezipiert und interpretiert, jedoch in der Regel ohne jegliche Berücksichtung der sozialhistorischen und ideologischen Implikationen der Übersetzung. Mit dem 2018 veröffentlichten Werk Witness between Languages. The Translation of Holocaust Testimonies legt Peter DaviesDavies, Peter. Witness between Languages: The Translation of Holocaust Testimonies in Context. New York: Camden House, 2018. 266 p., Professor für moderne deutsche Literatur an der University of Edinburgh, vor dem Hintergrund dieser Feststellung ein ambitioniertes Werk vor, in dem gerade das Verhältnis von Übersetzung und Holocaust-Zeugnis zentral steht. Die Übersetzung ausgewählter Zeugnisse kann, so der Ausgangspunkt des Autors, in Literatur und Theorie auf produktive Weise genutzt werden, um ein neues Licht auf die Problematik der Übersetzung von Zeugenschaftsliteratur zu werfen. Davies beschäftigt sich in seinen Fallanalysen nicht nur mit den kanonisierten Zeugenschaften von so unterschiedlichen Opfern wie Primo Levi oder Vasily Grossman, sondern auch mit weniger bekannten Zeugnissen wie dem der Krystyna Żywulska.

Dass die Beziehung zwischen Translation Studies und Holocaust Studies zwar spannungsvoll, aber gerade deshalb kultur- und geschichtswissenschaftlich produktiv ist, bildet den Dreh- und Angelpunkt der Monographie. Auch in früheren von Davies (mit) herausgegebenen Publikationen wie dem Sammelband Translating Holocaust Lives, herausgegeben von Jean Boase-Beier, Peter Davies, Andrea Hammel und Marion Winters (London and New York: Bloomsbury, 2017) oder dem Themenheft der Zeitschrift Translation and Literature (23.2, 2014) über “Testimony and Translation” wurde bereits die Aufmerksamkeit auf die vermittelnde sowie interpretierende Rolle des Übersetzers von Holocaust-Literatur gelenkt, der Texte einer neuen Leserschaft zugänglich macht und somit das kollektive Gedächtnis des Holocaust mitprägt und mitbestimmt.

Das in der Monographie herangezogene Korpus, das, wie Davies angibt, keine allgemeingültige Repräsentativität bezweckt, besteht aus publizierten Texten, die in zwei oder mehr Zielsprachen übersetzt wurden und deren spezifische Rezeption mittels einer Gegenüberstellung herausgearbeitet wird. Der akteurbezogene Fokus erlaubt es, in verschiedenen Texten und Kontexten die intrinsisch sozialhistorisch eingebettete Handlung des Übersetzers zentral zu stellen. Die Übersetzung kann somit als Kommentar und Interpretation des Holocaust gesehen werden, die die spezifische Perspektive des Übersetzers auf diese historische Zäsur wiedergeben.

Das ausgewiesene Hauptziel der Monographie besteht denn auch darin, nachzuweisen, wie eine Auseinandersetzung mit der Übersetzung literarischer sowie auch nichtliterarischer Holocaust-Zeugnisse zu einem adäquateren Verständnis der tiefgreifenden historischen und gesellschaftlichen Bedeutung des Holocaust führt, indem die Tendenzen seiner Medialisierung und Remedialisierung vor Augen geführt werden kann. Der Schwerpunkt liegt weitgehend auf englischen und deutschen Übersetzungen. Beobachtungsleitend für das Werk ist dabei die Ausgangsthese, Übersetzung stelle einen auserlesenen Ort zur Untersuchung des Holocaust unter dem Zeichen seines mehrsprachigen Charakters dar. Von Anne Frank über Elie Wiesel und Ida Fink bis Primo Levi und viele andere ist festzustellen, dass der Übersetzer in einer Vermittlerposition die gesellschaftspolitische Aufgabe übernimmt, in der Übersetzung sichtbar zu werden. Die Zeugnisse sowie auch ihre Übersetzungen und Veröffentlichungskontexte sind immer vielschichtig und komplex, was sich auch in der analytischen Komplexität von Davies’ übersetzungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust niederschlägt.

Die Übersetzung veranlasst, so wird in der Einführung dargelegt, zu Diskussionen, die weit über das rein Sprachliche hinausgehen. Der Autor weist in diesem Zusammenhang auf den gängigen zentralen begrifflichen Stellenwert der ‘Treue zum Original’ in der Analyse übersetzter Holocaust-Literatur hin und erhebt dahingegen den Anspruch, ein Korrektiv zum seines Erachtens undifferenzierten Blickwinkel unproduktiver “defensive complaints about the ‘betrayal’ of a cherished original.” (S. 1) zu schaffen. Er macht in diesem Zusammenhang auf den grundsätzlichen Widerspruch zwischen traumatisierter Sprachlosigkeit des Zeugnisses und der ethischen Forderung, dass die Übersetzungen dieser Texte getreu zum Original sein sollen, aufmerksam. Davies distanziert sich vom nach wie vor dominanten Argumentationsduktus des “Verrats” der Übersetzung dem “Original” gegenüber. Eine Übersetzung, so Davies, kann keine bloße Repräsentation, keine übertragene Wiedergabe des Originals sein. Vielmehr handelt es sich um eine Stellungnahme zum spezifischen Text und Kontext des jeweiligen Zeugnisses. Die räumlich gefasste Bildlichkeit der kulturellen ‘Über-Setzung’ geht zwangsläufig auch mit einer ‘Dezentrierung’ des Bekannten einher.

Der Autor setzt es sich im Zusammenhang dieser aporetischen Gratwanderung nicht zum Ziel, eine exhaustive, repräsentative Bestandsaufnahme übersetzter Holocaust-Zeugnisse in den Blick zu nehmen oder eine allumfassende Großtheorie der Zeugenschaftsliteratur zu formulieren. Vielmehr handelt es sich darum, einen differenzierenden textanalytischen Blick auf die ideologischen und historischen Grundlagen konkreter Übersetzungen zu ermöglichen, was aus methodologischer Perspektive durchaus zu begrüßen ist, weil somit der ethisch-theologische Blick auf konkrete Texte komplementiert bzw. problematisiert werden kann. In diesem Zusammenhang bringt Davies das Ziel des Werkes folgendermaßen auf den Punkt: “My aim is to differentiate between the often metaphorical discussion about translation in terms of other ideas and theories connected with the Holocaust—witnessing, trauma, mourning—and the concrete processes of translating in context.” (S. 8)

Er führt damit vor Augen, wie übersetzte Holocaust-Zeugnisse durch ihre jeweiligen historischen, politischen und sprachlich-kulturellen Kontexte neu gedeutet und rezipiert werden. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist stets abhängig vom jeweiligen kulturellen und geschichtlichen Rahmen. Wenn überhaupt die Problematik der Übersetzung von Holocaust-Zeugnissen diskutiert wird, so wird diese geradezu immer als schroffer Gegensatz “between authenticity and falsification” (6) dargestellt. Davies hebt dementsprechend hervor, dass Übersetzung eine hervorragende Rolle in der Forschung des Holocaust als einem mehrsprachigen und multikulturellen Phänomen spielt. Überspitzt formuliert, heißt es: “without translation, there would be no Holocaust” (S. 2), denn die Übersetzung ist bereits dem Konzept des ‘Holocaust’ selbst eingeschrieben.

Im kurzen zweiten Kapitel, “Making Translation Visible”, werden die für den weiteren Verlauf der Arbeit wesentlichen quellenkritischen Grundlagen gelegt. Davies macht hier plausibel, wie Übersetzer sich selbst im Text darstellen bzw. zum Vorschein bringen. Er stellt darüber hinaus dar, welchen Stellenwert paratextuelle editorische Übersetzungskommentare sowie peritextuelles Material für eine objektgerechte Interpretation der Zeugnisübersetzungen haben: “Talking about translation in this way is a means of connecting the practice of translation with broader discourse about the Holocaust, and about dealing with some of the ethical anxieties connected with the translation of testimonies.” (S. 57) Davies plädiert vor diesem Hintergrund für eine Dekonstruktion der Idee einer ‘Äquivalenz’ zwischen Ausgangs- und Zieltext. Vielmehr gilt es, ‘Übersetzung’ konzeptuell als Versinnbildlichung der Vermittlung von Ideen, Auffassungen, Normen und Werten zu sehen.

Im nachfolgenden Kapitel mit der Überschrift “Elie Wiesel’s Night: Searching for the Original” wird der translatorischen Spezifik von Wiesels kanonischem Text in Anbetracht der jiddischen, französischen, deutschen und zweier englischer Übersetzungen nachgegangen. Das Augenmerk wird auf die Bedeutung des Holocaust und das beabsichtigte Zielpublikum gerichtet. Davies zeigt, wie Wiesel in der Lage war, Kontrolle über die späteren Übersetzungen auszuüben, sowie auch, auf welche Art und Weise nicht nur die Übersetzungen, sondern auch La Nuit einen Dialog mit der jeweiligen Leserschaft angehen, die somit die Idee selbst eines ‘ursprünglichen’ Originals hinterfragen: “All the translations discussed here, including La Nuit as a rewriting of the Yiddish text, respond to the text in ways influenced by views of the target context and by a reading of the text in light of current thinking about Holocaust testimony.” (S. 97)

Im vierten Kapitel, “Translation, the Cold War, and Repressed Memory: Vasily Grossman’s ‘The Hell of Treblinka’ and Anatoli Kuznetsov’s Babii Yar”, zeigt Davies den unterschiedlichen erinnerungskulturellen Umgang mit dem Holocaust in den ehemaligen kommunistischen Staaten im Unterscheid zu Westeuropa. Der Verfasser untersucht den Publikationsrahmen beider russischen Werke zu Sowjetzeiten und ihre darauffolgenden Übersetzungen ins Deutsche bzw. Englische. Die beiden Texte und ihre Übersetzungen bringen die differierenden Erwartungshorizonte und Normkonzeptionen in puncto Zeugenschaft und Opferstatus beiderseits des Eisernen Vorhangs zur Schau. Davies macht dabei auf überzeugende Weise nachvollziehbar, wie sich die ideologischen und kulturellen Unterschiede auf die Übersetzungen und Übersetzer ausgewirkt haben. Er weist einleuchtend nach, wie die sozialhistorische Aktualität sowie auch ein spezifisches Zeugenschafts- und Authentizitätsverständnis konstruktiv in die Übersetzung eingebettet werden: “they demonstrate the different inflections of the idea of authenticity in testimony across cultural boundaries, as well as showing how translators position themselves within and intervene in current discourses about testimony, authenticity, and the Holocaust.” (S. 141)

Im darauffolgenden Kapitel mit dem Titel “Self-Translation and the Language of the Perpetrators: Krystyna Żywulska’s Auschwitz Testimony” gilt das Interesse der Frage der jüdischen Selbstübersetzung für eine westdeutsche Leserschaft. Krystyna Żywulska, in Lodz geboren als Sonia Landau, gelang die Flucht aus dem Warschauer Ghetto und sie überlebte Auschwitz durch die Annahme einer fingierten polnischen Identität. Der Blick wird auf Żywulskas Zeugnisse Przeżyłam Oswiecim (dt. Wo vorher Birken waren) und Pusta Woda (dt. Leeres Wasser) gelenkt, die Ende der 1970er Jahre von der Autorin selbst ins Deutsch übersetzt wurden. Davies geht auf aufschlussreiche Weise der Frage nach, wie in den Zeugnissen und ihren Übersetzungen gegensätzliche erinnerungskulturelle Dynamiken zu eruieren sind, die vor 1990 in Polen bzw. Westdeutschland beobachtungsleitend gewesen waren: auf der einen Seite der staatliche Antifaschismus, der den nationalen Opferstatus Polens betonte, auf der anderen Seite die westdeutsche Gleichsetzung von Holocaust-Viktimisierung mit jüdischer Identität. Durch Beobachtung der Identitätsrepräsentation der Autorin in der deutschen Textfassung wird die Problematik des Opferstatus ersichtlich: “The authorial identity in her German text draws attention to its own constructedness while still refusing to abandon it and accept the offer of an identity based on evitable victimhood rather than resistance.” (S. 165)

Während im Mittelpunkt des Interesses der vorherigen Kapitel einzelne Texte standen, die konsequent mit der Vorgehensweise ihrer Übersetzer in Verbindung gesetzt wurden, um daraufhin die kulturell und historisch bedingten Übersetzungsstrategien zu veranschaulichen, beschäftigt sich das letzte Kapitel – “Filip Müller’s Sonderkommando Testimonies: Witnessing in Translation” – mit den Zeugnissen einer einzelnen Person, des tschechischsprachigen slowakischen Juden Filip Müller, der im Sonderkommando in Birkenau beschäftigt war. In diesem Kapitel umreißt der Verfasser den Rahmen der verschiedenartigen Paratexte und Vermittlungsinstanzen – wie auf dem Frankfurter Auschwitz-Prozess oder in Claude Lanzmanns Film Shoah – und zwar mit der ausgewiesenen Absicht, wichtige Elemente und Stationen im Werdegang Müllers als eines Sonderkommando-Zeugen nachzuzeichnen, für den das Übersetzen und Übersetzt-Werden über sein ganzes Leben hinweg eine entscheidende Rolle spielten (vgl. S. 166). Dem Verfasser ist bei der Analyse zuzustimmen, dass das Zeugnis nicht als originär betrachtet werden kann, sondern erst durch eine Kette para- und kontextueller Gegebenheiten in Erscheinung tritt: “Not only do the political and institutional context and skopos exert a defining influence on the translations, but the testimonies themselves are made possible by a complex situation of translation, mediation, commentary, and controversy.” (S. 207) Dank einem solchen breiten interdisziplinären Rahmen geht auch dieses Kapitel in seinen theoretischen und methodischen Ansätzen weit über das rein Übersetzungstechnische hinaus, indem das Verhältnis von Text, Zeuge und Erfahrung beleuchtet und der Stellenwert der Übersetzung im Kontext diskutiert wird.

Im Fazit lässt sich sagen, dass Witness between Languages. The Translation of Holocaust Testimonies stimulierende Denkanstöße gibt, neue Fragehorizonte im Feld der Holocaust Studies eröffnet und Forschende zu weiteren Diskussionen um den Stellenwert der Übersetzung in den dargestellten Zeugnissen einlädt, was durchaus als Verdienst zu bezeichnen ist. Festzuhalten bleibt, dass das Werk ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gediegener konzeptueller Reflexion und detailreicher Text- und Kontextanalyse aufzeigt. Die besonders detaillierten Informationen über die verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen sind meistens aufschlussreich und gehen offensichtlich auf eine gediegene Recherchearbeit zurück. Davies bietet einen kontextbewussten Ansatz für die Übersetzung von Holocaust-Zeugnissen an, der der herausragenden Position der Übersetzer als aktiver Mitgestalter gerecht wird und die Konsequenzen bestimmter Übersetzungsstrategien expliziert: Bei der Übersetzung handelt es sich keineswegs nur um eine geradlinige Ver- bzw. Übermittltung von Bedeutung, sondern um eine Rekontextualisierung, die als hermeneutischer Kommentar begriffen werden kann, in dem die definitorische Variabilität von Zeugnis und Wahrhaftigkeit sowie auch der Stellenwert des Holocaust ersichtlich werden.

Dank des kultur- und übersetzungswissenschaftlichen Ansatzes spannen die Fallanalysen einen weiten Bogen von historischen Kontextualisierungen über soziokulturell-konstruktivistische Analysen hin zu übersetzungstheoretischen Erwägungen, die den Übersetzer bzw. das Übersetzen sichtbar machen. Die Fokalisierung der Bedingungen, unter denen die Übersetzungen produziert wurden, veranlasst zu einer Neuperspektivierung des übersetzungsethischen Diskurses, der die Frage der Unmittelbarkeit und Authentizität zentral stellt, eröffnet aber auch eine Perspektive, die die Komplexität und Vielförmigkeit des Text-Kontext-Verhältnisses nachzuzeichnen vermag. Die Monographie führt auf diese Weise die Reichweite unterschiedlicher Herangehensweisen an die übersetzten Texte vor Augen. Peter Davies’ Witness between Languages: The Translation of Holocaust Testimonies in Context bedeutet einen erheblichen Erkenntnisgewinn für Holocaust Studies und Translation Studies und lässt ein lange nicht ausgeschöpftes Diskussions- und Untersuchungspotential erahnen.

Referenties

  • Davies, Peter. Witness between Languages: The Translation of Holocaust Testimonies in Context New York: Camden House, 2018. 266 p.

Publication Dates

  • Publication in this collection
    09 Oct 2020
  • Date of issue
    Jan-Jul 2020

History

  • Received
    24 Feb 2020
  • Accepted
    08 May 2020
  • Published
    July 2020
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