Open-access Sprache, (Be-)Deutung, Lebensform: Eine Text-(Ent-)Gabelung

Language, (meaning)interpretation, form of life: a textual (de)bifurcation

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird das von Ludwig Wittgenstein in seiner späteren Philosophie verwendete Konzept der „Lebensform(en)“ wieder aufgegriffen. Ausgangspunkt ist die Frage nach einer Textgabelung im Sinne eines Interpretationsstreits, der zu unterschiedlichen Schulen in der Rezeption eines bestimmten Philosophen geführt hat. Die angewandte Methode besteht darin, eine entscheidende Textpassage zu betrachten und dann den Interpretationskontext bis zu dem Punkt zu erweitern, an dem die argumentative Strategie Wittgensteins, einen polyphonen Dialog kontrastierender Stimmen zu inszenieren, bei dem verschiedene Themen in nichtlinearer Weise einbezogen werden, in klareren Konturen zur Erscheinung kommt. Das Ergebnis nenne ich eine textuelle Ent-Gabelung, in der konträre Ansichten kompatibel gemacht werden. Die Diskussion ist auch für eine epistemische Debatte in den Translationswissenschaften — als ein Nebenprodukt — relevant, denn das Hauptziel ist und bleibt philosophischer Natur (das Auflösen einer nur scheinbaren Dichotomie).

Schlagwörter
Sprachphilosophie; L. Wittgenstein; Texthermeneutik; Translation

Abstract

This paper revisits the concept of “form(s) of life” used by Ludwig Wittgenstein in his later philosophy. The starting point is a query about what has been termed a text bifurcation, in the sense of an interpretative dispute that led to different schools in the reception of a given philosopher. The method used is to look at a crucial text passage and then expand the interpretative context up to the point where Wittgenstein’s argumentative strategy, which stages a polyphonic dialogue of contrasting voices involving various themes in a nonlinear manner, is seen in clearer contours. The result is what one could call a text debificurcation, in which disputing views are made compatible. The discussion is also relevant for an epistemic debate in translation studies, as a byproduct, the main concerns of the paper being of philosophical nature (the dissolution of an only apparent dichotomy).

Keywords
philosophy of language; L. Wittgenstein; text hermeneutics; translation

1 Prolog

Folgende Ausführungen gehen auf einen Text zurück, den ich lange für verschollen hielt, da er auf der Cloud der Universität gespeichert war und aus unerklärlichen Gründen samt anderer Arbeiten plötzlich verschwand. Eine Kopie wurde fast 10 Jahre später in einem Backup auf einem Pendrive gefunden. Da ich mich in der Zwischenzeit mit gleicher bzw. ähnlicher Thematik weiterbeschäftigte, nahm ich die Gelegenheit wahr, die darin gestellte Fragestellung wieder aufzunehmen und teilweise zu ergänzen.

Interdisziplinäre Arbeit wird naturgemäß mit dem Problem konfrontiert, dass bei einer potenziell heterogenen Leserschaft kaum auf gemeinsames Grundwissen aufzubauen ist. Dazu kommt, dass Nischen-Trennungen die Fachdiskussion sowohl in der Philosophie als auch in den Translationswissenschaften kennzeichnen. In der Regel versuche ich, diese Hürden mittels erläuternder Vorbemerkungen für das jeweilige Hauptpublikum zu überwinden. Beim Einreichen der ersten Fassung dieses Beitrags habe ich dieser Lage wohl nur unzulängliche Aufmerksamkeit gewidmet. Nun ergänze ich den eingereichten Text mit diesem Prolog und einem Epilog, sowie zusätzlichen Fußnoten. Die jetzige Fassung ist und bleibt jedoch weiterhin die Aufnahme eines einzelnen Schrittes in einem längeren Weg, aus dem manche Verzweigungen schon betreten wurden und andere noch im Horizont sind. Bei den genannten Erweiterungen wurde der Text notgedrungen länger. Ich bitte um Verständnis.

2015 hatte ich ein freies Semester, das u.a. zur Teilnahme am jährlichen Wittgenstein Symposium in Kirchberg im Wechsel (Österreich) und zu einem kurzen Forschungsvorhaben am Institut für Philosophie der TU Berlin diente. Im Rahmen eines internen Kolloquiums wurde mir das Thema Textgabelung als einen möglichen Beitrag zur allgemeinen Diskussion vorgeschlagen2. Darunter versteht sich ein Interpretationsstreit, der zu unterschiedlichen Schulen in der Rezeption eines bestimmten Philosophen führte. In diesem Kontext bot sich mir die in zwei Lagern gespaltene Debatte um Wittgensteins Begriff der Lebensform(en) an. Dieses Thema wurde in einer Sektion des gleichjährigen Wittgenstein Symposiums in Kirchberg heiß diskutiert und spielte auch in einem Beitrag zur Translationstheorie einer brasilianischen Kollegin eine wichtige Rolle.

Diese Kombination der gegebenen Fragestellung (Textgabelung) mit dem konkreten Deutungsstreit (Lebensform(en) in Wittgensteins Spätwerk) bildet also den Rahmen meiner Erörterungen. Die Hauptfrage ist strikt philosophischer Natur: Ist dieser Deutungsstreit (in seiner üblichsten Form) sinnvoll? Lassen sich die zwei anscheinend unversöhnlichen Interpretationen wirklich nicht kombinieren, d.h., schließen sie sich tatsächlich aus? Meine Antwort darauf ist negativ, im Sinne einer Komplementarität statt der gegenseitigen Ausschließlichkeit. Die Prozedur folgt dem wittgensteinischen Ansatz, ein Problem aufzulösen (d.h., seine Grundlagen zu hinterfragen; English dissolve) statt es zu lösen (English solve). Der Weg zu diesem Ergebnis war die Erweiterung einer dem Begriff der Textgabelung angemessenen Passage, vor dem Hintergrund einer gewissen Dichotomie in den üblichen Prozeduren in der Wittgenstein Forschung, wie folgend skizziert.

Zum einen versucht man, die Begrifflichkeiten des Philosophen auf einen gemeinsamen Nenner zu reduzieren, möglichst durch exakte und allumfassende Definitionen. Dabei wird übersehen, dass Wittgenstein sehr unterschiedliche Begriffe bzw. Verfahren unter die gleichen Namen in den verschiedenen Phasen seines Werks stellte, wie etwa übersichtliche Darstellung (SCHULTE 2012) und Bild (OLIVEIRA 2025b). Hinzu kommt u.a. die zentrale Rolle von Vagheit im Spätwerk (BEN-YAMI 2017), demnach der passende Grad an Exaktheit nur im Rahmen des jeweiligen Sprachspiels zu bestimmen ist. Kondensiert wird dieses Verständnis z.B. in den kritischen Bemerkungen zu Frege bei der Diskussion von Familienähnlichkeiten in Philosophische Untersuchungen (WITTGENSTEIN 2009: 38 [PU §71])3. Am radikalsten scheint aber Wittgenstein die prinzipielle Vagheit unserer Begriffe zu betonen, wenn er in den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (1967 [BGM §50]) behauptete, „Begriff“ sei selbst ein vager Begriff. Damit lässt sich auch seine o.e. Polemik gegen Frege kombinieren, wie ich woanders gezeigt habe:

Now, if ‘concept’ itself is a “vague concept” (BGM §50), and if we use the same concept with different senses, then ‘exactness’ cannot be a prerequisite to being a ‘concept’ tout court but derives instead from the language-game at play, which might demand a greater or minor degree of precision. “— Thought you still own me a definition of exactness”, says Wittgenstein (2009: 37e [PI §69]).

(OLIVEIRA 2023: 229)4

Hinzu kommt noch, dass die intrinsische Vagheit des Begriffes Lebensform(en), den Wittgenstein stets ohne weitere Erläuterungen verwendet, ein Hauptgrund des Deutungsstreits um seine Reichweit ist. Anna Boncompagni (2022: 1) bemerkt dazu, dass der Begriff zur Lebenszeit unseres Philosophen zum unausgesprochenen Gemeinwissen gehörte — auch im Sinne dessen, was Wittgenstein selbst zu unseren Grundüberzeugungen sagt:

Die für uns wichtige Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. (Man kann es nicht bemerken, — weil man es immer vor Augen hat.) Die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung fallen dem Menschen gar nicht auf. Es sei denn, daß ihm dies einmal aufgefallen ist. — Und das heißt: das, was, einmal gesehen, das Auffallendste und Stärkste ist, fällt uns nicht auf.

(PU §129)5

Die intrinsische Vagheit vieler Begriffe ist einer der Gründe, weshalb Exaktheit nicht zum Maßstab einer angemessenen Deutung des Spätwerks zu erkoren ist. Im Gegenteil: Wie woanders dargelegt, verbinde ich Stringenz im wittgensteinischen Sinne eher mit der konstitutiven Vagheit natürlicher Sprachen als mit Exaktheit im Sinne etwa der Naturwissenschaften bzw. der Logik — insbesondere, wenn dabei auch translatorische Fragen auf der Tagesordnung stehen (OLIVEIRA & AZIZE 2021). Stringenz setzt hier also die Aufwertung von Vagheit statt der Suche nach einer dem Gegenstand bzw. dem Sprachspiel nicht zugehörigen Exaktheit vor. Ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Bedeutung eines Begriffs vom jeweiligen Sprachspiel abhängt, ist „Übersetzung“ selbst, denn die praktischen Anwendungen dieses Begriffs lassen sich am besten mittels Wittgensteins Verständnis von Familienähnlichkeiten beschreiben und sind dem gemäß nicht auf eine enge, einheitliche Definition zu reduzieren (OLIVEIRA 2023)6.

Eine zweite Tendenz unter den Kommentatoren, v.a. jenen der analytischen Tradition, ist die peinlichste Besprechung sehr kurzer Textpassagen. Es lässt sich m. E. kaum bestreiten, dass die philosophische Arbeit oft genau aus der ausführlichen Diskussion wichtiger Passagen bzw. Begriffe besteht. Die Idee einer Textgabelung selbst geht auf diese Tatsache zurück. Das Spätwerk Wittgensteins setzt die Analyse allzu begrenzter Passagen allerdings vor große Schwierigkeiten, denn hier geht der Philosoph nicht linear von einem argumentativen Punkt zum anderen, wie etwa in der Kombination von Linearität und Hierarchie der durchnummerierten Abschnitte im Tractatus (WITTGENSTEIN 2021). Sein Text im Spätwerk ist stattdessen polyphonisch und durch Gedankensprünge gekennzeichnet (siehe Vorwort zu Philosophische Untersuchungen), mit einer wichtigen Konsequenz: Worauf es in den jeweiligen Passagen ankommt, ist je nach dem Gesprächspartner zu entscheiden, wobei jene Gesprächspartner in der Regel nicht benannt werden (BIESENBACH 2011). Diesem Umstand wird in der Debatte zur Reichweite des Begriffs Lebensform(en) nicht gebührende Aufmerksamkeit gegeben, und mir kommt es darauf an, diesem Defizit entgegenzuarbeiten.

Deswegen wählte ich für den vorliegenden Beitrag die Texterweiterung als methodisches Vorgehen. Ausgehend von einer berühmten Passage, die als Textgabelung verstanden werden kann, wird weiter im Text nach den Gesprächspartnern und Themen gesucht, die der wittgensteinischen Begriffstherapie mittels Vergleichsobjekte (PU §109) unterstellt werden. Dabei gehe ich schrittweise vor, sodass bei jeder Erweiterung der Sinn einzelner Passagen leicht anders zu Erscheinung kommt — als Ergebnis der Konfrontation mit unterschiedlichen Vergleichsobjekten. Daraus resultiert ein Sinnesgeflecht, welches z.T. als Beispiel eines methodischen Vorgehens (spät-)wittgensteinischer Art zu verstehen ist (vgl. WITTGENSTEIN 2009: 6, zitiert in Sektion 4).

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Ziel dieser Arbeit ist zu zeigen, dass die interpretatorische Gabelung um den Begriff Lebensform(en) bei Wittgenstein zum großen Teil auf die Beschränkungen jener zwei üblichen Herangehensweisen zurückzuführen ist. Keine von ihnen ist in der Lage, den eigentlichen Sinn dieses Begriffes im jeweiligen Kontext genügend zu bestimmen, auch wenn sie wichtige Ansatzpunkte liefern. Die gewählte Strategie der Texterweiterung zur Ortung der jeweils besprochenen Themen und der privilegierten Gesprächspartner versteht sich darum als eine relevante Ergänzung zur angehenden Diskussion, ohne alle wichtige Aspekte klären zu wollen bzw. andere Ansätze völlig zu ersetzen. Doch wird der Anspruch erhoben, so eine kontextuelle Erweiterung sei ein wichtiges und z.T. vernachlässigtes methodisches Instrument. Ich komme darauf mit einem Hinweis auf Arley Morenos Argument gegen den radikalen Skeptiker in der Philosophie zurück.

Die Frage nach der Anwendung der hier dargestellten Gedanken für eine auf Wittgenstein basierende Translationstheorie ist ein Nebenprodukt der strikt philosophischen Diskussion um die Reichweite des Begriffs Lebensform(en) zu verstehen. Die Möglichkeit dieser Applikation stand am Anfang meiner Erörterungen wegen eines laufenden Dialogs an der Schnittstelle der Wittgenstein Rezeption mit der Translationstheorie. Dabei geht es allerdings nicht um technische Fragstellungen, etwa wie ein Text zu übersetzen sei oder de facto übersetzt wurde, sondern um das Echo philosophischer Fragen in den Translationsstudien. Relevante Beispiele sind der Streit Universalismus vs. Relativismus und die (Un)Möglichkeit, was anders ist (Otherness) zu verstehen.

Da hier der Einstieg in die Diskussion über den Weg der Translation (des radikal Anders) gemacht wird und womöglich die Erwartung einer systematischen Fortsetzung dieser Thematik erweckt, füge ich nun, in relevanten Stellen, weitere Fußnoten zum laufenden Text, um auf mögliche Ansatzpunkte hinzuweisen. Ein Epilog dient dann der Abrundung der Diskussion. Mit dieser Kombination hoffe ich, genügend Material zu liefern, um die Relevanz der zuvor besprochenen Fragen für die epistemische Debatte in den Translationswissenschaften deutlich zu machen. Diese gehört zu meinen noch laufenden Erörterungen auf diesem Gebiet, sodass schon veröffentlichte Arbeiten sowie andere in Vorbereitung als Ergänzung zum vorliegenden Text dienen können.

2 Eine oder mehrere Lebensform(en)?

Der hier zu besprechende Begriff kommt gleich zu Beginn von Philosophische Untersuchungen vor:

Man kann sich leicht eine Sprache vorstellen, die nur aus Befehlen und Meldungen in der Schlacht besteht. — Oder eine Sprache, die nur aus Fragen besteht und einem Ausdruck der Bejahung und der Verneinung. Und unzähliges Andere. — Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen. (WITTGENSTEIN 2009: 11 [PU §19])

Je nachdem, wie man den Grundgedanken im letzten, mit „und“ eingeführten Satz in dieser Stelle deutet, ergibt sich ein jeweils anders Verständnis der Philosophie des sog. späten Wittgenstein. Zum einen geht es um die Sprachauffassung, die dem Spätwerk zugrunde liegt — im Gegensatz zur referentiellen Abbildtheorie zur Zeit des Tractatus. Rupert Read (2007) fasst die gängigen Positionen zwar etwas polemisch aber doch gewissermaßen passend zusammen. Die Polemik richtet sich gegen das, was er die mainstream Leseart (vom Spätwerk im Allgemeinen und von Über Gewissheit im Besonderen) nennt, v.a. Danièle Moyal-Sharrocks (2007) Anspruch, man könne von einem dritten Wittgenstein reden. Der heutige Hauptkonsens besagt, das dynamische Sprachspiel sei im Zentrum der Erörterungen im Spätwerk und die daraus resultierende Sprachverständnis stehe in deutlichem Widerspruch zur dogmatisch verstandenen referenziellen Abbildtheorie des Frühwerks. Read zieht die sog. resolute Leseart vor, der nach die Kontinuität zwischen den verschiedenen Phasen viel grösser sei, als die heutige sog. Standartlektüre zu verstehen gibt7.

Auch über das korrekte Verständnis des Begriffs Lebensform(en) streiten sich die Geister. Geht es da um die eine, menschliche Lebensform, im Gegensatz zu den Lebensformen der (anderen) Tiere, die über keine Sprache wie unsere verfügen? Oder handelt es sich eher um die Vielzahl der menschlichen Sprachen und Kulturen, wie eine ethnologisch anmutende Leseart vorschlägt? Helena Martins (2014: 224-228) berichtet, diese seien die zwei wichtigsten, stark konkurrierend gängigen Interpretationen. Die entgegengesetzten Trends charakterisiert die Autorin als jeweils dem Universalismus bzw. dem Relativismus verpflichtet, wobei in beiden Fällen versucht werde, „die Unruhe im Gedanken Wittgensteins begrifflich zu beschwichtigen“, d.h. ihn der philosophischen Tradition konform zu machen und mit exakten, fixen Konturen zu versehen. Als Alternative schlägt die Autorin einen dritten Weg vor, den des Perspektivismus, als dessen Vertreter Denker wie Nietzsche und der brasilianische Anthropologe Viveiros de Castro erwähnt werden. Diese Haltung ist deutlich der zweiten Leseart von Lebensform(en) näher, trotz des prophylaktischen Einwands gegen eine allzu relativistische Annährung. Ich stimme mit der Autorin tendenziell überein, v.a. in der Einsicht, dass Wittgenstein sich schlecht in die gängigen philosophischen Positionen einordnen lässt, und dass eine Art Perspektivismus (wenn auch anders als bei den genannten Autoren) vorliegen könne.

3 Lebensform(en) und Translation

Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Reichweite des Begriffs Lebensform(en) und seiner Implikationen für die Translationswissenschaft bzw. Übersetzungstheorie stellt Martins (2014: 228) die Fragen, (1.) ob und inwiefern unser gängiges Verständnis von Übersetzung dazu angemessen sei, den Austausch zwischen radikal verschiedenen Sprachen und Kulturen treffend zu beschreiben, und (2.) ob so ein übersetzerischer Austausch nicht unweigerlich zu Änderungen in den beteiligten Sprachen/Kulturen führen müsste. Damit korrelieren zwei weitere Punkte aus einem anderen Text (Martins 2012: 145), und zwar: (3.) eine von Viveiros de Castro gestellte Frage, ob die amerindische Bevölkerung eine andere Auffassung von Übersetzung als unsere hätte, und (4.) welche Konsequenzen man daraus ziehen könne.

Für mein eigenes Projekt, die Sprachauffassung des späten Wittgenstein für die heutige Translationswissenschaft (als eigenständiges Fach) zu mobilisieren, ist die erste Frage wichtiger, auch wenn die anderen drei Punkte von Martins einen passenden Kontext zu ihrer Erörterung bilden, v.a. was die Implikationen unserer Antworten betrifft. Gegen die Dichotomie in der Leseart von Lebensform als entweder den Unterschied zwischen Menschen und Tier oder die Vielfalt der menschlichen Sprachen und Kulturen betreffend mobilisierte ich anderswo (OLIVEIRA 2015a), teils in einem direkten Dialog mit Martins (2012, 2014), eine Textstelle aus dem sog. Teil II in Philosophische Untersuchungen, die anscheinend Textbelege für beide Lesearten liefern könnte. Mit einem Verweis darauf, dass es Wittgenstein nicht um biologische oder naturgeschichtliche Erörterungen, sondern um die jeweils relevante Praxis ging, wäre es dem Argument nach angemessener, von Unterschieden verschiedener Grade — statt einer Dichotomie — zu sprechen. Auf dem ersten Blick scheint der Begriff Lebensform(en) in der betreffenden Stelle gar nicht vorzukommen, doch bei einer gemäßigten Expansion des zu untersuchenden Textabschnittes ergeben sich Verbindungen, die noch tiefer gehen, als meine erste Intuition vermuten ließ. Diesen Textabschnitt möchte ich in der Folge erörtern. Ob es hier um eine echte Textgabelung geht, in dem Sinne, dass daraus verschiedene Lesearten entstehen können, ist jedoch fraglich, denn die schon existierenden verschiedenen Lesearten stützen sich in der Hauptsache auf andere Quellen — wenn auch die erwähnte Verzweigung der Interpretationen nicht aus der Hand zu weisen ist, wobei auch diese Stelle mitzitiert wird. Darum handelt es sich hier eher um eine Ent-Gabelung, also um eine Wiederzusammenführung der gespaltenen Wege. Die von mir ursprünglich zitierte Stelle lautet:

Wir sagen auch von einem Menschen, er sei uns durchsichtig. Aber es ist für diese Betrachtung wichtig, daß ein Mensch für einen anderen ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich anderen Traditionen kommt; und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man versteht die Menschen nicht. (Und nicht darum, weil man nicht weiß, was sie zu sich selber sprechen.) Wir können uns in sie nicht finden.

(WITTGENSTEIN 2009: 235 [PPF §325])8

Wenn ein Löwe sprechen könnte, könnten wir ihn nicht verstehen.

(PPF §327)

Mein Argument bei der Zusammen- bzw. Gegenüberstellung von PPF §325 und §327 war, dass Wittgenstein hier Bemerkungen über das Nichtverstehen zwischen (1.) Menschen untereinander und (2.) Menschen und einem Tier kurz nacheinander reiht. Wären solche Unterscheidungen völlig voneinander zu trennen, mit Bevorzugung der zweiten, wie es die einflussreichen Ansichten von Newton Garver (1990) verlangen, dann kämen diese zwei Unterscheidungen wahrscheinlich nicht so nah und ohne einen weiteren Übergang. In so einem Fall wäre übrigens auch eine ausführlichere Diskussion zum Thema Mensch vs. Tier in der unmittelbaren textuellen Umgebung zu erwarten. Dem ist nicht der Fall, denn hier geht es um den Zugang zum sog. Inneren des Menschen, in einem direkten Dialog mit William James, der in diesem Rahmen nicht lange vor unserer Passage namentlich erwähnt wurde (PPF §299). Der Hinweis zum Löwen, der zu den sog. Hits in der Wittgenstein Rezeption zählt (besonders unter Nicht-Philosophen), hat m.E. eher die Funktion einer hyperbolischen Klärung, denn Löwen sind uns so anders, dass es nicht schwer sein dürfte, uns vorzustellen, dass wir sie nicht verstünden, sollten sie tatsächlich eine Sprache wie unsere haben.

„Unsere” ist hier im Singular zu verstehen, im Sinne der Gesamtheit menschlicher Sprachformen, gemäß der von Garver (1990) vertretenen These. Damit wäre die sog. universalistische Unterscheidung in der Charakterisierung von Martins (2012) im Vordergrund. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Menschen unter sich auf Verständnisschwierigkeiten stoßen können und es wirklich auch tun. Letzter Aspekt steht im Mittelpunkt von PPF §325. Dass dabei gesagt wird, solche Schwierigkeiten beruhen nicht schlicht und einfach auf der Tatsache, man wisse nicht, was jene fremde Menschen „zu sich selber sprechen“, weist auf eine tiefere Verbindung zwischen Sprache und Praxis bzw. Werte, Bräuche und letztes Enden Kultur hin. Man vergleiche dazu eine frühere Bemerkung Wittgensteins in einem verschlüsselten Tagebucheintrag vom 21.8.1914: „Wenn wir einen Chinesen hören so sind wir geneigt sein Sprechen für ein unartikuliertes Gurgeln zu halten. Einer der Chinesisch versteht wird darin die Sprache erkennen. So kann ich oft nicht den Menschen im Menschen erkennen etc.“ (WITTGENSTEIN 2006 [CV]: 3; siehe auch CV 85). Besonders die abschließende Bemerkung im letzten Satz deutet, schon zur Zeit des Tractatus, auf die in der Spätphilosophie offen ausgearbeitete Verflechtung von Sprache und Leben (spricht: Praxis, Sprachspiel, Lebensform) hin und macht deutlich, dass die Unterscheidung nicht nur zwischen Menschen und Tier zu suchen ist. Sie ist auch relevant für die Verständnisschwierigkeiten zwischen Vertretern verschiedener Denk-Schulen, bei denen die Grundvoraussetzungen auseinanderklaffen.

4 Texterweiterung als Deutungsinstrument

In der Sekundärliteratur zu Wittgenstein gibt es (wie im Prolog schon erwähnt) zwei sehr starke Tendenzen, die gewissermaßen mit der vorherrschenden Stellung der analytischen Perspektive verbunden sind. Einerseits versucht man, Wittgensteins Begriffe auf eine einzige, präzise Definition zu reduzieren, die in so vielen Kontexten wie möglich gültig sei. Das mag mit dem wissenschaftlichen Denken gut vereinbar sein, läuft aber dem Denkstil des Philosophen zuwider9. Die andere vorherrschende Tendenz ist, sehr kurze Passagen isoliert zu analysieren — wobei die Möglichkeit allumfassender Definitionen vorausgesetzt wird, lässt sich hier hinzufügen.

Stattdessen plädiere ich dafür, die Alternanz der verschiedenen Argumente in der Text-Entwicklung unter die Lupe zu nehmen. Diese Prozedur soll im gewissen Sinn die „internen Relationen“ zwischen verschiedenen Begriffen zeigen, wie Wittgenstein selbst im Spätwerk zu tun pflegte. Zum anderen lässt sie sich mit Kontexterweiterung als Methode zur Festlegung gültiger Deutungskriterien korrelieren, in Anlehnung an ein Argument Arley Morenos gegen eine berühmt-berüchtigte skeptische Leseart Samuel Kripkes (1982). Es geht um

the possibility of inserting each of the individual contexts into other, always broader contexts, through its composition with other individual contexts — without the possibility of determining a priori an upper limit to this process. This aspect has the primary function of interrupting the indefinite chain of new individual contexts that could be presented as legitimate candidates for the application of a concept. It is a holistic principle that enables the indication of a set of habits and conventions as sufficient criteria for identifying the correct or appropriate application of a rule, or rather, that allows us to decide which general context is sufficient so that the application of the concept can be judged as correct or appropriate.

(MORENO 2019: 39)10

Eine erste, noch kleine Erweiterung der hier zu deutenden Textpassage kann schon helfen, die Verflechtung von Sprache und Lebensform klarzustellen. Bevor wir das tun, sei noch einmal daran erinnert, dass Wittgenstein selbst im Vorwort zu Philosophische Untersuchungen auf die Nicht-Linearität seiner Arbeitsmethode hinweist, so dass ein bestimmter Gedanke immer wieder zu anderen führt bzw. mit anderen verglichen wird: „Die gleichen Punkte, oder beinahe die gleichen, wurden stets von neuem von verschiedenen Richtungen her berührt und immer neue Bilder entworfen“ (WITTGENSTEIN 2009: 6). Um seine Gedankenbewegungen zu verstehen ist es also hilfreich nachzufragen, wie jene Gedanken jeweils zueinanderstehen, so dass es zum Sprung von einem Punkt zum anderen kommt und daraus ein komplexes, sich verschiebendes Begriffsgeflecht entsteht. Nun zu unserer ersten Texterweiterung, zusätzlich zu den schon zitierten §325 und §327 in PPF:

“Das Innere ist uns verborgen.” — Die Zukunft ist uns verborgen. — Aber denkt der Astronom so, wenn er eine Sonnenfinsternis berechnet? Wen ich, mit offenbarer Ursache, sich in Schmerzen winden sehe, von dem denke ich nicht: seine Gefühle seien mir doch verborgen.

(PPF §324)

Wir sagen auch von einem Menschen, er sei uns durchsichtig. Aber es ist für diese Betrachtung wichtig, daß ein Mensch für einen anderen ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich anderen Traditionen kommt; und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man versteht die Menschen nicht. (Und nicht darum, weil man nicht weiß, was sie zu sich selber sprechen.) Wir können uns in sie nicht finden.

(PPF §325)

“Ich kann nicht wissen, was in ihm vorgeht” ist vor allem ein Bild. Es ist der überzeugende Ausdruck einer Überzeugung. Es gibt nicht die Gründe der Überzeugung an. Sie liegen nicht auf der Hand.

(PPF §326)

Wenn ein Löwe sprechen könnte, könnten wir ihn nicht verstehen.

(PPF §327)11

Die Aussage in Anführungszeichen in PPF §324 nimmt einen andauernden Dialog mit William James wieder auf (ohne auf ihn zu verweisen) und führt ein oft zitiertes Beispiel externer Kriterien ein: Ich kann durch Beobachtung wissen, ob ein Mensch etwa unter Schmerzen leidet oder nicht, ohne in seine inneren Gefühle hineinsehen zu können oder müssen. Damit ist die Vertrautheit mit den für die jeweilige Situation wichtigen bzw. entscheidenden Kriterien angesprochen, die uns u.U. jedoch fehlen und zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Genau auf so einen Fall von Verständnisschwierigkeiten — unter Menschen — wird in §325 verwiesen.

In PPF §326 kommt dann der für die gesamte Spätphilosophie sehr wichtige Begriff Bild vor12, und zwar in einem Zusammenhang, der die in Über Gewissheit (WITTGENSTEIN 2004 [ÜG]) systematisch geführten Diskussion zur Bodenlosigkeit von Grundüberzeugungen vorgreift (vgl. PU §217, 241; ÜG §248, passim). Über Grundüberzeugungen wird in der Regel nicht geredet, man nimmt sie einfach stillschweigend hin (wie im Prolog mit einem Hinweis auf PU §129 schon dargelegt)13.

Nun soll das hyperbolische Beispiel des Löwen in PPF §327 deutlich machen, dass es hier eigentlich nicht um eine (Un-)Möglichkeit der Verbalisierung geht, bei der die Gründe des Löwen anzugeben wären, denn solche Gründe könnten u.U. so inkompatibel mit jenen sein, die wir zum Akzeptieren bereit wären, dass wir sie ggf. nicht verstehen könnten. Deswegen darf der Zugang zum Inneren des Menschen (wie William James es vorschlägt) auch nicht des Rätsels Lösung sein. Mit Über Gewissheit gesagt heißt das: Die Gründe des Löwen würden nicht in unser Weltbild passen, darum könnten sie uns keinen Sinn ergeben.

Wie schon erwähnt gibt es in der unmittelbaren Umgebung unseres Textabschnitts keinerlei weitere Hinweise auf eine Unterscheidung Mensch vs. Tier, und so kommt Wittgenstein in den auf die zitierte Stelle folgenden Ausführungen nicht auf den Löwen oder etwaige andere Tiere, die über keine Sprache wie unsere verfugen, zurück. Das erhärtet die Annahme, dass der Hinweis zum Löwen eine hyperbolische Rolle zum Erhellen der möglichen Verständnisschwierigkeiten unter Menschen spielt, also: dass es hier funktional/argumentativ nicht um eine grundlegende Unterscheidung zwischen Menschen und Tier geht. Stattdessen kommt man im Text wieder zum Thema Erraten einer Absicht, also zurück zur Diskussion der von William James geworfenen Frage nach dem Zugang zum Inneren des Menschen, d.h. zum Erlebnis. Nicht zu vergessen ist auch der Titel, dem Teil II in Philosophische Untersuchungen beigefügt wurde: Philosophie der Psychologieein Fragment.

Mit dieser ersten, geringfügigen Texterweiterung sind wir noch nicht an den Punkt gelangt, in dem der Zusammenhang der zitierten Stelle mit dem Begriff der Lebensform(en) explizit gemacht wird, wie eine weitere Expansion unseres zu untersuchenden Textabschnitts zeigen kann. Bevor wir das machen, ist es dennoch angebracht, die in Martins (2014) charakterisierte Verzweigung der Interpretationen von Lebensform(en) ein wenig zu exemplifizieren.

Ich habe am Anfang von Sektion 2 behauptet, die Deutung des letzten Satzes in PU §19 sei dazu maßgebend, wie man die Sprachauffassung des späten Wittgenstein zu verstehen hat. Vielleicht ist es jedoch auch andersherum, d.h., je nach dem schon gegebenen Vorverständnis der Sprachauffassung im Spätwerk (oder von Sprache überhaupt) wird unsere Deutung jenes Satzes anders fallen. In seinem Aufsatz „Klassische und philosophische Hermeneutik“ erklärt Gadamer,

die Applikationsstruktur des Verstehens bedeute durchaus keine Einschränkung der „voraussetzungslosen“ Bereitschaft, zu verstehen, was ein Text selber sagt, und gestattet durchaus nicht, dass man den Text seiner „eigenen“ Sinnmeinung entfremdet und vorgefassten Absichten dienstbar macht.

(GADAMER 1997: 48-49).

Stattdessen decke die Reflexion „nur die Bedingungen auf, unter denen Verstehen jeweils steht und die immer schon —als unser Vorverständnis— in Anwendung sind, wenn wir uns um die Aussage eines Textes bemühen“ (ebd.). Das Problem hier ist zu bestimmen, wo die Grenze zwischen dem Ausdruck des Vorverständnisses und jenem der konkreten, situativ eingebundenen Textdeutung verläuft. In anderen Worten: Wo wird dogmatisch, wo wird aufgeschlossen gelesen? Und was heißt es, „aufgeschlossen“ zu lesen, wo verläuft die Grenze zur Beliebigkeit der Interpretation?

Die Aufgabe wird in unserem Fall dadurch erschwert, dass es hier auch um unser Verständnis von Sprache überhaupt geht. Um mit dem späten Wittgenstein zu sprechen, lässt sich m.E. sagen, dass es beim Verstehen auch um die Möglichkeit des „Aufleuchten eines Aspekts“ geht, dass wir also durch die Lektüre in die Lage versetzt werden (sollten), nicht nur Altbekanntes zu bestätigen, sondern auch etwas Neues zu sehen, und zwar auf der Grundlage der gleichen materiellen Basis anderer (ggf. unserer eigenen, früheren) Wahrnehmungen (vgl. PPF §204, 140, 207, 209, 247)14. Das liefert uns zwar noch keine Theorie der Interpretation, was vom Spätwerk bekanntlich nicht zu erwarten ist, doch schon einen Anhaltspunkt zu erkennen, wo eine Deutung u.U. dogmatisch erstarrt. Der Norm Begriff, der mit der Idee des Vorverständnisses eng verwandt ist, wäre dann das Pendent zum Drang nach Beliebigkeit, wie aus der o.e. Kritik Morenos an die sog. skeptische Leseart Kripkes zu verstehen ist. Damit ist jedoch ein weites Feld angesprochen, worauf wir hier nicht näher eingehen können. Behalten wir vorerst nur, dass diese Thematik eine Brücke zur epistemischen Debatte in der Translation ermöglicht, und schalten wir dann zu Beispielen der gängigen Positionen zum Begriff Lebensform(en) und seiner Relation zur Sprache um.

Garver (1990) macht eine breit angelegte Diskussion der seinerzeit vorhandenen Deutungen von Lebensform(en) als verschiedene Erscheinungen menschlicher Kulturen und Verhaltensformen betreffend und nennt sie standard bzw. orthodoxe Leseart15. Dagegen vertritt er die These, man solle von Lebensform nur im Singular sprechen, und diese sei letzten Endes die eine, allen Menschen gemeinsame Lebensform — denn nur Menschen verfügen über Sprache und Wittgenstein gehe es darum, das eigentliche, komplizierte Funktionieren der Sprache zu beschreiben und so ein klärendes Licht auf philosophische Perplexitäten zu werfen (ebd.: 183, 196, 199). Am Anfang seiner Ausführungen steht ein Streit um die Wichtigkeit des Begriffs selbst. Während Norman Malcom ihn als sehr wichtig erachtet, warnt Max Black von einer Überbewertung, denn der Begriff sei vage und ohne klare, feste Implikationen. Garvers Fazit geht ganz deutlich in die zweite Richtung:

First and foremost, however, Wittgenstein’s forms of life are those of natural history: bovine, piscine, canine, reptilian, human, feline, leonine, etc. Since this is a point of natural history rather than empirical science, the other important conclusion is that nothing of any practical import can either contribute to our understanding of forms of life or be inferred from them.

(GARVER 1990: 178)

In einem Vorschlag zur Neudeutung des Themas erkennt Stephan Majetshak (2010: 77-78) die Wichtigkeit und v.a. die Nachwirkung der Interpretation Garvers an, vertritt jedoch die Einsicht, die Standardlektüre sei immer noch diejenige, welche mit Lebensform(en) das Vorhandensein von “various cultures, stages of civilization or socially specific ways of living” assoziiert, womit dann der Unterschied unter Menschen in den Vordergrund gerückt wird. Als Hauptvertreter dieser Interpretationslinie werden u.a. Autoren wie Rudolf Haller, Eike von Savigny und Joachim Schulte erwähnt, des Weiteren wird auf eine gründliche Rezension in Stosch (2001: 29-38)16 verwiesen.

Wie stark Garvers These noch immer nachhallt, habe ich selbst während des 38. Wittgenstein Symposiums in Kirchberg erlebt. In der Diskussion eines Beitrags zum Thema „Inkommensurabilität und Kulturrelativismus“ (BEI 2015) wurde im Plenum die ganze Fragestellung als irrelevant bzw. fehlplatziert bezeichnet, und zwar mit dem Argument, Garver hätte schon für ein und allemal gezeigt, bei Wittgenstein gehe es nur um die eine Lebensform: Die des Menschen, im Gegensatz zum Tier. Darum wäre die Diskussion um verschiedene, auf Kulturunterschiede basierende Lebensformen fehl am Platz. Als verstärkendes Argument wurde auf den spärlichen bzw. „einzigen“ Gebrauch des Ausdrucks im Plural im ganzen Werk verwiesen.

Beide Einwände halte ich aus verschiedenen Gründen für unangemessen, zumal sie den Dialog zum Thema mit dem Argument der autoritativen Deutung blockieren. Dadurch wird ein Verständnis mobilisiert, man könne eine bestimmte Interpretation als endgültig und außer jedem Zweifel stellen, im zweiten Fall gar mit einer klaren Überbewertung eines formalen Aspekts, als wäre der Sinn automatisch damit festgelegt. Dahinter steckt auch ein Drang nach terminologischer Exaktheit, der wichtige Entwicklungen im Spätwerk Wittgensteins zuwiderläuft, denn der Philosoph hat schon ab den 1930er Jahren diese Suche aufgegeben und stattdessen die Unschärfe und Flexibilität der Begriffe in den natürlichen Sprachen betont (BEN-YAMI 2017; 407-8), wie im Prolog schon zur Sprache gebracht.

Die Kontroverse im Wittgenstein Symposium zeigt, dass Garvers Standpunkt trotz seiner klaren Verdienste weiterhin noch kritisch zu überprüfen ist, denn damit wird der ganzen Debatte um die eventuelle Inkommensurabilität menschlicher Sprachen tatsächlich die Relevanz abgesprochen, und somit würde das Thema für die Translationswissenschaft deutlich an Interesse verlieren. Gerade relativistische Positionen über die Bedeutung Wittgensteins Spätwerks für Übersetzungsfragen, wie etwa von Kusch (2012) gegen Glock (2008) vertreten werden, wären m.E. durch eine solche Leseart benachteiligt (vgl. OLIVEIRA 2015c)17. Wer den späten Wittgenstein für die Translationstheorie mobilisieren will, muss sich hier also Klarheit schaffen.

Gegen Ende seiner Ausführungen verweist Garver (1990: 196-198) auf die Evolutionstheorie und fragt danach, was sich über die Entwicklung der menschlichen Sprache aus dieser Sicht sagen ließe, und geht auf ein paar historische, philosophische Antworten ein. Wie steht aber die heutige Forschung dazu? In seinem Buch The Origins of Human Social Mind verweist auch Mark Pagel (2012) auf große Philosophen, wie Hume, Locke und Kant. Wittgenstein wird nur einmal erwähnt, und zwar mit einem Verweis auf den berühmten Vergleich mit dem Löwen (PPF §327):

Maybe it is this: if a lion could speak it would not be a lion, but something more like us — we wouldn’t understand it as a lion. We wouldn’t understand it as a lion because lions behaving as lions don’t really have much to discuss beyond what they already achieve with their forms of communication. If they did have more to discuss, they wouldn’t be lions, but something like Mole, Badger, and Ratty. In fact, most of the communication in animal social systems is about signaling location, or who is dominant to whom, or disputes about food, territory, or mates. These are issues that can be settled by signals of grunts, chirps, whistles, odors, chest-thumping and head-butting, bites and grimaces, and that is why animals have these systems of communication rather than language. Why talk when a roar will suffice?

(PAGEL 2012: 249-250)

Diese Leseart ist völlig kompatibel mit den Erläuterungen Garvers (1990: 193-198) zum grundlegenden Unterschied, den Wittgenstein zwischen Menschen und Tieren dahingehend macht, dass nur die menschliche Lebensform Sprache voraussetzt. Die Erklärung Pagels, wir würden den Löwen nicht „als Löwen“ verstehen, geht jedoch am Argument von PPF §327 vorbei, denn dort heißt es, wir würden den Löwen schlechthin nicht verstehen, wenn er sich mittels Sprache ausdrücken würde — ohne die von Pagel eingebettete Hypothese, dass in diesem Fall der Löwe etwas anders wäre, also kein Löwe mehr. Dies wäre ein klassischer Fall von begging the question, indem man die Wahrheit eines Arguments oder einer Behauptung als bewiesen annimmt, ohne sie zu begründen.

Selbstverständlich wird damit auch nichts zu den eventuellen Schwierigkeiten im Verstehen unter Menschen gesagt (wie in PPF §325 angesprochen), denn diese Dimension wird im Ein-Satz-Zitat von §327 nicht einmal wahrgenommen. Doch die Leseart des hyperbolischen Vergleichs Mensch/Löwe beim Aufreihen von PPF §325 und §327 wird damit auch nicht ausgeschlossen. Gut synthetisiert werden dagegen die Haupteigenschaften tierischer analoger Kommunikation, im Unterschied zum digitalen Charakter menschlicher Kommunikation, den Pagel selbst betont (PAGEL 2012: 244-272).

Anders als Pagel (2012) verweist Michael Tomasello (2008) systematisch auf Wittgenstein in seinem Buch Origins of Human Communication. Jedes Kapitel wird mit einem Zitat Wittgensteins als Leitgedanken eingeführt und man könnte behaupten, in jedem Kapitel werden jene Leitgedanken im Sinne der Evolutionstheorie weitergesponnen. Was daraus entsteht, ist z.T. eine Beschreibung des Wegs der analogen tierischen Kommunikation zur menschlichen, digitalen Sprache mit ihrem Prozess der symbolischen Grammatikalisierung (TOMASELLO 2008: 258-332)18. Wichtig ist auch die zentrale Rolle, die Tomasello der menschlichen Kooperation im gemeinsamen Handeln beimisst. Darum schließt er sein letztes Kapitel mit dem Verweis auf die Verschachtelung von Sprache und Lebensform (PU §19) ab: “Simply put, if human social life had evolved in a different direction, our means of communication would have evolved in a different direction as well. To imagine a language is to imagine a form of life, says Wittgenstein” (TOMASELLO 2008: 342).

Tomasellos Hinweis zur Wichtigkeit der sozialen Organisationsformen für die Entwicklung menschlicher Sprachen spricht gegen eine ausschließliche Unterscheidung Mensch vs. Tier, wenn auch die Zentralität letzterer keinesfalls abgewiesen wird. Wenn die sozialen Formen mitbestimmend sind, dann kann es zu verschiedenen Sprachen kommen, wenn auch sie alle menschlich bleiben19. Das mag als eine Binsenwahrheit klingen, steht aber im Widerspruch zur schon zitierten starken These, man könne aus dem Begriff Lebensform nichts lernen oder ableiten (GARVER 1990: 178).

Wie Tomasello (2008) betont auch Pagel (2012) die Wichtigkeit der menschlichen Sprache im Zusammenhang mit der sozialen Organisation, wobei das Folgen lokaler Regeln auch fürs Aufrechterhalten komplexer Gesellschaften von zentraler Bedeutung sei (PAGEL 2012: 306-327). Dabei diene die Sprache jedoch nicht nur zum Zusammenhalten, sondern auch zum Ausgrenzen: Eine der interessantesten Thesen des Buches besagt, dass die menschliche Sprachenvielfalt genau der Funktion diene, die interne Kohäsion der Gruppe zu garantieren und gleichzeitig Auswärtigen den Zugang zu erschweren (siehe Kap. 1). Damit wird dem Universalismus, der im Argument gegen die Leseart von Lebensformen im Plural mitschwingt, den Boden unsicherer gemacht.

Kanavillil Rajagopalan (1992: 118) hat schon sehr überzeugend dahingehend argumentiert, dass die Versuche der linguistischen Pragmatik, eine universale Klassifizierung der Sprechakte zu machen, auf einen „blind angenommenen Ethnozentrismus“ basieren und ihr taxonomisches Ziel letzten Endes verfehlt haben. Dazu wird vermerkt (RAJAGOPALAN 1992: 116-117), dass so ein Ziel im Anbetracht des wittgensteinischen Begriffs der Familienähnlichkeiten einfach zum Scheitern verurteilt gewesen sei sollte man dabei wirklich konsequent bleiben wollen (vgl. OLIVEIRA 2015c).

Diese Hinweise zur gegenwärtigen historischen Anthropologie bzw. linguistischen Pragmatik sollen nicht heißen, die Philosophie müsse sich deren Ergebnissen unterstellen, denn die Aufgabenbereiche sind unterschiedlich. Doch wenn man schon auf den Gegenstand solcher Fächer hinweist, sollten deren Ergebnisse zumindest wahrgenommen werden, statt etwa ein eher intuitives Verständnis von Sprache zu mobilisieren, wie im von Garver (1990: 181) übernommenen Argument von Rush Rehs gegen Wittgensteins Charakterisierung primitiver Sprachspiele am Anfang von Philosophische Untersuchungen wohl geschieht20. Denn wichtiger ist zu verstehen, wie der Begriff jeweils mobilisiert wird, statt ihn mit einer einheitlichen, vorgefassten und standardisierten Definition zu konfrontieren und damit das ganze Argument in Frage stellen zu wollen. En passant: Solche „unüblichen“ Sprachformen wie am Anfang von Philosophische Untersuchungen lassen sich z.T. mit Tomasellos phylogenetischer Beschreibung menschlicher Sprache ohne größere Mühe korrelieren21.

5 Ein zweiter Schritt in der Texterweiterung

Wir können nun zu unserer Passage aus PPF zurückkehren und eine zweite, längere Texterweiterung machen. Als Kriterium für die Einschnitte habe ich Stellen gesucht, wo entweder eine größere Thematische Schwankung vorzuliegen scheint oder gewissermaßen ein Fazit gezogen wird. Denn eine klare thematische Trennung gibt es bei der schon erwähnten Nicht-Linearität des Textes nicht.

Wittgenstein vergleicht seinen Begriff von Aspektblindheit mit „dem Mangel des ‘musikalischen Gehörs’“ (PPF §260). Da wird schon seine Diskussion mit William James eingeführt, wieder ohne letzteren explizit zu erwähnen, denn die „Wichtigkeit dieses Begriffes“ liege „in dem Zusammenhang der Begriffe „sehen des Aspekts“ und „erleben der Bedeutung eines Wortes“ (§261). In den darauffolgenden Erörterungen werden verschiedene Begriffe im Sinne ihrer Grammatik voneinander unterschieden22. Es geht z.B. um die Unterscheidung zwischen der Absicht und dem Erleben eines Sinnes (§262, 279) sowie zwischen Reden und Denken (§264, 281-282, 292). Vor dem Hintergrund seines eigenen Verständnisses von Bedeutung als „Gebrauch des Wortes“ (§265) unterscheidet Wittgenstein auch zwischen „‚primärer’ und ‚sekundärer’ Bedeutung eines Worts“ (§276), wobei letztere „nicht eine ‚übertragene’ Bedeutung“ sei (§278), denn es geht hier um ihre logische Beziehung zueinander, wie aus dem Vergleich zwischen Rechnen und Kopfrechnen zu entnehmen ist (§277)23.

Bei diesen Erörterungen taucht immer wieder die Frage nach der Begründung auf, mit dem Hinweis darauf, dass man oft keinen Grund für seine Überzeugungen nennen kann (§268). Damit ist die in §326 explizit gemachte Thematik des Bildes angesprochen, die in Über Gewissheit ihre systematischere Diskussion finden wird. Manche Beispiele sind genau solche, die im letzten Werk eine zentrale Rolle spielen, wie das „Wissen“ darum, dass ich zwei Hände habe, oder der Vergleich zwischen den Sätzen „Die Erde hat Millionen von Jahren existiert“ und „Die Erde hat in den letzten fünf Minuten existiert“ (PPF §313; vgl. ÜG §84-85, 91-93, 102, 138, passim). Wie wichtig diese Diskussion für Wittgenstein ist, lässt sich aus einer berühmten lapidaren Bemerkung in Klammern erkennen:

Ich kann wissen, was der Andere denkt, nicht was ich denke.

Es ist richtig zu sagen „Ich weiß, was du denkst”, und falsch: „Ich weiß, was ich denke.” (Eine ganze Wolke von Philosophie kondensiert zu einem Tröpfchen Sprachlehre.)

(PPF §315)

Dass hier nicht nur James, sondern auch Moore — zum Thema Wissen — als Gesprächspartner dient, wird aus der Behandlung des Themas in Über Gewissheit klar, aber ersterer ist derjenige, der in der Diskussion zu den wichtigen Sinneskriterien gar explizit erwähnt wird:

„Mir liegt das Wort auf der Zunge.” Was geht dabei in meinem Bewußtsein vor? Darauf kommt’s gar nicht an. Was immer vorging, war nicht mit jener Äußerung gemeint. Interessanter ist, was dabei in meinem Benehmen vorging.

(PPF §298)

James will darüber eigentlich sagen: „Was für ein merkwürdiges Erlebnis!“

(PPF §299)

Diese Diskussion wird anhand verschiedener Spiele zum Erraten, was der andere denkt, weitergeführt, und so kommt man zur Stelle, die unmittelbar vor unserer Passage steht: „Alles das wäre Erraten von Gedanken; und wenn es tatsächlich nicht geschieht, so macht dies den Gedanken nicht verborgener, als den physischen Vorgang, den man nicht wahrnimmt“ (PPF §322). Der Vergleich mit Tieren spielt in der ganzen Passage bisher überhaupt keine Rolle, so dass man eigentlich zum Schluss kommen muss, es geht hier wirklich um das Verständnis unter Menschen, wie in der von mir vorgeschlagenen hyperbolischen Lektüre der Gegenüberstellung von §325 und §327. Diese Hypothese wird dadurch erhärtet, dass Wittgenstein in der bisherigen Diskussion von einer weiteren Hyperbel Gebrauch macht: „Gott, wenn er in unsre Seelen geblickt hätte, hätte dort nicht sehen können, von wem wir sprachen“ (§284). Die Hyperbel ist hier also ein wohl bewusst eingesetztes stilistisches Mittel, um das im therapeutischen Gespräch entwickelte Argument zu verstärken, keinesfalls bloß ein Echo von woanders geführten Diskussionen, wie Garver uns zu verstehen geben will.

Wir könnten die Dichotomie der Lesearten um Lebensform(en) schon gleich auflösen, sollten wir Garvers Argumente dahingehend akzeptieren, dass Wittgenstein in anderen Textstellen viel Wert auf den Unterschied Mensch vs. Tier legt — vorausgesetzt, es gelingt uns zu zeigen, dass die hiesige Diskussion wirklich etwas mit Lebensform(en) zu tun hat. Bevor wir weiter gehen, sind aber noch ein paar Worte zur Wichtigkeit des Kontexts zu sagen. In den Erörterungen zum „vertraute[n] Gesicht eines Wortes“ bemerkt Wittgenstein, über „den feinen ästhetischen Unterschied“, der mit so einer Vertrautheit einhergeht, ließe sich zwar „Vieles sagen“, dennoch sei es „nicht mit jenem ersten Urteil abgetan, denn es ist das Feld eines Wortes, was entscheidet“ (PPF §294)24. Zum weiteren Umfeld unseres Textabschnitts gehört die Wiederaufnahme der Diskussion um die verschiedenen Formen der Sicherheit, die logisch zu ergründen sei:

Bin ich weniger sicher, daß dieser Mann Schmerzen hat, als daß 2 × 2 = 4 ist? — Aber ist darum das erste mathematische Sicherheit? — ‚Mathematische Sicherheit‘ ist kein psychologischer Begriff.

Die Art der Sicherheit ist die Art des Sprachspiels.

(PPF §332)

Die unsägliche Verschiedenheit aller der tagtäglichen Sprachspiele kommt uns nicht zum Bewußtsein, weil die Kleider unserer Sprache alles gleichmachen.

Das Neue (Spontane, ‚Spezifische’) ist immer ein Sprachspiel.

(PPF §335.)

Das Sprachspiel ist seinerseits in den verschiedenen Lebensformen verankert, und hiermit nähern wir uns der Stelle, wo das explizit gemacht wird. Denn in den Lebensformen werden die zugrunde liegenden Kriterien durch unser Handeln frei gelegt: „Frag nicht: ‚Was geht da in uns vor, wenn wir sicher sind, ...?‘, sondern: Wie äußert sich ‚die Sicherheit, daß es so ist’ in dem Handeln des Menschen?“ (§339). Nicht lange danach wird dann das Fazit gezogen: „Das Hinzunehmende, Gegebene —könnte man sagen— seien Lebensformen“ (§345).

Garver versucht, die Wichtigkeit dieser Stelle, die einzige, wo Lebensform(en) im Plural auftauche, herunterzuspielen, u.a. mit dem Argument, dass “in that passage the plural does not seem a necessary part of a presupposition for speaking a language“ (1990: 179). Damit setzt er jedoch voraus, dass hier die Diskussion um die Vorbedingungen geht, überhaupt eine Sprache zu sprechen, seiner eigenen allgemeineren These entsprechend.

Dem ist nicht der Fall, wie wir gesehen haben. Die Kritik an Pitcher, der im Verweis zum Löwen in PPF §327 eine nicht vorhandene Pluralform hinzufügt (vgl. ebd.), mag also zwar in der Form korrekt sein, ist aber in der Substanz unbegründet. Denn jene Anmerkung zum Löwen kommt in einem Kontext vor, der durchaus von der Pluralität der Lebensformen — als Substrakt unseres Handelns — geprägt ist. Diese Nähe wird von Garver aber nicht (an)erkannt, stattdessen vergleicht er PPF §327 mit ganz anderen Stellen, wo explizit über den Unterschied Mensch/Tier gesprochen wird (GARVER 1990: 181)25. Dafür erwähnt er Verständnisschwierigkeiten unter Menschen mit einer Gegenüberstellung von PU §194 und PPF §325. Kein Wort aber darüber, dass der Verweis auf Verständnisschwierigkeiten unter Menschen in PPF §325 unmittelbar vor dem Vergleich mit dem Löwen in §327 steht. Völlig naiv oder unwissend dürfte diese Vorgehensweise wohl nicht sein.

Ich habe schon — u.a. mit Hinweisen auf andere Texte (u.a. OLIVEIRA 2015a; 2023) — die These vertreten, Wittgenstein gehe es nicht um Dichotomien, sondern eher um Unterschiede im Grad. Dass dem wirklich so ist, erfährt man direkt aus seiner eigenen Schrift. Unmittelbar nach den Bemerkungen zu den verschiedenen Lebensformen (im Plural: PPF §345) nimmt Wittgenstein eine Diskussion um verschiedene Farbsysteme, die auch woanders systematisch geführt wird (WITTGENSTEIN 1978), wieder auf:

Hat es Sinn, zu sagen, die Menschen stimmen in Bezug auf ihre Farburteile im allgemeinen überein? Wie wäre es, wenn’s anders wäre? — Dieser würde sagen, die Blume sei rot, die Jener als blau anspricht, etc., etc. — Aber mit welchem Recht könnte man dann die Wörter „rot” und „blau” dieser Menschen unsere ‚Farbwörter’ nennen? Wie würden sie lernen, jene Wörter zu gebrauchen? Und ist das Sprachspiel, welches sie lernen, noch das, was wir den Gebrauch der ‚Farbnamen’ nennen? Es gibt hier offenbar Gradunterschiede.

(PPF §346)

Aber diese Überlegung muß auch für die Mathematik gelten. Gäbe es die volle Übereinstimmung nicht, so würden die Menschen auch nicht die Technik lernen, die wir lernen. Sie wäre von der unsern mehr, oder weniger verschieden, auch bis zur Unkenntlichkeit.

(PPF §347; Hervorhebung hinzugefügt)

„Bis zur Unkenntlichkeit“ heißt, dass es einen Punkt gibt, wo man mit Recht von Inkommensurabilität sprechen kann. Das Sprachspiel der Mathematik setzt demnach logisch die volle Übereinstimmung voraus, bei anderen Spielen dürfte diese Voraussetzung flexibler gehandhabt werden. Die Bemerkung möchte ich als unser Spiel der Mathematik betreffend verstehen und damit das weite Feld anderer, sog. ethnologischer Mathematiken ausklammern.

6 Inkommensurabilität der Lebensform(en) und Translation

Wir setzen volle Übereinstimmung voraus, wenn wir mathematisch denken. Wie ist es aber mit dem Spiel der Übersetzung? Da verhält es sich genau umgekehrt, indem der Unterschied, wie auch immer geartet, eine Grundvoraussetzung fürs Sprachspiel überhaupt ist26.

Den Unterschied der Lebensformen zu überbrücken ist genau das, was die Übersetzung sich zur Aufgabe macht. Daher die These, die ich von Ricœur (2011: 67) übernehme, die Übersetzung setze die Kommensurabilität nicht als unabdingbare Bedingung voraus, denn im Extremfall stellt sie die Vergleichbarkeit durch den Akt des Übersetzens selbst erst her. Das gilt umso mehr für solche Fälle der Übersetzung des „radikal anders“, worauf Martins (2014) hinweist, und lässt sich mit dem Verständnis des emischen Charakters des illokutionären Aktes (RAJAGOPALAN 1992) besser verstehen. In diesem Sinne ist Garver zuzustimmen, dass etwas Gemeinsames zu haben eine wichtige Voraussetzung ist, um überhaupt vergleichen zu können:

Wittgenstein does sometimes imagine people who have a different form of life from ours — the builders (PI [§]2, 6), for example; or the person who counts by two, as he thinks, by counting by four after 1000 (PI 185ff.); or the wood sellers (RFM I.149), who sell their wood according to the area it covers rather than according to volume [...]. But these cases do not connote that there are difference[s] among actual human forms of life. On the contrary: by their divergence from our common practices, they make evident how much we have in common.

(GARVER 1990: 184)

Was Garver mit dem gemeinsamen „wir“ anspricht, deutet auf einen anderen, gar qualitativen Unterschied zwischen Menschen und Tier hin, und der ist de facto wichtig für Wittgensteins Philosophie. Jener qualitative Unterschied hebt jedoch die Gradunterschiede unter den verschiedenen Sprachspielen und den verschiedenen Sprachen und Kulturen nicht auf. Der qualitative Unterschied ist wichtig fürs Verstehen von Sprache überhaupt, wie neuere Ergebnisse der historischen Anthropologie bestätigt haben27. Letztere — Gradunterschiede — sind aber wichtiger für eine Übersetzungstheorie, die sich u.a. auf Wittgenstein berufen will.

Soweit zur Beziehung von Sprache und Lebensform(en) vor dem Hintergrund der Polarisierung zwischen Garvers Standpunkt und der sog. Standardlektüre. Folgende kurze Bemerkungen betreffen weitere Aspekte, die noch Vertiefung und Ausdifferenzierung verlangen und somit eher als Arbeitsprogramm anzusehen sind.

Vor dem kurzen Exkurs zur Sprachgenese mit Pagel (2012) und Tomasello (2008) habe ich vermerkt, dass man zwar auf benachbarte Fächer achten soll, aber ohne sich automatisch deren Ergebnissen völlig zu unterstellen. In einem Beitrag zum Thema „Sprache, Sprachspiele und Lebensformen“ hat Peter Hacker (2011) die Sprachauffassung sowohl der philosophischen Tradition, insbesondere in der vorherrschenden analytischen Linie, als auch der mainstream Sprachwissenschaft der letzten Jahrzehnte dahingehend kritisiert, Sprache in erster Linie als Kommunikationsrohr von Gedanken zu verstehen. Demgegenüber stellt er Wittgensteins Standpunkt als einen Rahmen für eine integrationistische Sprachauffassung dar (HACKER 2011: 19). Damit ist ein wichtiger Aspekt angesprochen, denn viele Kommentatoren nähern sich dem Spätwerk mit jenen traditionellen bzw. wissenschaftslästigen Vorverständnissen von Sprache an, statt die im Gedanken des Sprachspiels innenwohnende Auffassung in all ihrer Konsequenzen wahrzunehmen.

Die von Rhees und Garver vertretene Position, eine Sprache müsse vollständig sein, ist ein gutes Beispiel der von Hacker angesprochenen Haltung, denn sie steht im direkten Gegensatz zu dem, was Wittgenstein selbst dazu schreibt.

Daß die Sprachen (2) und (8) nur aus Befehlen bestehen, laß dich nicht stören. Willst du sagen, sie seien darum nicht vollständig, so frage dich, ob unsere Sprache vollständig ist; — ob sie es war, ehe ihr der chemische Symbolismus und die Infinitesimalnotation einverleibt wurden; denn dies sind, sozusagen, Vorstädte unserer Sprache. (Und mit wieviel Häusern, oder Straßen, fängt eine Stadt an, Stadt zu sein?) Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.

(PU §18)28

Schaut man sich einige Teilbereiche der heutigen Sprachwissenschaft außerhalb des Mainstreams an, v.a. jene der Soziolinguistik oder Pragmatik, so wird klar, dass eigentlich so gut wie keine Sprache als „komplett“ gelten kann, wie z.B. das Phänomen der Diglossie in multilingualen Gesellschaften gut bezeugt. Auch die von Padilla Gálvez (2011: 124) formulierte These, Sprache setze (gerade für Wittgenstein) Einheitlichkeit voraus, scheint mir unzutreffend. Sprache setzt Regelmäßigkeit und System(e) voraus, worin sie verankert ist. Aber ein System muss weder geschlossen noch zentriert sein, wie der Neostrukturalismus es gezeigt hat (FRANK 1983). Die neuere Forschung im Gebiet der Mehrsprachigkeit zeugt davon, dass Sprache durchaus als etwas ganz anders als homogen und in sich geschlossen zu verstehen ist, v.a. in der radikaleren These, dass alle Menschen bis zu einem gewissen Grad mehrsprachig seien — zumindest durch den Gebrauch von Dialekt, Soziolekt und verschiedene Register, wenn nicht mehrsprachig im Sinne der Verwendung anerkannter bzw. „offizieller“ Sprachen (AUER 1999; BUSCH 2012). Neuerdings wird sogar der herkömmliche Begriff der Mehrsprachigkeit durch das Verständnis ersetzt, jeder Mensch habe ein einzigartiges Sprachregister, das querbeet über verschiedenen Sprachen und Varianten geht. Das wird translanguaging genannt (BAYNHAM & LEE 2019). Damit wird die Grundidee Wilhelm von Humboldts bestätig, die ganze Menschheit habe eigentlich eine einzige Sprache und jedes Individuum zugleich seine eigene, einzigartige Sprache (FARACO 2020: 14). Auch diese Einsicht hebt die Dichotomie der Lesearten von Lebensform(en) auf.

Bedenkt man die zentrale Rolle, die dem Handeln in der Spätphilosophie Wittgensteins zugewiesen wird, so ist naheliegend, der Pragmatik im weitesten Sinne viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken, statt sie geradezu auszuklammern, wie man in Freges Nachfolge tut. Der Ausschluss der Pragmatik macht sich auch in der Diskussion zur Übersetzung bemerkbar, denn Philosophen tendieren oft dazu, die Thematik auf der Ebene des Systems behandeln zu wollen. Aber das Übersetzen ist keine Tatsache des Systems, sondern eher der Rede, wie Eugenio Coseriu (2010) schon in den 1970er Jahren in Bezug auf „Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie“ warnte. Die linguistische Pragmatik habe ich schon mit einem Hinweis auf Rajagopalan (1992) erwähnt29, für meine eigene Arbeit spielt jedoch die von Arley Moreno vorgeschlagene philosophische Pragmatik, die Wittgensteins Begriffstherapie aufgreift und im Sinne einer Epistemologie des Gebrauchs weiterentwickelt, eine wesentlich wichtigere Rolle (u.a. MORENO 2011, 2012a, 2012b, 2025). Denn sie ermöglicht das Schlagen einer Brücke zwischen der Sprachphilosophie und manchen wichtigen Ansätzen der heutigen Translationswissenschaft, in denen sowohl hermeneutische als auch normative Fragen untersucht werden.

Eine weitere Aufgabe wäre, auf Stefan Majetshaks (2011) Neudeutung von Lebensformen genauer einzugehen. Der Beitrag ist insofern wirklich klärend, als er uns davor warnt, ein allzu systematisches Verständnis von Lebensform als „kulturelles Ganzes“ zu mobilisieren. Das wäre eine Art Beschwichtigung im Sinne von Martins (2014.) Wenn der Begriff tatsächlich den Aspekt des Handelns im Sprachspiel betrifft, wie Majetshak es vorschlägt (und ich stimme ihm zu), dann heißt es aber nicht, man könne die sog. Standardlektüre ad acta legen, denn diese Einsicht kann ihr ohne weiteres als Ergänzung hinzugefügt werden30. Genauso wie bei Saussure Signifikant und Signifikat die zwei Seiten einer Medaille darstellen, so sind beim späten Wittgenstein Sprache und Handeln nicht voneinander zu trennen. So heißt es in PU §546: „Worte sind auch Taten“.

7 Epilog

Wenn wir einen Chinesen hören so sind wir geneigt sein Sprechen für ein unartikuliertes Gurgeln zu halten. Einer der Chinesisch versteht wird darin die Sprache erkennen. (CV 3)

Das Hinzunehmende, Gegebene —könnte man sagen— seien Lebensformen

(PPF §345).

Kaum ein anderer Philosoph des 20. Jahrhunderts hat die gegenwärtige philosophische Debatte so stark geprägt wie Ludwig Wittgenstein. Dennoch werden die eigentlichen Grundlagen seines Denkens oft verkannt, v.a. außerhalb der engen Kreise seiner Kommentatoren — und auch darin streiten sich die Geister. Werden die jeweiligen Gesprächspartner und die mit ihnen verbundene Thematik nicht erkannt, so entsteht der Eindruck von Paradoxie oder Flachheit — um einen Titel eines eminenten Kommentators zu evozieren, dem es darum ging, die Verflechtung der verschiedenen Themen im Spätwerk deutlich zu machen (PEARS 2008).

Versucht man, die Begriffe des späten Wittgensteins allzu isoliert zu behandeln oder ihnen allzu deutliche Konturen zu geben, entsteht das Risiko, was eigentlich Grund ist als Figur zu behandeln, und somit bei einer unangemessenen Überdeutlichkeit zu landen. Dem Begriff Lebensform(en) kommt mit aller Sicherheit eher die Rolle von Grund zu, denn er ist der Ausdruck jener Überzeugungen, worüber in der Regel nicht gesprochen wird, und die das Wichtigste für unser Denken und Handeln ausmachen (PU §129).

Meine Vorgehensweisen in diesem Beitrag nehmen auf dieses allgemeine Szenario Rücksicht. Zum einen soll dem eigeweihten Publikum Argumente dafür geliefert werden, weswegen der interpretatorische Streit um den Begriff Lebensform(en) keiner „entweder oder“, sondern einer „sowohl als auch“ Lösung bedarf. Die Entwicklung der menschlichen Sprache führte sowohl zu einem qualitativen Unterschied zum Tier als auch zu mehreren Gradunterschieden im Ausdruck menschlicher Sprachen und Kulturen.

Die Übersetzung hat mit letzteren zu tun, ganz gemäß der sog. Standardlektüre. Trotzdem bleibt Garvers (1990) Betonung der Unterschiede zwischen Menschen und Tier relevant, wenn auch zu verneinen ist, dass es Wittgenstein um die Formen der Naturgeschichte ging. Ihm ging es stattdessen um klassische philosophische Fragen, wie etwa (in unserem Fall) der Zugang zum Inneren des Menschen, und zwar in einem direkten Dialog mit William James.

Bei der Analyse einer möglichen Gabelung der Interpretationen in einer wichtigen Stelle ging ich, wie oben erwähnt, schrittweise vor. Schon bei der Gegenüberstellung von PPF §325 und §327 wird klar, dass es Wittgenstein nicht um einen Vergleich zwischen Menschen und Tier geht, sondern um eine Hyperbel, bei der der Löwe als ein Extremfall des Nichtverstehens zur Sprache kommt. Eine äußerst kleine Texterweiterung, die auch §324 und §326 berücksichtigt, zeigt, dass es in dieser Passage eher um die Frage des Zugangs zum sog. Inneren des Menschen geht. Dabei wird aber noch nicht klar, dass hier William James der direkte Gesprächspartner Wittgensteins ist. Um das klarzumachen, bedarf es einer weiteren Texterweiterung, in der der explizite Dialog mit James deutlich wird.

Diese 2. Texterweiterung deckt ein Themengeflecht auf, welches der Argumentationsweise Wittgensteins innewohnt, ganz im Sinne von Pears (2007) und der gründlichen Analyse, die Arley Moreno in zahlreichen Arbeiten dargelegt hat. Gezielt und explizit habe ich auf Themen wie die Wahrnehmung von Aspekten und den Normbegriff hingewiesen, denn sie spielen im Argument Wittgensteins eine wichtige Rolle, wenn auch dies bei einer schnellen Lektüre nicht unmittelbar zu erkennen sein mag. Im Spätwerk übte Wittgenstein keine systematische Philosophie aus, denn sein Ansatz blieb eher der kritischen Tradition — in einem neokantischen Sinne — näher. Trotzdem ergibt sich aus dem Spätwerk ein System, indem jeder Begriff sich auf andere stützt. So ist der Begriff Lebensform(en) die Kehrseite von Sprachspiel. Anders gesagt: Beide Begriffe sind aufs Engste verbunden, genauso wie bei Saussure Signifikant und Signifikat ohne das Gegenpaar nicht denkbar sind.

Unser Einstieg in die Diskussion verlief über die von Martins (2014) gestellte Frage zur Übersetzung des „radikal Anders“, und zwar vor dem Hintergrund eines Streits zwischen kulturrelativistischen Positionen, die mit der Standardlektüre von Lebensform(en) einhergeht, und dem Universalismus der von Garver (1990) vertretenen Position. Die translatorische Fragestellung ist hier also auch philosophischer Natur. Genauer gesagt, sie liegt an der Schnittstelle von Sprachphilosophie und Translationswissenschaft, also am Rande der mainstream Debatten dieser beiden Gebieten31. Zielsetzung dieses Beitrags war also nicht etwaige Lösungen jener mainstream Fragen zu liefern, sondern sie eher als mögliche Scheinprobleme aufzulösen. In den Fußnoten habe ich auf diesen Rahmen verwiesen, dem auch Sektion 6 verpflichtet ist. Die hyperbolische Klärung Wittgensteins mit dem Vergleich zum Löwen in PPF §327 ist auch in diesem Sinne passend, denn die Betrachtung dessen, was radikal anders ist, liefert Hilfestellungen zum Verstehen weniger scharfen Unterschiede.

Ähnlich wie Martins versteht auch James Thomson (2010) die Alterität als einen zentralen Aspekt, der mit Wittgensteins Begriff von Lebensform(en) einhergeht. Darum geht es auch in seiner Diskussion um das Übersetzen. Thomsons Argument nach sei die zentrale Rolle von Alterität jedoch vom Streit um die Frage Singular vs. Plural bzw. eine oder mehrere Lebensformen überschattet. Die Auflösung dieser Dichotomie bzw. Deutungsgabelung kann m.E. das Feld für die Diskussion von Alterität freier machen. Dafür ist das Erkennen der inneren Verflechtung wittgensteinischer Begriffe von größter Wichtigkeit. Viele Einsichten des vorliegen Beitrags konvergieren mit Thomsons Argumenten, angefangen bei der zentralen Rolle von Alterität. Seine Methode ist jedoch anders, und manche seiner Ergebnisse gehen mir nicht weit bzw. tief genug. Unter anderen erkennt Thomson die Vagheit des Begriffs Lebensform(en) als einen Hauptgrund der Debatte um Vielfalt vs. Einzigkeit, deren Grundlagen es aufzulösen gilt (um meine ursprüngliche Aufgabe der Text-Ent-Gabelung zu erledigen).

Seine Argumente gegen eine Überbewertung von Exaktheit stützen sich aber auf andere Denktraditionen, die eher der Dekonstruktion bzw. dem Postmodernismus verpflichtet sind, etwa wenn gesagt wird: “The term [form(s) of life] represents an implied critique of the logo-centric approach of the natural sciences and humanities, i.e., the relentless pursuit of the final or ultimate ground in Reason” (Thomson 2010: 110-111). Dem ist sicher im Sinne einer Annährung zuzustimmen, insofern als Wittgensteins Spätwerk eine Kritik bzw. Therapie der ‚einseitigen Diät des Verstands‘ gewidmet war. Man braucht aber nicht auf Merleau-Ponty zu rekurrieren, wie Thomson (ebd.) es macht, um die zentrale Rolle von Vagheit in Wittgensteins Spätphilosophie zu erkennen. Wie hier gezeigt wurde, spielt begriffliche Vagheit bei unserem Philosophen eine wichtige Rolle, die nicht auf eine begrenzte Zahl, sondern auf die meisten Begriffe natürlicher Sprachen zutrifft. Exaktheit ist nur im Rahmen des jeweiligen Sprachspiels zu definieren, und Translation lässt sich nicht mit allzu großer Exaktheit korrelieren, denn es kommt immer auf den Skopus der jeweiligen translatorische Aufgabe an.

Das Bildnis Figur vs. Grund kann uns auch Hilfestellen liefern, passende Antworten auf die in der gängigen Debatte gestellte Fragen zu geben, darunter die von Martins (2012, 2014) formulierten. Denn eine Änderung im Grund führt zu einer anderen Wahrnehmung der Figur, sei diese Änderung nun leicht oder radikal. Je unterschiedlicher die Vergleichsobjekte, desto unerwarteter dürften die neuen Aspekte sein, die sie zum Erscheinen bringen.

Sollten wir nun die in Sektion 3 formulierten Fragen wieder aufnehmen, dann gäbe es schon einige Hinweise, wie darauf zu antworten ist. Wenn z.B. unter „unser gängiges Verständnis von Übersetzung“ im Sinne von Martins (2014) die Suche nach (vorgegebenen) Äquivalenzen verstanden wird, dann ist die Frage nach ihrer Adäquatheit mit einem eindeutigen „nein“ zu antworten. Das Verstehen bzw. die Übersetzung des radikal Anders lässt sich eher mit einem Konzept von Übersetzung als „Aufbau des Vergleichbaren“ im Sinne von Ricœur (2011: 67) adäquat behandeln. Daraus ergibt sich auch die Konsequenz, dass jede neue Übersetzung notgedrungen Änderungen ins Zielsystem einführt, denn sie werden als neue Vergleichsobjekte darin integriert. Verschiede Ansätze in den Translationswissenschaften haben schon Ähnliches postuliert, eine von Wittgenstein inspirierte Perspektive kann diesen Trends des weiteren Verfeinerungen hinzufügen und neue Einsichten ermöglichen.

Die Frage, ob Kulturen wie die amerindische Bevölkerung eine andere Auffassung von Übersetzung als die des Westens haben, setzt schon voraus, dass sie überhaupt etwas haben, das sich mit „unserem“ Verständnis von Übersetzung korrelieren bzw. vergleichen lässt. Wittgensteins Spätwerk wird u.a. eine „ethnologische Betrachtungsweise“ zugewiesen (BRUSOTTI 2014). Von daher dürfte es wohl als Instrument zur Behandlung solche Fragestellungen gut geeignet sein. Der Unterschied in Lebensform(en) liefert einen passenden Hintergrund zu solchen Erörterungen.

  • 2
    Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Christoph Asmuth für die freundliche Einladung und den ThemaVorschlag.
  • 3
    In der wittgensteinischen Fachliteratur erfolgen Hinweise mittels Abkürzung samt Absatznummer, wenn vorhanden. Ich folge dieser Prozedur nach der ersten Angabe der jeweiligen Publikation gemäß den hiesigen Vorgaben. Da auch Nichtspezialisten aus benachbarten Gebieten zum Zielpublikum gehören, füge ich mancherorts erhellende Kommentare zum Stil Wittgensteins ein und zitiere etwas ausgiebiger. Der Streit unter seinen Interpreten gehört zum Hauptthema.
  • 4
    Da Englisch zu einer lingua franca der Akademie wurde, bleiben Zitate auf English unübersetzt.
  • 5
    Siehe auch Über Gewißheit (WITTGENSTEIN 1975: 15 [ÜG §94-99]). Bei Zitaten werden Wortordnung, Interpunktion, Rechtschreibung und Hervorhebungen wie im Original beibehalten.
  • 6
    An der Schnittstelle der Sprachphilosophie mit den Translationsstudien wird oft bemängelt, dass letztere sich als eine exakte Wissenschaft präsentieren wollen, wohl aus Prestigegründen. Dieser Kritik schließe ich mich an, denn Translation hat mit Symbolen zu tun, und semiotische Prozesse setzen Vagheit voraus (OLIVEIRA 2025a, 2025b).
  • 7
    Kahane, Kanterian und Kuusela (2007) liefern einen guten Überblick zu den (heute noch andauernden) interpretatorischen Trends. Siehe auch Pichler (2013), unter vielen anderen. Ich gehöre zu denen, die sowohl Kontinuität als auch wesentliche Veränderungen in den verschiedenen Phasen sehen: Kontinuität in der Thematik, Veränderungen in der zugrundliegenden Sprachauffassung und den Arbeitsmethoden. Dazu gehört auch das Verständnis, dass Stil und Inhalt in Wittgensteins Werk untrennbar sind, im Gegensatz zur analytischen Tradition, die sein Denken in die Bahnen traditioneller Formen der Exposition (u.a. mittels philosophischer Thesen) forcieren will.
  • 8
    Zitate aus Teil II in Philosophische Untersuchungen erfolgen mittels Kürzung PPF (Philosophie der Psychologie — ein Fragment), gemäß deren Umbenennung in der letzten Deutsch-Englischen Ausgabe (WITTGENSTEIN 2009), samt Absatznummerierung und unter Beibehaltung der originalen Schreibweise.
  • 9
    Seit geraumer Zeit vertrete ich die These, eine wirklich produktive Applikation Wittgensteins in den Translationsstudien sollte nicht nur seine Begriffe mobilisieren, sondern auch den Geist seiner Philosophie und seinen Stil bzw. seine methodischen Vorgehensweisen mitberücksichtigen. Maria Tymoczko (2007) und Philip Wilson (2016) haben schon auf die Produktivität jener Begriffe für das Fach hingewiesen und sie mit sehr konkreten Anwendungsbeispielen belegt. Eine Vertiefung bedarf jedoch einer stringenteren Berücksichtigung auch der Haltung wittgensteinischer (Spät-) Philosophie, statt etwa zu versuchen, seine Begriffe unter Methoden, die nach Wissenschaftlichkeit trachten, zu subsumieren. Die genannten Autoren sind sich dessen bewusst, aber weitere Arbeit gegen dieses Risiko ist geboten (OLIVEIRA 2020, 2023, 2025a).
  • 10
    Es sei daran erinnert, dass die skeptische Leseart eine starke Affinität mit dem radikalen Sprach- und Kulturrelativismus hat (auch in den Translationswissenschaften), gemäß dessen Kritik in Martins (2012, 2014). Moreno setzt sich gegen den radikalen Skeptiker in der Philosophie und behält dabei Wittgensteins Normverständnis, um die Möglichkeit der virtuellen Schließung eines im Prinzip offenen Reifungsprozesses zu betonen. Kontexterweiterung als Zügel zur Beliebigkeit der Interpretation. Meine Texterweiterungen in diesem Beitrag sollen dementsprechend genügendes Material für eine angemessene Deutung liefern.
  • 11
    Wie kommen aber Bemerkungen zu anscheinend so unterschiedlichen Gegenständen zusammen? Diese Art Kollage ist die grundlegende Kompositionsmethode Wittgensteins in seinem Spätwerk. Michael Nedo (2023) illustriert diese Gedankenbewegungen sehr gut in der Beschreibung der Erstellung des Big Typescript. (Manuskript erhalten vom Autor in privater Kommunikation. Vorgesehene Publikation in: 100 Years of ›Tractatus Logico-Philosophicus‹ — 70 Years After Wittgenstein‘s Death: Proceedings of the 44th International Ludwig Wittgenstein Symposium. Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society — New Series, Volume 30. Editor: HEINRICH-RAMHARTER, Esther; PICHLER, Alois; STADLER, Friedrich. deGruyter, 2025)
  • 12
    Bilder im spät-wittgensteinischen Sinn sind notwendig, um die Welt zu organisieren bzw. überhaupt wahrzunehmen. Dabei sind aber erstarrte Bilder die Ursache vieler philosophischen Schwierigkeiten und können u.U. in einen Dogmatismus münden, der zu Sackgassen führt (MORENO 1993, 2010).
  • 13
    Die Gesamtheit meiner Grundüberzeugungen ist unter dem Begriff Weltbild zu verstehen: „Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide“ (ÜG §94). Ein erstarrtes, dogmatisches Weltbild nennt Wittgenstein Weltanschauung (PU §122). Oliveira (2025a) diskutiert Lawrence Venutis berühmte Forderung nach der Sichtbarkeit der Übersetzer*innen vor dem Hintergrund dieser Einsichten Wittgensteins und argumentiert, die unausgesprochenen Grundvoraussetzungen klarzustellen sei noch wichtiger als die Person der Übersetzer*innen sichtbar zu machen. Das wäre ein Beispiel der Relevanz sprachphilosophischer Fragen für eine epistemische Debatte in der Translationstheorie.
  • 14
    Avner Baz (2020a, 2020b) versteht das „Aufleuchten eines Aspekts“ (im Sinne Wittgensteins) als Teil einer kontextuellen Wahrnehmung, und unterscheidet den Aspekt von den „Eigenschaften“ des Objekts. Arley Moreno stimmt dem zu im Bereich, wo die Objekte der Wahrnehmung schon in der Sprache integriert sind. Im vorlogischen Prozess der Konstitution der Zeichen seien Aspekte jedoch die Grundlage dessen, was als Eigenschaft verstanden wird (vgl. OLIVEIRA, GOTTSCHALK & AZIZE 2025: 115-119). Baz setz seine Diskussion in den Bereich der Phänomenologie, Moreno arbeitet hier an der Schnittstelle von Philosophie und Semiotik (vgl. OLIVEIRA 2025b).
  • 15
    Die Argumente Garvers wurden in verschiedenen Texten aufgegriffen (vgl. PADILLA GÁLVEZ & GAFFAL 2011: 14, Fußnote 29), für unsere Diskussion bleiben wir, v.a. aus methodischen Gründen, bei einer einzigen repräsentativen Textpassage Wittgensteins (samt Querverbindungen).
  • 16
    STOSCH, Klaus von. Glaubensverantwortung in doppelter Kontingenz: Untersuchungen zur Verortung fundamentaler Theologie nach Wittgenstein. Regensburg: Friedrich Pustet, 2001 (apud MAJETSHAK 2010).
  • 17
    Eine Sonderstellung in dieser Debatte nimmt das Dictionnaire des intraduisibles (CASSIN 2004) ein, allerdings aus einer anderen Perspektive, die der relativistischen Tradition stark verpflichtet ist.
  • 18
    Besonders einleuchtend ist das Beispiel der Gebärdensprache Nikaraguas, die binnen drei Generationen von ad hoc, kontextgebundenen Gesten zu einer regelhaften symbolischen Kodierung kam.
  • 19
    Wir sind hier an der Schnittstelle zur Debatte zwischen universalistischen und relativistischen Positionen in der Sprachwissenschaft, wie sie sich um Humboldt und v.a. die sog. Sapir-Whorf-Hypothese entwickelt hat (vgl. GONÇALVES 2020). Dieser Streit findet auch in den Translationswissenschaften statt.
  • 20
    Statt „intuitiv“ könnte man hier auch sagen: Ein Begriff von Sprache, der sich zu sehr der Tradition der Logik verpflichtet, etwa mit der Auflage, eine Sprache müsse unbedingt „vollständig“ sein. Ich komme in Sektion 6 auf dieses Thema zurück.
  • 21
    Noch wichtiger aus philosophischer Hinsicht ist zu erkennen, dass es Wittgenstein nicht um die (empirische) Beschreibung natürlicher Sprachen (wie in der Sprachwissenschaft) geht, sondern darum, einfache Sprachspiele — und damit auch den Begriff einer „einfachen Sprache“ — als methodische Instrumente zum Verstehen der extrem komplexen Verflechtung einzelner Sprachspielen in der menschlichen Sprache zu verwenden, wie Oskari Kuusela (2019) überzeugend argumentiert. Das schließt nicht aus, dass einfache Sprachspiele, etwa nur aus Nomen und Befehlen bestehend (vgl. PU §19), konkret zu finden seien. Genau das geschieht z.B. im Operationssaal, wo die Abfolge der vorgesehenen Schritte und die dafür nötigen Instrumente bekannt sind. Das wäre eine genau umrissene Lebensform, in der bestimmte Sprachspiele ausgeübt werden.
  • 22
    In Philosophische Untersuchungen verweist der Terminus „Grammatik“ auf die innere Logik der Begriffe. In Über Gewißheit wird wieder von Logik gesprochen, aber dann nicht mehr im fixen Sinne des Tractatus, sondern im gleichen Sinne wie Grammatik in Philosophische Untersuchungen, d.h., mit einer pragmatischen Dimension.
  • 23
    Die erwähnten Stellen liefern Beispiele der Rolle von Vergleichen als methodisches Vorgehen im Spätwerk: „Unsere klaren und einfachen Sprachspiele sind nicht Vorstudien zu einer künftigen Reglementierung der Sprache, — gleichsam erste Annäherungen, ohne Berücksichtigung der Reibung und des Luftwiderstands. Vielmehr stehen die Sprachspiele da als Vergleichsobjekte, die durch Ähnlichkeit und Unähnlichkeit ein Licht in die Verhältnisse unsrer Sprache werfen sollen” (PU §130).
  • 24
    Anscombe übersetzte das Wort Feld ursprünglich mit einer Ergänzung, als “the field of forces”. Diese Hinzufügung finde ich unnötig und sogar irreführend, denn damit kann man das (Kraft-) Feld als vom Wort selbst ausgehend verstehen, statt es im Sinne von Umfeld, also in Abhängigkeit vom unmittelbaren bzw. gesamten Kontext zu deuten, wie in PU §6 suggeriert wird: „‚Indem ich die Stange mit dem Hebel verbinde, setze ich die Bremse instand.‘ — Ja, gegeben den ganzen übrigen Mechanismus. Nur mit diesem ist er der Bremshebel; und losgelöst von seiner Unterstützung ist er nicht einmal Hebel, sondern kann alles Mögliche sein, oder nichts“. In der revidierten 2009 englischen Übersetzung heißt es bloß: “for it is the field of a word that is decisive“.
  • 25
    Dass dies genau da geschieht, wo Wittgensteins Gedankenspiele mit der Vorstellung anderer Lebensformen in Frage gestellt werden, und zwar im Namen einer universalistischen Rationalität und mit Hinweisen auf andere Autoren wie Rhees und Straud, überrascht nicht. Wer auf einen stark verstandenen Universalismus pocht, wird naturgemäß Schwierigkeiten haben, sich verschiedene, womöglich auch inkommensurable menschliche Lebensformen vorzustellen.
  • 26
    Nach Umberto Stecconi (2004) bilden Analogie, Unterschied und Mediation die semiotischen Bedingungen der Translation. Dem stimme ich überein.
  • 27
    Siehe u.a. The Symbolic Species, eine grundlegende Studie von Terrence Deacon (1997).
  • 28
    Die Frage danach, wann eine Stadt diesen Name verdient, variiert die althergebrachte philosophische Frage, ab welchem Sandkorn ein Hügel zu einem Berg wird. Wittgenstein fragt woanders auch danach, wie genau ein Busch von einem Baum zu unterscheiden sei. Damit geht auch seine schon erwähnte Polemik gegen Frege einher, ob ein Begriff genaue Grenzen haben müsse, um überhaupt ein Begriff zu sein (PU §71). Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeiten besagt das Gegenteil: Begriffe können verschwommenen Rande haben, der passende Grad an Exaktheit wird im Rahmen des jeweiligen Sprachspiels festgelegt. Zum Status der einfachen Sprachen bzw. Sprachspielen, siehe Fußnote 22. Die intrinsische Vagheit der Begriffe in der natürlichen Sprache ist ein Hauptmerkmal von Peirces Semiotik (BONCOMPAGNI 2016: 87–88) und gehört auch zur Sprachauffassung Wittgensteins Spätwerks (OLIVEIRA 2025b).
  • 29
    In den Sprach- und Kognitionswissenschaften lassen sich kaum explizite Bezüge auf Wittgenstein finden. Morten Christiansen & Nick Chater schlagen diese Brücke mit The Language Game (2022) und zeigen, wie radikal unser Denken über Sprachen verändert werden kann, wenn Wittgensteins Spätwerk in benachbarten Fächer wahr- bzw. ernstgenommen wird. Siehe auch Leilich (2021).
  • 30
    Anna Boncompagni (2022) liefert einen guten Überblick zum Thema Lebensformen in einer Publikationsreihe, die Wittgenstein auch Nicht-Spezialisten zugänglich macht. Das Argument ist eher der Standardlektüre verpflichtet, bleibt jedoch völlig kompatibel mit den hier gemachten Erörterungen. Leitfragen sind, warum Wittgenstein so spärlich in der Anwendung des Begriffs war, und warum er keine explizite Erklärung geliefert hat. Im Prolog wurde schon vermerkt, Boncompagni (2022: 1) erinnere daran, dass Lebensform seinerzeit ein gängiger wissenschaftlicher Begriff war. Die vorgetragenen Gründe dafür sind mit Wittgensteins Einsicht, dass man “die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung” nicht thematisiert (PU §129) auch völlig im Einklang.
  • 31
    Anette Kopetzki (1996: 19-43) liefert eine der gründlichsten mir bekannten Diskussionen des Streits Universalismus vs. Relativismus mit Bezug auf ihre Konsequenzen für die Translationswissenschaft. Dabei schlägt sie eine Brücke zwischen den sprachphilosophischen Einsichten der deutschen Romantik und dem v.a. von Wittgenstein eingeleiteten linguistic turn der analytischen Philosophie. Diese partielle Konvergenz habe ich hier ansatzweise berücksichtigt.

Erklärung zur Datenverfügbarkeit

Nicht zutreffend.

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  • Editora
    Magdalena Nowinska

Publication Dates

  • Publication in this collection
    07 Nov 2025
  • Date of issue
    2025

History

  • Received
    16 Jan 2025
  • Accepted
    05 Feb 2025
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Universidade de São Paulo | Faculdade de Filosofia, Letras e Ciências Humanas | Departamento de Letras Modernas | Área de Lingua e Literatura Alemã Av. Prof. Luciano Gualberto, 403 - Cidade Universitária, CEP: 05508-900 - São Paulo - SP - Brazil
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