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ÜBERSETZUNG ALS LITERARISCHES SCHREIBVERFAHREN IM EXIL AM BEISPIEL VON MASCHA KALÉKO UND WERNER LANSBURGH

TRANSLATION AS A CONCEPT OF LITERARY WRITING IN EXILE: MASCHA KALÉKO AND WERNER LANSBURGH

Zusammenfassung

Dieser Beitrag geht der Beobachtung nach, dass in literarischen Texten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die zwischen 1933 und 1945 aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen sind, Übersetzungen als Formen mehrsprachigen Schreibens auftauchen. Am Beispiel von Mascha Kaléko und Werner Lansburgh wird anhand von einigen Textbeispielen gezeigt, wie durch übersetzende Schreibverfahren der existenzielle Zusammenhang von Sprache und Exil sowohl reflektiert als auch ästhetisch umgesetzt wird.

Keywords
Übersetzung; Mehrsprachigkeit; Exil

Abstract

This article explores the phenomenon of literature produced by writers who had to flee from Nazi-Germany between 1933-1945 in which they use translation as a form of multilingual writing. The analysis focuses on texts by Mascha Kaléko and Werner Lansburgh and addresses the following questions: Can translation be seen as a concept or a technique of literary writing in exile and how does it reflect aesthetically on the existential difficulties of language in exile?

Keywords
Translation; Multilingualism; Exile

1. Walter A. Berendsohn: „Was der Index translationum verrät!“

Walter A. Berendsohn, den man als Begründer einer deutschsprachigen Exilliteraturforschung bezeichnen kann (vgl. Nicolaysen 37f.),1 1 Vgl. zu Berendsohn allgemein auch Claudia von Mickwitz: „Walter Arthur Berendsohn – Vom Emigranten zum Exilforscher“. ist einer der Ersten und bis heute einer der Wenigen, die den Aspekt der Übersetzung für die Bedeutung und Reichweite der Literatur des Exils aus NS-Deutschland betonen. Nachdem er 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Einstellung als außerplanmäßiger Professor am Germanistischen Seminar der Universität Hamburg entlassen wird, flieht er zunächst nach Dänemark und später nach Schweden. Dort beginnt er „unter den schwierigen Bedingungen des eigenen Exils den ersten Versuch […], diejenige Literatur, deren Autorinnen und Autoren vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, zu sammeln, zu kategorisieren und in Ansätzen auch literaturwissenschaftlich zu beschreiben.“ (Bischoff 54)

Den Zusammenhang von Übersetzung und Exilliteratur veranschaulicht Berendsohn im ersten Teil seiner 1939 entstandenen programmatischen Schrift Die Humanistische Front. Er bezieht sich dazu auf den „Index Translationum“, eine 1932 auf Initiative des Internationalen Instituts für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes in Paris gegründete Datenbank, die heute der UNESCO untersteht und übersetzte Bücher in der ganzen Welt verzeichnet. Mithilfe dieser Datenbank weist Berendsohn nach, dass die Literatur der aus Deutschland exilierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller bereits vor 1939 in erstaunlichem Umfang übersetzt wurde. Die von ihm erstellte tabellarische „Übersicht über die wichtigsten europäischen Länder und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, in denen Übersetzungen aus der deutschen Emigranten-Literatur erschienen sind“, verzeichnet zwischen 1933 und 1938 insgesamt 688 Übersetzungen (Berendsohn 156). Aufgeschlüsselt nach Autorinnen und Autoren werden für diesen Zeitraum folgende genannt, darunter auch einige, die schon vor ihrer Exilierung eine hohen Bekanntheitsgrad erreicht hatten und zahlreich aus dem Deutschen weltweit in andere Sprachen übersetzt wurden: Stefan Zweig (111 Ü.), Vicki Baum (87 Ü.), Lion Feuchtwanger (80 Ü.), Thomas Mann (74 Ü.), Emil Ludwig (60 Ü.), Erich Kästner (59 Ü.), Jakob Wassermann (57 Ü.), Franz Werfel (40 Ü.), B. Traven (34 Ü.), Gina Kaus (30 Ü.), Joseph Roth (28 Ü.) und Arnold Zweig (28 Ü.) (vgl. Berendsohn 157-158).

Da sich der Überblick des Index Translationum am Anfang auf nur einige europäische Länder und die USA beschränkte und erst nach und nach erweitert wurde, betont Berendsohn ausdrücklich, keine absoluten Zahlen anführen zu wollen bzw. zu können. Im Übrigen soll auch erwähnt sein, dass die Benutzung des Index Translationum aus heutiger translationswissenschaftlicher Perspektive kritisch gesehen wird, unter anderem weil er als unvollständig gilt (vgl. Heidermann, 138-140). Berendsohn geht es ohnehin aber primär darum, anhand dieser Übersetzungsdaten eine Tendenz, nämlich „das Verhältnis zwischen den Übersetzungen der deutschen Emigranten-Literatur und denen des Dritten Reichs anschaulich zu machen.“ (Berendsohn 155) Texte von in Deutschland verbliebenen Autorinnen und Autoren wurden verhältnismäßig deutlich weniger übersetzt und kein im engeren Sinne nationalsozialistischer Schriftsteller habe im besagten Zeitraum einen Erfolg im Ausland erreichen können:

Ja, man kann es getrost aussprechen: die nationalsozialistische Literatur ist eine innerdeutsche Angelegenheit geblieben […]. Sie ist vom Standpunkt der Weltliteratur eine provinzielle Erscheinung, mit deren ‚Ideen‘, dem nazistischen Denkdialekt, man nichts anzufangen weiß, und deren deutsche aufgebauschte, verquollene Sprache schlechthin unübersetzbar ist.

(Berendsohn 159)2 2 Vgl. dazu auch von Mickwitz: „Um diese fundamentale These Berendsohns, die Überlegenheit des freien Wortes gegenüber der gleichgeschalteten, nationalsozialistischen Literatur, rankt sich der ganz Band.“ (72)

Hingegen sei es gerade die deutschsprachige Exilliteratur, so Berendsohns zentrale These, die Deutschland in der „Weltliteratur“ (153)3 3 Siehe zur Verwendung des Begriffs „Weltliteratur“ bei Berendsohn: Bischoff 60-71. repräsentiere. Seine Argumentation weist dabei in zweierlei Richtung: Er betrachtet das Phänomen der umfangreichen Übersetzungen von Exilliteratur als qualitativen Indikator und betont den Einfluss, der Exilliteratur erst durch ihre literarischen Übersetzungen für einen interkulturellen Austausch in der Welt, über Landes- und Sprachgrenzen hinweg, zukommt.

2. Übersetzung und das sprachliche Selbstverständnis exilierter Autorinnen und Autoren

Im Unterschied oder vielmehr ergänzend zu Berendsohn möchte dieser Beitrag den Blick auf einen anderen nationen- und sprachenübergreifenden Aspekt von Übersetzung und Exilliteratur richten. Ausgehend von der Beobachtung, dass auch in der Literatur des Exils aus NS-Deutschland selbst Formen von Übersetzung vorkommen, stellt sich die Frage, ob und inwiefern diese die mehrsprachige Überlebensrealität des Exils widerspiegeln und wie sie als ästhetische Verfahrensweisen funktionieren.

Das sprachliche Selbstverständnis exilierter Schriftstellerinnen und Schriftsteller wird häufig durch die Konfrontation mit Fremdsprachen und die Notwendigkeit der Übersetzung im Exil erschüttert. In literarischen Texten, Essays und Zeitdokumenten reflektieren zahlreiche von ihnen die neue Sprachsituation, der sie sich im Exil nun unausweichlich stellen müssen. Für den prominenten Diskurs um das Verhältnis der Schreibsprache zu Muttersprache und Exilsprache(n) ist das Thema der Übersetzung zentral: etwa die Übersetzung eigener Texte oder die Arbeit als Übersetzer, die auffällig viele Exilschriftstellerinnen und-schriftsteller, nicht selten aus der materiellen Not heraus, im Exil beginnen.

Hilde Domin beispielsweise stellt das Übersetzen im Exil als artistische Herausforderung sprachlicher Geschicklichkeit dar: „[I] ch jonglierte Texte aus vielen Sprachen in viele Sprachen“ (Domin, „Unter Akrobaten und Vögeln“ 25). In ihrem autobiografischen Essay „Leben als Sprachodyssee“ heißt es: „Ich glaube, nicht übertrieben zu haben, wenn ich von mir gesagt habe, daß ich Texte gewendet habe, wie andere Kleider wenden.“ (Domin, „Leben als Sprachodyssee“ 39) Die im übersetzungstheoretischen Diskurs bekannte Kleidermetapher lässt sich bei Domin als Bild für eine nahezu stoffliche Materialität von Sprache und Texten sowie als Verweis auf das Alltägliche und das Existentielle des Umgangs mit Sprache und Übersetzungen für das Überleben im Exil lesen. Darüber hinaus spielen Übersetzungen bei Domin aber auch im künstlerischen Prozess eine entscheidende Rolle. Erst Ende der 1940er Jahre beginnt sie im Exil in der Dominikanischen Republik, umgeben vom Spanischen, das sie gut beherrscht, literarisch zu schreiben – auf Deutsch. „Kaum waren die Gedichte entstanden, so übersetzte ich sie ins Spanische, um zu sehen, was sie als Texte aushielten. Um Abstand zu bekommen“ (Domin, „Leben als Sprachodyssee“ 39). Die probeweisen Übersetzungen ihrer deutschsprachigen Gedichte in die Exilsprache sind bei Domin Teil des Schreibprozesses und zeigen, dass (Selbst-)Übersetzungen sowohl einen Perspektivenwechsel als auch kritische Distanz zum Geschriebenen schaffen können.

Lion Feuchtwanger sieht den Zusammenhang von Exil und Übersetzung zwischen sprachlichem Verlust und Bereicherung – man könnte sagen: lost and found in translation. In seinem bekannten Aufsatz „Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil“ heißt es auf der einen Seite:

Seltsam ist es, zu erfahren, wie die Wirkung unserer Werke nicht ausgeht von der Fassung, in welcher wir sie schreiben, sondern von einer Übersetzung. […] Denn auch die beste Übersetzung bleibt ein Fremdes. […] Und nun ist da das übersetzte Wort, der übersetzte Satz. Er stimmt, es ist alles richtig, aber der Duft, das Leben ist fort.

(Feuchtwanger 536)

Auf der anderen Seite hat die Übersetzungsnotwendigkeit im Exil auch eine produktive Seite, wie Feuchtwanger weiter unten selbst einräumt:

Der im fremden Sprachkreis lebende Autor kontrolliert beinahe automatisch das eigene Wort ständig am fremden. Häufig sieht er, daß die fremde Sprache ein treffenderes Wort hat für das, was er ausdrücken will. Er gibt sich dann nicht zufrieden mit dem, was ihm die eigene Sprache darbietet, sondern er schärft, feilt und poliert an dem Vorhandenen so lange, bis es ein Neues geworden ist, […]. Jeder von uns hat glückliche Wendungen der fremden Sprache seiner eigenen eingepaßt. (537f.)

Wenngleich für Feuchtwanger die ‚eigene‘ Schreibsprache bzw. die Muttersprache weiterhin einen besonderen Status gegenüber der ‚fremden‘ Sprache bzw. der Exilsprache behält, beschreibt er hier, dass durch Mehrsprachigkeit und Übersetzungsprozesse in der Exilsituation auch das eigene Schreiben, gar die Schreibsprache selbst, beeinflusst, transformiert und damit erweitert werden kann, indem die ‚fremde‘ Sprache als eine Art Reservoir zur Bereicherung der ‚eigenen‘ dient.

In diesem Sinne, der auch eine produktive Seite der Übersetzungsnotwendigkeit im Exil betont, soll im Folgenden anhand von zwei Beispielen, Mascha Kaléko und Werner Lansburgh, der Blick auf Übersetzungen gerichtet werden, die in literarischen Exiltexten selbst stattfinden.

3. Translationale und translinguale Experimente bei Mascha Kaléko

Mascha Kaléko (1907-1975) wurde im galizischen Chrzanów, damals Österreich-Ungarn, heute Polen geboren. Chrzanów ist zu dieser Zeit ein Ort im Dreiländereck zu Russland und Preußen, „am Verkehrsknotenpunkt zweier Hauptstraßen von Ost nach West und Nord nach Süd“ (Tippelskirch 162), wo sich auch mehrere Sprachen und Kulturen begegnen. Vermutlich lernt und spricht sie bereits als Kind Jiddisch und Deutsch. Unter anderem aus Angst vor möglichen Pogromen flüchtet sie im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit ihrer Familie aus dem jüdischen Schtetl nach Deutschland, das man als ihr erstes Exil bezeichnen kann.

Bevor sie 1938 aus dem nationalsozialistischen Deutschland erneut ins Exil, in diesem Fall nach New York, gehen muss, hat sie sich in Berlin als bekannte Schriftstellerin etabliert. Seit 1929 veröffentlicht sie immer regelmäßiger Gedichte in Zeitungen, darunter u.a. Der Querschnitt, Vossische Zeitung, Berliner Tageblatt und Welt am Montag. Ihr erfolgreicher erster Gedicht- und Erzählband Das lyrische Stenogrammheft erscheint 1933, die zweite Gedichtsammlung Kleines Lesebuch für Große 1934. Ab 1935 erhält Kaléko aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Publikationsverbot durch die Nationalsozialisten und kann von nun an nur noch in jüdischen Zeitschriften publizieren. In der Jüdischen Rundschau veröffentlicht sie etwa Übersetzungen von hebräischen Gedichten und Kindergeschichten (vgl. Rosenkranz 59).

Im amerikanischen Exil lernt sie die englische Sprache schnell, dolmetscht und übersetzt für ihren Mann, schreibt überwiegend jedoch weiter auf Deutsch. Einige wenige Gedichte kann sie in der deutschsprachigen Exilzeitschrift Aufbau unterbringen, hat darüber hinaus aber kaum Möglichkeiten zur Publikation. Sie verfasst englische Werbetexte und schreibt auch einige Gedichte auf Englisch, die jedoch zu Lebzeiten unveröffentlicht bleiben. Erst nach dem Krieg kann sie wieder veröffentlichen, 1945 erscheint der Band Verse für Zeitgenossen, der sich thematisch mit den Erfahrungen des Exils auseinandersetzt, als eine der wenigen deutschsprachigen Exilpublikationen in den USA.

Das Spiel mit berlinerischem Lokalkolorit und Hochdeutsch war bereits ein Charakteristikum von Kalékos frühen Texten, während die seit ihrer zweiten Exilierung entstandenen Gedichte und Prosatexte darüber hinaus immer wieder auch mit Mischungen und Montagen fremdsprachiger, vor allem englische Wörter und Wendungen, experimentieren. Um die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Übersetzung zwischen Sprachen geht es zum Beispiel in Kalékos Gedicht „Der kleine Unterschied“:

Der kleine Unterschied Es sprach zum Mister Goodwill ein deutscher Emigrant: „Gewiß, es bleibt das selbe, sag ich nun land statt Land, sag ich für Heimat homeland und poem für Gedicht. Gewiß, ich bin sehr happy: Doch glücklich bin ich nicht.“ (Kaléko, „Der kleine Unterschied“ 665)

Das Gedicht, das vermutlich in den ersten Exiljahren, also Anfang der 1940er Jahre in New York entstanden ist (vgl. Rosenkranz, „Kommentar“ 306), inszeniert einen Gesprächsausschnitt zwischen einem nicht genauer bezeichneten deutschen Emigranten und einem „Mister Goodwill“, was sich mit „gutem Willen“ oder „Wohlwollen“ übersetzen ließe. Anhand von textinternen Übersetzungen der zentralen Begriffe „Land“, „Heimat“, „Gedicht“ und „glücklich“ führt der Text vor, dass die Übertragung von einer Sprache in eine andere Sprache zwar theoretisch und im praktischen Umgang möglich ist, aber nie ganz zufrieden stellen kann. Besonders das Auftauchen des Begriffs „Heimat“ – ein Wort, das ja gerade für die an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit seiner Übersetzung aus dem Deutschen in andere Sprachen bekannt ist, weil es keine direkte Entsprechung gibt – erweist sich als geradezu paradigmatisch. Der kleine Unterschied liegt in der Bedeutung, die mit Assoziationen, Konnotationen und nicht zuletzt mit Erinnerungen und Emotionen verbunden ist. Das häufiger verwendete „happy“ geht dem namenlosen Emigranten leichter über die Lippen und kann dem ernsthafteren „glücklich“ nicht entsprechen. Die Gewissheit ist dahin. In diesem Gedicht Kalékos scheint „Der kleine Unterschied“ zwischen den Sprachen im Exil durch Übersetzung letztlich nicht überwindbar.

Tatsächlich äußert sich Mascha Kaléko dem Schreiben in einer anderen Sprache und dem Übersetzen eigener Texte gegenüber zeitlebens eher kritisch, obwohl sie fließend Englisch spricht und vieles, vor allem Tagebücher und Korrespondenz auf Englisch schreibt. In ihrem Text „Von der Unübersetzbarkeit lyrischer Dichtung“ (1961) heißt es dazu zum Beispiel, dass es nicht reiche, eine andere Sprache zu beherrschen, um in ihr dichten zu können, „[…] die Sprache muß u n s beherrschen. Uns aber beherrscht nur jene Sprache, in der wir zuerst MUTTER sagten und ICH LIEBE DICH. Die Gefühlsassociationen der Kindheit und ersten Jugend, das Empfindungs- und Geistesgut, die in unserer Muttersprache eingeschlossen sind wie der Nußkern in seiner Schale, sie sind es, die uns in einer neuerworbenen Sprache mangeln.“ (Kaléko, „Von der Unübersetzbarkeit lyrischer Dichtung“ 833)

Äußerungen wie diese von der Dichterin selbst, in denen ein starker Gegensatz von Heimat in der deutschen Sprache und Fremdheit in der Exilsprache evoziert wird, haben vielleicht auch dazu beigetragen, dass in der lange Zeit sehr autorzentrierten Kaléko-Forschung4 4 Solche Herangehensweisen in der Kaléko-Forschung werden durch einige neuere Beiträge kritisch reflektiert. Vgl. z.B. Schrader, der darauf hinweist, dass in den vorliegenden biographischen und monographischen Arbeiten überwiegend „Deutschland-, Berlin- und allemal Europa-zentrierte[…] Stereotypen und massive[…] Ungleichgewichtigkeiten der Beleuchtung“ (262-263) zu beobachten seien. Er plädiert dafür, statt solcher biographischer Festschreibungen über Kaléko, ihre Texte vielmehr zu lesen als „Ausdruck der Zerrissenheiten einer lebenslang gestaffelten Exilerfahrung, in der die Empfindung des Aufgehoben- und Zuhauseseins, die Sehnsucht auch nach einen bruchlosen Dazugehören nicht nur süße Illusion bleibt, sondern als illusionär fortwährend erkannt und reflektiert wird“ (264). Vgl. außerdem Swiderski, die herausarbeitet, dass das in der Forschung vielfach auftauchende Bild Kalékos als typisch berlinerische Dichterin auch im Zusammenhang mit Strategien und Aspekten der Selbstinszenierung gesehen werden sollte und kritisiert nicht zuletzt deshalb, dass „[i]n den meisten bisherigen Untersuchungen zum Werk Kalékos […] die notwendige Trennung von empirischer Autorin und lyrischem Ich nicht berücksichtigt [wird].“ (54) das Thema Mehrsprachigkeit in ihrem Werk bisher meist nur am Rande erwähnt wird und der Fokus dabei auf Fragen nach kultureller und sprachlicher Identität der Autorin, d.h. auf der bestehenden oder womöglich verlorenen Verbindung Kalékos zur deutschen Sprache, bleibt. So bleibe nach Zoch-Westphal „die deutsche Sprache das Element ihrer schöpferischen Tätigkeit. Sie lernt zwar schnell und gut Englisch; verdient sogar Geld mit englischen Texten. Doch Dichtung entsteht nur in der Muttersprache, die tiefere Quellen hat.“ (78) Nach Wellershoff, die die mehrsprachigen Sprachspiele Kalékos lediglich „als kreative Lösung für ihr dichterisches Sprachproblem“ registriert, haben diese „Kaléko nicht auf die Dauer vor der Verkümmerung der Sprache, die isoliert von der Sprachentwicklung im Mutterland ist“ (166), schützen können. Lange liest in ihrem Beitrag Mehrsprachigkeit in Kalékos Texten als Kritik am „Opportunismus im Aneignen von Kultur und Sprache, die Selbstverleugnung der angestammten sprachlichen Identität“ gleichkomme (119). Darüber hinaus folgert sie nach einem Akkulturationsmodell, dass bei Kaléko trotz maximaler sprachlicher Entwicklung eine vollständige soziale und psychische Assimilation nicht stattgefunden habe, und attestiert eine „mehrfach gebrochene soziale, psychische und kulturelle Integration der Autorin in die nordamerikanische Gesellschaft“ (115).

Ein Beispiel dafür, dass derartige Bewertungen, Zu- und Festschreibungen weder wissenschaftlich angemessen noch haltbar sind, ist der vermutlich 1941 entstandene und zu Lebzeiten unveröffentlichte kurze Erzähltext „Wendriner in Manhattan…“, in dem Hochdeutsch mit Berlinerisch, Jiddisch und Englisch gemischt wird. „…Hello, Schlesinger! So trifft man sich wieder, auf‘m Apper Broddweh. Seit wann sinn Sie denn in Njujork? Wohnse auch hier oben, im VIERTEN REICH?“ (Kaléko, „Wendriner in Manhattan…“ 802) In expliziter Anspielung auf die Wendriner-Geschichten von Kurt Tucholsky,5 5 Unter dem Titel steht: „(In memoriam Kurt Tucholsky, der uns ihn sehen lehrte.)“ (Kaléko, „Wendriner in Manhattan…“ 802). in denen er in der Figur des Herrn Wendriner den Prototyp des angepassten Berliner Juden schildert, nimmt Kalékos Text hier den deutsch-jüdischen Emigranten in New York ins Visier, und damit nicht zuletzt seine Sprachqualitäten. „– Hörnse auf mich, Schlesinger: Assemeliern, das iss die Losung. Los vom Alten. Das hab ich schon in Berlin vertreten, das sage ich jetzt auch in Njujork. Wendriner is un bleibt en Mann von Prinzipjen“ (804-805). Die ehemaligen, ‚deutschen‘ Prinzipien abgelegt, fühlt sich Herr Wendriner mittlerweile „europamüde“ (806), aber stattdessen voll und ganz heimisch in Amerika. „Und wie sagt doch der alte Lateiner ‚Ubi bene, ibi patria.‘ Und der olle Wendriner sacht: Wosmer gut geht, da bin ich zehause. Basta. Wo ich meine Steuern zahle, da is mein Vaterland. Ich fühle mich Amerikaner, voll und ganz. Ich hab schon meine först pehpers.“ (804) Ähnlich flexibel wie das Verhältnis zum „Vaterland“ sieht Wendriner auch die Bindung zur deutschen Muttersprache: „Was heißt hier ‚Sprache Goethe’s‘; das is alles doch bloß was fürs Poesie-Album. Mumpitz. Un von wegen ‚kulturelle Bindungen‘, wer will denn das wissen. Macht bloß Risches.“ (805)

Die englischen Wörter sind mit starkem deutsch-berlinerischem Akzent im Text zu finden. Dies kommt unter anderem zustande durch Übersetzung der englischen Schreibweise in eine Art Lautschrift, die den unbeholfenen Englischsprecher nachahmt und zum komischen Stilmerkmal des Textes avanciert. So wird der Newcomer zum „Njukamer“, die Cafeteria zum „Kaffe-tierja“, College Education zur „Kolledsch Edjukehschen“, Breakfast zum „Breckfest“ und Creamcheese zu „Kriehmtschies“ hörbar und sichtbar verfremdet.

Die jiddische Sprache spielt eine besondere Rolle für Wendriner, da sie in der englischen Fremdsprache wie etwas Vertrautes auftaucht und auch beruflich, Wendriner ist wie sein Sohn in der Textilindustrie tätig, weiterhin gebraucht wird:

In meiner Brangsche kommse ohne Schargon nicht aus. „Yiddish“ heißt das hier. […] Zum Beispiel die Fach-Ausdrücke. „Mezie“ un „Bowel“. – oder „Dalles“ un „Gannef“, das sind ihm [seinem Sohn Walter], Gottseidank, keine Fremdwörter. Das berührt einen direkt heimatlich. Dazu noch ein bisschen Englisch, das Ganze gut schütteln, un fertich is die Garment-Center-Biseness-Lengwitsch. „Plenty of Zores“ zum Beispiel, oder „A hard working goil from a gute mischpoche“. Das ist Brangsche-Loschen. (804)

Die Figur des Wendriner als Emigrant fühlt sich überall zuhause, gehört aber eigentlich nirgendwo wirklich dazu und wird seinem Image als opportunistischer Wendehals gerecht, indem er mindestens zweimal im Satz die Position wechselt. So werden in Kalékos Text beinahe alle kulturellen Zuschreibungen ebenso gut durchgeschüttelt wie die Sprachen und geraten kräftig durcheinander, wie z.B. wenn Wendriner die „deutsche Kedusche“ (805) vermisst, weil ihm die Synagoge in New York „ne Idee zu katholisch“ (805) ist. Dieser Effekt hängt maßgeblich mit der im Text sichtbar und hörbar werdenden Konfrontation von Sprachen, Dialekten und Jargon zusammen. Der vermeintlich angepasste Emigrant verzichtet bei einzelnen Wörtern auf Übersetzungen ins Deutsche, doch die Übertragung in eine mehrsprachige Schreibweise mit Akzent verfremdet das Englische systematisch so sehr, dass es zur Parodie wird. Kalékos Schreibverfahren, im Spiel mit Mehrsprachigkeit, bringt in diesem Text auf experimentelle Weise eine neue translinguale Emigrantensprache hervor, die sich irgendwo im Zwischenraum der Übersetzung zwischen Deutsch, Jiddisch und Englisch ausmachen, aber nicht festmachen lässt.

4. Rückübersetzungen ins Exil und übersetzendes Erzählen bei Werner Lansburgh

Im Gegensatz zu Mascha Kaléko ist Werner Lansburgh (1912-1990) kaum bekannt und nahezu unerforscht. Lansburgh, der im Alter von 20 Jahren zu schreiben beginnt, war nach 1933 zunächst Jura-Student in der Schweiz, Garagenarbeiter in Spanien und Spanischlehrer in Italien bevor er in Schweden für die amerikanische und britische Botschaft und später als Druckerei-Korrektor arbeitete. Nach Kriegsende versuchte er lange Zeit vergeblich nach Deutschland zurückzukehren, fand jedoch keine Beschäftigungsmöglichkeit und erhielt zahllose Verlagsabsagen. Erst der Erfolg seines zweisprachigen Sprachlern- und Liebesbriefromans „Dear Doosie“ (1977) ermöglichte ihm nach insgesamt 40-jährigem Exil die Rückkehr nach Deutschland und die Veröffentlichung weiterer Texte.

In „Dear Doosie“ macht Lansburgh durch ein ständiges Hin-und Herspringen zwischen Deutsch und Englisch, häufig sogar mehrfach innerhalb eines Satzes, Sprachwechsel und Übersetzung zum Schreibverfahren. „Doosie“ – buchstabiert D-O-O-S-I-E – lautet der Name der fiktiven Geliebten, der ausdrücklich weiblich imaginierten Leserin, an die der Ich-Erzähler seine Sprachlektionen richtet. Der Name selbst hat seinen Ursprung in einer Übersetzungsschwierigkeit, da sich die englische Anrede „you“ sowohl mit „du“ als auch mit „Sie“ übersetzen lässt:

To summarize, zusammenfassend: Ich nenne Sie Doosie, liebe Doosie, weil eben bis auf weiteres Du-Sie. Das englische „you“ kann, wie Sie wissen, beides bedeuten, je nach Intimitätslage, hilft uns aber im Augenblick nicht weiter, it won´t get us anywhere. Wieviel weiß ich denn von Ihnen als Leser, und wieviel wissen Sie von mir als Schreiber? Nothing. Etwas eleganter: Nothing at all. Noch eleganter, wirkliches Englisch: Little or nothing.

(Lansburgh, „Dear Doosie“ 8)

Der für den gesamten Text typische ständige Wechsel zwischen Deutsch und Englisch, sehr häufig auch innerhalb eines Satzes, sowie das systematische Übersetzen und Erläutern von Wörtern und Redensarten stehen unter dem ausdrücklichen Motto des Textes, Sprachkurs zu sein. Dementsprechend werden vermittelte Lektionen und Vokabeln in der Regel am Ende eines Kapitels wiederholt und „Doosies“ Lernfortschritt überprüft, indem der Icherzählende Briefeschreiber zu Übersetzungsübungen auffordert.

Lansburghs Beststeller „Dear Doosie“, so humorvoll und leicht er als Liebesbrief- und Sprachlernroman auf den ersten Blick daherkommt, setzt sich auch mit der Exilthematik auseinander, indem der „Englischunterricht“ häufig auch im Zusammenhang mit Episoden und Sprachbeispielen aus dem und über das Exil stattfindet. Zum Beispiel, wenn der Sprachlehrer Doosie berichtet, woher er sein gutes Englisch hat:

Answer, in two words: from Hitler. Answer, in somewhat greater detail: After Hitler had made me leave Germany because I was not only a German and a Christian but also the grandson of George Apollo L., a Jew, pronounced dju, sprich Jude – after that I was in many places. But „to cut a long story short“ – bitte merken – to cut a long story short, I eventually, schließlich, had to live in a country where it was completely useless to learn the language of the natives-Eingeborenen: they spoke it much better themselves and for this reason did not give me any job […]. Nor was my German of any use to them: they had plenty of Nazis doing translation jobs for them […]. Therefore, the one thing left to me was to work for foreigners living in that country. […] This is how I learnt (or learned) my English. (173)

Lansburgh hat im Exil noch weitere Texte geschrieben, die ganz zentral mit textinternen Übersetzungen arbeiten und das Thema Exil verhandeln. Zum Beispiel sein tagebuchartiger Roman mit dem bezeichnenden Titel Schloß Buchenwald (1971). Darin ist der Ich-Erzähler nach über 30-jährigem Exil aus Schweden, das er fortwährend als „Land X“ bezeichnet, auf Arbeitssuche nach Deutschland zurückgekehrt. Lansburghs „Phantasmagorie der Heimkehr, des Zuhauseseins“6 6 So heißt es im Klappentext zu „Schloß Buchenwald“ der hier zitierten Ausgabe. schildert das erste und, wie angekündigt, auch letzte Wiederkommen des Erzählers nach Deutschland, aus dem er als junger Mann aufgrund seiner jüdischen Herkunft vertrieben worden war und setzt dieses mit den Erfahrungen seines Exils in Beziehung. Ort des Erzählens ist die Veranda des Hotels „Parkschloß“, in dem sich der Zurückkehrende nach seiner Ankunft aufhält. Das Hotel befindet sich in einer alten, einst von den Nationalsozialisten aus jüdischem Familienbesitz enteigneten Villa, deren Parkanlage an einem See mit Buchenwald liegt. Der Ich-Erzähler richtet sich in seinen Aufzeichnungen direkt an eine fiktive Leserin, genannt „Lesa“, was an Lansburghs Doosie-Romane erinnert und derart ausgedehnt wird, dass der Erzähler seine „Lesa“ in eine Art fortsetzendes, wenngleich einseitiges Gespräch verwickelt:

Geliebte, eine Frage: Darf ich Sie Lesa nennen? Lautschrift à la Vata, Mutta. Darf ich? Klingt Ihnen zu schnodderig berlinerisch? In Land X heißt es läsa, wenn Ihnen das besser passt. […] Also schön, noch deutlicher: ich meine Les-e-r, meine Sie, „gerade Sie“, wie es in Liebesromanen und anderen Werbetexten heißt, „das richtige Shampoo gerade für Sie“ – so etwa meine ich das. Ob dieses ‚Sie‘ nun Einzahl oder Mehrzahl ist, überlasse ich Ihnen. Nur bitte nicht Keinzahl. Denn das wäre Land X.

(Lansburgh, Schoß Buchenwald 5)

Während einerseits Deutschland sowohl Heimatliches als auch die schmerzhafte Verbannung, den Ausschluss aus der Nation aufruft, bezeichnet er andererseits das Exilland Schweden konsequent als „Land X“:

Ich nenne es X, weil es für Sie nichts bedeutet und für mich nichts, weil ich es gleichfalls nicht kenne, keine Ahnung davon habe, keinen blassen Schimmer, obwohl ich dreißig Jahre dort gelebt habe, sofern man das „leben“ nennen kann. Armutszeugnis, sagen Sie? Das kann ich Ihnen doch nicht in den Mund gelegt haben. Wie kann man denn, sagen Sie, an einem Lande X oder Y so völlig vorbei leben, dreißig Jahre lang? – Man kann, meine Liebe. Allerdings muß man dazu etwas Pech haben, zum Beispiel das Pech, im fraglichen Lande nicht geboren zu sein und dort in der Fremde also, das einzige zu verlieren, was man zufällig noch bei sich hatte: die Sprache. (5)

„Land X“ wird somit im gesamten Roman zu einem Symbol, zum Stellvertreter für die Abgeschnittenheit, das „Vakuum“ und die Sprachlosigkeit des Exils, die der Erzähler ebenso beklagt wie den Verlust der eigenen Sprache, die sich in der Zwischenzeit verändert hat. Bei seiner Wiederbegegnung mit der deutschen Sprache, erscheint sie ihm teilweise sogar wie eine Übersetzung, etwa als er in einem Zug zwei Schuljungen sich unterhalten hört: „[…] ihre klaren Stimmen, ihre Sprache, beunruhigend […]: ‚deutsch‘. […] – ja, ‚deutsch‘, diese beiden Jungens, das Wort klingt altvertraut und doch so fremd, muß es in Anführungszeichen setzen, klingt wie aus dem Deutschen übersetzt.“ (13)

Zwischen jener Altvertrautheit und gleichzeitigem Fremdheitsgefühl zur deutschen Sprache bewegt sich die Erzählposition des Wiederkehrers im gesamten Roman. Er erzählt auf Deutsch, übersetzt dabei aber einzelne Wörter und Sätze permanent aus dem Deutschen ins Schwedische und damit zurück ins Exil. Im gesamten Roman befinden sich zahlreiche fremdsprachige Wörter und Einschübe, die nicht konsequent, aber in der Regel durch Kursivierung markiert sind. Vorwiegend auf Schwedisch, aber auch auf Englisch und vereinzelt Spanisch, werden sie in die Erzählung bzw. die fiktive Unterhaltung mit „Lesa“ eingefügt. So werden Wörter und Begriffe mitten in der Erzählung ins Schwedische übersetzt, wodurch ein teilweise abrupter Bruch im Erzählfluss entsteht. Während der Erzähler zum Beispiel von seiner Ankunft am Berliner Hauptbahnhof berichtet, dass er „Berliner Pfannkuchen“ gegessen habe, unterbricht er sich selbst mit folgendem Einschub: „[…] – heißen doch Pfannkuchen? Da kommen mir wieder diese elenden schwedischen pannkakor, ‚Pfannen-Kuchen‘, dazwischen, widerlich fade Eierkuchen.“ (12) Derlei eingeschobene Übersetzungen ins Schwedische oder Begriffserklärungen aus dem Schwedischen ins Deutsche sind charakteristisch für Schloß Buchenwald und es ließen sich unzählige Beispiele anführen.

Durch Sprachwechsel ins Schwedische und vereinzelt Englische sowie Übersetzungen finden eine Art sprachlich-assoziative bzw. durch Sprache assoziierte Sprünge im Erzählverlauf, d.h. aus der Erzählgegenwart heraus in die Zeit und das Erleben des Exils, statt. „Välkommen tillbaka, wie die X-länder sagen. Also Sie sind wiedergekommen.“ (11) Mittels derartiger textinterner mehrsprachiger Einschübe bleibt das Exilland bzw. das jahrzehntelange Leben im Exil bei der Rückkehr nach Deutschland und der Wiederbegegnung mit der deutschen Sprache allgegenwärtig und wird stets mitgedacht:

Klönen, ach ja, Klönen, seit dreißigtausend, tack! Der gute Schöbert wird uns schon den Kaffee – ja, tack ist danke auf schwedisch, gleichzeitig übrigens auch bitte, nichts zu danken, geht in Ordnung, ja, nein, vielleicht, ach so, sehr gut, ganz egal, guten Morgen, guten Abend, auf Wiedersehen, hol dich der Teufel, entzückend, na ich danke – […]. (47)

Durch sprachliche Assoziationen und Übersetzungen wird das Exil im Erzählprozess, teils durchaus abrupt, eingeblendet. In Schloß Buchenwald bleibt mittels derartiger Einschübe das Exilland bzw. das jahrzehntelange Leben im Exil bei der Rückkehr des Ich-Erzählers nach Deutschland und seiner Wiederbegegnung mit der deutschen Sprache allgegenwärtig und wird stets mitgedacht. Die Sprache des Exils reist bei der Rückkehr nach Deutschland mit und schreibt sich in die deutsche Erzählsprache ein.

Insgesamt, so meine These, kann man Lansburghs Schreibverfahren aufgrund der systematischen Verwendung von Übersetzungen und mehrsprachigen Elementen als übersetzendes Erzählen bezeichnen. Dadurch entsteht in seinen Texten eine permanente Reflexion über Sprache(n) im Exil. Wenngleich die Motive von Sprachverlust und Sprachlosigkeit im Exil in Lansburghs Texten durchaus eine zentrale Rolle spielen, kann die Exilperspektive von polyglotten und übersetzenden Ich-Erzählern in diesem Sinne auch als Inszenierung des Exilanten als Sprachlehrer und Übersetzer gelesen werden. Darin lässt sich ein innovativer, d.h. ein alternativer Selbstentwurf im Exil erkennen, der in Bezug auf Sprache in deutlicher Opposition zu eher traditionellen Vorstellungen von Exilantinnen und Exilanten, etwa als ‚Bewahrer‘ der deutschen Muttersprache, steht.

5. Fazit: Übersetzung als Schreibverfahren in Exiltexten

Die präsentierten Beispiele aus Texten von Mascha Kaléko und Werner Lansburgh haben gezeigt, dass die Literatur des Exils aus NS-Deutschland auf unterschiedliche Art und Weise innovative Formen von Mehrsprachigkeit hervorgebracht hat, die zum Teil als übersetzende Schreibverfahren bezeichnet werden können. Übersetzung kann daher in diesem Zusammenhang textintern als ästhetisches Mittel betrachtet werden, das die Übersetzungsnotwendigkeit und Konfrontation mit Fremdsprachen im Exil darstellt und reflektiert.

Während Berendsohn bereits Ende der 1930er Jahre die Bedeutung von literarischer Übersetzung betont hat, die einerseits dazu beigetragen hat, dass Exilliteratur in der Welt verbreitet werden konnte und andererseits als Anzeichen für das weltweite Interesse an dieser Literatur verstanden werden kann, ging es in diesem Beitrag darum, Übersetzung auch in Bezug auf eine spezifische Schreibweise und Kompositionsprinzipien von Exiltexten produktiv zu machen. Durch mehrsprachige Schreibverfahren und textinterne Übersetzungen wohnt diesen literarischen Texten des Exils eine grundlegende nationen- und sprachenübergreifende Eigenschaft inne.

  • 1
    Vgl. zu Berendsohn allgemein auch Claudia von Mickwitz: „Walter Arthur Berendsohn – Vom Emigranten zum Exilforscher“.
  • 2
    Vgl. dazu auch von Mickwitz: „Um diese fundamentale These Berendsohns, die Überlegenheit des freien Wortes gegenüber der gleichgeschalteten, nationalsozialistischen Literatur, rankt sich der ganz Band.“ (72)
  • 3
    Siehe zur Verwendung des Begriffs „Weltliteratur“ bei Berendsohn: Bischoff 60-71.
  • 4
    Solche Herangehensweisen in der Kaléko-Forschung werden durch einige neuere Beiträge kritisch reflektiert. Vgl. z.B. Schrader, der darauf hinweist, dass in den vorliegenden biographischen und monographischen Arbeiten überwiegend „Deutschland-, Berlin- und allemal Europa-zentrierte[…] Stereotypen und massive[…] Ungleichgewichtigkeiten der Beleuchtung“ (262-263) zu beobachten seien. Er plädiert dafür, statt solcher biographischer Festschreibungen über Kaléko, ihre Texte vielmehr zu lesen als „Ausdruck der Zerrissenheiten einer lebenslang gestaffelten Exilerfahrung, in der die Empfindung des Aufgehoben- und Zuhauseseins, die Sehnsucht auch nach einen bruchlosen Dazugehören nicht nur süße Illusion bleibt, sondern als illusionär fortwährend erkannt und reflektiert wird“ (264). Vgl. außerdem Swiderski, die herausarbeitet, dass das in der Forschung vielfach auftauchende Bild Kalékos als typisch berlinerische Dichterin auch im Zusammenhang mit Strategien und Aspekten der Selbstinszenierung gesehen werden sollte und kritisiert nicht zuletzt deshalb, dass „[i]n den meisten bisherigen Untersuchungen zum Werk Kalékos […] die notwendige Trennung von empirischer Autorin und lyrischem Ich nicht berücksichtigt [wird].“ (54)
  • 5
    Unter dem Titel steht: „(In memoriam Kurt Tucholsky, der uns ihn sehen lehrte.)“ (Kaléko, „Wendriner in Manhattan…“ 802).
  • 6
    So heißt es im Klappentext zu „Schloß Buchenwald“ der hier zitierten Ausgabe.

Bibliografe

  • Berendsohn, Walter A.: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigrantenliteratur. Teil 1: Von 1933 bis zum Kriegsausbruch Zürich: Europa-Verlag, 1946.
  • Bischoff, Doerte: „Die jüdische Emigration und der Beginn einer (trans-) nationalen Exilforschung: Walter A. Berendsohn.“ In: Rainer Nicolaysen (Hg.): Auch an der Universität – Über den Beginn von Entrechtung und Vertreibung vor 80 Jahren (= Hamburger Universitätsreden 19). Hamburg: Hamburg University Press, 2013.
  • Domin, Hilde: „Leben als Sprachodyssee [1979].“ In: Dies.: Gesammelte autobiographische Schriften. Fast ein Lebenslauf. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (1998): 32-40.
  • ______: „Unter Akrobaten und Vögeln. Fast ein Lebenslauf [1962].“ In: Dies.: Gesammelte autobiographische Schriften. Fast ein Lebenslauf. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (1998): 21-31.
  • Feuchtwanger, Lion: „Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil [1943].“ In: Ders.: Ein Buch nur für meine Freunde. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (1984): 533-538.
  • Heidermann, Werner: „Retten, was der Rettung hoffentlich gar nicht bedarf!. Der Index Translationum der UNESCO.“ In: Gert Wotjak (Hg.): Quo vadis Translatologie? Ein halbes Jahrhundert universitäre Ausbildung von Dolmetschern und Übersetzern in Leipzig. Berlin: Frank & Timme (2013): 133-142.
  • Kaléko, Mascha: „Der kleine Unterschied.“ In: Dies.: Sämtliche Werke und Briefe. Bd.1: Werke. Hg. von Jutta Rosenkranz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (2012): 665.
  • ______: „Von der Unübersetzbarkeit lyrischer Dichtung.“ In: Dies.: Sämtliche Werke und Briefe. Bd.1: Werke. Hg. von Jutta Rosenkranz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (2012): 833-834.
  • ______: „Wendriner in Manhattan…“ . In: Dies.: Sämtliche Werke und Briefe. Bd.1: Werke. Hg. von Jutta Rosenkranz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (2012): 802-806.
  • Lange, Tanja: „Kulturkonflikte (über)leben. Die Sprachlichen und literarischen Strategien der jüdisch-deutschen Schriftstellerin Mascha Kaléko.“ In: Tanja Lange, Jörg Schönert und Peter Varga (Hg.): Literatur in Grenzräumen (= Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 2). Frankfurt a. M.: Peter Lang (2002): 111-123.
  • Lansburgh, Werner: „Dear Doosie“. Eine Liebesgeschichte in Briefen – auch eine Möglichkeit, sein Englisch spielend aufzufrischen. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, Verlag 1979 [1977].
  • ______: Schloß Buchenwald Ahrensburg: Damokles Verlag, 1971.
  • Mickwitz, Claudia von: Walter Arthur Berendsohn – Vom Emigranten zum Exilforscher. Germanistisches Wirken unter den spezifischen Bedingungen des schwedischen Exils (= Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 2007). Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2010.
  • Nicolaysen, Rainer: „Berendsohn, Walter A.“ In: Franklin Kopitzsch und Dierk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie. Personenlexikon. Bd. 3. Göttingen: Wallstein Verlag, 2009.
  • Rosenkranz, Jutta: Mascha Kaléko. Biografie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007.
  • ______: „Kommentar.“ In: Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 4: Kommentar. Hg. von Jutta Rosenkranz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012.
  • Schrader Hans-Jürgen: „‚…einst ein schönes Vaterland‘. Mascha Kalékos Poesie von Exil zu Exil.“ In: Paula Giersch, Florian Krobb, Franziska Schößler (Hg.): Galizien im Diskurs. Inklusion, Exklusion, Repräsentation. Frankfurt a. M.: Peter Lang (2012): 261-294.
  • Carla Swiderski: „Zwischen zwei Kriegen und dann Exil. Strategien der Selbstinszenierung bei Mascha Kaléko.“ In: Exil. Forschung, Erkenntnisse, Ergebnisse 30 (2010): 52-62.
  • Tippelskirch, Karina von: „Mimikry als Erfolgsrezept. Mascha Kalékos Exil im Exil.“ In: Helga Schreckenberger (Hg.): Ästhetiken des Exils (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 54). Amsterdam, New York: Editions Rodopi (2003): 157-171.
  • Wellershoff, Astrid: Vertreibung aus dem „Kleinen Glück“. Das lyrische Werk der Mascha Kaléko. Aachen: Technische Hochschule, 1982.
  • Zoch-Westphal, Gisela: Aus den sechs Leben der Mascha Kaléko. Biographische Skizzen, ein Tagebuch und Briefe mit 62 Fotos und Zeichnungen sowie 19 Dokumenten. Berlin: Arani Verlag, 1987.

Publication Dates

  • Publication in this collection
    Jan-Apr 2018

History

  • Received
    12 Aug 2017
  • Accepted
    16 Oct 2017
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